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Mörike, Eduard

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* 8. 9. 1804 in Ludwigsburg
† 4. 6. 1875 in Stuttgart


„Deine Abneigung gegen moderne Zerrissenheit kann ich nur mit Einschränkung gelten lassen. Denn dieses Element liegt in der ganzen Zeit, und wir werden mit plastischem Zudecken des Risses vergeblich uns bemühen“, mahnte 1833 der Philosoph Friedrich Theodor Vischer seinen Freund Mörike. Tatsächlich litt die Wirkung des „Idyllikers“ unter dem Vorbehalt des Unzeitgemäßen. Es bedurfte einer neuen Sicht für die in der sog. „Biedermeier“-Literatur enthaltenen Formen der Konfliktbewältigung, um Mörike als einen herausragenden Lyriker und Erzähler im Spannungsfeld zwischen Romantik und Realismus zu erkennen.
Der Sohn eines Oberamtsarztes, geboren als siebtes von 13 Kindern, trat nach Schuljahren in Ludwigsburg und Stuttgart 1818 in das ev.-theologische Seminar in Urach und 1822 als Theologiestudent in das Tübinger Stift ein. 1823 erfasste Mörike eine leidenschaftliche Zuneigung zu der ein unstetes Wanderleben führenden Kellnerin Maria Mayer; sie ist das Urbild der Zigeunerin Elisabeth im Roman Maler Nolten und die Peregrina des 1824/25 entstandenen Zyklus von Gedichten, in dem die Entsagung in den Versen zum Ausdruck kommt: „Krank seitdem, / Wund ist und weh mein Herz. / Nimmer wird es genesen!“ Ab 1826 war Mörike in mehreren schwäb. Orten Vikar bzw. Pfarramtsverweser (die 1829 geschlossene Verlobung mit der Pfarrerstochter Luise Rau wurde 1833 gelöst), 1834 erhielt er die Pfarrstelle in Cleversulzbach bei Heilbronn. 1838 erschien die Slg. Gedichte; sie enthält u. a. die Naturschilderung An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang („O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!“), das in neuer Gestaltungsweise allegorische Naturgedicht Um Mitternacht („Gelassen stieg die Nacht ans Land“), die Ballade Schön-Rohtraut und das bekenntnishafte Gedicht Verborgenheit mit der Anfangs- und Schlussstrophe: „Lass, o Welt, o lass mich sein! / Locket nicht mit Liebesgaben, / Lasst dies Herz alleine haben / Seine Wonne, seine Pein!“ Zu Mörikes lyrischem Schaffen gehört die Übersetzung antiker Dichtung (Catull, Horaz); vielfach genügten ihm Gegenstände der vertrauten Umgebung als Themen (Auf eine Lampe; Der alte Turmhahn, 1840/41). Enge Freundschaft verband ihn mit Kerner im nahen Weinsberg.
1844 trat Mörike in den vorzeitigen Ruhestand. Nach der Heirat mit Margarethe von Speeth nahm er in Stuttgart eine Tätigkeit als Literaturlehrer am Katharinenstift auf (bis 1866). In dieser Zeit entstanden das Märchen Das Stuttgarter Hutzelmännlein und Mozart auf der Reise nach Prag. Die letzten Lebensjahre verlebte Mörike, zeitweise von Frau und Kindern getrennt, in Lorch (hier erlernte er das Töpferhandwerk), Nürtingen und Bebenhausen. Zu den Freunden der späten Jahre gehörten Storm und der Maler Moritz von Schwind.

Gedichtbände: Gedichte (1838, erweiterte Neuauflagen 1848, 1856, 1867), Classische Blumenlese (1840). – Versepen: Idylle vom Bodensee oder Fischer Martin und die Glockendiebe (1846). – Erzählungen: Miss Jenny Harrower (1834, Neufassung u. d. T. Lucie Gelmeroth 1839), Der Schatz (1836), Das Stuttgarter Hutzelmännlein (1853, darin: Die Sage von der schönen Lau, illustriert 1868 von Moritz von Schwind).

