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Hauptmann, Gerhart

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* 15. 11. 1862 in Bad Salzbrunn, heute Szczawno Zdrój (Schlesien)
† 6. 6. 1946 in Agnetendorf, heute Jagni¹tków (Schlesien)


Als 1894 das zwei Jahre zuvor mit Aufführungsverbot belegte Drama Die Weber erstmals öffentlich gezeigt wurde, kündigte Wilhelm II. die kaiserliche Loge im Dt. Theater. Aus demselben Anlass schrieb Fontane als Theaterrezensent: „Was Gerhart Hauptmann für seinen Stoff begeisterte, das war zunächst wohl das Revolutionäre darin; aber nicht ein berechnender Politiker schrieb das Stück, sondern ein echter Dichter, den einzig das Elementare, das Bild von Druck und Gegendruck reizte.“ In der Tat verbindet die Suche nach Gestaltungsformen des „Elementaren“ die vielgestaltigen Teile, in die sich das in rund 60 Jahren entstandene Gesamtwerk des Dramatikers und Epikers gliedert.
Der Sohn eines Gastwirts und jüngere Bruder des Dramatikers Carl Hauptmann (1858–1921) studierte nach abgebrochener Realschulzeit und landwirtschaftlicher Ausbildung ab 1880 in Breslau und Dresden Bildhauerei, in Jena und Berlin Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften (Ernst Haeckel). Nach einem Romaufenthalt (1884) lebte er in bzw. bei Berlin (1885 Heirat mit der Großkaufmannstochter Marie Thienemann). Hauptmann trat in Verbindung mit dem Theoretiker des Naturalismus Holz und mit Otto Brahm, dem Gründer des literarischen Vereins „Die freie Bühne“, dessen Theateraufführungen 1889 mit Henrik Ibsens naturalistischem Drama Die Gespenster begannen. Als zweite Inszenierung folgte Hauptmanns Vor Sonnenaufgang, ein „soziales Drama“, das sowohl einen Skandal verursachte als auch dem Naturalismus im dt. Drama zum Durchbruch verhalf. Von hier aus führt in Hauptmanns Schaffen eine Linie bis hin zu Vor Sonnenuntergang (1932), gekennzeichnet durch die Gestaltung der Abhängigkeit des Menschen vom Milieu, seinen Trieben sowie von Konventionen. In diesem Zusammenhang steht das Drama Rose Bernd (1903) über den Kindsmord einer ledigen Bäuerin, v. a. aber über mitmenschliche Blindheit (Vater und Bräutigam trifft Roses Anklage: „Ihr habt nischt gesehn mit offenen Augen!“), religiös kaschierte Selbstsucht und rücksichtsloses Streben nach (männlichem) Sexualprestige. Zugrunde liegt ein Prozess, an dem Hauptmann im März 1903 in Hirschberg (Schlesien) als Geschworener teilgenommen hat. Die Borniertheit der „besseren Gesellschaft“ entlarvt die mit einem tödlich endenden Vater-Sohn-Konflikt verbundene Künstlertragödie Michael Kramer (1900). In Komödien karikierte Hauptmann den Wilhelminismus (Der Biberpelz, 1893), näherte sich aber auch der Neuromantik an (Hanneles Himmelfahrt, 1893), setzte sich mit dem Historiendrama auseinander (Bauernkriegs-Tragödie Florian Geyer, 1896) und bearbeitete mittelalterliche Stoffe (Der arme Heinrich nach Hartmann von Aue, 1902). Ein Prosahauptwerk der Vorkriegszeit ist Der Narr in Christo Emanuel Quint (1910), die Lebensgeschichte eines tragisch scheiternden, um 1890 in Schlesien aufgetretenen Bußpredigers. Die Macht naturhaftantiker Sinnlichkeit ist das Thema der Erzählung Der Ketzer von Soana (1918), in der Hauptmanns Erlebnis seiner Griechenlandreise des Jahres 1907 nachwirkt.
