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Fontane, Theodor

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* 30. 12. 1819 in Neuruppin
† 20. 9. 1898 in Berlin


„Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen“ lautet der Untertitel von R. W. Fassbinders Filmversion (1974) des Romans Effi Briest, die zugleich eine Huldigung an den Schöpfer des dt. Gesellschaftsromans im Realismus bildet. Im Titel Ein weites Feld seines Romans von 1995 zur dt. Einigung bezieht sich Grass auf eine Redewendung, die Effie Briests Vater gern verwendete („Das ist ein weites Feld.“). Darüber hinaus verweist Grass mit diesem „Zitat“ auf Fontane als Zeugen der ersten dt. Einigung (Reichsgründung 1871) und als Figur in seinem bundesrepublikanischen Zeitroman.
Der Sohn eines Apothekers hugenott. Herkunft war ab 1836 im väterlichen Beruf tätig (Berlin, Leipzig, Dresden). Seine literarische Laufbahn begann 1839 (Novellen, Gedichte unter dem Einfluss Herweghs); 1844 trat er als „Lafontaine“ dem Berliner Verein „Tunnel über der Spree“ bei, dem auch Heyse und Storm angehörten. 1849 wechselte er zum Journalismus über, nachdem er im Revolutionsjahr 1848 Beiträge im radikaldemokratischen Blatt „Zeitungshalle“ veröffentlicht hatte; als Mitarbeiter der „Dresdner Zeitung“ nahm er an der Opposition gegen die preuß. ­Reaktion teil (Die Wiedergeburt des Polizeistaats). 1855–59 lebte Fontane mit seiner Familie als freier Korrespondent in England. 1860–70 war er in Berlin Mitarbeiter der konservativen „Kreuz-Zeitung“; zugleich pflegte er die Gattung der kulturgeschichtlichen Reiseliteratur (Wanderungen durch die Mark Brandenburg, ab 1861). Als Kriegsberichterstatter hielt er sich 1865/66 in Dänemark und Böhmen, 1870 in Frankreich auf, wo er als mutmaßlicher Spion in Haft genommen wurde. Als Theaterkritiker der „Vossischen Zeitung“ gehörte er Ende der 1880er Jahre zu den Verteidigern des Naturalismus (Ibsen, Hauptmann) als Fortentwicklung des Realismus. Als Erzähler begann Fontane mit der Gestaltung historischer Stoffe, allerdings mit der Absicht, „nicht zu erschüttern, kaum stark zu fesseln“; die Hauptsache war „anregendes, heiteres, wenn’s sein kann geistvolles Geplauder“ (1866 über den ab 1862 entstandenen und 1878 erschienenen Roman Vor dem Sturm, angesiedelt 1812/13 unmittelbar vor Beginn der Befreiungskriege). 1880 erschien mit L’Adultera (benannt nach Tintorettos Gemälde „Die Ehebrecherin“) Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman. Bereits in Schach von Wuthenow (1882/83) ist das gesellschaftlich bedingte Verständnis von Ehre ein zentrales Thema Fontanes: 1879 fasste er den Inhalt der Erzählung (nach einem Ereignis von 1815) zusammen: „Eitlen, auf die Ehre dieser Welt gestellten Naturen ist der Spott und das Lachen der Gesellschaft derart unerträglich, dass sie lieber den Tod wählen als eine Pflicht zu erfüllen, die sie selber klug und gut genug sind, als Pflicht zu erkennen, aber auch schwach genug sind, aus Furcht vor Verspottung nicht erfüllen zu wollen.“ Indem die Handlung in das Jahr 1806 unmittelbar vor dem Zusammenbruch Preußens verlegt wird, gewinnt der Einzelfall symptomatischen Charakter für das Verhängnis „falscher Ehre“, an der Preußen in der Auseinandersetzung mit Napoleon scheiterte. Kennzeichnend für Fontanes personale (statt auktoriale) Erzählweise ist die Vielfalt der Blickwinkel in breit angelegten Dialogszenen. Zu diesem „Perspektivismus“ gehört die ironische Replik. So erhält eine Adlige, die sich die hl. Elisabeth von Thüringen zum Vorbild nimmt („der Armut Brot geben – darin allein ruht das Glück. Ich möchte, dass ich mir das erringen könnte“) zur Antwort: „Du wirst Unter den Linden noch für Geld gezeigt werden.“ Das Beispiel für Ironie findet sich im Roman Der Stechlin. Er enthält die Analogie zwischen dem Zusammenhang der Naturerscheinungen und dem Zusammenhang zwischen den so verschiedenen Einzelexistenzen. Denn „wer demütig ist, der sieht die Scheidewände fallen und erblickt den Menschen im Menschen“.
