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Kleist, Heinrich von

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* 18. 10. 1777 in Frankfurt a. d. O.
† 21. 11. 1811 am Wannsee bei Potsdam


„Warum, dachte ich, sinkt wohl das Gewölbe nicht ein, da es doch keine Stütze hat? Es steht, antwortete ich, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen – und ich zog aus diesem Gedanken einen unbeschreiblichen erquickenden Trost, (…) dass auch ich mich halten würde, wenn alles mich sinken lässt.“ Dieses „Bogengleichnis“ aus einem Brief (November 1800), aufgenommen in Penthesilea („Steh, stehe fest, wie das Gewölbe steht, / Weil seiner Blöcke jeder stürzen will!“), vergegenständlicht eine Grundsituation in Kleists Leben und Werk: das Bewusstsein vom stets drohenden „Einsturz“, vom Scheitern, als zugleich unabdingbarer Voraussetzung für den „Halt“ der menschlichen Existenz. Es handelt sich um ein zutiefst „dramatisches“ Weltbild, das aus dem Raum von Klassik und Romantik in die Moderne vorausweist.
Der Sohn eines Kompaniechefs aus altem preuß. Adel und Großneffe des Dichters Ewald von Kleist (1715–1759) erhielt seine Erziehung nach dem Tod des Vaters (1788) in Berlin. 1792 trat er, der Familientradition folgend, in ein Potsdamer Regiment ein.
Nach dem ihm bewilligten Abschied begann Kleist in seiner Heimatstadt ein Studium (Physik, Mathematik, Kulturgeschichte, Latein und Naturrecht). Anfang 1800 verlobte er sich mit Wilhelmine von Zenge (Entlobung 1802), im Sommer führte ihn eine rätselhafte Reise über Dresden nach Würzburg, Ende des Jahres entschied er sich für das „schriftstellerische Fach“ und bereitete sich auf den Staatsdienst (Fabrikwesen) vor. Nach der sog. Kant-Krise (Relativität aller Erkenntnis, Zweifel am Wissen als höchste Erfüllung des Menschen) reiste Kleist 1801 mit seiner Halbschwester Ulrike nach Paris und allein weiter in die Schweiz, wo er sich bis Oktober 1802 aufhielt: Arbeit an den Dramen Robert Guiskard und Der zerbrochne Krug, Einsiedelei auf der Delosea-Insel im Thuner See, schwere Erkrankung. Ende 1802 hielt er sich in Weimar auf, bis Februar 1803 war er in Oßmannstedt der Gast Wielands. Anonym erschien das Drama Die Familie Schroffenstein (U 1804). Nach einer Schweiz- und Italienreise verbrannte Kleist im Oktober 1803 in Paris das Robert-Guiskard-Manuskript („Die Hölle gab mir meine halben Talente“, schrieb er an Ulrike) und versuchte, in frz. Kriegsdienst zu treten, wurde jedoch nach Preußen zurückgeschickt.
1804 bemühte sich Kleist um Eintritt in den preuß. Staatsdienst; Beginn der Arbeit an Michael Kohlhaas. 1805/06 war er in Königsberg Mitglied der Domänenkammer und widmete sich neben der staatswissenschaftlichen Ausbildung der literarischen Tätigkeit. Nach dem Zusammenbruch Preußens Anfang 1807 in Berlin als angeblicher Spion verhaftet, befand er sich bis Mitte Juli in frz. Gefangenschaft. Ende des Jahres gründete er in Dresden mit Adam Müller die Zeitschrift „Phöbus“, die nach 12 Heften (Anfang 1808 bis Anfang 1809) ihr Erscheinen einstellen musste. Von Kleist enthielt sie u. a. das mit Entrüstung aufgenommene „organische Fragment“ aus Penthesilea, nach der erfolglosen Weimarer Uraufführung der Komödie Der zerbrochne Krug dessen Teil-V, ferner Das Käthchen von Heilbronn (U 1810). 1809 setzte sich Kleist für eine preuß. Teilnahme an der österreich. Erhebung gegen Napoleon ein (Was gilt es in diesem Kriege?, Katechismus der Deutschen, Plan der Zeitschrift „Germania“) und reiste zu den Kriegsschauplätzen, es verbreitete sich das Gerücht von Kleists Tod in einem Prager Spital.
Ab 1. Oktober 1810 erschienen Kleists „Berliner Abendblätter“, ein neuartiges publizistisches Unternehmen mit zunächst breiter Popularität, das umso mehr unter Zensur- und sonstigen Behördenmaßnahmen zu leiden hatte und Ende März 1811 sein Ende fand; zu den Mitarbeitern gehörten A. v. Arnim und Brentano, ein Großteil der Beiträge stammte von Kleist (u. a. die Anekdoten). Die Slg. Erzählungen erschien 1810/11 (2 Bde.). Die erhoffte günstige Wirkung des Preußendramas Prinz Friedrich von Homburg (Widmungsexemplar 1811) am Berliner Hof blieb aus, Bemühungen um den erneuten Eintritt in den Staatsdienst waren erfolglos. Mit der schwermütigen Henriette Vogel nahm sich Kleist am Wannsee das Leben. Die nachgelassenen Werke gab 1821 Tieck heraus.

