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Eichendorff, Joseph von

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* 10. 3. 1788 auf Schloss Lubowitz bei Ratibor, heute Racibórz
† 26. 11. 1857 in Neisse, heute Nysa


„Lass es Deiner Begeisterung keinen Eintrag tun, dass er Geheimer Regierungsrat ist“, ermutigte Bismarck 1851 seine Ehefrau und Eichendorff-Verehrerin. Tatsächlich scheinen Werk und Lebenswirklichkeit des Dichters von Liedern im reinsten Volksliedton, der nahezu drei Jahrzehnte in der preuß. Kultusbürokratie tätig war, auf erschreckende Weise auseinander zu klaffen. In Wahrheit erweist sich der „letzte Romantiker“ – fasst man sein Ge­samt­werk ins Auge – als engagierter Interpret seiner Zeit.
Eichendorff stammt aus einer schles. Adelsfamilie, deren Verarmung 1823 den Verkauf fast aller Besitzungen erzwang. Dem Jurastudium (1805–12, Halle, Heidelberg, Wien) folgten die Teilnahme an den Befreiungskriegen, die Eheschließung (1815) mit Luise von Larisch, die ein Kind von Eichendorff erwartete, und der Eintritt in den Staatsdienst (1816–44, Breslau, Danzig, Königsberg, Berlin). Konflikte mit der Staatsführung des protes­tantischen Preußen ergaben sich aus Eichendorffs Katholizismus und seiner Treue zu den Idealen der Stein’schen Reformen. Die Kritik an der Restauration blieb gepaart mit Skepsis gegenüber der frühindustriellen Gesellschaft und dem Liberalismus.
Prägende Bedeutung gewann in der Studienzeit, in der Eichendorff unter dem Pseudonym „Florens“ erste Gedichte veröffentlichte, die Begegnung mit Brentano und A. v. Arnim (Heidelberg) sowie F. Schlegel (Wien). Hier wurzelt sein Verständnis der Volkspoesie als Ausdruck noch ungeteilter Lebenseinheit. Die Suche nach neuen Formen einer Einheit von Leben und Kunst führte zu einer gerade durch Schlichtheit äußerst kunstvollen Bildersprache, die vieles mit den Grundelementen der Landschaftsbilder C. D. Fried­richs (Nähe und Ferne, Licht und Raum) gemeinsam hat. Eichendorffs Gesamtwerk umfasst Lyrik, Prosa (Romane und Erzählungen mit eingefügten Gedichten), Dramen, Versepen und Abhandlungen. Inhaltlich reicht das Spektrum von bewusst zeitgeschichtlicher Thematik, z. T. in satirischer Gestaltung (Auch ich war in Arkadien), über die Auseinandersetzung mit der Frz. Revolution (Das Schloss Dürande, Robert und Guiscard) bis zur christlichen Spätantike (Julian, Lucius). Zu den von Eichendorff übersetzten Werken der span. Barockliteratur gehört Calderóns Großes Welttheater.

Lyrik: V ab 1808, 1. GA 1837 (erw. 1941), Vert u. a. R. Schumann („Liederkreis“ op. 39), F. Mendelssohn Bartholdy, H. Wolf, H. Pfitzner. – Versepen: Julian (1853), Robert und Guiscard (1855), Lucius (1857). – Erzählungen: Viel Lärmen um nichts (1833), Auch ich war in Arkadien (E 1832, V 1866), Das Schloss Dürande (1836), Die Glücksritter (1841). – Romane: Ahnung und Gegenwart (E 1809–12, V 1815), Dichter und ihre Gesellen (1834). – Dramen: Krieg den Philistern (satirisches „Märchen“, 1824), Der letzte Held von Marienburg (historisches Trauerspiel, V 1830, U 1831), Die Freier (Lustspiel, V 1833, U 1849, Verf. B. D. 1968, F. Umgelter). – Literaturgeschichte: Zur Geschichte der neuern romantische Poesie in Dtl. (1846), Der dt. Roman des 18. Jh.s in seinem Verhältnis zum Christentum (1851), Zur Geschichte des Dramas (1854). – Autobiografisches: Erlebtes (Der Adel und die Revolution, Halle und Heidelberg, E wohl 1857, V posthum 1866). – Übersetzungen: Graf Lucanor (1840), Aus dem Spanischen (Romanzen, V 1841), Geistliche Spiele von Calderón (1846 und 1853).