Auch Gedichte hat Fontane verfasst, v. a. Balladen (Archibald Douglas, Die Brücke am Tay, John Maynard, Herr von Ribbeck).

Gedichtbände: Männer und Helden. Acht Preußenlieder (1849), Gedichte (1851, erweiterte Neuauflagen 1875, 1889, 1892). – Romane: Vor dem Sturm (E ab 1862, V 1878), L’Adultera (Zs 1880, V 1882), Cécile (Zs 1886, V 1887), Stine (1890, Verf Dtl. 1944 u. d. T. Das alte Lied, B. D. 1967 Wilm ten Haaf, DDR 1978 Thomas Langhoff), Unwiederbringlich (1891, Verf B. D. 1968 Falk Harnack), Die Poggenpuhls (1896), Mathilde Möhring (E 1891, Zs posthum 1906, Verf DDR 1945/50, B. D. 1967/68 Claus Peter Witt). – Erzählungen: Ellernklipp. Nach einem Harzer Kirchenbuch (1881), Schach von Wuthenow (Zs 1882, V 1883). – Essays, Rezensionen: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 (1853), „Gottfried Keller“. Essay von Otto Brahm (1882), „Die Wildente“ von Henrik Ibsen (1888). – Reiseberichte: Ein Sommer in London (1854), Jenseits des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland (1860), Wanderungen durch die Mark Brandenburg (4 Bde. 1862–82). – Autobiografisches: Meine Kinderjahre (1893), Von Zwanzig bis Dreißig (1897). Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik. Erzählung, V 1879 (in der Zeitschrift „Nord und Süd“), Buchausgabe 1880, Verf u. d. T. Grete Minde – Der Wald ist voller Wölfe B. D. 1976.

Grete Minde. Schauplatz der historischen Erzählung ist Tangermünde um das Jahr 1615. Die Titelheldin, Tochter einer kath. Spanierin, wächst als Waise im Haus ihres Halbbruders Gerdt und dessen engherziger Frau Trud auf. Den ständig wachsenden Anfeindungen entzieht sie sich durch die Flucht, begleitet von ihrem Jugendgespielen Valtin. Nach drei Jahren kehren sie mit ihrem Kind nach Tangermünde zurück. Valtin stirbt, Grete wird die Aufnahme in Gerdts Haus versagt; ihr Anspruch auf das Erbteil wird vom Rat der Stadt, dem Gerdt Minde angehört, auf dessen falsche Aussagen hin zurückgewiesen. In ihrer völligen Verlassenheit bemächtigen sich Wahnvorstellungen der Frau: Schon vor Jahren war Grete durch die Vorstellung eines Puppenspiels „Das Jüngste Gericht“ zugleich geängstigt und fasziniert. Sie zündet in düsterer Rache- und Zerstörungslust ihr Vaterhaus und die Stadt an. Vor den Augen ihres Halbbruders wird sie mit dessen Sohn und ihrem eigenen Kind vom brennenden Kirchturm in die Tiefe gerissen.
Durch die dramatische, an die Balladendichtung anknüpfende Gestaltung vor allem des Finales bildet Grete Minde eine Ausnahme innerhalb Fontanes Erzählwerk. Dies gilt auch für den Charakter Gretes bzw. die in ihrem Handeln wirksame Getriebenheit. Wegweisend für das weitere Schaffen sind jedoch das Dominieren einer Frauengestalt und das Thema der Lebensfeindlichkeit starrer Moralvorstellungen. Über Geschichte als Stoff der Dichtung schrieb Fontane 1854 an Storm: „Nur sowie ich die Geschichte als Basis habe, gebiete ich über Kräfte, die mir sonst fremd sind, wie jener, dem auf heimatlicher Erde die Seele wieder stark werde.“

Unterm Birnbaum. Erzählung, V 1885 (in „Die Gartenlaube“), Buchausgabe 1885, Verf Dtl. 1944 Harald Braun, B. D. 1963 G. Klingenberg, B. D. 1964 Mark Law­ton, DDR 1973 Ralf Kirsten.
