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Brecht, Bertolt (eigtl. Eugen Berthold Friedrich B.)

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* 10. 2. 1898 in Augsburg
† 14. 8. 1956 in Ost-Berlin


1953 siegte Politik über Kunst: Nach dem Volksaufstand am 17. Juni veröffentlichte die DDR-Presse von einem kritischen Brief Brechts an Ulbricht lediglich die abschließende „Ergebenheitsadresse“, worauf in der B. D. zum Boykott des Dramatikers aufgerufen wurde. Zwei Jahre später bestätigte das Internationale Theaterfestival in Paris den Weltrang des (parteilosen) Kommunisten: Das Programm trug die Überschrift „Hommage à Brecht“ und würdigte ein Lebenswerk im Dienst der Erneuerung des künstlerischen und damit auch gesellschaftlichen Bewusstseins.
Der Sohn eines schließlich zum Direktor einer Papierfabrik aufgestiegenen Kaufmanns studierte 1917–21 in München Medizin und Literatur, 1918 unterbrochen durch den Einsatz als Sanitätshelfer; 1920/21 verfasste er Theaterkritiken für die Augsburger Zeitung der USPD. Als erstes Drama kam 1922 in München das Heimkehrer-Stück Trommeln in der Nacht zur Aufführung, für das Brecht mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. 1923 folgten die Uraufführungen von Im Dickicht der Städte und dem expressionistischen Erstlingswerk Baal. 1924 ließ Brecht sich in Berlin nieder. Ausgehend von der Kritik am bestehenden Theaterbetrieb und in engem Zusammenhang mit seiner als Publizist entwickelten Gesellschaftskritik, erarbeitete er Theorie und Praxis des „epischen Theaters“. Es zielt darauf ab, den Zuschauer durch verfremdende Mittel („V-Effekt“, z. B. Heraustreten des Schauspielers aus seiner Rolle, Songs, Texttafeln) in ein kritisch-beobachtendes Verhältnis zum Bühnengeschehen zu versetzen („Glotzt nicht so romantisch!“). Die auf der Bühne vorgezeigten Verhaltensweisen sollen als gesellschaftlich bedingt und daher veränderbar erkannt werden. Die intensive Beschäftigung mit dem Marxismus (ab 1926) führte ihn zur Form des „Lehrstücks“ (bestimmt zur Aufführung in Betrieben und auf Parteiversammlungen) mit dem zentralen Thema der Voraussetzungen eines angemessenen kollektiven Handelns. Zu Brechts eigenem „Kollektiv“ gehörten Elisabeth Hauptmann und der Bühnenbildner Caspar Neher. Außerordentlichen Erfolg erlangte 1928 Die Dreigroschenoper (nach John Gays „The Beggar’s Opera“, 1728) mit der Musik von Kurt Weill. Bei den Lehrstücken arbeitete Brecht mit dem Komponisten Hanns Eisler zusammen (Die Maßnahme, 1930). 1932 inszenierte er seine Dramatisierung des Romans Die Mutter von Maxim Gorki; die Titelrolle spielte Helene Weigel (1900–71), die Brecht 1928 in zweiter Ehe geheiratet hatte. Ab 1930 erschienen in der Heftreihe „Versuche“ u. a. Anmerkungen zu eigenen Stücken und deren Aufführung. Neben den Bühnenliedern entstanden eigenständige Gedichte (Hauspostille, 1927) sowie parabelhafte Erzählungen (Geschichten vom Herrn Keuner, ab 1930).
1933 emigrierte Brecht mit seiner Familie über Prag und die Schweiz nach Dänemark (Svendborg), 1940 nach Finnland, 1941 über Moskau in die USA (Santa Monica bei Hollywood). Vom Theater zunächst abgeschnitten, arbeitete er als Romancier (Dreigroschenroman, 1934), Lyriker (Svendborger Gedichte, 1939), Essayist (Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, 1934) und philosophisch-wissenschaftlicher Erzähler (Me-ti/Buch der Wendungen). 1936 gehörte Brecht zu den Gründungsherausgebern der in Moskau erscheinenden Zeitschrift „Das Wort“, in der 1937/38 die „Expressionismusdebatte“ geführt wurde. 1938–45 entstanden die Dramen, von denen drei während des Krieges in Zürich uraufgeführt wurden: 1941 Mutter Courage und ihre Kinder (Musik Paul Dessau), 1943 Der gute Mensch von Sezuan und Leben des Galilei. In den Dialogen Der Messingkauf (E 1939/40, V 1963) klärte Brecht seine Konzeption des „epischen“ bzw. „didaktischen Theaters“.
