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Bernhard, Thomas

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* 9. (oder 10.) 2. 1931 Kloster Heerlen bei Maastricht
† 12. 2. 1989 in Gmunden (Salzkammergut)


Der uneheliche Sohn eines Landarbeiters wuchs in Oberösterreich auf. Im Großvater, dem Schriftsteller Johannes Feumbichler, fand der junge Bernhard die zentrale Bezugsperson, die ihn an die Literatur heranführte. Der Heilung einer 1948 aufgetretenen Lungenerkrankung folgte eine Ausbildung in Gesang, Regie und Schauspielkunst am Mozarteum in Salzburg. Der erste Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle (1957) artikuliert das Grundthema der Todesverfallenheit. Der erste Roman, Frost (1963), türmt in monologartigen Passagen wahnhafte Bilder des Entsetzens angesichts der sinnlosen Existenz in einer „kalten“ Welt. Das erste Drama, Ein Fest für Boris (1970), enthält das Sinnbild der Verkrüppelung. Zahlreiche Auszeichnungen ab 1965 (Bremer Literaturpreis, Großer Österreich. Staatspreis 1967, 1970 Georg-Büchner-Preis, 1971 Grillparzer-Preis) wurden zu einer Bestätigung der radikalen Absage des „österreich. Beckett“ an die Forderung gesellschaftlicher Analyse und „Relevanz“. Danach lehnte er alle weiteren Preise ab. Der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Bernhard Minetti (1905–98) huldigt das Drama Minetti. , ein Porträt des Künstlers als alter Mann (1970). Ein testamentarisch verfügtes Aufführungsverbot seiner Stücke in Österreich wurde 1998 auf Initiative einer Privatstiftung aufgehoben.

Gedichtbände: In hora mortis (1958), Unter dem Eisen des Mondes (1958). – Romane: Verstörung (1967), Das Kalkwerk (1970), Auslöschung – Ein Zerfall (1986). – Erzählungen: Amras (1964), Midland in Stilfs (1971). – Dramen: Der Ignorant und der Wahnsinnige (1972), Die Macht der Gewohnheit (1974), Immanuel Kant (1978), Vor dem Ruhestand (1979), Am Ziel (1981), Der Theatermacher (1984, U 1985). – Autobiografisches: Die Ursache. Eine Andeutung (1975), Der Keller. Eine Entziehung (1976), Der Atem. Eine Entscheidung (1978), Die Kälte. Eine Isolation (1981), Ein Kind (1982).

Frost. Roman, V 1963.
Der Medizinstudent und Ich-Erzähler soll den Kunstmaler Strauch beobachten, der zurückgezogen in einem Bergdorf lebt und von seiner Umwelt für verrückt gehalten wird. Der Student, dem er seine paranoide und resignative Weltsicht mitteilt, protokolliert die Monologe und hält sie in sechs Briefen fest. Ihnen entspricht die Wahrnehmung der Landschaft: Statt Idylle und Bergluft herrscht in diesem „neuen Heimatroman“ Verfall und Verwesungsgeruch. Als Folge des Weltkriegs und der Technisierung erkennt Strauch „Hunderte und Tausende Geschwüre, die dauernd aufgehen. Stimmen, die fortwährend schreien.“

Der Weltverbesserer. Drama in 5 Szenen und einem Nachspiel, V 1979, U 1980.
Der Verfasser eines „Traktats zur Verbesserung der Welt“ widmet sich vor und während seiner akademischen Ehrung den Symptomen seines körperlichen und geistigen Verfalls. Seine Botschaft: „Wir können die Welt nur verbessern / wenn wir sie abschaffen.“ Die Welt als „Kloake gehört ausgeräumt“. Der Weltverbesserer wird für ein Traktat geehrt, das niemand anwenden kann oder auch nur verstanden hat. Dies entspricht der Lage Bernhards, der für seine Provokationen mit Preisen bedacht wurde: Die ihn Ehrenden müssten eigentlich als Teil der Gesellschaft die Angriffe auf diese abwehren.

