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Heine, Heinrich (bis 1825 Harry H.)

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* 13. 12. 1797 in Düsseldorf
† 17. 2. 1856 in Paris


Kein anderer dt. Schriftsteller ist nicht allein zu Lebzeiten, sondern über den Tod hinaus mit derart beharrlichem Hass verfolgt worden wie Heine, sei es im Zeichen des Antisemitismus, des Nationalismus, sei es im Zeichen der Verteidigung von Sitte und Anstand, des religiösen Empfindens oder der Würde der Kunst. Allerdings ist auch kein anderer mit solcher Beharrlichkeit für die Freiheit als „Religion unserer Zeit“ und für das Leben als ein Recht eingetreten: „Das Leben will dieses Recht geltend machen gegen den erstarrenden Tod, gegen die Vergangenheit, und dieses Geltendmachen ist die Revolution. Der elegische Indifferentismus der Historiker und Poeten soll unsere Energie nicht lähmen bei diesem Geschäfte; und die Schwärmerei der Zukunftsbeglücker soll uns nicht verleiten, die Interessen der Gegenwart (…) aufs Spiel zu setzen“ (um 1830).
Der Sohn eines jüd. Textilkaufmanns besuchte 1810–14 das Lyzeum in Düsseldorf und war 1815/16 Bankvolontär in Frankfurt a. M. und Hamburg. 1817 veröffentlichte er erste Gedichte. Sein 1818 vom Onkel Salomon Heine eingerichtetes Manufakturwarengeschäft musste im folgenden Jahr liquidieren. Der Onkel erklärte sich nun bereit, ein Studium zu finanzieren, das Heine 1819 in Bonn begann (Jura, Geschichte, Literatur; A. W. Schlegel), 1820 in Göttingen (Relegierung wegen einer Duellaffäre) und 1821 in Berlin fortsetzte (Hegel, Verkehr im Haus des Ehepaars Varnhagen von Ense, Mitgliedschaft im „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“); 1822 erschienen die Briefe aus Berlin. Zum Studienabschluss kehrte Heine 1824 nach Göttingen zurück (im Herbst Wanderung durch den Harz und Besuch Goethes in Weimar). 1825 legte er das juristische Examen ab, konvertierte zum Protestantismus und promovierte zum Dr. jur. mit dem Ziel, sich in Hamburg als Anwalt niederzulassen.
Mit dem 1. Teil der Reisebilder (1826) und der Slg. Buch der Lieder (1827) begann die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Verleger Julius Campe. Anfang 1828 übernahm Heine in München die Redaktion der „Neuen allgemeinen politischen Annalen“; die zweite Hälfte des Jahres verbrachte er in Italien. Nachdem alle beruflichen Pläne (u. a. Professur in München oder Berlin) gescheitert waren, ließ Heine sich (wie zuvor Börne) Mitte 1831 in Paris, dem Schauplatz der „heiligen Tage“ der Julirevolution, nieder. Als Korrespondent der Cotta’schen „Allgemeinen Zeitung“ (Augsburg) schrieb er über den „Salon“ 1831 sowie in „Tagesberichten“ über die restaurative Entwicklung in Frankreich unter dem „Bürgerkönig“ Louis-Philippe (Buchausgabe Französische Zustände, 1832). Nicht zuletzt an das frz. Publikum wandte sich Heine mit seinen Abhandlungen Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland (1833, erweitert 1835 Die Romantische Schule) und Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (frz. 1834, dt. 1835); der Leitgedanke ist die Verdeutlichung einer in der dt. (Geistes-)Geschichte antizipierten, in der Realität unterdrückten politischen, sozialen und religiösen Emanzipation.