1947 wurde Brecht vom antikommunistischen „Committee of Un-American Activities“ vernommen; kurz darauf verließ er die USA. Über die Schweiz (1948 in Chur Uraufführung der Antigone-Bearbeitung) und Prag kehrte er nach Ost-Berlin zurück. 1949 gründete er gemeinsam mit Helene Weigel das „Berliner Ensemble“, das 1954 das Theater am Schiffbauerdamm bezog. Im 1949 erschienenen Kleinen Organon für das Theater entfaltete Brecht thesenartig die Vielfalt der Aspekte eines Theaters, das zwischen Belehrung und Vergnügen vermittelt: „Wie die Umgestaltung der Natur, so ist die Umgestaltung der Gesellschaft ein Befreiungsakt, und es sind die Freuden der Befreiung, welche das Theater eines wissenschaftlichen Zeitalters vermitteln sollte.“ Anlässlich seiner Inszenierung des Stücks Katzgraben von Erwin Strittmatter entwickelte er 1953 in den Katzgraben-Notaten eine explizit sozialistische, gegen „banale Durchidealisierung“ gerichtete Dramaturgie. Brechts Arbeit galt nun vor allem den Modellinszenierungen eigener und fremder Stücke (Der Hofmeister von J. M. R. Lenz, Der Biberpelz und Der rote Hahn von Hauptmann). Brechts Funktion als kulturpolitischer Repräsentant (Staatspreis der DDR 1951) schloss Spannungen mit der SED nicht aus; so drohte dem Träger des Internationalen Stalin-Friedenspreises 1954 im folgenden Jahr das Verbot seiner als einseitig pazifistisch kritisierten Kriegsfibel.

Gedichtbände: Hauspostille (1927, als Taschenpostille 1926), Aus einem Lesebuch für Städtebewohner (1930 in Versuche, Heft 2), Lieder, Gedichte, Chöre (1934), Svendborger Gedichte (1939), Buckower Elegien (Auswahl 1953, als Slg. 1961). – Erzählungen, Romane, Prosa: Dreigroschenroman (1934), Me-ti/Buch der Wendungen (ab 1934), Der Tui-Roman (ab 1934), Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar (E 1937–39, V 1957, Verf Italien 1972 Jean-Marie Straub und Daniele Huillet), Kalendergeschichten (1949; darin Die unwürdige Greisin, E 1939, Verf Frankr. 1964 René Allio), Flüchtlingsgespräche (E 1940/41, V 1961). – Dramen: Baal (E 1918–20, V 1920, U 1923, 5. Fassung 1955, Vert 1981 Friedrich Cerha), Trommeln in der Nacht (E 1919, U 1922), Im Dickicht der Städte (E 1921–24, 1. Fassung U 1923), Mann ist Mann (E 1924–26, U 1926), Die Dreigroschenoper (1928, Verf Dtl./USA 1930/31 G. W. Pabst, B. D./Frankr. 1963 Wolfgang Staudte), Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (E 1928/29, U 1930), Das Badener Lehrstück vom Einverständnis (1929), Der Jasager und Der Neinsager (E 1929–31, 1. Fassung Der Jasager U 1930), Die Maßnahme (1930), Die Mutter (E 1931, U 1932), Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (E 1931–1934, U 1936), Furcht und Elend des Dritten Reiches (E 1935–1938, Teil-U 1938, U 1948), Die Gewehre der Frau Carrar (1937), Herr Puntila und sein Knecht Matti (E 1940, U 1948, Verf Österr. 1955 Alberto Cavalcanti), Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (E 1941, V 1957, U 1958), Die Gesichte der Simone Machard (E 1941–43, U 1957), Schweyk im Zweiten Weltkrieg (E 1941–44, U 1957, V 1959), Die Tage der Commune (E 1948/49, U 1956), Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher (E 30er Jahre bis 1954, V 1967, U 1968). – Hörspiele: Der Flug der Lindberghs (1929, später: Der Ozeanflug), Das Verhör des Lukullus (E 1939, als Oper mit der Musik von Paul Dessau U 1951, 2. Fassung als Die Verurteilung des Lukullus U 1951). – Drehbücher: Kuhle Wampe (1932, Regie Slatan Dudow), Hangmen also die! (Auch Henker sterben, 1943, Regie Fritz Lang).