Schauplatz ist das Dorf Tschechin im Oderbruch, den zeitgeschichtlichen Hintergrund bildet die poln. Erhebung 1830/1831. Der Kaufmann und Gastwirt Abel Hradscheck ist in großer wirtschaftlicher Bedrängnis, während seine Frau Ursel nach dem Tod ihrer Kinder sich den Anschein eines vornehmen Lebens leistet. Als Hradscheck unter seinem Birnbaum den vor Jahren verscharrten Leichnam eines frz. Soldaten findet, verzichtet er auf die Meldung des Funds; er „hing all jenen Gedanken und Vorstellungen nach, wie sie seit Wochen ihm immer häufiger kamen“. Der sich abzeichnende Zusammenbruch wird durch die Ermordung des Geldeintreibers der Krakauer Gläubiger verhindert. Die „Hexe“ Jeschke beobachtet zwar, wie Hradscheck sich nachts im Garten zu schaffen macht, doch stößt die Polizei lediglich auf jenen toten Franzosen unterm Birnbaum, und Hradscheck gilt als rehabilitiert. Seine Frau jedoch siecht dahin und stirbt. Hradscheck gelangt zu Wohlstand, doch halten die Geisterfurcht seiner Angestellten und die Andeutungen der Jeschke die Erinnerung an die Mordtat wach. Eines Tages wird Hradscheck tot im Keller aufgefunden, neben ihm die ausgegrabene Leiche des Ermordeten.
Als Kriminalerzählung handelt Unterm Birnbaum von der Vorbereitung und zeitweiligen Vertuschung eines Mordes und konzentriert sich auf die Erlebnisweise des Mörders. Hieraus ergibt sich die Einbeziehung seiner Umwelt, von der er die Entdeckung seiner Tat befürchten muss. Ein dichtes Geflecht von Motiven umfasst Konfessionalismus (der Pfarrer deckt unwissend Hradscheck, da er stolz ist, dessen kath. Frau zur „gereinigten Lehre“ bekehrt zu haben), Aberglaube, Aufrechterhaltung der Fassade von Wohlstand. Teile der Gespräche werden in Mundart geführt.

Irrungen Wirrungen. Roman, V 1887 (in der „Vossischen Zeitung“), Buchausgabe 1888, Verf B. D. 1966 Rudolf Noelte.
Schauplatz ist u. a. eine bei Berlin-Wilmersdorf gelegene Gärtnerei und das dazugehörige Häuschen der Waschfrau Nimptsch und ihrer Pflegetochter Lene. Bei den hier in bescheidenen Verhältnissen lebenden Menschen findet der junge Graf Botho von Rienäcker ein unverhofftes Glück durch die innige Liebe, die ihn mit Lene verbindet. Den Höhepunkt bildet die Schilderung einer Landpartie entlang der Spree. Doch vor allem Lene ist sich bewusst, dass Standesbarrieren zwischen ihr und dem Geliebten bestehen. Beide sind bereit, die bestehende Ordnung, „die Grundbedingung, auf der Staat und Familie beruhen“, anzuerkennen. Diese Notwendigkeit wird ihnen u. a. durch das Eintreffen von drei Kameraden Bothos mit ihren „Damen“ vor Augen geführt, durch das die gesellschaftlichen Vorurteile selbst in der ländlichen Idylle zur Wirkung gelangen. Botho beugt sich der Pflicht, durch die Heirat mit einer ebenso reichen wie oberflächlichen Kusine die Familiengüter zu sanieren. Jahre später heiratet Lene einen überaus ehrbaren Laienprediger. Die Wiederherstellung der konventionellen Ordnung wird nüchtern registriert und gewinnt eben hierdurch den Beiklang tiefer Resignation.