Ende 1835 gehörte Heine zu den vom Verbot des „Jungen Deutschland“ betroffenen Autoren (vgl. Gutzkow); die frz. Regierung gewährte ihm daraufhin eine Pension (bis 1848). 1840–44 war Heine erneut für die „Allgemeine Zeitung“ tätig. 1841 heiratete er seine Lebensgefährtin (seit 1834) „Mathilde“ Mirat, 1843 reiste er inkognito nach Hamburg (Besuch der Mutter), Ende 1843 lernte er in Paris Karl Marx kennen. Nach dem Tod des Onkels begann 1845 der auch in der Öffentlichkeit ausgetragene Erbschaftsstreit. Heines literarischer Kampf der 1840er Jahre galt dem kleinbürgerlichen Republikanismus (Ludwig Börne. Eine Denkschrift, 1840) und der „Tendenzpoesie“ Freiligraths und Herweghs ebenso wie der Reaktion (Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844). Ihren klarsten kämpferischen Ausdruck fand Heines politische Lyrik in den Zeitgedichten der Slg. Neue Gedichte (1844).
Die seit Jahren aufgrund einer Rückenmarksschwindsucht auftretenden Lähmungserscheinungen banden Heine ans Krankenbett. Am Beginn der achtjährigen körperlichen Leiden in der „Matratzengruft“ steht die Slg. Romanzero (1851); im Nachwort bekennt Heine seine Rückkehr zu einem „persönlichen Gott“. Das schon in den Frühwerken erörterte Thema des Antagonismus zwischen Spiritualismus und Sensualismus reflektiert der Essay Die Götter im Exil (1853) anhand der Gegenüberstellung von „nazarenischem“ und „hellenischem“ Lebensprinzip. Als gesellschaftskritisches Vermächtnis ist die bearbeitete Buchfassung der Korrespondentenberichte vom Beginn der 1840er Jahre zu betrachten (Lutetia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben, 1854); das Vorwort zur frz. Ausgabe (1855) enthält Heines Auseinandersetzung mit dem Kommunismus; weckt der Gedanke an die Zeit, in der „jene dunklen Bilderstürmer zur Herrschaft gelangen werden“, einerseits „Grauen und Schrecken“, so besitzt die proletarische Bewegung andererseits ihre historische Notwendigkeit aufgrund ihrer „obersten Prinzipien“ des „absolutesten Kosmopolitismus, einer allgemeinen Völkerliebe, einer auf Gleichheit beruhenden Verbrüderung aller Menschen, freier Bürger dieses Erdballs“.

Gedichtbände und -zyklen: Gedichte (E ab 1816, V 1822), Lyrisches Intermezzo (E 1821/22, V 1823), Buch der Lieder (1827, 10. Auflage 1852), Neue Gedichte (1844, 3. erweiterte Auflage 1852), Romanzero (1851), Gedichte 1853 und 1854 (1854). – Erzählungen: Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski (E 1827–33, V 1834), Florentinische Nächte (E 1835/36, V 1837), Der Rabbi von Bacherach (Fragment, E 1824/25 und 1840, V 1840). – Dramen und andere Bühnenwerke: Almansor (E 1820–22, U, V 1823), William Ratcliff (E 1822, V 1823), La légende du docteur Jean Faust (E 1846/47, V 1847, u. d. T. Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst 1851), Die Göttin Diana (1854). – Reisebilder: Erster Teil (1826, darin u. a.: Die Harzreise, E 1824–26), Zweiter Teil (1827, darin u. a.: Die Nordsee. 3. Abteilung, E 1826/27), Dritter Teil (1830, darin u. a.: Reise von München nach Genua, E 1828/29; Die Bäder von Lucca, E 1828/29), Nachträge zu den Reisebildern (1831, darin: Die Stadt Lucca, E 1829/30; Englische Fragmente, E 1827–30). – Kultur- und zeitgeschichtliche Abhandlungen, Korrespondentenberichte: Französische Maler (Zs u. d. T. Gemäldeausstellung in Paris, 1831, erweiterte Fassung 1834), Französische Zustände (Zs 1831/32, V 1832), Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland (1833, erweiterte Fassung Die Romantische Schule, 1835), De l’Allemagne depuis Luther (1834, u. d. T. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 1835), Elementargeister (1837), Ludwig Börne. Eine Denkschrift (E 1830 und 1837–40, V 1840), Lutetia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben (Zs 1840–44, V 1854), Les dieux en exil (1853, u. d. T. Die Götter im Exil 1854). – Autobiografisches: Ideen. Das Buch Le Grand (1827), Geständnisse (1854), Memoiren (posthum 1884).