„Das moderne Theater ist das epische Theater und die Dreigroschenoper ist ein Versuch im epischen Theater.“ Mit diesen programmatischen Worten distanziert sich Brecht vom tradierten, sogenannten dramatischen, aristotelischen Theater. Dem epischen, anti-aristotelischen Theater geht es weder um Einfühlung beziehungsweise Identifikation des Publikums mit den handelnden Akteuren noch um die sogenannte Katharsis, also die Reinigung von Affekten durch das Erwecken von Furcht und Mitleid beim Zuschauer. Vielmehr soll – auch vermittelt über eine versetzte, verhüllte, verwandelte, verfremdete Szenerie – sowohl der Zuschauer als auch der Schauspieler selbst eine kritische Distanz zum Geschehen bzw. zur jeweiligen Rolle wahren, um jederzeit in eine Szene, die im Verständnis von Brecht nichts anderes als eine „Versuchsanordnung“ darstellt, eingreifen zu können. Das epische Theater zielt nicht auf Gefühle, sondern will das Bewusstsein des Zuschauers verändern, das epische Theater ist nicht mehr ein Illusionstheater, sondern bedeutet Desillusionierung (Verfremdungseffekt).

Brechts „Dreigroschenoper“ wurde am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführt. Das „Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern“ geriet, wohl nicht zuletzt aufgrund der Musik von Kurt Weill, zu einem Welterfolg. Lieder wie „Die Moritat von Mackie Messer“ oder der „Kanonen-Song“ sind mittlerweile Evergreens.
Brecht zum Titel der Oper: „Sie werden jetzt eine Oper hören. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie 'Die Dreigroschenoper'.“
Das Stück handelt von dunklen, zwielichtigen Gestalten, sogenannten „Geschäftsleuten“, die in den 1920er Jahren im Londoner Stadtteil Soho Revierkämpfe austragen. Jonathan Jeremiah Peachum, Boss der Londoner Bettelmafia und Besitzer der Firma „Bettlers Freund“, und der Gangsterkönig Macheath, genannt Mackie Messer, der über beste Beziehungen zur Londoner Polizei bzw. zu „Tiger“ Brown, oberster Polizeichef von London, verfügt, geraten aneinander. Mackie Messer nämlich heiratet Polly Peachum, die Tochter des Bettlerkönigs, und zwar ohne Einwilligung ihres Vaters. Als Peachum von der Hochzeit erfährt, verrät er Mackie an die Polizei. Mackie flieht in ein Hurenhaus. Die Huren verraten ihn und sie befreien ihn auch wieder. So geht es eine Weile hin und her. Doch schlussendlich soll Mackie gehängt werden. Aber es kommt wie so oft im Leben anders als gedacht: Kurz vor der Hinrichtung erscheint plötzlich Polizeichef „Tiger“ Brown als berittener königlicher Bote und gibt bekannt, dass Mackie nicht nur begnadigt, sondern nunmehr in den Adelsstand erhoben wird.

Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Drama, E 1929/30, V und als Hörspiel 1932, U 1959.
In Chicago tobt ein Vernichtungswettbewerb unter den Produzenten von Büchsenfleisch. Er wird vom „Fleischkönig“ Mauler gelenkt, dessen Entscheidungen wiederum von seinen Wallstreet-Beratern abhängen. Die zum Stillstand gelangte Produktion nimmt Tausenden ihre ohnehin erbärmliche Arbeit. Auf der Suche nach den Ursachen des Elends stößt Johanna Dark, Leutnant bei den „Schwarzen Strohhüten“ (Heilsarmee), auf Mauler. Seine Bereitschaft, die Produktion wieder anzukurbeln, geht scheinbar auf ihren Einfluss zurück. Aus der Gemeinschaft der „Schwarzen Strohhüte“ ausgeschlossen, reiht sich Johanna in das Heer der Arbeitslosen ein. Doch durch ihre Unwissenheit wird sie mitschuldig daran, dass ein Generalstreik niedergeschlagen wird. Das Bekenntnis der sterbenden Johanna, die als „Trösterin der Armen“ zur Heiligsprechung vorgesehen wird, dass, „wo Gewalt herrscht, nur Gewalt hilft“, wird von den Chören der inzwischen geschäftlich verbundenen „Schwarzen Strohhüte“ und Fleischproduzenten lauthals übertönt.