1891 war Hauptmann vorübergehend nach Schlesien zurückgekehrt, um an seinem Stück Die Weber zu arbeiten, kam aber wieder nach Berlin zurück. Ab 1901 lebte er vorwiegend in Agnetendorf im Riesengebirge (1904 Heirat mit Margarete Marschalk). 1894 reiste er in die USA (Amerikanismus-Kritik enthält der Roman Atlantis, 1912; zweiter Amerika-Aufenthalt 1932). 1896 untersagte Wilhelm II. die Verleihung des Schiller-Preises, 1912 erhielt Hauptmann nach dem Historiker Theodor Mommsen (1902), dem Philosophen Rudolf Eucken (1908) und Paul (von) Heyse (1910) als vierter Deutscher den Nobelpreis für Literatur. Die Auszeichnung galt „vor allem als Anerkennung für sein fruchtbares und vielseitiges Wirken im Bereich der dramatischen Dichtung“.
Als zeitgeschichtliches und zugleich universelles Werk mit Bezügen u. a. zu Goethes Faust entstand ab 1919 das Epos in Hexametern Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume (E ab 1919, V 1928): Als Kriegsheimkehrer erlebt Eulenspiegel eine chaotische Gegenwart, die zunehmend durch visionäre Erlebnisse überlagert wird. Parodistische Züge besitzt der Roman Die Insel der großen Mutter oder Das Wunder von Ile des Dames. Eine Geschichte aus dem utopischen Archipelagus (1924). Er handelt von einem matriarchalischen Inselstaat „Mütterland“, der sich schließlich dem „Mannland“ bzw. dem geschlechtlichen Eros beugen muss. Von Hauptmanns Auseinandersetzung mit Gestalten der Weltliteratur zeugen die Dramen Shakespeares tragische Geschichte von Hamlet, Prinzen von Dänemark (1930) und Hamlet in Wittenberg (1935).
Während des Dritten Reichs gehörte Hauptmann zu den geduldeten Autoren in der „inneren Emigration“. Unveröffentlicht blieb sein Versuch, zur Judenverfolgung Stellung zu nehmen (Die Finsternisse. Requiem, E 1937, V posthum 1947). Die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der Humanität nach den Schrecken fortwährender Bluttaten liegt der Atriden-Tetralogie zugrunde; sie gestaltet den antiken Stoff im antiklassischen Sinne als Tragödie des Untergangs und gliedert sich in die 4 Teile Iphigenie in Aulis (U 1943, V 1944), Agamemnons Tod (als Hörspiel 1946, U 1947, V 1948), Elektra (U 1947, V 1948) und Iphigenie in Delphi (mit dem Opfertod Iphigenies, U 1941, V 1942). Hauptmann starb 1946 völlig vereinsamt in Agnetendorf.

Gedichtbände: Das bunte Buch (1888), Sonette (1921), Neue Gedichte (1946). – Versepen: Promethidenlos (1885), Anna (1921), Die blaue Blume (1927), Mary (1931), Der große Traum (1942). – Romane: Phantom (V 1922, Verf Dtl. 1922 F. W. Murnau), Wanda (1928). – Erzählungen: Der Schuss im Park (nach der Sage von der Doppelehe des Grafen von Gleichen, 1939). – Dramen: Das Friedensfest (V, U 1890), Einsame Menschen (U, V 1891), Kollege Crampton (U, V 1892), Die versunkene Glocke. Ein dt. Märchendrama (U, V 1896), Fuhrmann Henschel (U, V 1898), Michael Kramer (U, V 1900), Schluck und Jau (U, V 1900), Rose Bernd (E, U, V 1903, Verf Dtl. 1919 A. Halm, B. D. 1957 Wolfgang Staudte), Elga (nach Grillparzers Novelle Das Kloster von Sendomir, E 1896, U, V 1905, Vert Erwin Lendvai 1916, Verf Dtl. 1919), Und Pippa tanzt. Ein Glashüttenmärchen (U, V 1906), Die Jungfern vom Bischofsberg (U, V 1907, Verf Dtl. 1942/43 P. P. Brauer), Kaiser Karls Geisel. Ein Legendenspiel (U, V 1908), Gabriel Schillings Flucht (E 1905/06, U, V 1912), Der Bogen des Odysseus (E 1907–13, U, V 1914), Winterballade (nach Selma Lagerlöfs Novelle Herrn Arnes Schatz, U, V 1917), Vor Sonnenuntergang (E 1928–1931, U, V 1932, Verf Dtl. 1937 Veit Harlan), Die Tochter der Kathedrale (E 1935–38). – Autobiografisches: Griechischer Frühling (Tagebuch, 1908), Buch der Leidenschaft (1929), Im Wirbel der Berufung (1936), Das Abenteuer meiner Jugend (1937).