Holzfällen. Eine Erregung. Roman, V 1984.
Der Schriftsteller und Ich-Erzähler ist nach 20 Jahren aus London nach Wien zurückgekehrt. Hier erfährt er vom Selbstmord der früheren Freundin und gescheiterten Künstlerin Joana. Das Musiker-Ehepaar Auersberger, einst seine Förderer, die er wie alle früheren Freunde verachtet, lädt ihn zum „künstlerischen Abendessen“ ein, wo die Erzählung einsetzt. In ihrem Verlauf entsteht das Bild eines Künstlerkreises, der von gegenseitigem Hass und Missgunst gescheiterter Personen geprägt ist und bei dem sich der Erzähler auch selbst mit Vorwürfen und Beschimpfung nicht schont. Die zentrale Figur ist der Ehrengast, ein Schauspieler des Wiener Burgtheaters. Er genießt einen hohen Rang in der Hierarchie dieser Abendgesellschaft und spitzt in einem Wutausbruch das Thema des Romans zu: den Gegensatz von unverdorbenem ländlichen und dekadentem städtischen Leben mit seinen Rangkämpfen. Seine „Lebensstichwörter Wald, Hochwald, Holzfällen“ fesseln den Erzähler, der sich am Ende eingesteht, Wien und seinen früheren Freunden trotz allem verbunden zu sein: „daß ich sie hasse, aber daß sie rührend sind, daß ich Wien hasse und daß es doch rührend ist, daß ich diese Menschen verfluche und doch lieben muß und daß ich dieses Wien hasse und doch lieben muß …“.
Wie in den meisten Prosawerken Bernhards ist auch in Holzfällen eine Mischung fiktiver und autobiografischer Elemente zu erkennen. So ist z. B. die Choreografin Joana eine authentische Figur; im Erzähler ist unschwer Bernhard selbst zu erkennen. In ästhetischer Hinsicht ist der innere Monolog und die musikalisch-rhythmische Struktur des Textes kennzeichnend. Die zahlreichen Verweise auf Autoren (u. a. Ibsen, Strindberg und Tschechow) und Komponisten (u. a. Weber, Ravel und Purcell) ergeben ein vielfach vermitteltes ästhetisches Programm.

Heldenplatz. Drama in 3 Szenen, U, V 1988.
Das Stück spielt im März 1988 in Wien. Professor Josef Schuster hat sich, wenige Tage vor dem 50. Jahrestag von Hitlers Einmarsch in Wien, aus dem Fenster gestürzt. Seine Wohnung liegt am Heldenplatz zwischen Hofburg und Volksgarten; hier war 1938 Hitler begeistert empfangen worden. Als Grund für seinen Selbstmord vermutet Frau Zittel, Schusters Vertraute und Wirtschafterin, die in der 1. Szene einen Anzug des Verstorbenen in Ordnung bringt, antisemitische Anfeindungen. Doch die Rückkehr nach Oxford, dem ehemaligen Exil des Professors, stand unmittelbar bevor und sollte auch seine Frau heilen, die permanent das Geschrei der jubelnden Massen auf dem Heldenplatz von 1938 hört. Nach dem Begräbnis unterhalten sich die erwachsenen Töchter des Professors und dessen Bruder Robert im Volksgarten. Während die Tochter Anna noch Kampfgeist erkennen lässt, hat Robert bereits resigniert und ist zu keinem Protest mehr fähig. Während des Leichenmahls ergeht er sich in den heftigsten Österreich-Beschimpfungen, „diesem fürchterlichsten aller Staaten“, in dem man nur die Wahl habe „zwischen roten und schwarzen Schweinen“. Am Schluss wird das Geschrei vom Heldenplatz, das Hedwig, die Frau des Verstorbenen, hört, immer lauter, bis sie schließlich tot zusammenbricht.
Das Stück ist im Werk des „Übertreibungskünstlers“ Bernhard die wohl radikalste Österreich-Beschimpfung. Es legt nahe, dass Antisemitismus und Faschismus hier bis heute nicht überwunden sind, und entfachte damit einen der größten Theaterskandale in der Geschichte des Landes, verstärkt dadurch, dass einzelne Passagen vor der Uraufführung an die Öffentlichkeit drangen. Das Stück entstand zum 100-jährigen Jubiläum des Burgtheaters und wurde ein Beitrag zum „Bedenkjahr“, in dem an den „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland erinnert werden sollte.


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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