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Gryphius, Andreas (eigtl. A. Greif)

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* 2. 10. 1616 in Glogau, heute Glogów
† 16. 7. 1664 in Glogau


Der Barockdichter der Vergänglichkeit und christlich-stoischen Weltüberwindung angesichts der Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges gewann in der Nachkriegszeit neue Aktualität: Zu den Preisstiftungen der 1950er Jahre gehörte der ab 1957 verliehene Andreas-Gryphius-Preis. Gryphius verlor mit 4 Jahren den Vater, mit 12 Jahren die Mutter; er erlebte in seiner Jugend Religionsverfolgung und die Zerstörung Glogaus. In Fraustadt, einem Sammelplatz der Protestanten, besuchte er das Gymnasium. 1634–36 war er in Danzig als Hauslehrer tätig; zugleich verfasste er lat. Epen über biblische Themen (u. a. Herodis furiae et Rachelis lachrymae), die ihm 1637 die Krönung zum Poeta laureatus eintrugen. Ab 1638 studierte und lehrte er in Leiden. 1644–47 führte ihn eine Studienreise nach Paris, Florenz, Rom, Venedig und zurück über Straßburg und Amsterdam nach Stettin. Von 1650 bis zu seinem Tod übte er das Amt des Syndikus (Führung der Sitzungsprotokolle) der Landstände in Glogau aus. 1662 wurde er als „der Unsterbliche“ Mitglied des um 1617 in Weimar als erste dt. Sprachgesellschaft gegründeten „Palmordens“ (auch „Frucht­bringende Gesellschaft“ genannt).

In seinem literarischen Schaffen bewahrte Gryphius Selbstständigkeit gegenüber dem Regelwerk seines schles. Landsmanns Opitz. Als Lyriker bevorzugte er die Formen der Ode und des Sonetts. In zunehmend freier rhythmischer Gestaltung entwickelte er das Gedicht zum eindringlichen, bildreichen Ausdruck des Strebens nach Überwindung des Irdischen.

Als Dramatiker stand Gryphius unter dem Eindruck des Jesuitendramas sowie der Tragödien des Holländers Joost van den Vondel und der frz. „Klassizisten“ (Thomas und Pierre Corneille). Er strebte nach einer für die Gebildeten bestimmten dt. Bühnenkultur im Unterschied zur vorherrschenden Bühnenpraxis der volkstümlichen Wandertheater. Das Hauptthema seiner Trauerspiele ist der schuldlose Untergang, das (christliche wie weltliche) Martyrium. Die Stoffe fand Gryphius sowohl in der Spätantike bzw. im Frühmittelalter (Leo Armenius handelt vom Sturz des byzantinischen Kaisers Leon V. im Jahr 820) als auch in der unmittelbaren Gegenwart (Carolus Stuardus über Sturz und Hinrichtung König Karls I. von England 1649). Das Versmaß der in fünf Akte gegliederten Trauerspiele ist der Alexandriner, dem Vorbild des antiken Chores folgt der kommentierende „Reyen“ am Aktschluss bzw. zwischen den Akten. Die Darstellung der Vergänglichkeit alles Irdischen reicht bis hin zu Schauermotiven: In der Liebestragödie Cardenio und Celinde (U 1661) verwandelt sich die (vermeintliche) Geliebte auf offener Bühne in ein Totengerippe. Als Lustspielautor setzte sich Gryphius u. a. mit dem barocken Sprachbombast auseinander (Horribilicribrifax, V 1663).

Gedichtbände: Sonn- und Feiertagssonette (1634), Sonette (1637), Teutsche Reimgedichte (1650), Dt. Gedichte (1657, Sonette, Oden, Epigramme, 2 Zyklen: Tränen über die Leiden des Herrn und Kirchhofsgedanken). – Dramen: Absurda comica oder Herr Peter Squentz (E 1647/50, V 1657), Leo Armenius oder Fürstenmord (E um 1646, V 1650, U 1651), Catharina von Georgien oder Bewährte Beständigkeit (E 1646/47, U 1651, V 1657), Ermordete Majestät oder Carolus Stuardus (E 1649, U 1650, V 1657; 2. Fassung V 1663).

