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Lessing, Gotthold Ephraim

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* 22. 1. 1729 in Kamenz (Lausitz)
† 15. 2. 1781 in Braunschweig


Zur Wirkungsgeschichte Lessings, des aus Heines Sicht zweiten dt. Befreiers nach Luther, gehörte der Versuch, ihn nachträglich in die spätfeudalistische Gesellschaft des 18. Jh.s zu integrieren. Diese von Heinrich von Treitschke entworfene und von Franz Mehring als Reflex der Selbstaufgabe des freiheitlich gesinnten Bürgertums analysierte „Lessing-Legende“ sieht Lessing und Friedrich II. von Preußen „dicht nebeneinander auf demselben Wege: den Künstler, der unserer Dichtung die Bahn gebrochen, und den Fürsten, mit dem das moderne Staatsleben der Deutschen beginnt“ (Treitschke, 1863). Demgegenüber betonte Bundespräsident Gustav Heinemann als Lessing-Preisträger des Jahres 1974 die an Lessing erkennbare Zusammengehörigkeit von „Aufklärung, Widerspruch und Anstoß“, die „allesamt Kinder der Freiheit“ sind.
Der Sohn eines Pfarrers besuchte die Fürstenschule in Meißen und studierte in Leipzig 1746–48 Theologie, Philosophie und Medizin. Zugleich wandte er sich dem Theater zu (Auseinandersetzung mit dem Vater über die Frage, „ob ein Theaterschriftsteller zugleich ein moralischer Mensch und guter Christ sein könne“): 1748 spielte die Neuber’sche Schauspieltruppe Lessings Lustspiel Der junge Gelehrte (eine Verspottung des Studenten, dessen Fleiß auf die Erlangung materieller Vorteile abzielt), 1749 das Lustspiel Die Juden (mit der Gestalt eines von einem Rezensenten als „unwahrscheinlich“ kritisierten, seinen christlichen Kontrahenten moralisch weit überlegenen Juden).
1748–1755 lebte Lessing als freier Schriftsteller in Berlin. 1751 erschien die Slg. Kleinigkeiten mit überwiegend anakreontischer Lyrik, 1753 der 1. Bd. der Schriften (6 Bde.) mit den seit 1747 in Zeitschriften veröffentlichten Fabeln (in Versen). Als Dramatiker schuf Lessing das bürgerliche Trauerspiel: Miss Sara Sampson (U, V 1755) handelt von der Vernichtung Sara Sampsons, der tugendhaften Geliebten des durch sie gewandelten Lebemannes Mellefont, durch ihre Rivalin, die Kurtisane Marwood; wegweisend wurde u. a. die Gestaltung von „gemischten Charakteren“. 1756 wollte Lessing als Begleiter eines Leipziger Kaufmannssohnes eine Englandreise antreten, die durch den Beginn des Siebenjährigen Kriegs scheiterte. Nach einem Aufenthalt in Leipzig ließ er sich 1758 erneut in Berlin nieder; gemeinsam mit Nicolai und dem jüd. Philosophen und Theologen Moses Mendelssohn (1729–86) verfasste er ab 1759 die Briefe, die neueste Literatur betreffend (bis 1765), deren 17. Brief eine Szene aus Lessings Faust-Fragment, Kritik an Gottsched und die Huldigung an das Genie Shakespeares enthält. 1761–65 stand Lessing in Breslau als Sekretär im Dienst des preuß. Generals Graf Tauentzien; Hauptwerke dieser Zeit sind die 1766 veröffentlichte kunsttheoretische Schrift Laokoon (Unterscheidung zwischen den spezifischen Gestaltungsmitteln von Literatur und bildender Kunst) und Minna von Barnhelm (U, V 1767). Als Mitarbeiter des Dt. Nationaltheaters in Hamburg verfasste Lessing 1767–69 die für die Entwicklung des bürgerlichen Theaters sowie der Literaturkritik grundlegende Hamburgische Dramaturgie.
Ab 1769 stand Lessing als Bibliothekar in Wolfenbüttel im Dienst der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg. 1772 kam anlässlich des Geburtstags der Herzogin Emilia Galotti zur Aufführung. 1775 bereiste Lessing als Begleiter des Prinzen Italien. 1776 heiratete er die verwitwete Eva König († 1778). In den Beiträgen zur Geschichte der Literatur aus der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel (ab 1773) veröffentlichte Lessing 1774 u. d. T. Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes die Schrift Von Duldung der Deisten. Fragmente eines Ungenannten, nämlich des Gymnasialprofessors Hermann Samuel Reimarus (1694–1768); 1777 folgte Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten. Auf die Angriffe des Hamburger Pfarrers Goeze, eines radikalen Vertreters der kirchlichen Orthodoxie, antwortete Lessing 1778 mit der Streitschrift Anti-Goeze (11 Teile, die Veröffentlichung des 12. Teils wurde vom Herzog untersagt), gerichtet u. a. gegen den Anspruch objektiver Wahrheit einer vom Wortlaut der Bibel abgeleiteten und durch kirchliche Tradition verfestigten Dogmatik. Die hier entwickelten theologischen und zugleich gesellschaftskritischen Positionen bildeten die Grundlage des Toleranzdramas Nathan der Weise (V 1779, U posthum 1783). Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit der Vernunft und damit der Gesellschaft zeigt Die Erziehung des Menschengeschlechts; Ideen der Freimaurer vertritt der Dialog Ernst und Falk.