Die Harzreise. Reisebeschreibung, E 1824/25, Zs 1826, V (im 1. Teil der Slg. Reisebilder) 1826, frz. Ü 1834.
Mit diesem ersten seiner Reisebilder gab Heine einen wesentlichen Anstoß zur breiten Entfaltung einer engagierten Literatur, deren kritisches Potenzial weniger in den vorgetragenen Überzeugungen, sondern vielmehr im Stilprinzip der freien assoziativen Verknüpfung des Witzes sowie in der Subjektivität der Betrachtungsweise bestand. Hieraus ergab sich gleichsam von selbst die Kritik an philis­terhafter Spießbürgerlichkeit, an hohlem Pathos, an Dünkelhaftigkeit, beschränkter Gelehrsamkeit – kurz: an allem, was sich dem Drang nach geistiger und politischer „Bewegung“ in den Weg stellte.
Zugrunde liegt die Wanderung, die Heine im September/Oktober 1824 durch den Harz unternommen hat; geschildert wird der erste Teil mit dem Ausgangspunkt Göttingen und den Stationen Northeim, Osterode, Clausthal, Goslar, dem Brocken und dem Ilsetal. Nichts liegt Heine ferner, als topographische Angaben zu sammeln (die Stadt Göttingen ist „berühmt durch ihre Würste und Universität“, Osterode hat „soundsoviel Häuser, verschiedene Einwohner, darunter auch mehrere Seelen“). Annähernd beschreibende Passagen wechseln mit physiognomischen Kuriositäten („ein rotes Quadratmeilengesicht mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen“, ein anderes Gesicht ist „nur ein Mund zwischen zwei Ohren“), grotesken Traumbildern, Liedern und Romanzen, literaturkritischen Seitenhieben und anekdotischen Schilderungen, die in den Szenen eines Trinkgelages in der Brockenhütte gipfeln, einem Zerrbild der Walpurgisnacht, in welcher der Brocken „seine Nebelkappe jubelnd in die Luft (wirft) und, ebensogut wie wir übrigen, recht echtdeutsch romantisch verrückt“ wird. Kennzeichnend sind Kontraste, etwa zwischen einem sehnsuchtsvollen Morgenlied und der „Sehnsucht nach einem Frühstück“.

Lyrik. Heines Gedichte gliedern sich hinsichtlich ihrer Veröffentlichung in drei Hauptgruppen, zwischen denen die beiden wesentlichen Zäsuren seines Lebenswegs (Übersiedlung nach Paris 1831, Beginn der Leiden in der „Matratzen­gruft“ 1848) liegen. Es sind dies: 1. Das Buch der Lieder (E ab 1816, V 1827, gegliedert in: Junge Leiden, Lyrisches Intermezzo, Die Heimkehr, Aus der Harzreise, Die Nordsee), Vert einzelner Lieder durch Franz Schubert (Der Atlas, Der Doppelgänger), Friedrich Silcher (Loreley), Franz Liszt (Loreley), Richard Wagner, Johannes Brahms, vor allem aber durch Robert Schumann (Liederkreis, op. 24; Dichterliebe, op. 48; Balladen Belsazar, Zwei Grenadiere); 2. Die Slg. Neue Gedichte (1844, gegliedert in: Neuer Frühling, Verschiedene [Geliebte: Seraphine, Angelique, Diana u. a.], Romanzen, Zur Olla, Zeitgedichte), Vert Felix Mendelssohn Bartholdy (Leise zieht durch mein Gemüt), Richard Strauss (Frühlingsfeier). 3. Die Slg. Romanzero (1851, gegliedert in: Historien, Lamen­tationen, Hebräische Melodien). Hieran schließt sich die Slg. Gedichte 1853 und 1854 an (mit Zum Lazarus).