Das Drama steht im Zusammenhang der „Lehrstücke“. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise exemplifiziert es die Mechanismen des Kapitalismus und deren ideologische Verschleierung: „Wehe! Ewig undurchsichtig/Sind die ewigen Gesetze/Der menschlichen Wirtschaft!“ Zu den Gestaltungsmitteln gehört die dis­tanzierende sprachliche Überhöhung (Blankverse) bis hin zur Nachahmung bzw. Aktualisierung von Versen Hölderlins in dessen Schicksalslied: „Den Preisen nämlich/War es gegeben, von Notierung zu Notierung zu fallen / Wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen / Tief ins Unendliche hinab. Bei dreißig erst hielten sie.“ Die Vorbemerkung interpretiert die kulturgeschichtlichen Bezüge: Dargestellt ist „die heutige Entwicklungsstufe des faustischen Menschen“.

Furcht und Elend des Dritten Reiches. Drama in 24 Szenen, E 1935 bis 1938, V 1938, Teil-U 1938, amerikan. U (u. d. T. The Private Life of the Master Race) 1945.
Die 24 Szenen sind im Zeitraum 1933–38 angesiedelt, ihre Schauplätze über ganz Dtl. verstreut. Einleitende Verse geben die jeweilige Personengruppe an, deren Verhalten zur (auf Augenzeugenberichte und Zeitungsnotizen gestützten) Darstellung kommt: SA- und SS-Leute, Juristen, Mediziner, Naturwissenschaftler, Arbeiter, aus dem KZ Entlassene, Bauern und Kleinbürger. Aus zumeist kurzen Dialogen entwickelt sich das Bild eines Volkes, in dem unter dem Druck des nationalsozialistischen Terrors Furcht, gegenseitiges Misstrauen selbst unter den KZ-Gefangenen, Verrat herrschen: Kinder bespitzeln ihre Eltern, Eltern liefern ihre Kinder der Polizei aus. Der Endpunkt wird der Krieg sein, auf den die Machthaber hinarbeiten – als akustische Verbindung der Szenen dient das Rollen von Panzerketten.

Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg. Drama in 12 Bildern, E 1939, U 1941, V 1949, Verf DDR 1960.
Die Titelgestalt, die Marketenderin Anna Fierling, genannt „Mutter Courage“, entnahm Brecht dem Roman Trutz Simplex (1670) über die „Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche“ von Grimmelshausen. Die Handlung reicht vom Frühjahr 1624 bis zum Januar 1641; die Schauplätze liegen in Schweden, Polen, Sachsen und Bayern. Die Courage zieht mit ihrem Wagen und ihren drei Kindern, den Söhnen Eilif und Schweizerkas und der stummen Kattrin, von einem Kriegsschauplatz zum anderen. In Schweden lässt sich Eilif als Soldat anwerben. Zwei Jahre später begegnen sich Mutter und Sohn wieder: Dieser wird vom Feldhauptmann dafür ausgezeichnet, dass er vier Bauern, die ihren Besitz verteidigen wollten, umgebracht hat; am nun fälligen Festessen verdient die Courage. Ihr Sohn Schweizerkas wird erschossen; er hat sich nach der Eroberung des Lagers geweigert, die ihm anvertraute Regimentskasse herauszugeben, und die Courage hat beim Versuch, die Richter zu bestechen, zu lange über die Höhe der Bestechungssumme verhandeln lassen. Um sich selbst zu schützen, muss sie