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Müller, Heiner

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* 9. 1. 1929 in Eppendorf (Sachsen)
† 30. 12. 1995 in Berlin


Der Sohn eines (1933 als SPD-Funktionär verhafteten) Angestellten wurde 1945 im Volkssturm eingesetzt. 1950 ließ er sich in Ost-Berlin nieder, zunächst als Journalist, seit 1955 als Dramatiker tätig (Mitarbeit seiner Frau Inge, Pseudonym Ingeborg Schwenkner, † 1966). Ausgehend von Brecht, widmete sich Müller in seinen „Geschichten aus der Produktion“ den Problemen des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft; sein Ziel war es, den „Kampf zwischen Altem und Neuem, den ein Stückeschreiber nicht entscheiden kann, (…) in das neue Publikum zu tragen, das ihn entscheidet“. 1961 wurde er (nach Absetzung des Stückes Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande) aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Müller wandte sich nun der Bearbeitung von Klassikerdramen (Sophokles, Shakespeare) zu, wobei vor allem die Macbeth-Version (1972) als „geschichtspessimistisch“ kritisiert wurde; seine Anstellung als Dramaturg am „Berliner Ensemble“ (ab 1970) endete 1976. Die „dt. Misere“ ist das gemeinsame Thema der drei aus disparaten Szenen montierten Stücke Die Schlacht (U DDR und B. D. 1975), Germania Tod in Berlin (U B. D. 1978) und Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei (U B. D. 1979). Die Aufhebung dramaturgischer Konventionen reicht in Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten (U B. D. 1983) bis zum Verzicht auf die Text-Sprecher-Zuordnung. Die Hamletmaschine ist ein auf die Figuren Shakespeare, Hamlet und Ophelia verteilter Monolog mit pantomimischen Schreckensszenen (U Paris und Essen 1979). In der DDR war das Stück über die Unterlegenheit des Intellektuellen (Hamlet sieht sich als „zweiter Clown im kommunistischen Frühling“) verboten; 1990 integrierte Müller das Stück in seine Berliner Hamlet-Inszenierung. Mit der „Struktur der Geschlechterbeziehung“ beschäftigt sich das Dialogstück für 2 Personen Das Quartett (U B. D. 1982) nach dem frz. Briefroman Gefährliche Liebschaften aus dem 18. Jh.
In der B. D.1979 mit dem Dramatikerpreis der Stadt Mülheim und 1985 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet, wurde Müller in der DDR nach und nach rehabilitiert (Nationalpreis 1986, Wiederaufnahme in den Schriftstellerverband 1988). Nach der Wende wurde er 1992 Mitdirektor des „Berliner Ensembles“. Im selben Jahr erschienen die Slg. Gedichte und seine Autobiografie Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen (erweitert 1994). Dem 1. Teil der Gesammelten Irrtümer (1986) folgten 1992 der 2. und 1993 der 3. Teil. 1996 wurde postum Müllers letztes Stück uraufgeführt: Germania 3 Gespenster am Toten Mann, ein apokalyptischer Rückblick auf die Verbrechen im 20. Jh. mit den Figuren Ulbricht, Stalin, Trotzki und Hitler.
2000 gab Grünbein u. d. T. Ende der Handschrift eine Auswahl von Gedichten aus dem Nachlass seines Freundes und Mentors Müller heraus.

Dramen: Die Schlacht. 5 Szenen aus Deutschland (E 1951–74, U DDR 1975), Die Umsiedlerin (E 1956–61, U DDR 1961), Philoktet (nach Sophokles, E 1958–64, U B. D. 1968), Herakles 5 (E 64–66, U B. D. 1974), Wolokolamsker Chaussee I–V (E 1984–87, U der 5 Teile einzeln DDR 1985–88). – Prosa: Slg. Rotwelsch (1982).

Der Lohndrücker. Drama in 15 Szenen, U 1958, V 1974.
Dem 1948/49 in der DDR angesiedelten Stück liegt derselbe Fall einer umstrittenen Steigerung der Produktivität (Reparatur von Brennöfen ohne deren Stilllegung) zugrunde, auf den sich Brechts Büsching-Fragment stützt. Im Mittelpunkt steht der Arbeiter Balke als Erfinder der technischen Verbesserung, die eine Erhöhung der Arbeitsnormen zur Folge hat. Hieraus ergeben sich Anfeindungen seitens der Arbeitskollegen wie der Betriebsparteigruppe. Zur Diskussion steht die Überwindung der privaten zugunsten der gesellschaftlichen Interessen, es geht um den dialektischen Zusammenhang zwischen der Änderung der Verhältnisse und der des individuellen Verhaltens.

Germania Tod in Berlin. Drama, V 1977, U B. D. 1978.
Die Rahmenhandlung reicht von 1918 bis zur Aufbauphase der DDR. Die hauptsächlich aus der Arbeiterschaft stammenden Protagonisten verkörpern Verhaltensweisen, die von der Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse bis zur revolutionären Einsatzbereitschaft reichen; das Finale enthält die Vision von „roten Fahnen über Rhein und Ruhr“. Eingefügt sind ins Groteske gesteigerte historische Szenen; zu den Repräsentanten der im Terror mündenden dt. Geschichte gehört Friedrich II. von Preußen. Die Tendenz zum schockierenden Bild verdeutlicht die Geburtsszene im Führerbunker: Goebbels bringt als Nachfolger des Dt. Reichs einen Wolf im Schafspelz zur Welt.


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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