Dramen: Der Misogyn (E 1748, V 1755, Neufassung 1767), Der Freigeist (E 1749, V 1755), Doktor Faust (Fragment, V 1759), Philotas (V 1759, U 1780). – Schriften: Abhandlungen über die Fabel (1759), Briefe antiquarischen Inhalts (1768/69), Wie die Alten den Tod gebildet (1769).

Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Lustspiel in 5 Akten, U, V 1767, Verf. Dtl. 1940 Hans Schweikart, u. d. T. Heldinnen B. D. 1960 Dietrich Haugk, DDR 1962 Martin Hellberg.
Das Stück spielt unmittelbar nach Ende des Siebenjährigen Kriegs (1756–63); Schauplatz ist ein Berliner Gasthof. Anlässlich der Ankunft des sächs. Edelfräuleins Minna von Barnhelm und ihrer Zofe Franziska wird der verwundete, unschuldig unehrenhaft aus der Armee entlassene und zahlungsunfähige preuß. Major von Tellheim umquartiert und beschließt, auszuziehen; als Pfand hinterlässt er seinen Verlobungsring, denn Geld von seinem Freund, dem Wachtmeister Werner, anzunehmen würde gegen seine Ehre verstoßen. Minna, die auf der Suche nach ihrem Verlobten Tellheim ist, erkennt an jenem Ring dessen Nähe. Das Wiedersehen endet mit Tellheims Entschluss, Minna freizugeben: Er empfindet sich als ihrer nicht mehr würdig. Minna gibt nunmehr vor, verstoßen zu sein, wodurch es zu Tellheims Ehrenpflicht wird, ihr beizustehen. Den Weg zum glücklichen Ende ebnen Tellheims Rehabilitierung und die Ankunft von Minnas Erbonkel. Im Mittelpunkt steht der Zusammenprall zwischen dem durch Tellheim verkörperten übersteigerten, von äußeren Umständen bestimmten Ehrbegriff und der aus Vernunft und der „Sprache des Herzens“ resultierenden Menschlichkeit Minnas. Die überragende Bedeutung des Lustspiels besteht in Lessings Überwindung der auf Bloßstellung bestimmter Torheiten beschränkten Typenkomödie. Kennzeichnend für die Humanisierung der Komödie ist die Einbeziehung der Nebenpersonen (Tellheims Diener Just, der Wirt, Franziska und Werner) in die individualisierende Gestaltungsweise. Ein Glanzstück ironischer Spiegelung bildet die Figur des gleichfalls abgedankten, vom (betrügerischen) Glücksspiel lebenden frz. Chevaliers Riccaut (er „korrigiert“ das Glück).