Erzählungen: Das Erdbeben in Chili (V 1807), Die Marquise von O … (V 1808, Dramat 1933 Bruckner, 1969 Lange, Vert u. d. T. Julietta 1959 Hans Werner Henze, Verf B. D./Frankr. 1975 Eric Rohmer), Das Bettelweib von Locarno (V 1810), Die hl. Cäcilie oder Die Gewalt der Musik (V 1810), Die Verlobung in St. Domingo (V 1811, Verf u. d. T. San Domingo B. D. 1970 Hans-Jürgen Syberberg), Der Findling (V 1811), Der Zweikampf (V 1811). – Dramen: Robert Guiskard, Herzog der Normänner (Fragment, E ab 1802, V 1808, U 1901), Die Familie Schroffenstein (V 1803, U 1804), Amphitryon (E 1805/06, V 1807, U 1898), Penthesilea (E 1806/07, V 1808, U 1876, Vert [Symphonische Dichtung] 1883–85 Hugo Wolf, 1927 Othmar Schoeck), Die Hermannsschlacht (E 1808, V 1821, U 1860). – Essays: Über das Marionettentheater (V in den „Berliner Abendblättern“, Nr. 63–66, 12.–15. Dezember 1810).

Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik. Erzählung, E ab 1804, Teil-V 1808, V 1810, Dramat 1929 Arnolt Bronnen, Verf Dtl. 1933 P. v. Klenau, B. D. 1968/69 Volker Schlöndorff.
Zugrunde liegt der Fall des Hans Kohlhase, dem 1532 auf Anordnung eines Junkers zwei Pferde gestohlen wurden; nach erfolglosem Rechtsstreit steckte er Wittenberg in Brand und wurde 1540 hingerichtet.
Den Ausgangspunkt bildet die willkürliche Beschlagnahme zweier Rappen des Rosshändlers Michael Kohlhaas durch den Junker Wenzel von Tronka. Im Rechtsstreit siegend, verlangt Kohlhaas nun die Wiederherstellung der inzwischen völlig heruntergekommenen Tiere. Der Tod seiner Frau, die beim Versuch, eine Petition zu überreichen, niedergestoßen wird, veranlasst Kohlhaas zu einem Rachezug gegen Tronka: Er brennt dessen Tronkenburg nieder und zieht mit einem ständig wachsenden Heerhaufen als „Erzengel Michael“ vor Wittenberg, um die Auslieferung Tronkas zu verlangen. Luther, der einen Aufruf gegen den Aufrührer veröffentlicht hat, sagt in einer geheimen Unterredung Fürsprache beim sächs. Kurfürsten zu, worauf Kohlhaas sein Heer entlässt. Der wieder aufgerollte Prozess entwickelt sich zu seinen Ungunsten, zumal der kaiserliche Hof in Wien eingeschaltet wird. Auch der erneute Einsatz des wortbrüchigen sächs. Kurfürsten (er weiß, dass Kohlhaas im Besitz einer ihn betreffenden Prophezeiung ist) bleibt erfolglos. Kohlhaas wird hingerichtet, nachdem das Urteil im ursprünglichen Rechtsstreit erneut zu seinen Gunsten ausgefallen ist.
Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen individuellem Rechtsempfinden und offensichtlich unvollkommener, gleichwohl dominierender Rechtsordnung. In diesem Konflikt erweist sich Kohlhaas als „einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“.