Maler Nolten. Roman, E ab 1829, V 1832, unvollendete Neufassung ab 1853, V posthum 1877. Theobald Nolten ist auf geheimnisvolle Weise an Elisabeth (die uneheliche Tochter seines Onkels mit einer Zigeunerin) gebunden. Sie durchkreuzt seine Liebe zur bürgerlich-einfachen Agnes (die als neue Ophelia im Wahnsinn und Selbstmord endet) und verhindert, dass er in der aristokratischen Sphäre der Gräfin Konstanze von Armond heimisch wird; durch Elisabeth fühlt sich Theobald aber auch zum Künstler berufen. Ihr Wesen bringt Theobalds Bildnis zum Ausdruck: Auf einer Orgel musizierend, scheint Elisabeth „mehr auf den Gesang der zu ihren Füßen strömenden Quelle als auf das eigene Spiel zu horchen. Das schwarze, seelenvolle Auge taucht nur träumerisch aus der Tiefe des inneren Geisterlebens.“ Als Nolten, gezeichnet durch „schläfrige Übersättigung von langem Leiden“, stirbt, nimmt der blinde Knabe Henni wahr, dass er Elisabeth folgt, angezogen von einer Macht, der er sich in letzter Konsequenz zu entziehen versucht hat.
Ruhe findet Nolten in der „Richtung der Seele auf die Natur und die nächste Außenwelt in ihren kleinsten Erscheinungen“; auch ist es für ihn wohltuend, bei einer Rast auf einem Friedhof „mitten auf dem Felde der Verwesung einzelne Spuren des alltäglichen lebendigen Daseins anzutreffen“. Entsprechend bemüht sich Noltens Freund, der Schauspieler Larkens, sein Maskenleben aufzugeben und als Tischler im tätigen Leben Fuß zu fassen. Das Glück der Idylle bleibt den Hauptgestalten des Romans jedoch verwehrt aufgrund der Übermacht der „Nacht- und Traumseite der Seele“, ein Motiv, das den Roman mit der Romantik verbindet. Zu den zahlreichen lyrischen Einlagen gehören die Ballade Der Feuerreiter, das Lied vom Winde, das Jahreszeitengedicht Er ist’s („Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern in die Lüfte“) und der 1824/25 entstandene Peregrina-Zyklus.

Mozart auf der Reise nach Prag. Novelle, V 1855.
Während eines Aufenthalts der gemeinsam mit Konstanze unternommenen Reise von Wien nach Prag, 1787 zur Uraufführung seiner neuen Oper „Don Giovanni“, besucht Mozart (1756–1791) einen Schlossgarten. Unter einem Orangenbaum sich niederlassend, pflückt er gedankenverloren eine Frucht; vom Gärtner barsch zur Rede gestellt, wendet er sich mit einem Billett an die gräfliche Hausherrin. Der peinliche Vorfall hat eine überraschende Folge: Mozart ist der Gräfin wohl bekannt, vor allem aber besitzt er in deren Pflegetochter Eugenie eine glühende Verehrerin. Gemeinsam mit Konstanze ist Mozart Gast der Nachfeier von Eugenies Verlobung. Am Ende des durch Tanz, Spiel und musikalische Improvisation aufgelockerten heiteren Zusammenseins der Rokoko-Menschen steht Mozarts ergreifender Klaviervortrag des Opernfinales. Am anderen Morgen reist das Ehepaar Mozart in einer Kutsche weiter, die ihm der Graf zum Geschenk macht.
Durch ein Gespräch Mozarts und Konstanzes zu Beginn der Novelle, durch Erzählungen der Ehepartner und Rückblicke des Erzählers erweitert sich die Darstellung des einen Tages zu einem Bild der Existenz und Persönlichkeit Mozarts: seiner materiellen Notlage und Arbeits­überlastung, seiner Großzügigkeit, Heiterkeit und unerfüllbaren Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit. Breiten Raum nimmt Mozarts Erinnerung an ein Kindheitserlebnis in Neapel ein, die jener Orangenbaum im gräflichen (Paradies-) Garten geweckt hat. Den von Mörikes Künstlerverständnis geprägten Kern der Erzählung verdeutlicht der Nachklang, den die Begegnung mit Mozart bei Eugenie besitzt: „Es ward ihr so gewiss, so ganz gewiss, dass dieser Mann sich schnell und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, dass er nur eine flüchtige Erscheinung auf Erden sein könne, weil sie den Überfluss, den er verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge.“


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009

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