Emilia Galotti. Drama in 5 Akten, E ab 1757, U, V 1772, Verf. DDR 1958 Martin Hellberg.
Hettore Gonzaga, Prinz des Fürstentums Guastalla, begeistert sich für das Bildnis des Bürgermädchens Emilia Galotti und ist fest entschlossen, auch das lebende Original in seinen Besitz zu bringen. Zwar steht Emilias Heirat mit dem Grafen Appiani unmittelbar bevor, doch Hettores Kammerherr Marinelli lässt das Brautpaar überfallen und Appiani töten; wie vorher berechnet, sucht Emilia im nahe gelegenen Lustschloss des Prinzen Zuflucht, gefolgt von ihrer Mutter und schließlich dem Vater. Gräfin Orsina, die verstoßene Geliebte des Prinzen, durchschaut die Zusammenhänge und übergibt Odoardo Galotti einen Dolch, mit dem er den Prinzen töten soll, um Appiani zu rächen und seine Tochter vor dem Verführer zu schützen. Von seinen Moralvorstellungen am Mord an Hettore gehindert, ersticht der Vater auf Emilias Drängen hin seine Tochter; Hettore wälzt die Verantwortung auf den „Teufel“ Marinelli ab.
Lessings ursprünglicher Plan war es, den römischen Virginia-Stoff aus dem politischen Zusammenhang (Signal zur Volkserhebung) herauszulösen, davon ausgehend, „dass das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werter ist als ihr Leben, für sich schon tragisch genug und fähig genug sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der ganzen Staatsverfassung darauf folgt“ (Brief an Nicolai, 1758). In der Ausführung gewann jedoch die Anklage gegen die menschenverachtende Willkür der durch den Prinzen und Marinelli verkörperten feudalistischen Staatsgewalt und somit der gesellschaftliche Bezugsrahmen an Gewicht. Als bürgerliches Trauerspiel zeigt das Drama sowohl den erwachenden Widerstand des bürgerlichen Selbstbewusstseins als auch dessen Zuflucht zum Selbstopfer. In der Nachfolge von Emilia Galotti steht Schillers Theaterstück Kabale und Liebe.

Nathan der Weise. Drama in 5 Akten, V 1779, U posthum 1783.
Der Schauplatz des „dramatischen Gedichts“ (in Blankversen) ist Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge. Der jüd. Kaufmann Nathan erfährt, von einer Geschäftsreise zurückgekehrt, von der Rettung seiner Adoptivtochter Recha vor dem Feuertod, und zwar durch einen jungen christlichen Tempelherrn. Dieser ist der persönliche Gefangene des Sultans Saladin, des Herrschers über Jerusalem, und wird vom Patriarchen aufgefordert, im Interesse der christlichen Rückeroberungspläne tätig zu werden. Mehr noch als der hierdurch heraufbeschworene Konflikt (Loyalität gegenüber Saladin) belastet den Tempelherrn jedoch, dass er sich in die Jüdin Recha verliebt hat. Als er erfährt, dass diese in Wirklichkeit ein Christenkind ist, hält er bei Nathan um ihre Hand an, muss sich jedoch gedulden. Es stellt sich heraus, dass der Tempelherr und Recha Geschwister und Kinder von Saladins Bruder sind, der eine Christin geheiratet hat: Mitglieder verschiedener Religionen gehören zu einer Familie.
Seinen gedanklichen wie formalen Mittelpunkt besitzt das Drama in der von Nathan als Antwort auf die Frage des Sultans nach der einzigen wahren Religion vorgetragenen „Ringparabel“ (zugrunde liegt die 3. Erzählung des 1. Tages in Boccaccios Decamerone): Ein Königshaus besaß einen Ring, der seinen Besitzer „vor Gott und den Menschen angenehm“ machte und jeweils dem Lieblingssohn des Herrschers vererbt wurde. Als sich einer der Könige nicht entscheiden konnte, welcher seiner Söhne ihm der liebste sei, ließ er zwei weitere, dem ursprünglichen zum Verwechseln ähnliche Ringe anfertigen. Den Streit um den echten Ring schlichtete ein Richter, indem er das Verhalten des Trägers zum Kennzeichen der Echtheit des Ringes erklärte. Saladin erkennt in der Parabel die Lehre praktischer Humanität auf der Grundlage religiöser Toleranz als Voraussetzung einer humanen Gesellschaftsordnung.

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Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009