Bahnwärter Thiel. Novellistische Studie aus dem märkischen Kiefernforst. E 1887, V 1888.
Der pflichtbewusste, äußerlich robuste Bahnwärter Thiel heiratet nach dem Tod seiner kränklichen Frau Minna die derb-sinnliche Bauernmagd Lene, um seinen Sohn Tobias versorgt zu wissen. In sexuelle Abhängigkeit geraten, muss er hilflos zusehen, wie Lene das Stiefkind gegenüber dem eigenen Kind zurücksetzt, es vernachlässigt und misshandelt. Als Lenes Unachtsamkeit dazu führt, dass Tobias von einem Zug überfahren wird, schlägt Thiels Dumpfheit in Raserei um; er tötet Lene und ihr Kind mit einem Beil, verfällt in Wahnsinn und wird in eine Irrenanstalt eingeliefert.
Die knappe Schilderung der äußeren Handlung gibt zugleich Einblick in Thiels Psyche. In einer nächtlichen Erscheinung sieht er, das Unglück vorausahnend, seine Frau Minna mit einem blutigen Bündel auf dem Arm, verfolgt von einem Zug. Unmittelbar vor der Mordtat hält er Zwiesprache mit Minna, wobei die abgehackten Sätze („und da will ich mit dem Beil – siehst du? – Küchenbeil – mit dem Küchenbeil will ich sie schlagen“) nicht zufällig an die Tötungsvorstellungen Woyzecks erinnern (1887 hat Hauptmann im sozialdemokratisch orientierten literarischen Verein „Durch!“ einen Vortrag über Büchner gehalten).
Im Sinne des Naturalismus bildet die „Studie“ eine vorurteilsfreie Darstellung des Wirkungszusammenhangs von Hilflosigkeit, Triebhaftigkeit und Gewalt, verursacht durch die Lebensverhältnisse der Unterschicht. Als Sinnbild einer in Thiels kleine Welt einbrechenden fremden Übermacht erscheint der vorbeirasende Zug: „Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher durch die Luft. Dann plötzlich zerriss die Stille. Ein rasendes Tosen und Toben erfüllte den Raum, die Geleise bogen sich, die Erde zitterte – ein starker Luftdruck – eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, und das schwarze, schnaubende Ungetüm war vorüber.“

Vor Sonnenaufgang. Soziales Drama. V 1889, U (geschlossene Vorstellung des Vereins „Die freie Bühne“, danach auch öffentliche Aufführung) 1889.
Das Stück verbindet die Schilderung der sozialen Verhältnisse im Kohlerevier Schlesiens (Verarmung der Bergbauern, Spekulantentum, Ausbeutung der Bergleute) mit der Darstellung des moralischen Verfalls der Neureichen. Der Bauer Scholz, durch Landverkäufe an Bergwerksgesellschaften zum Millionär geworden, verkommt als Säufer; seine triebhafte zweite Frau, eine ehemalige Magd mit Allüren, betrügt ihn; die Tochter aus erster Ehe ist ebenfalls dem Alkohol verfallen; ihr Mann, der Ingenieur Hoffmann, frönt seiner Genusssucht und Profitgier. In dieser Umgebung erscheint Hoffmanns Studiengenosse Alfred Loth, ein Sozialreformer und Gesundheitsfanatiker, der als intellektueller Außenseiter die sozialen Missstände analysiert. In ihm sieht die vom sittlichen Niedergang noch verschonte Tochter Helene den Retter; Loth scheint bereit zu sein, sie zu heiraten. Doch vom Arzt der Familie über das ganze Ausmaß der auch biologischen Verderbnis ins Bild gesetzt, verlässt Loth aus Furcht vor Erbschäden Helenes das Haus; die Verlassene nimmt sich das Leben.