ihren toten Sohn verleugnen. Kattrin wird, als sie aus der Stadt Waren bringt, überfallen und misshandelt. Hier, am Ende des 6. Bildes, verflucht die Courage den Krieg. Doch schon das nächste Bild beginnt mit dem Bekenntnis der „auf der Höhe ihrer geschäftlichen Laufbahn“ angelangten Händlerin: „Ich laß mir den Krieg von euch nicht madig machen. Es heißt, er vertilgt die Schwachen, aber die sind auch hin im Frieden. Nur, der Krieg nährt seine Leut besser.“ Der Tod Gustav Adolfs scheint den Krieg zu beenden, und die Courage beeilt sich, ihre Waren loszuschlagen. Währenddessen wird Eilif, der trotz des Friedens erneut Bauern „gelegt“ hat, hingerichtet. Die Courage wird bettelarm. Ein Koch, der sich ihr angeschlossen hat, bietet ihr an, gemeinsam in Utrecht eine Schenke zu führen, die er geerbt hat, allerdings ohne die verunstaltete Kattrin; die Courage bleibt bei ihrer Tochter. Während der Vorbereitung eines nächtlichen Überfalls auf Halle weckt Kattrin mit einer Trommel die Stadt und wird erschossen. Allein zieht die Courage hinter einem Regiment her. Brecht musste sich mit Missverständnissen und Kritik verschiedener Herkunft auseinandersetzen: Mit der Auffassung, das Stück handle, als „Niobetragödie“, von „der erschütternden Lebenskraft des Muttertiers“ einerseits, mit der Frage andererseits: Wie können wir das dt. Volk „aus seinem Fatalismus aktivieren gegen einen neuen Krieg? Und da hätte ich mir die ‚Courage‘ noch wirksamer gedacht, wenn ihr Wort ‚Verflucht sei der Krieg!‘ zum Schluss (wie bei der Kattrin) bei der Mutter einen sichtbaren Handlungsausdruck, eine Konsequenz dieser Erkenntnis gewonnen hätte“ (F. Wolf). Brecht ­antwortete: „Dem Stückschreiber obliegt es nicht, die Courage am Ende sehend zu machen – (…), ihm kommt es darauf an, daß der Zuschauer sieht.“ Diesem Ziel dient neben dem Verzicht auf eine dem Zuschauer vorexerzierte Einsicht die konsequente Anwendung von Gestaltungsmitteln des „epischen Theaters“, z. B. einleitende Zusammenfassung des Inhalts der einzelnen Szenen (Projektionen), um das Interesse vom „Was“ auf das „Wie“ zu lenken, und Songs.

Leben des Galilei. Drama in 15 bzw. 14 Bildern. Das Stück besitzt drei Fassungen: Der 1938/39 entstandenen Erstfassung (U 1943) folgte eine mit dem Schauspieler Charles Laughton erarbeitete amerikan. Zweitfassung (1945–47, U 1947), dritte Fassung für das „Berliner Ensemble“ (1954–56, U 1957).
Den Anstoß zur Dramatisierung des Lebens des Mathematikers, Astronomen und Physikers Galileo Galilei (1564 bis 1642) gab die Nachricht von der ersten Spaltung von Uranatomkernen (Otto Hahn) 1938. Brecht erkannte darin den Beginn eines zunächst neuen wissenschaftlichen Zeitalters, in seiner Bedeutung der „kopernikanischen Wende“ des 16. Jh.s (nicht die Erde, sondern die Sonne ist der Mittelpunkt des Sonnensystems) vergleichbar. Der Durchsetzung der Erkenntnisse des Kopernikus war u. a. Galileis wissenschaftliche Arbeit gewidmet.