Absurda comica oder Herr Peter Squentz. „Schimpfspiel“ in 3 Akten, E 1647/50, V 1657.
Zugrunde liegen die Rüpelszenen in Shakespeares Sommernachtstraum, die schon von engl. Komödianten als selbstständiges Schauspiel aufgeführt wurden. Ungewiss ist, ob Gryphius vom Originaltext ausgegangen ist oder den Stoff lediglich in der Bearbeitung durch den Mathematikprofessor Daniel Schwenter kennen gelernt hat.
Der Schreiber und Schulmeister Peter Squentz studiert mit einer Gruppe von Handwerkern die Tragödie von Pyramus und Thisbe ein, um sie dem durchreisenden König und seinem Gefolge vorzuführen. Mit großem Eifer widmen sich die Laienschauspieler der Aufgabe, den Liebestod des Pyramus (er glaubt, seine Geliebte sei das Opfer eines Löwen geworden, und ersticht sich) und der Thisbe (sie nimmt sich am Leichnam des Prinzen ebenfalls das Leben) als Trauerspiel zur Darstellung zu bringen. Sie wecken jedoch zunehmende Heiterkeit, etwa indem sie aus ihren Rollen fallen, und werden schließlich entsprechend der Anzahl ihrer „Säue“ (d. h. der ihnen unterlaufenen Fehler) belohnt.
Der Autor steht auf der Seite des höfischen Bühnenpublikums und gibt die „Volkskünstler“ damit ebenso dem Gelächter des realen Publikums preis. Insofern spiegelt das Lustspiel die Kluft zwischen den Gebildeten, an die sich Gryphius mit seinen Trauerspielen gewandt hat, und dem breiten Volk bzw. den kleinbürgerlichen Schichten. Dennoch ist die Absurda comica nicht allein von Herablassung geprägt. Sie gewinnt ihre Komik nicht zuletzt aus dem Sprachwitz, mit dem sich die biederen Handwerker und ihr Lehrmeister Squentz zu behaupten wissen; sie wandeln sich gleichsam unter der nachsichtigen Leitung des Autors vom Objekt zum Subjekt des Lustspiels. Erhalten bleibt jedoch das Missverhältnis zwischen künstlerischem Wollen und Können.

Lyrik. Gryphius bevorzugte das Sonett mit seinem Gegensatz zwischen den beiden Quartetten und Terzetten. Das in Titeln wie Alles ist eitel oder Vanitas! Vanitatum vanitas! ausgedrückte Grundthema ist die Vergänglichkeit alles Irdischen. Es bezieht sich vielfach konkret auf die Schrecken des Krieges. So zeichnet der 20-jährige Gryphius im 18. Jahr des Dreißigjährigen Krieges ein Bild der Verwüstung: „Wir sind ja nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret, / Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun, / Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun, / Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.“ Den Blickwinkel dieses 1. Quartetts von Tränen des Vaterlandes. Anno 1636 erweitert das letzte Terzett: „Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, / Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot: / Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.“ Während hier noch ein konfessioneller Standpunkt anklingt (Gryphius stammte aus einem ev. Pfarrhaus), überwiegt in den späteren Gedichten die grundsätzliche Gegenüberstellung von Diesseits und Jenseits.
Bildhafte Vergleiche und Metaphern sind ein wesentliches Gestaltungsmittel, wobei Gryphius eine im Barock häufige schwülstige Üppigkeit des bildhaften Sprechens vermeidet. Lapidar stellt das Sonett Menschliches Elend fest: Der Mensch ist „ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen“. Es endet, die Vanitas-Symbole (z. B. Kerze) im Bild des Allerflüchtigsten verdichtend: „Was sag ich? Wir vergehn, wie Rauch von starken Winden.“ Das Gedicht kann aber auch zum Gebet werden, ausgehend vom Vergleich des Lebens mit einer „Rennebahn“: „Lass, höchster Gott, mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten! / Lass mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten! / Dein ewig heller Glanz sei vor und neben mir! (…) So reiß ich mich aus dem Tal der Finsternis zu Dir!“ (Abend).

Sie finden hier online folgende Texte von Andreas Gryphius:



Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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