Dem Naturalismus verpflichtet sind die sozialkritische Perspektive, der sprachliche Realismus, der Verzicht auf jegliche „künstlerische Überhöhung“. Allerdings stellte schon Fontane (der das Stück Otto Brahm zur Aufführung empfohlen hatte) in seiner Rezension fest: „Es ist töricht, in naturalistischen Derbheiten immer Kunstlosigkeit zu vermuten.“ Im Hinblick auf den Einfluss Ibsens (z. B. dramaturgisch: Enthüllung der die Gegenwart bedingenden Vergangenheit, Motiv der erblichen gesundheitlichen Belas­tung) urteilte Fontane in einem Brief: „Ibsen mag die größere Natur, die stärkere Persönlichkeit, das überlegene bahnbrechende Genie sein, dichterisch steht mir G. Hauptmann höher, weil er mensch­licher, natürlicher, wahrer ist.“

Die Weber. Schauspiel aus den vierziger Jahren. Drama in 5 Akten, E 1891/92, Dialektfassung De Waber V 1892, dem Hdt. angenäherte Fassung V 1892, U (geschlossene Vorstellung des Vereins „Die freie Bühne“) 1893, erste öffentliche Aufführung 1894, Zyklus „Ein Weberaufstand“ (3 Lithografien, 3 Radierungen von Käthe Kollwitz 1894–98, Verf Dtl. 1927 Friedrich Zelnik (unter der Mitarbeit von George Grosz).
Zugrunde liegen Erzählungen von Hauptmanns Vater (dessen Vater selbst als Weber tätig war) und Quellenstudien über den Weberaufstand in Schlesien im Jahr 1844 (vgl. Heines Weberlied, 1844) sowie Reisen, die Hauptmann während der Arbeit an dem Stück durch die Weberdörfer im Eulengebirge unternommen hat und die ihm das unveränderte Elend vor Augen führten. Insofern argwöhnte die Zensur zu Recht, dass Die Weber keineswegs als historisches, sondern als aktuelles Drama mit entsprechender politischer Wirkung aufgefasst würden.
Der 1. Akt zeigt eine Gruppe von Webern, wie sie im Kontor des Parchentfabrikanten Dreißiger in Peterswaldau ihre Ware abliefern. Widerspruchslos nehmen sie es hin, dass der Expedient Pfeifer jeden sich bietenden Vorwand dazu benutzt, den Preis zu drücken; allein der „rote Bäcker“ brandmarkt die Ausbeutung. Ein vor Entkräftung ohnmächtiger Junge dient Dreißiger dazu, über die Verantwortungslosigkeit der Eltern herzuziehen. Der Fabrikant lamentiert über die Risiken des freien Unternehmertums, ist jedoch „aus Barmherzigkeit“ bereit, zusätzlich 200 Webern Arbeit zu geben; allerdings wird der Preis ein weiteres Mal gesenkt. Schauplatz des 2. Akts ist die Hütte des Häuslers Ansorge. Hier haust die Weberfamilie Baumert in tiefem Elend. Der in sein Heimatdorf zurückkehrende Reservist Jäger hat ein Flugblatt mit dem Lied vom Blutgericht bei sich, dessen Text den alten Baumert „zu deliranter Raserei“ hinreißt und Ansorge die Worte stammeln lässt: „Mir leiden’s nimehr! Mir leiden’s nimehr, mag kommen, was will.“ Im Gasthaus von Peterswaldau treffen im 3. Akt Vertreter der verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufeinander, vom Forstmeister im Adelsdienst über Bauern und Handwerker bis hin zu den Webern, die sich unter der Führung Jägers und Bäckers zu einem Zug formieren und das Lied vom Blutgericht singen. Im 4. Akt erleben das Ehepaar Dreißiger und das Pfarrehepaar Kittelhaus den Beginn des Aufstands: Die Menge befreit den gefangenen Jäger aus den Händen der Polizei und stürmt das Haus Dreißigers, nachdem dieser geflohen ist. Bäcker gibt die Parole aus: „Von hier aus geh mer nach Bielau nieder, zu Dittrichen, der de mechan’schen Webstühle hat. Das ganze Elend kommt von a Fabriken.“ Im 5. Akt erreicht der Aufstand Langenbielau; als Schauplatz dient die Hütte der Hilses, deren Oberhaupt aus Gottvertrauen jegliche Gewalt ablehnt. Während es den Webern gelingt, das Militär mit Pflastersteinen zum Rückzug zu zwingen, bricht der alte Hilse, von einer verirrten Kugel getroffen, tot am Webstuhl zusammen.