Aufsehen erregten zunächst Heines souveräne Handhabung der Motive und Themen der klassischen und romantischen Natur- und Liebeslyrik, seine Verbindung von Kunst- und Volkspoesie, die verschwenderische Fülle des poetischen Empfindungsausdrucks von zumeist unglücklicher Liebe. In diesem Sinne beginnt das der 3. Auflage (1839) des Buchs der Lieder vorangestellte Gedicht mit den Versen: „Das ist der alte Märchenwald! / Es duftet die Lindenblüte! / Der wunderbare Mondenglanz / Bezaubert mein Gemüte!“ Es mündet in die Klage: „O Liebe! was soll es bedeuten, / Dass du vermischest mit Todesqual / All deine Seligkeiten?“ Zugleich thematisieren die meisten der frühen Gedichte direkt oder indirekt die Diskrepanz zwischen literarisch geformter bzw. vermittelter Empfindung und realer Verhaltensweise: „Und als ich euch meine Schmerzen geklagt, / Da habt ihr gegähnt und nichts gesagt; / Doch als ich sie zierlich in Verse gebracht, / Da habt ihr mir große Elogen gemacht.“ Spott („Philister in Sonntagsröcklein / Spazieren durch Wald und Flur; / Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein, / Begrüßen die schöne Natur“) und Ironie wechseln mit dem bildhaften Ausdruck unerfüllbarer Sehnsucht: „Ein Fichtenbaum steht einsam / Im Norden auf kahler Höh’. / Ihn schläfert; mit weißer Decke / Umhüllen ihn Eis und Schnee. / / Er träumt von einer Palme, / Die fern im Morgenland / Einsam und schweigend trauert / Auf brennender Felsenwand.“
Der thematische Bogen der Slg. Neue Gedichte spannt sich von der Gebundenheit durch die „Blumenketten“ der Liebe, wobei der Ausdruck sinnenfroher Beglückung vorherrscht („Holdes Zittern, süßes Beben, / Furchtsam zärtliches Umschlingen – / Und die jungen Rosen lauschen, / Und die Nachtigallen singen“), bis hin zur politischen Satire (Der Kaiser von China über Friedrich Wilhelm IV. von Preußen); diese Zeit­gedichte werden durch das programmatische Gedicht Doktrin eingeleitet: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht, / Und küsse die Marketenderin! / Das ist die ganze Wissenschaft, / Das ist der Bücher tiefster Sinn. (…)“ Dazwischen liegen die ironisch-erotischen Lieder der Abteilung Verschiedene: „(…) Die Göttin der Gelegenheit, / Wie’n Zöfchen, flink und heiter, / Kam sie vorbei und sah uns stehn, / Und lachend ging sie weiter.“
In den Historien des Romanzero gewinnen Heines politische und weltanschauliche Reflexionen ihre umfassende dichterische Gestalt (z. B. Vitzliputzli über die Eroberung Mexikos durch Cortez). In den Lamentationen wird Lazarus zur Identifikationsfigur, in deren Rückschau Heine resümiert: „Ich habe gerochen alle Gerüche/ In dieser holden Erdenküche; / (…) Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder, / Ja, das versteht sich, dort sehn wir uns wieder.“ Eines der letzten Gedichte Heines ist das Elise Krinitz gewidmete Liebesgedicht Für die Mouche.

Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. Versepos in 27 Kapiteln, E 1841, Zs 1843, Buchausgabe (in bearbeiteter Form) 1847.
