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Droste-Hülshoff, Annette von (eigtl. Anna Elisabeth Freiin Droste zu Hülshoff)

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* 10. 1. 1797 auf Schloss Hülshoff bei Münster
† 24. 5. 1848 auf Schloss Meersburg


Aus altem kath. Adel stammend, sah sich die Dichterin als Frau in enge Konventionen eingeschlossen. Ihre Überwindung durch eine vom Drang nach Ausdruck der eigenen Individualität geprägte Dichtung kam einem Vergehen gleich. So steht im Gedicht Am Turme dem Wunschbild der Mänade der Zwang gegenüber: „Nun muss ich sitzen so fein und klar, / Gleich einem artigen Kinde, / Und darf nur heimlich lösen mein Haar / Und lassen es flattern im Winde.“
Droste-Hülshoff erhielt ihre standesgemäße Ausbildung gemeinsam mit drei Geschwistern. Zum Bekanntenkreis gehörten die Brüder Grimm (Wilhelm bemerkte 1813 an ihr „etwas Frühreifes bei vielen Anlagen“). 1815 erlitt sie eine schwere Erkrankung. 1819/20 entstanden die ersten 25, an die Evangelien der Sonn- und Feiertage anknüpfenden Gedichte (Neujahr bis Ostermontag) des späteren Zyklus Das geistliche Jahr; die Missbilligung durch die Mutter verhinderte die Fortführung (die weiteren 47 Gedichte entstanden 1839/40, der Zyklus erschien posthum 1851). Nach dem Tod des Vaters (1826) lebte sie mit Mutter und Schwester in Haus Rüschhaus bei Münster. Ab 1841 hielt sie sich mehrfach in Meersburg auf, dessen altes Schloss ihr Schwager Joseph von Laßberg 1838 gekauft hatte. 1843 erwarb sie das oberhalb der Stadt in einem Weinberg gelegene „Fürstenhäuschen“. Seit Ende der 1830er Jahre verband sie enge Freundschaft mit dem um 17 Jahre jüngeren Levin Schücking, der sich 1841/42 in Meersburg als Bibliothekar betätigte. Die letzten Lebensjahre waren durch Krankheit („Auszehrung“) und die Trennung von Schücking überschattet.
Als erste Veröffentlichung erschien 1838 anonym der Band Gedichte. Die Slg. enthält u. a. drei Versepen bzw. -erzählungen: Das Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard (E ab 1828) schildert die Rettung eines alten Sennen und seines Enkels, die auf dem Weg über den Pass von einem Schneesturm überrascht wurden. Des Arztes Vermächtnis (E 1834) handelt vom Ursprung der seelischen Verdüsterung eines Arztes: Er war in seiner Jugend zu dem sterbenden Anführer einer Räuberbande im Böhmerwald geholt worden; auf dem Rückweg wurde er Zeuge der Ermordung der Geliebten des Toten und dadurch Mitwisser eines in spukhaftes Grauen gehüllten Verbrechens. Thema des „westfälischen Epos“ Die Schlacht im Loener Bruch ist ein Ereignis aus dem Dreißigjährigen Krieg, die Niederlage des von der kath. Liga abgefallenen „tollen Herzogs“ Christian von Braunschweig gegen Tilly am 6. 8. 1623 auf einem Heidefeld bei Münster; die Kritik warf dem Werk nach Bekanntwerden der Verfasserschaft eine „allzu männliche Neigung zu Krieg und Schlachtgetümmel“ vor. Die Novelle Die Judenbuche (1842) stand im Zusammenhang des Plans einer ganzen Reihe von westfälischen Erzählungen, der jedoch unausgeführt blieb. Die vermehrte Neuauflage der Slg. Gedichte (1844) enthält das balladenhafte Versepos Der Spiritus familiaris des Rosstäuschers. Ein Bund mit dem Teufel wird schließlich durch göttliche Gnade gelöst.

Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen. Novelle, E 1837–41, V 1842.
Zugrunde liegt eine wahre Begebenheit aus der 2. Hälfte des 18. Jh.s, die August von Haxthausen, der Onkel der Dichterin, nach Gerichtsakten aufgezeichnet hat: Geschichte eines Algierer Sklaven (1818).
Im Mittelpunkt steht Friedrich Mergel, der Sohn eines Säufers und Holzdiebs, der eines Nachts tot aufgefunden wird. Durch seinen Onkel Simon gerät Friedrich in das Milieu der Wilderer und Holzfrevler; er wird mitschuldig an der Ermor­dung eines Försters. Den Makel seiner Herkunft kompensiert er durch Prahlerei, Wagemut und Tücke. Als ihn bei einem Tanz Aaron durch die Forderung einer Restschuld bloßstellt, erschlägt er den Juden und flieht mit seinem Gefährten Johannes Niemand. Alle diese Verbrechen ereignen sich im Brederholz. Hier befindet sich eine Buche, unter der Aarons Stab gefunden wird. Die Juden der Umgegend kaufen den Baum und hauen in seine Rinde die Worte: „Wenn du dich diesem Ort nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.“ Nach 28 Jahren kehrt Friedrich (als Johannes) verkrüppelt aus türk. Sklaverei zurück. Vom Brederholz angezogen, erhängt er sich an der „Judenbuche“.
Wesentlich ist (im Vergleich zur Vorlage) die Erweiterung der Vorgeschichte des Judenmords und dessen Sühne. So rückt das Motiv der Magie jenes in den Baum eingehauenen Fluches aus dem Handlungszentrum. Die Entwicklung Friedrichs tritt als Resultat eines in düsteren Naturbildern widergespiegelten sozialen Klimas in Erscheinung, in dem Vergehen nicht auf gesetzlichem Wege bekämpft werden, sondern „in stets neuen Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten“. Das Interesse richtet sich nicht auf die äußere Handlung (Hauptereignisse wie die Bloßstellung Friedrichs und der Mord an Aaron werden indirekt geschildert), sondern auf Friedrichs „arm verkümmert Sein“.

Lyrik. Den Ausgangspunkt bildete die (zunächst nicht für eine Veröffentlichung gedachte) Gestaltung religiöser Themen.
Die Erfahrung mangelnder Geborgenheit wurde durch die Hinwendung zur Natur gemildert, jedoch nicht aufgehoben. Selbst in den beseligten Ausdruck des Umfangenseins von den elementaren Sinneseindrücken des Naturerlebens mischt sich der Gedanke an den Tod: „Süße Ruh, süßer Taumel im Gras, / Von des Krautes Arome umhaucht, / Tiefe Flut, tief tief trunkene Flut, / Wenn die Wolke am Azur verraucht / (…) Liebe Stimme säuselt und träuft / Wie die Lindenblüt auf ein Grab“ (Im Grase). Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße Fortführung der Vergänglichkeitsthematik alles Irdischen, sondern um das Ringen mit einem als schuldhaft empfundenen Verlangen nach ungebrochener Kreatürlichkeit. Der Mond ist, „was dem kranken Sänger sein Gedicht, / Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht!“ (Mondesaufgang). Die innere Verbindung mit den Natureindrücken gewinnt in Vergleichen (der Weiher „liegt so still im Morgenlicht/So friedlich wie ein fromm Gewissen“), Metaphern und Allegorien Gestalt, doch heben Reflexionen den Einklang wieder auf. Innere und äußere Geschlossenheit besitzt die Beschreibung des kleinen Details; unter diesem Aspekt besteht eine gewisse Beziehung zum Biedermeier. Kühne Wortbildungen und moderne Vergleichsgegenstände („es beginnt zu ziehn / Gleich Bildern von Daguerre die Decke lang“, Durchwachte Nacht) verwehren jedoch Behaglichkeit. In den Balladen gewinnt die Schilderung der Naturerscheinungen dramatische Funktion, etwa als Verkörperung der Bedrohung („O schaurig ist’s übers Moor zu gehn, / Wenn es wimmelt vom Heiderauche“, Der Knabe im Moor) oder als Szenerie eines blutigen Geschehens: „Wie dämmerschaurig ist der Wald /An neblichten Novembertagen, / Wie wunderlich die Wildnis hallt / Von Astgestöhn und Windesklagen!“ (Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln).


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009