Die außerordentliche Bedeutung des Dramas beruht auf der mosaikartigen Darstellung der sozialen Verhältnisse, die durch eine große Anzahl prägnanter Einzelgestalten vor Augen geführt werden. Vor allem die „Masse“ der Weber gliedert sich in Repräsentanten unterschiedlicher Verhaltensweisen, ohne die Merkmale der gemeinsamen Deklassierung zu verlieren. Auf den Vorwurf, das Schauspiel besitze keinen „Helden“, antwortete Hauptmann mit den Versen: „Heldlos scheint euch das Stück? Wie denn? Durch sämtliche Akte, / Wachsend ein riesiges Maß, schreitet als Heldin die Not.“ Den Widerspruch, der zwischen den „revolutionären“ Akten 1–4 und dem „antirevolutionären“ 5. Akt (Tod des unschuldigen Hilse) besteht, hat Fontane 1894 in einer Rezension als „doppelte Mahnung“ gedeutet, „eine, die sich nach oben, und eine andere, die sich nach unten wendet und beiden Parteien ins Gewissen spricht“.

Der Biberpelz. Eine Diebskomödie. Drama in 4 Akten, E 1892/93, U, V 1893.
Der Ort des Geschehens liegt „irgendwo in Berlin“, als Zeitpunkt der Handlung wird der „Septennatskampf“ (7-jähriger Militärhaushalt) Ende der 1880er Jahre angegeben. Als Schauplätze dienen abwechselnd die Küche der Familie Wolff und eine Amtsstube; Erstere wird von „Mutter Wolffen“, Letztere vom Amtsvorsteher Baron von Wehrhahn beherrscht, den beiden eigentlichen Kontrahenten. In Wirklichkeit trägt Wehrhahns Fixierung auf die Entlarvung von „reichs- und königsfeindlichen Elementen“ wesentlich dazu bei, dass die mit einem Schiffszimmermann verheiratete Waschfrau Wolff bei ihrem Wild-, Holz- und schließlich Pelzdiebstahl unentdeckt bleibt. Ihr gemeinsames Opfer ist der Rentier Krüger, der rechtmäßige Besitzer des Biberpelzes, den die Wolffen für ihren Kunden, den Schiffer Wulkow, entwendet hat; denselben Krüger hat Wehrhahn im Verdacht, mit dem freisinnigen Privatgelehrten Dr. Fleischer subversiv tätig zu sein, so dass Krügers Drängen auf Wiederbeschaffung seines Besitzes wirkungslos bleibt. Dieses Grundmuster der Handlung gewinnt seine „Farbe“ durch die Gewitztheit der Wolffen, die alle Fäden in der Hand behält; zuletzt muss sie es jedoch hinnehmen, von Wehrhahn als naive „ehrliche Haut“ tituliert zu werden. „Da weeß ich nu nich …“, kann sie darauf nur kopfschüttelnd antworten.
Als eine Art Fortsetzung entstand die Tragikomödie Der rote Hahn (1901). Die verwitwete Frau Wolff, verheiratet mit dem Schuster und Polizeispitzel Fielitz, begeht durch Brandstiftung einen Versicherungsbetrug und kann den Verdacht auf den schwachsinnigen Sohn des pensionierten Wachtmeisters Rauchhaupt lenken. Letzterer setzt jedoch der Betrügerin so zu, dass sie stirbt. 1950/51 fasste Brecht beide Stücke (stark bearbeitet, z. B. ist Rauchhaupt durch den klassenbewussten Arbeiter Rauert ersetzt) zu einem Schauspiel zusammen.

Michael Kramer. Drama in 4 Akten, E, U, V 1900.
Die in einer Provinzstadt angesiedelte Tragödie verknüpft das Thema des Vater-Sohn-Konflikts mit der Künstlerproblematik. Michael Kramer ist Lehrer an einer Kunstschule. Auch seine nur mäßig begabte Tochter Michalina unterrichtet Malerei. Der äußerlich abstoßende, als Künstler hochbegabte Sohn Arnold hat nach frühen Erfolgen in München jegliche Tätigkeit aufgegeben und droht zu verkommen; er ist in die Gastwirtstochter Liese Bänsch vernarrt und macht sich hierdurch zum Hanswurst.