Als Handlungsgerüst dient die Verfolgung des in den Pyrenäen entlaufenen Tanzbären Atta Troll durch den als versierter „Bärenjäger“ ausgewiesenen Erzähler. Die Inschrift des Denkmals, das dem schließlich erlegten Bären in der „Walhalla“ Ludwigs I. von Bayern gesetzt wird, fasst die Hauptzielrichtung der Satire zusammen: „Atta Troll, Tendenzbär; sittlich / Religiös; als Gatte brünstig; / Durch Verführtsein von dem Zeitgeist, / Waldursprünglich Sansculotte; / / Sehr schlecht tanzend, doch Gesinnung / Tragend in der zott’gen Hochbrust; / Manchmal auch gestunken habend; / Kein Talent, doch ein Charakter!“ Der Bär verkörpert ein ebenso pathetisches wie simplifiziertes Freiheits- und Gleichheitsstreben, das sich in blindem Enthusiasmus selbst vor den Karren der „christlich germanischen Nationalität“ spannen lässt. Genannt wird Freiligrath, aus dessen Gedicht Der Mohrenfürst das Motto stammt. Eingeflochten sind u. a. Attacken auf die romantische „Schwäbische Dichterschule“ (Kerner, Gustav Pfizer, Gustav Schwab); zugleich bezeichnet Heine sein Epos als das „vielleicht letzte freie Waldlied der Romantik“.
In der Vorrede zur Buchausgabe rechtfertigt Heine seinen Angriff auf die ja durchaus oppositionelle „Tendenzpoesie“ Freiligraths und Herweghs gegen den Vorwurf „nicht bloß der literarischen, sondern auch der gesellschaftlichen Reaktion, ja sogar der Verhöhnung heiligster Menschheitsideen“: „Nein, eben weil dem Dichter jene Ideen in herrlichster Klarheit und Größe beständig vorschweben, ergreift ihn desto unwiderstehlicher die Lachlust, wenn er sieht, wie roh, plump und täppisch von der beschränkten Zeitgenossenschaft jene Ideen aufgefasst werden können. (…) Es gibt Spiegel, welche so verschroben geschliffen sind, dass selbst ein Apollo sich darin als eine Karikatur abspiegeln muss und zum Lachen reizt.“

Deutschland. Ein Wintermärchen. Versepos in 27 Kapiteln, E 1843/44, V 1844 (in Neue Gedichte und als Separatdruck).
Der in Atta Troll karikierten „Tendenzpoesie“ setzte Heine mit seinem zweiten Versepos das Gegenbeispiel einer politischen Dichtung entgegen, die in formaler und inhaltlicher Hinsicht differenziert genug ist, um der politischen, sozialen und kulturellen Misere nachhaltig entgegenzuwirken. Das „versifizierte Reisebild“ schildert den Deutschlandaufenthalt Heines im Herbst 1843 (u. a. Besuch der Mutter). Der Untertitel bezieht sich auf den Vers „Ein traurig Märchen passt für den Winter“ in Shakespeares The Winter’s Tale.
Programmatisch konfrontiert Caput I das „alte Entsagungslied“ eines Harfnermädchens, „das Eiapopeia vom Himmel/ Womit man einlullt, wenn es greint,/ Das Volk, den großen Lümmel“, mit dem „neuen“, dem „besseren Lied“ des Erzählers vom Glück auf Erden, das unabdingbar mit der politischen, moralischen und religiösen Emanzipation verbunden ist: „Die Jungfer Europa ist verlobt / Mit dem schönen Geniusse / Der Freiheit, sie liegen einander im Arm, / Sie schwellen im ersten Kusse. / / Und fehlt der Pfaffensegen dabei, / Die Ehe wird gültig nicht minder – / Es lebe Bräutigam und Braut, / Und ihre zukünftigen Kinder.“ Aus dieser Perspektive entwickelt Heine anhand der Stationen von Aachen über Köln und den Teutoburger Wald bis Hamburg ein kritisches Profil der dt. politischen und kulturellen Landschaft, gekennzeichnet durch Zensur (sie „gibt die innere Einheit uns“), Militarismus, Nationalismus und Fran­zosenhass; ein zentrales Thema ist die Auseinandersetzung mit der antiquierten Idee des mittelalterlichen Kaisertums (Kyffhäuser-Traumszenen). Zahlreiche Impressionen, Erinnerungen und Anspielungen ergeben den vorherrschenden Eindruck subjektiver Betroffenheit bis hin zur Traumgestalt des Mannes mit dem Richtbeil; er verkörpert die Tat, die dem Gedanken folgen will.


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009