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Hoffmann, E(rnst) T(heodor) A(madeus) (eigtl. Ernst Theodor Wilhelm H.)

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* 24. 1. 1776 in Königsberg, heute Kaliningrad
† 25. 6. 1822 in Berlin


Als 1980 der Bamberger Kunstverein eine Ausstellung über „Künstlerische Doppelbegabungen“ veranstaltete, diente Hoffmann als „Grundpfeiler“ und „Inbegriff der Vielseitigkeit“: Als bildender Künstler, Komponist und Schriftsteller verkörperte er das Streben der Romantik nach universellem künstlerischen Ausdruck. Der Maler Philipp Otto Runge nannte das Ziel aller wahren Kunsttätigkeit „eine abstrakte malerische fantastisch-musikalische Dichtung mit Chören, eine Komposition für alle drei Künste zusammen, wofür die Baukunst ein ganz eigenes Gebäude aufführen sollte“. Doch dieser Konzeption des schließlich von Richard Wagner verwirklichten Gesamtkunstwerks entspricht nichts weniger als das Leben und Werk des „Gespenster-Hoffmann“, dessen Modernität sich auf die Auseinandersetzung mit der Disharmonie zwischen Leben und Kunst gründet.
Der Sohn eines Juristen wurde bei der Scheidung der Eltern 1778 der Mutter zugesprochen, die in ihr Elternhaus zurückkehrte; die Erziehung des Kindes lag in den Händen von Großmutter, Tante und Onkel. Dem Schulbesuch, begleitet von musikalischer Ausbildung, folgte 1792–95 ein Jurastudium in Königsberg mit anschließendem Referendariat; Anstoß erregte die Beziehung Hoffmanns zu seiner um 10 Jahre älteren Klavierschülerin Dora Hatt, Ehefrau eines Weinhändlers. Nach weiterer Lehrzeit in Glogau und Berlin wurde Hoffmann als Assessor nach Posen versetzt; in der Berliner Zeit entstanden das Singspiel Die Maske, eine Bühnenmusik zu Goethes Scherz, List und Rache sowie zahlreiche Zeichnungen, darunter Straßenszenen mit Figurentypen, die auf spätere literarische Gestalten vorausweisen. 1802 wurde er in einen Skandal (Karikaturen Posener Honoratioren) verwickelt und zwar zum Hofrat befördert, jedoch zugleich nach Płock an der Weichsel (straf)versetzt. Im selben Jahr heiratete er seine Geliebte „Mischa“ Rohrer. In Płock entstand 1803 als erste Publikation das Schreiben eines Klostergeistlichen an seinen Freund in der Hauptstadt (über Schillers Erneuerung des antiken Chors in Die Braut von Messina). 1804 bis Ende 1806 (Einmarsch Napoleons) gehörte Hoffmann im seit 1795 preuß. Warschau der südpreuß. Regierung an; 1807 (Zusammenbruch Preußens) lebte er in Berlin als einer von Tausenden stellungsloser Beamter. 1808 erhielt er eine Anstellung am Bamberger Theater als Kapellmeister, Komponist und Bühnenbildner.
Neben seiner Bamberger Theatertätigkeit war Hoffmann als Rezensent für die Leipziger „Allgemeine Musikalische Zeitung“ tätig; hier erschien 1809 als erste Erzählung Ritter Gluck. Leidenschaftliche und unglückliche Liebe empfand er zu seiner Gesangsschülerin Julia Mark. 1813/14 war er abwechselnd in Leipzig und Dresden Kapellmeister, 1814 kehrte er in den preuß. Staatsdienst zurück und lebte fortan in Berlin (Mitglied des Kammergerichts, ab 1819 der „Immediatskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“, z. B. gegen „Turnvater“ Jahn, 1821 des Oberappellationssenats). 1816 kam Hoffmanns Oper Undine (nach einem Libretto von Friedrich de La Motte-Fouqué) zur Uraufführung (Bühnenbild: Karl Friedrich Schinkel); im selben Jahr begannen die Seraphinen- bzw. Serapionsabende (u. a. mit Chamisso), deren Atmosphäre die Rahmenhandlung der Slg. Die Serapionsbrüder spiegelt. Hoffmanns tödliche Erkrankung 1822 machte das gegen ihn u. a. wegen der Erzählung Meister Floh in die Wege geleitete Disziplinarverfahren gegenstandslos.
Hoffmanns umfangreiches erzählerisches Werk besitzt eine Voraussetzung in der romantischen Entdeckung der (nach G. H. Schubert) „Nachtseite der Naturwissenschaft“ (z. B. psychischer Magnetismus) im Unterschied zur „Tageshelle“ des rationalen Verstandes. Die grundlegende Erfahrung des Gegensatzes zwischen künstlerischer und prosaischer, innerer und äußerer Welt verdichtet sich bei Hoffmann zur Doppelgesichtigkeit der Erscheinungen; in diesem Zusammenhang steht das Motiv des Doppelgängers. Als Vor- und Gegenbild dient der Einsiedler Serapion, dessen Wahnsinn darin besteht, dass er „die Erkenntnis der Duplizität“ verloren hat, „von der eigentlich unser irdisches Dasein bedingt ist“. Auf die Anerkennung der Ambivalenz der Wahrnehmung gründet sich Hoffmanns (satirischer, grotesker) Realismus. Das Reich der Fantasie erscheint letztlich als Funktion der Realität und bildet deren gleichsam entzerrte Widerspiegelung. Die poetische Leistung der Fantasie besteht in der Entschlüsselung dessen, was in verwirrend vielfältiger Weise wahrgenommen wird. Diesem Thema widmet sich Hoffmanns letzte Erzählung: Des Vetters Eckfenster (1822). Der Titel bezieht sich auf den gelähmten Vetter des Erzählers, der von seinem hoch über dem Markt gelegenen Fenster aus das „grandiose Panorama des Platzes“ überblickt. Während der Erzähler zunächst nur eine „dicht gedrängte Volksmasse“ erkennt, führt ihn sein Vetter in die von der Fantasie geleitete „Kunst des Schauens“ ein. Je stärker diese Kunst dem Eigenleben der Außenwelt zugewandt ist, desto näher steht sie dem „poetischen Realismus“, zu dem Spätromantiker wie Hoffmann oder auch Tieck überleiten.