Novellen. V 1810/11 in der Slg. Erzählungen (2 Bde.).
Die Marquise von O… (V 1808 im „Phöbus“) beginnt mit einer für Kleists dramatische Grundhaltung kennzeichnenden Paradoxie: Eine „Dame von vortrefflichem Ruf und Mutter von mehreren wohl erzogenen Kindern“ fordert durch Zeitungsannoncen den ihr unbekannten Vater des Kindes, das sie erwartet, auf, sich zu melden, da sie „aus Familienrücksichten“ entschlossen ist, ihn zu heiraten. Die nun entrollte Vorgeschichte schildert die erste Begegnung jener Dame, der verwitweten Marquise von O …, mit dem Grafen F., einem russ. Offizier, der sie während der Eroberung einer von ihrem Vater verteidigten Zitadelle vor der Vergewaltigung durch Soldaten gerettet und anschließend in einen Raum gebracht hat, in dem sie in Ohnmacht gesunken ist. Die bald darauf mit aller Dringlichkeit vorgebrachte Werbung des Grafen F. um ihre Hand bleibt ihr ebenso unerklärlich wie die Anzeichen körperlichen Unwohlseins, das sich als Schwangerschaft entpuppt. Daraufhin von den Eltern des Hauses verwiesen, „hob sie sich plötzlich, wie an der eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte, empor“ und entschloss sich zu jenem Schritt an die Öffentlichkeit. Die Reaktion ist die Ankündigung des Gesuchten, sich an einem bestimmten Zeitpunkt im Elternhaus der Marquise einzufinden. Wer erscheint, ist Graf F., dem schließlich nach seinem Verzicht auf alle Rechte des Gatten die Ehe gewährt wird. Nach Ablauf eines Jahres willigt die Marquise in eine tatsächliche Eheschließung ein. Sie erklärt ihre ursprüngliche Weigerung damit, dass er ihr bei seinem unverhofften Auftreten „nicht wie ein Teufel erschienen sein (würde), wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen wäre“. In dieser Erklärung enthüllt sich als ein zentrales Thema der Novelle die Polarisierung des Gefühls als Widerspiegelung einer Disharmonie auf Grund der „gebrechlichen Einrichtung der Welt“.
Die Verlobung in St. Domingo handelt vor dem Hintergrund eines Negeraufstands vom Scheitern der Liebe zwischen der Mestizin Toni und dem Schweizer Gustav von Ried; dieser missversteht eine von Toni zu seiner Rettung unternommene List als Verrat und tötet sie; seinen Irrtum erkennend, nimmt er sich selbst das Leben.
Der Findling greift das Tartuffe-Thema auf: Nicolo treibt seinen Adoptivvater, den Makler Piachi, aus dem Haus; dieser schlägt die göttliche Gnade aus, um seinen Gegner bis in die Hölle verfolgen zu können. In Piachis Bereitschaft zur Selbstvernichtung drückt sich die Radikalität seines (an Michael Kohlhaas anknüpfenden) Versuchs aus, erlittenes Unrecht zu rächen.
Der Zweikampf schildert die scheinbare Entlastung eines der Anstiftung zum Mord schuldigen Ritters durch einen als Gottesurteil ausgeführten Zweikampf, wodurch zugleich die Ehre der Edelfrau Littegarde von Auerstein in Zweifel gezogen wird. Ihr gilt die Mahnung: „Bewahre deine Sinne vor Verzweiflung! Türme das Gefühl, das in deiner Brust lebt, wie einen Felsen empor: halte dich daran und wanke nicht!“
Das Bettelweib von Locarno gehört dem Genre der Gespenstergeschichte an: Das Vergehen eines Marchese (er verschuldet den Tod einer Bettlerin, die seine Frau aufgenommen hat) rächt sich, indem die Verstorbene als Spuk dessen Vernichtung (er steckt schließlich sein Schloss an und kommt in den Flammen um) bewirkt. Die Diskrepanz zwischen der Irrealität des Geschehens und der nüchternen Darstellungsweise weist auf Kafka voraus. Lediglich auf dem Höhepunkt (vom Hund wahrgenommene Spukerscheinung) entwickelt sich aus gesteigerter Hypotaxe und fragmentierter Parataxe packende sprachliche Unmittelbarkeit. Die Erzählung besitzt den Charakter einer gegen Missstände im Adel gerichteten gesellschaftskritischen Parabel.