Die Handlung reicht von 1609 bis 1642, beginnend mit dem Bekenntnis des in Padua tätigen Forschers: „Die alte Zeit ist herum, und es ist eine neue Zeit. Bald wird die Menschheit Bescheid wissen über ihre Wohnstätte, den Himmelskörper, auf dem sie haust. Was in den alten Büchern steht, genügt ihr nicht mehr.“ Um seine finanziellen Probleme zu lösen, gibt er die holländ. Erfindung des Fernrohrs als seine eigene aus. Mit der Entdeckung der Jupitermonde gelingt ihm ein entscheidender Beweis für das von Kopernikus theoretisch entwickelte Weltbild. Der Versuch, durch seine Entde­ckung eine Anstellung am Hof in Florenz zu erhalten, scheitert am Widerstand der Gelehrten. 1616 bestätigt zwar das vatikan. „Collegium Romanum“ Galileis Entdeckung, doch setzt zugleich die Inquisition die Lehre des Kopernikus auf den Index, sodass Galilei zum Schweigen verurteilt ist. Acht Jahre später ermutigt der Regierungsbeginn des wissenschaftlich gebildeten Papstes Urban VIII. Galilei zur Fortsetzung seiner Forschungen, die neuen Erkenntnisse werden populär (Maskentreiben des 10. Bildes). 1633 zitiert ihn die Inquisi­tion nach Rom; der Papst gestattet, Galilei zumindest die Folterinstrumente zu zeigen; Galilei widerruft. Von seinen enttäuschten Freunden und Schülern geschmäht und verlassen, verbringt er die letzten Lebensjahre als Gefangener der Kirche in seinem Haus. Das 14. Bild zeigt die Begegnung mit dem Lieblingsschüler Andrea Sarti, der im Begriff ist, nach Holland zu emigrieren. Ihm vertraut Galilei an, dass er heimlich seine „Discorsi“ über Mechanik und Fallgesetze verfasst hat; Sarti erhält die Abschrift, um sie ins Ausland zu bringen.
Die drei Fassungen des Stücks unterscheiden sich vor allem in der Bewertung, die Galilei seinem Widerruf gibt. Bestätigt ihm Sarti in der Erstfassung, dass er, die Obrigkeit täuschend, „auch auf dem Gebiet der Ethik (…) um Jahrhunderte voraus“ war, so klagt sich Galilei in der zweiten Fassung an: „Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden.“ Brecht selbst begründete diese in der dritten Fassung noch verstärkte Umdeutung Galileis zu einem „negativen Helden“: „Das ‚atomarische‘ Zeitalter machte sein Debüt in Hiroshima in der Mitte unserer Arbeit. Von heut auf morgen las sich die Biographie des Begründers der neuen Physik anders.“ Den epischen Abstand zum Geschehen auf der Bühne unterstützen disputartige Dialoge. Sie fordern zur eigenen Stellungnahme heraus.

Der gute Mensch von Sezuan. Ein Parabelstück. E 1938–40, U 1943, V 1953.
Da der Himmel „sehr beunruhigt (ist) ­wegen der vielen Klagen, die zu ihm aufsteigen“, haben sich drei Götter auf die Erde begeben, um nach „guten Menschen“ Ausschau zu halten. In der Hauptstadt der Provinz Sezuan werden sie von dem armen Wasserverkäufer Wang empfangen. Vergeblich bittet er bei seinen Mitbürgern um ein Nachtlager für die „Erleuchteten“; nur das Straßenmädchen Shen Te ist bereit, ihre Kammer zur Verfügung zu stellen. Die am anderen Morgen erbetene Entlohnung reicht aus, um einen Tabakladen zu kaufen. Doch Shen Tes Gutmütigkeit zieht scharenweise Schmarotzer an, die sie zu ruinieren drohen. Shen Te verwandelt sich in ihren angeblichen Vetter Shui Ta, der mit harter Hand Ordnung schafft. Erneut gerät Shen Te in Schwierigkeiten, als sie sich in den arbeitslosen Flieger Yang Sun verliebt. Für ihn nimmt sie Kredite auf und ist bereit, ihren Laden wieder zu verkaufen. Shui Ta findet jedoch heraus, dass es dem Geliebten nur um Shen Tes Geld geht; die Hochzeit findet nicht statt. Mit gestohlenen Tabakballen gründet Shui Ta eine durch Hungerlöhne gewinnbringende Tabakfabrik. Inzwischen erhebt sich der Verdacht, dass der rücksichtslose „Vetter“ Shen Te umgebracht hat. Vor Gericht, dem die drei Götter vorsitzen, enthüllt Shen Te ihre Doppelrolle: „Euer einstiger Befehl, / Gut zu sein und doch zu leben / Zerriß mich wie ein Blitz in zwei Hälften.“ Der Epilog („Den Vorhang zu und alle Fragen offen“) fordert auf: „Verehr­tes Publikum, los, such dir selbst den Schluß! / Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!“ Die Richtung, in der eine Antwort zu suchen ist, deutete Brecht in einer späteren Vorbemerkung im Hinblick auf die VR China an: „Die Provinz Sezuan der Fabel, die für alle Orte stand, an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden, gehört heute nicht mehr zu diesen Orten.“

„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ ist ein antifaschistisches Gangsterstück, das Brecht 1941 im finnischen Exil verfasst hat. Die Hoffnung, das Stück in den USA, wo Brecht im Juli 1941 eintraf, uraufführen zu können, erfüllte sich nicht. Erst nach Brechts Tod (1956) erfolgte die Uraufführung: 1958 am Stuttgarter Theater.