Die „Hurengeschichte“, in der die Gefühle eines Mädchens aus den unteren Schichten als „einfach, wahr und natürlich“ bezeichnet werden, rief sittliche Entrüstung hervor, mit der sich Fontane u. a. in einem Brief an seinen Sohn Theodor auseinandergesetzt hat: „Wir stecken ja bis über die Ohren in allerhand konventioneller Lüge und sollten uns schämen über die Heuchelei, die wir treiben, über das falsche Spiel, das wir spielen. Gibt es denn, außer ein paar Nachmittagspredigern, (…) noch irgendeinen gebildeten und herzensanständigen Menschen, der sich über eine Schneidermamsell mit einem freien Liebesverhältnis wirklich moralisch entrüstet?“

Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zu Herzen find’t“. Roman aus der Berliner Gesellschaft, V 1892 (in der „Dt. Rundschau“), Buchausgabe 1893, Verf u. d. T. Corinna Schmidt DDR 1951 Artur Pohl.
Die Hauptpersonen verteilen sich auf zwei Generationen und zwei gesellschaftliche Gruppen: Repräsentanten des Besitz- und des Bildungsbürgertums. Die aus kleinbürgerlichem Milieu stammende Jenny Treibel, geb. Bürstenbinder, hat sich in ihrer Jugend für den Besitz und gegen die Bildung als Lebenssphäre entschieden, indem sie statt des (inzwischen immerhin zum Gymnasialprofessor avancierten) Willibald Schmidt den reichen Fabrikanten Treibel geheiratet hat. Als Schmidts Tochter Corinna den zweitältesten Treibelsohn, Leopold, heiraten will, fordert sie Jenny Treibels Widerstand heraus; in Frage kommt nur eine standesgemäße, d. h. eine Geldheirat. Es gelingt ihr, Leopold in Corinnas Augen unglaubwürdig zu machen, sodass diese sich auf ihren Vetter, den Archäologen Marcell, besinnt, der ihr im Unterschied zu Leopold ein intellektuell ebenbürtiger Partner ist. Für den Treibelsohn findet sich eine Frau in der Familie des reichen Hamburger Holzhändlers, in die schon der älteste Sohn eingeheiratet hat.
Die Verlobung, Trennung und jeweils anderweitige Verheiratung Corinnas und Leopolds sind alles, was der Roman an Handlung im engeren Sinne aufzuweisen hat. Diese ist eingebettet in ein vor allem durch Gespräche im größeren Kreis (Diner im Hause Treibel) oder paarweise (im Zusammenhang einer Landpartie) entfaltetes perspektivenreiches Bild des Bürgertums zu Beginn der Wilhelminischen Ära (der Roman spielt im Dreikaiserjahr 1888). Einzelaspekte sind die Orientierung des Besitzbürgertums am Adel; die mit innerlicher Verachtung gepaarte Willfährigkeit des Künstlers gegenüber den Besitzenden; die Sentimentalität, mit der die im Wohlstand Lebenden den geistigen Werten huldigen. So äußert etwa Jenny Treibel im Gespräch mit Schmidt in wehmütiger Erinnerung, dass sie „in einfacheren Verhältnissen und als Gattin eines in der Welt (…) des Idealen stehenden Mannes wahrscheinlich glücklicher geworden wäre“; das Bekenntnis zum Herzensbund (der Untertitel des Romans zitiert ein Gedicht Schmidts, das dieser seinerzeit Jenny gewidmet hat) bleibt jedoch ein Lippenbekenntnis. Die Vorherrschaft von Gesprächen lässt den Erzähler in den Hintergrund treten. Die Personen charakterisieren sich wechselseitig und durch die Art und Weise ihres Sprechens zugleich sich selbst.