Romane: Die Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruders Medardus, eines Kapuziners (2 Bde. 1815/16, Verf DDR 1972 Ralf Kirsten, B. D. 1976 Manfred Purzer). – Erzählungen: Slg. Fantasiestücke in Callot’s Manier (4 Bde. 1814/15, darin u. a.: Ritter Gluck, 1809; Kreisleriana, 1810–1814; Don Juan, 1813; Nachrichten von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza; Die Abenteuer der Silvester-Nacht), Nussknacker und Mausekönig (1816, Vert als Ballett Der Nussknacker und Nussknackersuite, 1892 Peter Tschaikowski), Nachtstücke (2 Teile 1816/17, darin: Ignaz Denner, Die Jesuitenkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz), Klein Zaches genannt Zinnober (1819), Die Brautwahl (1819, Vert 1894 Ferruccio Busoni, Verf B. D. 1971 Helmut Käutner), Slg. Die Serapionsbrüder (4 Bde. 1819–21, darin u. a.: Die Automate, 1814; Die Fermate, 1816; Der Artushof, 1817; Das Bergwerk zu Falun; Der Kampf der Sänger, Vert u. d. T. Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, 1845 Richard Wagner; Das fremde Kind, 1817; Der Rat Crespel, 1818; Der Einsiedler Serapion, 1819; Doge und Dogaresse, 1819; Meister Küfer und seine Gesellen, 1819; Signor Formica, 1820; Das Fräulein von Scuderi, 1820, Vert u. d. T. Cardillac 1926 bzw. 1952 Paul Hindemith, Verf u. d. T. Cardillac B. D. 1968 Edgar Reitz; Die Königsbraut); Prinzessin Brambilla, 1820, Meister Floh, 1822, Des Vetters Eckfenster, 1822. – Dem Theaterstück Les Contes d’Hoffmann (U 1851) von Jules Barbier und Michel Carré bzw. dessen Vertonung als Oper durch Jacques Offenbach (U 1881, dt. Erstaufführung Hoffmanns Erzählungen 1881) liegen folgende Erzählungen zugrunde: Don Juan, Der Goldne Topf, Der Sandmann, Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild (in: Die Abenteuer der Silvester-Nacht), Der Rat Crespel, Klein Zaches genannt Zinnober, Signor Formica; Verf Österr. 1911, Dtl. 1915, Österr. 1923 Max Neufeld, England 1951.

