Lexikon

Suche


Bitte hier Suchbegriff eingeben.


Celan, Paul (eigtl. P. Anczel bzw. Antschel)

Drucken

* 23. 11. 1920 in Czernowitz (Bukowina, russ. Tschernowzy)
† vermutl. 20. 4. 1970 in Paris


Vor dem Hintergrund der Feststellung des Philosophen Theodor W. Adorno (1903–63) aus dem Jahr 1949, „dass es nach Auschwitz unmöglich ward, Gedichte zu schreiben“, erweist sich das Werk Celans als Ringen um eine Neuschöpfung der Dichtung. „Der falschen Vertrautheit des Alletageredens enthoben, war er imstande, diese mit so viel Bitterkeit geliebte deutsche Sprache für sich neu zu entdecken“ (Kaschnitz anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Celan 1960).
Der Sohn eines dt.-jüd. Bautechnikers und Maklers begann nach dem Abitur 1938 in Tours (Frankr.) ein Medizinstudium, kehrte jedoch 1939 nach Czernowitz zurück und studierte Romanistik. Zu Beginn der dt. Besetzung der Bukowina 1941 lebte er mit seiner Familie im Ghetto. 1942 wurden seine Eltern in einem Vernichtungslager am Bug umgebracht, er selbst kam in ein Arbeitslager. Er konnte fliehen und setzte 1944, nachdem die Bukowina sowj. besetzt worden war, sein Studium in Czernowitz fort (Bekanntschaft mit Rose Ausländer). Ab 1945 war er in Bukarest als Redakteur, Lektor und Übersetzer tätig; erste Veröffentlichung von Gedichten in der rumän. Zeitschrift „Agora“ (1947) und der österreich. Zeitschrift „Plan“ unter dem Pseudonym Celan (Anagramm von Anczel). Im Juli 1948 siedelte Celan nach Paris über. Er studierte Germanistik und Sprachwissenschaft und arbeitete ab 1950 als Übersetzer und freier Schriftsteller. 1952 erschien die Slg. Mohn und Gedächtnis. Im selben Jahr war Celan Gast der „Gruppe 47“ und heiratete die Grafikerin Gisèle Lestrange (sie stattete die bibliophilen Bände Atemkristall, Schlafbrocken und Schwarzmaut mit Radierungen aus). 1958 erhielt Celan den Bremer Literaturpreis, 1960 den Georg-Büchner-Preis; die Dankesrede Meridian erschien nach Gespräch im Gebirge (1960) als weiterer Prosatext mit poetologischen Standortbestimmungen. Lesungen führten ihn u. a. nach Tübingen, Hannover und Stuttgart (Hölderlin-Tagung 1970). 1969 sprach er in Israel vor dem Hebräischen Schriftstellerverband. Ende April 1970 nahm sich Celan in Paris in der Seine das Leben.
Celan musste sich mit der Kritik auseinandersetzen, er baue Verständnisbarrieren auf oder beschäftige sich bei Themen wie Verfolgung und Vernichtung oder dem Scheitern von Verständigung im Grunde mit dem „Übersinnlichen“. Er setzte den Angriffen seine Überzeugung entgegen, dass seine lyrische Sprache gerade durch ihre Paradoxie (Einheit der Widersprüche) sinnfällig ist und mit dem (lernfähigen) Leser in einen Dialog tritt. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900–2002) veranschaulichte die Lehre vom Verstehen (Hermeneutik) in seinen Betrachtungen Wer bin ich und wer bist Du? als Kommentar zu Paul Celans Gedichtfolge Atemkristall (1973).

Gedichtbände: Der Sand aus den Urnen (1948), Mohn und Gedächtnis (1952), Von Schwelle zu Schwelle (1955), Sprachgitter (1959), Die Niemandsrose (1963), Atemwende (1967), Lichtzwang (1970), posthum Zeitgehöft. Späte Gedichte aus dem Nachlass (1976). – Übersetzungen aus dem Russ. (Block, Jessenin, Mandelstam), Frz. (Cocteau, Picasso, Rimbaud, Simenon, Valéry), Italien. (Ungaretti), Engl. (Sonette Shakespeares, 1967).

Lyrik.
Schlüsselbegriffe in Äußerungen Celans über sein Schaffen sind die „Einsamkeit des Gedichts“, „Konzentration“ („Die Kunst erweitern? Nein. Sondern geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei“), aber auch „Begegnung“ (das Gedicht „braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu“). Ein drittes prägendes Element ist das Bewusstsein von der Notwendigkeit der „Ergriffenheit“, das in Celans Herkunft aus dem jüd. Chassidismus und dessen Betonung der religiösen Verinnerlichung begründet ist. Ein kennzeichnendes Frühwerk ist Todesfuge (1952), das die Erfahrung des Grauens in das Fließen von Langversen hüllt: „Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielet / Er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau/Stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf.“ Mit der Slg. Sprachgitter (1959) setzt ein Zerbrechen des sprachlichen Zusammenhangs ein. Die Slg. Die Niemandsrose (1963) enthält Verse als Ausdruck eines radikalen Versagens der Sprache: „Käme, / käme ein Mensch, / käme ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der Patriarchen: er dürfte, / spräch er von dieser Zeit, er dürfte / nur lallen und lallen,/immer, immer / zu zu.“ Zum Sinnbild der Hoffnung wird das alle Sprachnot aufhebende Pfingst-Ereignis: „Ein Dröhnen: es ist / die Wahrheit selbst / unter die Menschen / getreten / mitten ins Metapherngestöber.“


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009