Der zerbrochne Krug. Lustspiel in 1 Akt, E ab 1802, U 1808, Teil-V 1808, V 1811, Illustrationen von Menzel 1877, Verf Dtl. 1937 Gustav Ucicky.
Zugrunde liegt ein 1802 in Bern von Kleist, Heinrich Zschokke, Salomon Geßners Sohn Heinrich und Wielands Sohn Ludwig unternommener Wettstreit, den Stich „Der Richter und der zerbrochene Krug“ literarisch umzusetzen. Möglicherweise kannte Kleist das Gemälde „Der zerbrochene Krug“ (Verlorene Unschuld) von Jean-Baptist Greuze.
Der niederländ. Dorfrichter Adam ist an Bein und Kopf verletzt; durch seinen Schreiber Licht erfährt er von der unmittelbar bevorstehenden Ankunft des neuen Gerichtsrats Walter, der zur Revision der Verwaltung auf dem Lande umherreist. In Walters Anwesenheit muss Adam (der seine Perücke vermisst) den anstehenden Gerichtstag abhalten. Als Klägerin tritt Frau Marthe auf. Sie beschuldigt den Bauernsohn Ruprecht, in die Kammer ihrer Tochter Eve eingedrungen zu sein und einen kostbaren, mit Reliefszenen verzierten Krug beschädigt zu haben. Ruprecht dagegen behauptet, Eve bei einem Stelldichein mit seinem Rivalen Lebrecht überrascht zu haben.
Adams sprunghafte Verhandlungsführung mit dem offenkundigen Ziel, eine Aufklärung des Vorfalls zu verhindern, weckt Walters Verdacht gegen den Richter. Doch auch dem Gerichtsrat gelingt es nicht, Eve zu einer Aussage zu bewegen. Die Zeugin, Frau Brigitte, lenkt den Fall in eine ganz neue Richtung: Sie hat vom Tatort aus eine im Schnee erkennbare Spur verfolgt, die ohne Zweifel vom Teufel stammt. Doch damit ist zugleich Adams Schuld bewiesen, denn sein Klumpfuß hat die „Teufelsspur“ hinterlassen, und die angeblich vom Teufel verlorene Perücke passt ihm wie angegossen. Von Walter aufgefordert, die Verhandlung um des Ansehens des Gerichtes willen schleunigst durch ein Urteil zu beenden, spricht Adam Ruprecht für schuldig und wird von diesem aus dem Zimmer gejagt. Die nun folgende Aufklärung des nächtlichen Vorfalls in Eves Kammer liegt in einer ausführlichen Fassung (Variant) und in der knapperen der Buchausgabe vor. Letztere beschränkt sich darauf, dass Adam Eve vorgespiegelt hat, der zum Militärdienst einberufene Ruprecht werde nach Übersee verschifft, doch könne ihn ein Attest vor dem Kolonialdienst bewahren; mit dem Attest als Druckmittel wollte Adam ein Schäferstündchen mit Eve erzwingen, wurde jedoch von Ruprecht überrascht und bei der Flucht verletzt. Walter klärt die Betroffenen darüber auf, dass die ausgehobenen Truppen ausschließlich im Heimatland eingesetzt werden. Der Variant erweitert diesen Sachverhalt zu einer Darstellung der Vertrauenskrise: Eve bleibt misstrauisch und schenkt dem Gerichtsrat erst Glauben, als dieser mit einer Geldsumme für die Richtigkeit seiner Erklärung bürgt.
In der schrittweisen Selbstentlarvung des Schuldigen ist als Vorbild die Tragödie „König Oidipus“ von Sophokles erkennbar; im Übrigen verbindet Adam und Oidipus („Schwellfuß“) der Klumpfuß, ein körperliches Gebrechen, das seine defekte Menschlichkeit versinnbildlicht. Der Lustspielcharakter des Stückes ergibt sich nicht zuletzt aus der unübertrefflichen Wendigkeit Adams im Umgang mit der Wahrheit, die er durch unzählige Erfindungen zu umhüllen weiß. Zudem ist Adam ein pessimistischer Realist. Er weiß: „Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt / Den leidgen Stein zum Anstoß in sich selbst.“ Und im Hinblick auf den Revisor vertraut er der Erfahrung: „Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen, / Und praktiziert, wie wir, nach den/Bestehenden Edikten und Gebräuchen.“ In Eves Aufforderung an Ruprecht, die Schuld vertrauensvoll auf sich zu nehmen, klingt Kleists Thema der trotz allen trügerischen Anscheins bewahrten Gewissheit des Gefühls an. Ihre Problematisierung erfährt diese an den Menschen gestellte Forderung in Kleists Gestaltung des Amphitryon-Stoffes.

Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe. Drama in 5 Akten, V 1808, U 1810, Vert 1905 Hans Pfitzner. Anregungen boten G. H. Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft.
Das „große historische Ritterschauspiel“ beginnt mit der Sitzung eines Femegerichts. Angeklagt ist Graf vom Strahl, sich die Tochter des wohlhabenden Heilbronner Waffenschmieds Friedeborn mit Zaubermitteln hörig gemacht zu haben, denn Käthchen folgt ihm als „zweiter Schatten“. Eine Schuld des Grafen lässt sich jedoch nicht nachweisen. Ein Traum hat dem Grafen prophezeit, eine Kaisertochter zur Frau zu bekommen. Er glaubt, diese in Kunigunde von Thurneck, seiner früheren Gegnerin, gefunden zu haben. Um sich an Kunigundes Untreue zu rächen, plant der Rheingraf einen Überfall auf Thurneck. Käthchen erfährt von dem Plan und warnt den Grafen vom Strahl, der sich bei Kunigunde auf Thurneck befindet. Während des Überfalls rettet sie aus dem brennenden Schloss (beschützt durch einen Engel) ein Bild des Grafen („Feuerprobe“). Unter einem Holunderbusch schlafend und vom Grafen befragt, enthüllt sie, dass sie es ist, in deren Kammer Strahl in jenem prophetischen Traum geführt wurde. Tatsächlich erweist sich Käthchen als illegitimes Kind des Kaisers, als „Kind der Liebe“. Ein Giftanschlag der als hexenhafter Ausbund an Hässlichkeit entlarvten Kunigunde (ihre „Zähne gehören einem Mädchen aus München, ihre Haare sind aus Frankreich verschrieben“, ihren Körper formt ein eisernes Korsett) misslingt, und Käthchen wird die Frau des Grafen.
Das zentrale Thema bildet die somnambulisch in Erscheinung tretende höhere Wirklichkeit der Liebe Käthchens und des Grafen; damit diese Liebe auch in der Realität Gültigkeit erlangen kann, müssen die Standesgrenzen fallen, was voraussetzt, dass Käthchen als die Verkörperung ursprünglicher Harmonie dem ihr selbst unerklärlichen Gefühl vertraut.

Prinz Friedrich von Homburg. Drama in 5 Akten, E 1809–11, U, V 1821, Vert 1958 Hans Werner Henze (Libretto Bachmann).
Den Ausgangspunkt der Handlung bildet die Begegnung zwischen dem Kurfürsten, seiner Nichte Natalie und Gefolge mit dem schlafwandelnden Prinzen, der sich einen Siegeskranz windet; im Scherz schlingt der Kurfürst seine Halskette um den Kranz und lässt diesen durch Natalie überreichen. Als Friedrich sie als seine Braut anspricht, zieht die Gesellschaft sich schockiert zurück; dem Träumenden bleibt ein Handschuh Natalies. Verwirrt durch die Entdeckung, dass er Natalie begegnet sein muss, nimmt Friedrich die Instruktionen vor Beginn der Schlacht gegen die Schweden nur beiläufig zur Kenntnis. Während der Schlacht greift er befehlswidrig auf eigene Faust in den Kampf ein. Er hat hierdurch zwar wesentlichen Anteil am Sieg, wird aber wegen Insubordination zum Tode verurteilt. Von Verzweiflung gepackt (eine vom preuß. Hof missbilligte Szene), bittet er die Kurfürstin um Fürsprache für das nackte Leben. Selbst zur Entscheidung aufgerufen, ist der Prinz bereit, das „heilige Gesetz des Kriegs“ durch einen „freien Tod“ zu verherrlichen, und zwar im Sinne eines Sieges über den „verderblichsten/Der Feind’ in uns, den Trotz, den Übermut“. Der Kurfürst sieht sich nun in der Lage, die Begnadigung auszusprechen. Die Schlussszene lässt den Traum der Anfangsszene Wirklichkeit werden.
Als ins „Positive“ gewendete Summe aus Kleists literarischem Schaffen reflektiert das Drama die zentralen Fragen nach der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, individuellem Rechtsempfinden und herrschender Rechtsordnung, nach der Realität des Gefühls, dessen eigentliche Heimat der Traum ist. Nicht: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ beschließt im Grunde das Drama, sondern Friedrichs Frage: „Nein, sagt! Ist es ein Traum?“, worauf Kottwitz antwortet: „Ein Traum, was sonst?“


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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