Den gesellschaftskritischen Kern des Romans hat Fontane 1888 in einem Brief an seinen Sohn Theodor mit der Absicht gekennzeichnet, „das Hohle, Phrasenhafte, Lügnerische, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeoisstandpunkts zu zeigen“. Die Kritik richtet sich gegen gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Besitz und Bildung sich als Gegensatz erweisen. Nicht allein die Bourgeoisie ist durch Besitzstreben und Standesdünkel deformiert; ebenso fehlt dem Bildungsbürgertum die Fähigkeit zur (im Sinne der Klassik) harmonischen Entfaltung der Persönlichkeit. Dies verdeutlichen die zum Absonderlichen neigenden Kollegen Schmidts, aber auch die als geistreich charakterisierte Corinna, indem sie ihre Fähigkeiten als Mittel zum sozialen Aufstieg einsetzt. Die Annäherung zwischen Bildungs- und Besitzbürgertum unter der Vorherrschaft des letzteren hat Fontane in seiner Autobiografie Von Zwanzig bis Dreißig (1897) in folgender Weise konstatiert: „Denn der Bourgeois, wie ich ihn auffasse, wurzelt nicht eigentlich oder wenigstens nicht ausschließlich im Geldsack, viele Leute, darunter Geheimräte, Professoren und Geistliche, Leute, die gar keinen Geldsack haben oder einen sehr kleinen, haben trotzdem eine Geldsackgesinnung und sehen sich dadurch in der beneidenswerten oder auch nicht beneidenswerten Lage, mit dem schönsten Bourgeois wetteifern zu können.“

Effi Briest. Roman, V 1894/95 (in der „Dt. Rundschau“), Buchausgabe 1895, Verf u. d. T. Der Schritt vom Wege Dtl. 1938 Gustaf Gründgens, u. d. T. Rosen im Herbst B. D. 1955 Rudolf Jugert, DDR 1968/70 Wolfgang Luderer, B. D. 1974 Rainer Werner Fassbinder.
Baron von Innstetten, Landrat des Kreises Kessin in Hinterpommern, hält nach flüchtiger Bekanntschaft um die Hand der Tochter seiner Jugendfreundin Frau von Briest an. Im Hinblick auf die aussichtsreiche Zukunft an der Seite eines Mannes mit bestem Ruf und gesicherter Stellung wird die Ehe zwischen der 17-jährigen Effi und dem um 21 Jahre älteren Baron geschlossen. Schon nach kurzer Zeit fühlt sich die im Grunde noch kindliche Frau des im Ausdruck von Empfindungen zurückhaltenden, auf Korrektheit bedachten Landrats vereinsamt; Innstetten war „lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht“. Nach der Geburt ihrer Tochter Anni macht Effi die Bekanntschaft des neuen Bezirkskommandanten Major von Crampas, bekannt als leichtsinniger „Damenmann“. Diese Beziehung findet ihr von Effi letztlich als Befreiung empfundenes Ende durch Innstettens Versetzung nach Berlin. Nach Jahren entdeckt Innstetten die Briefe, die von Crampas in Kessin an Effi gerichtet hat. Er sieht sich gezwungen, den ehemaligen Rivalen zum Duell zu fordern. Der Gegner fällt, Innstetten lässt sich scheiden, wobei ihm die Tochter zugesprochen wird. Da Effi die Rückkehr in ihr Elternhaus verwehrt ist, lebt sie, zunehmend kränkelnd, in einer bescheidenen Berliner Wohnung. Das nach langem Bitten gewährte Wiedersehen mit der nun 10-jährigen Tochter löst durch deren abweisendes Verhalten den physischen Zusammenbruch aus. Die Eltern lassen sich dazu bewegen, die todkranke Effi aufzunehmen. Sie stirbt ohne alle Bitterkeit gegenüber Innstetten, von dem sie weiß, dass er „so edel“ war, „wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist“. Die Frage der Schuld erscheint, so Effis Vater, als „ein zu weites Feld“.
Dem Roman liegt ein Gesellschaftsskandal aus den 1880er Jahren zugrunde. Fontane nahm jedoch einige entscheidende Änderungen vor: Effi ist um fast 10 Jahre jünger als ihr „Vorbild“; der Ehebruch und dessen Aufdeckung sind durch sieben Jahre voneinander getrennt. Hierdurch wird die Fragwürdigkeit der von Innstetten mittels des Duells angestrebten Wiederherstellung seiner Ehre zugespitzt. Innstetten selbst ist sich bewusst, dass er „einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe“ handelt, dass seine Ehrenrettung „eine gemachte Geschichte, halbe Komödie“ ist, und er erkennt: „Diese Komödie muss ich nun fortsetzen und muss Effi wegschicken und sie ruinieren, und mich mit (…).“ Dennoch beugt er sich dem Gesetz eines als inhaltsleer und lebensfeindlich durchschauten Ehrbegriffs.