Die siebzehn Szenen des Stücks folgen in ihrem Aufbau und Zusammenspiel Brechts Konzept vom epischen Theater (vgl. Verfremdung als Stilmittel mit dem Ziel, das Publikum aus klischeehaften Sprach-, Denk- und Interpretationsgewohnheiten herauszureißen). In einer (politischen) Parabel werden Arturo Uis bzw. Adolf Hitlers (bzw. Al Capones) Aufstieg und schlussendlich die Machtergreifung dargestellt. Brecht: „Ui […] ist ein Versuch, der kapitalistischen Welt den Aufstieg Hitlers dadurch zu erklären, daß er in ein ihr vertrautes Milieu versetzt wurde.“ Brecht will durch dieses gezielte „Versetzen“ in andere Milieus, durch die Verfremdung der Personen (z. B. wird Hitler zu einem schlichten Gangster wie etwa Al Capone verwandelt, verfremdet) Masken herunterreißen und den direkten, kausalen Zusammenhang zwischen Ideologie, Politik, Wirtschaftssystem und Faschismus deutlich, geradezu anschaulich machen. Brecht: „Verhüllung dient zur Enthüllung.“
Arturo Ui, ein kleiner Gangster in Chicago zur Zeit der Prohibition (bzw. Nazi-Deutschland), strebt das Monopol über den Gemüsehandel an. Die Geschäfte gehen schlecht. Ui benötigt dringend Unterstützung bzw. Geld. Sein Leutnant/Partner Roma (bzw. Ernst Röhm) favorisiert Gewalt als Mittel dafür, die Ladenbesitzer zur Schutzgeldzahlungen zu bewegen. Doch Ui hat Angst vor der Polizei und wählt lieber eine sichere Variante: Er erpresst von dem in dunkle Geschäfte verwickelten und damit korrumpierten Politiker Dogsborough (bzw. Paul von Hindenburg) eine Bürgschaft zum Erhalt öffentlicher Geldmittel. Darüber hinaus heuert Ui den Schauspieler Givola (bzw. Joseph Goebbels) an, um von ihm die rhetorischen Tricks zu lernen, mit denen es gelingen kann, gegenüber großen Menschenmengen besonderen Eindruck zu schinden. Als ein Gemüsehändler schließlich wagt, gegen die Schutzgeldzahlungen aufzumucken, brennt kurze Zeit später sein Speicher (vgl. Reichstagsbrand). Im anschließenden „Speicherbrandprozess“ (bzw. Reichstagsbrandprozess) zeigt sich, dass Ui bereits Herr des Verfahrens ist. Er hat alle notwendigen Maßnahmen für seine Sicherheit getroffen, er hat das Gericht, die Presse und alle Zeugen gekauft oder in Angst versetzt, kurz, unter seine Fittiche, unter seine Aufsicht gebracht. Selbst den blutigen Konkurrenzkampf unter seinen Vasallen weiß Ui für die Realisierung seiner Machtpläne zu nutzen.
Brecht verfolgt in „Arturo Ui“ Hitlers politische Karriere bis zum Jahr 1938. In einer nach dem Kriegsende erfolgten Nachbearbeitung des Stücks schreibt Brecht in den Epilog die mittlerweile berühmten Worten ein: „Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert. […] Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Der kaukasische Kreidekreis. Drama in 6 Bildern, E 1944/45, amerikan. U 1948, V 1949, dt. U 1954.