Die Akte 1–3 schildern Ereignisse eines Tages: Kramers ehemaliger Schüler Lachmann ist zu Besuch gekommen; beruflich und in seiner Ehe gescheitert, verkörpert er jene Resignation, der Arnold durch die Rebellion gegen alle an ihn gerichteten Forderungen zu entgehen hofft. Eine Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn mündet in den Fluch Michael Kramers: „Mich ekelt’s! Du ekelst mich an!!“ Im Gasthaus Bänsch wird Arnold von den betrunkenen Stammtisch-Honoratioren gereizt, bis er einen Revolver zieht; von den Gästen überwältigt, kann er (vorbei an Michalina und Lachmann, die unwissentlich Zeugen der Szene im Nebenraum waren) entkommen; er nimmt sich das Leben.
Der 4. Akt spielt im Atelier Kramers, in dem Arnold aufgebahrt ist. In Lachmanns Anwesenheit ringt Kramer um eine Deutung des Schicksals seines Sohnes. Das Pathos ist sprachlich gebrochen durch die Vermischung „hoher“ und „niederer“ Sprachformen: „Nun ist alles voll Klarheit um ihn her, das geht von ihm aus, von dem Antlitz, Lachmann, und hör’n Se, ich buhle um dieses Licht, wie so’n schwarzer, betrunkener Schmetterling.“ Im Bewusstsein der eigenen Mitschuld richtet Kramer seine Anklage zugleich gegen eine bornierte Umwelt: „Was haben die Gecken von dem da gewusst (…)!? Von dem und von mir und von unseren Schmerzen!? Sie haben ihn mir zu Tode gehetzt.“

Die Ratten. Berliner Tragikomödie. Drama in 5 Akten, E 1909/10, U, V 1911, Verf Dtl. 1921 Hans Kobe, B. D. 1955 Robert Siodmak.
Die beiden Schauplätze (der vom ehemaligen Theaterbesitzer Hassenreuter bewohnte, mit seinem Theaterfundus ausgestattete Dachboden und die Wohnung des Ehepaars John) befinden sich in einer ehemaligen Berliner Kavalleriekaserne, die jetzt als Mietskaserne dient. Entsprechend gliedert sich das Drama in zwei aufeinander kontrastierend bezogene Handlungsstränge. Frau John will um jeden Preis den Wunsch ihres als Maurerpolier auswärts tätigen Mannes nach einem Kind erfüllen. Sie bringt das schwangere ledige Dienstmädchen Piperkarcka dazu, ihr das Neugeborene zu überlassen. Doch die wirkliche Mutter überlegt es sich anders. Frau John schiebt ihr das todkranke Kind der Morphinistin Knobbe unter. Doch inzwischen hat Frau Johns Bruder die Piperkarcka, statt sie lediglich einzuschüchtern, ermordet. Als Betrügerin entlarvt und der Anstiftung zum Mord verdächtigt, nimmt sich Frau John das Leben. Der Kleinbürger-Tragödie steht die Hassenreuter-Komödie des verstiegenen Idealismus und des (durch die Person des seinen „verlorenen Sohn“ im Sodom Berlin suchenden Landpfarrers Spitta verkörperten) weltfremden Frömmlertums gegenüber. Zu den Berührungspunkten gehören literaturtheoretische Anspielungen: So preist Hassenreuter das „stille, eingezogene, friedliche Leben“ der Frau John, das sie „zur tragischen Heldin ungeeignet macht“. Das beide Handlungsbereiche verbindende Sinnbild sind die Ratten und deren unaufhaltsame Zerstörung des Hauses, das stellvertretend für die Gesellschaft steht. „Allens unterminiert von Unjeziefer“, erkennt John, „von Ratten und Mäusen zerfressen! – Allens schwankt! Allens kann jeden Oojenblick bis in Keller durchbrechen.“ Die groteske Kehrseite bildet Hassenreuters Beschimpfung des jungen Spitta als Ratte im „Garten der dt. Kunst“.


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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