Dies verdeutlicht – als Sinnbild einer Gegenwelt – die Schaukel Effis im Garten des Elternhauses. „Effi, eigentlich hättest du doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube fast, dass du so etwas möchtest“, vermutet die Mutter. Nach Hause zurückgekehrt, überlässt sich Effi noch einmal ihrem Element: „Sie sprang hinauf mit einer Behendigkeit wie in ihren jüngsten Mädchentagen, und ehe sich noch der Alte, der ihr zusah, von seinem halben Schrecken erholen konnte, huckte sie schon zwischen den zwei Stricken nieder und setzte das Schaukelbrett durch ein geschicktes Auf- und Niederschnellen ihres Körpers in Bewegung. Ein paar Sekunden noch, und sie flog durch die Luft, und bloß mit einer Hand sich haltend, riss sie mit der andern ein kleines Seidentuch von Brust und Hals und schwenkte es wie in Glück und Übermut.“ Als „Tochter der Luft“ steht Effi Briest in Beziehung zu etwas Elementarem, das außerhalb der gesellschaftlich geprägten und daher gebundenen Lebenssphäre liegt. Bezeichnend ist allerdings, dass die Romanentwürfe Fontanes, in denen märchenhafte Natur- und Elementarwesen vorkommen, unausgeführt geblieben sind.

Der Stechlin. Roman, V 1897 (in der Zeitschrift „Über Land und Meer“), Buchausgabe posthum 1899, Verf B. D. 1974/75 Rolf Hädrich.
Fontane hat sein letztes vollendetes Erzählwerk ausdrücklich als „politischen Roman“ bezeichnet: „Gegenüberstellung von Adel, wie er bei uns sein sollte und wie er ist.“ Die Auflösung der Handlung in Gespräche ist mit einem Höchstmaß an Komposition in der Konstellation der Romanfiguren verbunden. Sie repräsentieren ein breites Spektrum sozialer, religiöser und politischer Positionen und Gegebenheiten. Hierbei unterscheiden sich Personen, die zur Relativierung ihrer Position fähig sind, von solchen, die sich als befangen erweisen. Zu Ersteren gehört der alte Dubslav von Stechlin, zu Letzteren dessen Schwester, die Stiftsdame Adelheid, ein „aufgesteiftes Individuum“. Während sich Dubslav als Konservativer versteht, vertritt sein Freund Graf Barby politisch den Liberalismus; der Katholik und Bayer Baron Berchtesgaden ist der Zentrumspartei zugeordnet. Die Sozialdemokratie vertritt der (nur mittelbar geschilderte) Torgelow (ihm unterliegt Dubslav bei der Reichstagswahl). Stechlins Diener Engelken und Barbys Diener Jeserich verkörpern den mit Mutterwitz begabten Volkstyp. Das Vertrauensverhältnis, das jeweils Diener und Herr verbindet, relativiert die Standesgrenzen. Der älteren Generation steht die jüngere gegenüber: Dubslavs Sohn Woldemar von Stechlin und dessen Offizierskameraden, der freisinnige Czako und der zu religiösem Moralismus neigende Rex, ferner Barbys Töchter Melusine und Armgard. Zwei Gestalten außerhalb der gesellschaftlich definierten Lebensbereiche sind die alten Buschen, eine als Hexe beargwöhnte Kräuterfrau und deren Enkelin Agnes. Durch sie wird die Sphäre des ­ Naturhaften und Geheimnisvollen ­ berührt, die schon zu Beginn in Gestalt des Sees „der Stechlin“ zur Geltung kommt: Eine Mahnung Dubslavs, die dieser gleichsam im Namen Fontanes ausspricht, lautet: „Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.“

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Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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