Zugrunde liegt eine von Klabund (eigtl. Alfred Henschke) 1925 dramatisierte chines. Sage (Der Kreidekreis), die Brecht 1940 als Erzählung bearbeitet hat (Der Augsburger Kreidekreis). Das Drama verbindet die Sage mit zwei anderen Themen: der Geschichte des Richters Azdak und einer nach dem II. Weltkrieg im Kaukasus angesiedelten Auseinandersetzung darüber, ob ein Tal den ehemaligen Dorfgemarkungen zugeschlagen oder als Kolchosebesitz Teil einer großen Bewässerungs­anlage werden soll. Der Streit um das Tal (1. Bild) endet mit dem Sozialisierungsbeschluss. Nun führen Kolchosemitglieder das Stück Der Kreidekreis auf.
Im Mittelpunkt steht die Magd Grusche. Sie rettet bei einem Aufstand das von seiner flüchtenden Mutter zurückgelassene Kind des Gouverneurs. Die 5. Szene handelt vom Dorfschreiber Azdak, dem die revoltierenden Soldaten das Richteramt übertragen; er übt es als „Armeleuterichter“ aus und schafft so eine kurze „Goldne Zeit beinah der Gerechtigkeit“. Beide parallelen Handlungsstränge laufen im 6. Bild zusammen. Die Gouverneursfrau hat um des Erbes willen ihr Kind suchen lassen. Azdak muss entscheiden, wer die wirkliche Mutter ist. Die Gouverneursfrau und Grusche sollen das Kind aus einem Kreidekreis zu sich ziehen; Grusche erweist sich, indem sie loslässt, als die „Mütterliche“ und erhält das Kind.
Die Analogie zwischen dieser Entscheidung und jener für die Sozialisierung des Tales geben die Schlussverse zu erkennen: „Daß da gehören soll, was ist, denen, die für es gut sind, also / Die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen / (…) Und das Tal den Bewässerern, damit es Frucht bringt.“ Das Stück über das neue sozialistische Verständnis von Besitz und Gerechtigkeit zeigt zugleich eine Fülle von Gestaltungsmitteln des „epischen Theaters“ (beispielsweise die Funktion des Sängers, der das „Spiel im Spiel“ kommentiert).

Geschichten vom Herrn Keuner. Brecht veröffentlichte seine ersten Keuner-Geschichten 1930 in Heft 1 der „Versuche“; weitere folgten in den Heften 5 (1932) und 12 (1953); sie sind auch in den Kalendergeschichten (1949) enthalten. Die mitunter auf ein oder zwei Sätze reduzierten Geschichten zeigen Verhaltensweisen, die zum Vergleich mit herrschenden Normen herausfordern. Ein Grundmotiv ist die Notwendigkeit der Veränderung: „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.‘ ‚Oh!‘ sagte Herr K. und erbleichte.“

Lyrik. Brechts Lyrik umfasst die Gedichte, Lieder, Songs der Dramen und die Texte der Gedichtbände. Grund­sätzlich besteht jedoch kein Gegensatz, da die „Gedichte und Lieder aus Stücken“ (erste Slg. 1963) durch ihre Selbstständigkeit innerhalb der Stücke gekennzeichnet sind. Nach expres­sio­nistischen Anfängen entwickelte Brecht seine Konzeption der „Gebrauchslyrik“.
Zu der ihm eigenen Form des dialektischen Gedichts fand Brecht im „Kinderlied“ Der Schneider von Ulm. Ulm 1592 (in Svendborger Gedichte, 1939): Die Schluss­verse der 2. Strophe („Es wird nie ein Mensch fliegen/Sagte der Bischof den Leuten“) fordern den Widerspruch des Lesers heraus. Dieselbe Slg. enthält die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration (Exilsituation) und die Fragen eines lesenden Arbeiters (Ge­schichts­betrachtung „von unten“). Im amerikan. Exil entstan­den Gedichte wie: Hollywood: „Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen/Gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden./ Hoffnungsvoll/ Reihe ich mich zwischen die Verkäufer“.
Die Lyrik der letzten Jahre kennt Skepsis: „Ich sitze am Straßenrand / Der Fahrer wechselt das Rad. / Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. / Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. / Warum sehe ich den Radwechsel /­ Mit Ungeduld?“ (Buckower Elegien, 1953).


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009