Der Goldne Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit. V 1814 im 3. Bd. der Slg. Fantasiestücke in Callot’s Manier.
Im Mittelpunkt steht der Student Anselmus. Dieser rennt „am Himmelfahrtstag (…) in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes hässliches Weib feilbot“. Von nun an lebt er in einer vexierbildhaften Welt: Die Spiegelungen der Abendsonne im Blattwerk eines Holunderbusches sind zugleich drei goldene Schlangen, ein Feuerlilienbusch erweist sich als Herr in einem in Gold und Rot glänzenden Schlafrock, ein Gehrock verwandelt sich in die Flügel eines riesigen Vogels. Inmitten des Natürlichen und Alltäglichen (repräsentiert durch den Konrektor Paulmann, dessen Tochter Veronika und den Registrator Heerbrand) scheint eine andere Wirklichkeit auf, die ihrerseits in zwei „Prinzipien“ geteilt ist. Das eine wird vom Archivarius Lindhorst alias der Elementargeist Salamander vertreten, das andere von jenem alten Weib, einer Hexe, hervorgegangen aus der Verbindung einer Runkelrübe mit einer Drachenfeder. Anselmus ist dazu ausersehen, durch seine Liebe zu Serpentina, einer der Schlangentöchter des Salamanders, an der Erlösung Lindhorsts mitzuwirken; doch die Hexe fesselt ihn durch Zauberkraft an Veronika. Der Anselmus prophezeite „Sturz ins Kristall“ tritt ein, aber der Sieg des Salamanders über das Rübenweib führt zu seiner Befreiung und Vereinigung mit Serpentina auf einem Rittergut in Atlantis. In der letzten der 12 „Vigilien“ wird dem Erzähler durch Lindhorsts Hilfe die Schau der „Seligkeit“ des Anselmus zuteil. Diese ist, so vermutet der Erzähler, nichts anderes als „das Leben in der Poesie“, wobei der goldne Topf mit der aus ihm emporsteigenden Lilie das „tiefste Geheimnis der Natur“ symbolisiert: den Einklang aller Wesen. Doch auch diese Vision unterliegt dem Gesetz der ständigen Verschränkung zwischen mythischer („Märchen“) und alltäglicher Realität („aus neuer Zeit“).

Der Sandmann. Erzählung, V 1816 im 1. Teil der Slg. Nachtstücke, Vert als Ballett Coppélia ou La poupée animée, 1870 Léo Delibes, Verf F 1900 und 1909 Georges Méliès. Die Erzählung liegt dem 1. Akt der Oper Hoffmanns Erzählungen (1881) von Jacques Offenbach zugrunde.
Der Student Nathanael, verlobt mit Clara, berichtet deren Bruder Lothar in einem Brief über das schlimme Treiben des „Sandmanns“ Coppelius in seinem Elternhaus; Nathanaels Vater wurde das Opfer seiner gemeinsam mit Coppelius unternommenen alchimistischen Experimente. Veranlasst wurde dieser Bericht durch die Begegnung mit dem an Coppelius erinnernden Händler Coppola, die in Nathanael die „dunkle Ahnung“ eines ihm drohenden „grässlichen Geschicks“ geweckt hat. Zwar kann ihn Clara davon überzeugen, dass er das Opfer eines „Phantoms“ ist; dennoch gerät Nathanael in den Bann Coppolas: Gerade um sich von seiner „kindischen Gespensterfurcht“ zu befreien, kauft er ihm ein Taschenfernglas ab, durch dessen Optik ihm die Tochter seines Professors Spalanzani als Inbegriff der Schönheit erscheint. Nathanaels Wünsche finden ihre Erfüllung im Tanz mit Olimpia; am Ende des Festes wird er jedoch Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Spalanzani und Coppola, in deren Verlauf diese ihr gemeinsames Werk – Olimpia ist ein Automat – zerstören. Von schwerer Krankheit genesen, bereitet sich Nathanael auf die Hochzeit mit Clara vor; als er von einem Turm aus in der Menge Coppola erblickt, packt ihn der Wahnsinn; er will Clara in die Tiefe schleudern und stürzt selbst zu Tode.
Neben satirischen Aspekten (Anerkennung Olimpias durch die „Gesellschaft“) enthält die Erzählung das Thema des Zwiespalts zwischen objektiver und übermächtiger subjektiver Wahrnehmung, die sich als pathologisch erweist. Nathanaels Furcht vor dem Verlust seiner Augen hat Sigmund Freud im Hinblick auf die Selbstblendung des Ödipus als Kastrationsangst gedeutet (Das Unheimliche, 1919).

Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biografie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern. Roman (2 Bde., der 3. Bd. blieb unausgeführt), V 1819–21.
Während der Arbeit an seiner Autobiografie hat Kater Murr die Biografie des Kapellmeisters Kreisler zerrissen und die Blätter „harmlos teils zur Unterlage, teils zum Löschen“ verwendet; diese Blätter „blieben im Manuskript und – wurden, als zu demselben gehörig, aus Versehen mit abgedruckt“.
Die Murr-Abschnitte bilden einen fortlaufenden Bericht über den Bildungsgang des bei Meister Abraham aufgewachsenen Katers, der Tiecks gestiefelten Kater seinen Ahnherrn nennt. Zu Murrs frühesten Erfahrungen gehörte die von „moralischer Ursache und Wirkung“: Kratzen hatte Schläge zur Folge. Er fand Interesse an Abrahams Bibliothek und gelangte zur Schreibkunst. Sein Lehrmeister in Fragen der Weltklugheit wurde der Pudel Ponto. Murrs ziellose Verliebtheit führte ihn schließlich zu Miesmies, doch es folgte Enttäuschung. Murr geriet durch träumerisches Nichtstun in die Gefahr, ein „Katzphilister“ zu werden; um dies zu vermeiden, führte ihn der Kater Muzius in die „Katzburschenschaft“ ein, die der Fleischerhund Achilles verfolgte. Durch Ponto wurde Murr in die besseren Kreise der Windhunde und Spitze eingeführt. Abraham, der verreist, übergibt Murr seinem Freund Johannes Kreisler.
An dieses Ende der Murr-Geschichte knüpft das erste Kreisler-Fragment an. Es handelt von den turbulenten Ereignissen der Doppelhochzeit der Prinzessin Hedwiga mit Prinz Hektor und des Prinzen Ignatius mit Julia. Ihr hing Kreisler mit enthusiastischer, jener mit leidenschaftlicher Liebe an. Diese unglücklichen Liebesgeschichten, ferner Kreislers Jugend, die Zustände im ehemaligen Duodezfürstentum Sieghartsweiler, die Machenschaften im Umkreis des Fürsten Irenäus, Kreislers Aufenthalt in einem Kloster sind Themen der weiteren Kreisler-Fragmente.
Es liegt nahe, den Gegensatz zwischen der geordneten Murr-Erzählung und dem fragmentierten Lebensbild Kreislers als Ausdruck des Kontrastes zwischen philisterhafter Selbstgefälligkeit (Murr) und zutiefst problematischer Künstlerexistenz (Kreisler) aufzufassen. Im Sinne der „romantischen Ironie“ heben jedoch zahlreiche Querverbindungen und Analogien den Kontrast bis zu einem gewissen Grade auf. Der Murr- und der Kreisler-Handlung ist die gesellschaftskritische Grundhaltung gemeinsam, die im einen Fall die Form der Parodie, im anderen die Form der Satire annimmt.

Sie finden hier online folgende Texte von E.T.A. Hoffmann:



Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009