Das Marmorbild. Novelle, V 1819.
Die Vorstufe bildet eine Skizze Die Zauberei im Herbste (1808/09). Anregungen bot u. a. Tiecks Erzählung Der getreue Eckart und der Tannhäuser(1799).
Den Schauplatz bildet Lucca zu einer nicht näher bestimmten Zeit. Hier begegnet der junge Dichter Florio dem Sänger Fortunato und dem geheimnisvollen Ritter Donati. In einer nächtlichen Szene gerät Florio in den Bann einer marmornen Venusstatue und damit psychisch in die Gewalt Donatis, der den Jüngling schließlich dazu verführt, den Palast der Liebesgöttin aufzusuchen. Die Erinnerung an Fortunato und ein Gebet bewahren Florio vor dem Schicksal Tannhäusers.
Die Bedeutung der Novelle beruht auf Eichendorffs differenzierter Gestaltung des Gegensatzes zwischen Heidentum und Christentum, antiker Sinnlichkeit und deren christlicher Überwindung, nächtlichem Dunkel und Tageshelle. Das Reich der Venus erscheint nicht als bloßes „Teufelswerk“ im Sinne mittelalterlicher Dämonisierung der Antike, sondern besitzt ebenso den Charakter eines verlorenen Paradieses wie die reine Gottesliebe. Beides wurzelt in der Kindheit der Menschheit wie des einzelnen Menschen. Vor allem aber ist der Künstler durch den menschheitsgeschichtlichen Zwiespalt zwischen (in Heines Terminologie) „Sensualismus“ und „Spiritualismus“ betroffen. Dass die „Verlockung“ einen unabdingbaren Bestandteil der Künstlerexistenz bildet, hat Eichendorff in dem Gedicht Schlimme Wahl (1839) unter Verwendung des Loreley-Motivs mit den folgenden Versen zum Ausdruck gebracht: „(…) Doch streift beim Zug dich aus dem Walde eben / Der Feie Blick, und brennt dich nicht zu Asche: / Fahr wohl, bist nimmer ein Poet gewesen.“ Im Marmorbild bekennt Fortunato: „Glaubt mir, ein redlicher Dichter kann viel wagen, denn die Kunst, die ohne Stolz und Frevel, bespricht und bändigt die wilden Erdengeister, die aus der Tiefe nach uns langen.“

Aus dem Leben eines Taugenichts. Novelle, E ab 1817, 1. Kapitel V 1823, V 1826 mit Das Marmorbild, Verf. Dtl. 1921/22 Carl Froelich, B.D. 1972/73 Carl Bleichweiß, B.D. 1977 Bernhard Sinkel.
Der Ich-Erzähler, Sohn eines Müllers, schildert rückblickend die Ereignisse des dreiviertel Jahres, das zwischen seinem Aufbruch von zu Hause („Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot!“, befahl ihm sein Vater) und der Verlobung mit der Nichte eines Schlossportiers vergangen ist. Die erste Station auf dem Weg des „Taugenichts“ (so nannte ihn sein Vater) ist ein bei Wien gelegenes Schloss, wo er eine Anstellung als Gärtnerjunge findet und zum Zolleinnehmer avanciert. Er verliebt sich in eine "schöne Fraue", deren angebliche Hochzeit ihm solchen Kummer bereitet, dass er heimlich das Schloss verlässt und in Richtung Italien wandert. Zwei Maler – Leonhard und Guido – nehmen ihn als Diener in Dienst, lassen ihn jedoch eines Nachts in einem Wirtshaus zurück, worauf er die nach genauem Plan verlaufende Kutschfahrt allein fortsetzt. Er kommt nach Rom, bei der Heimreise gelangt er auf der Donau zu „seinem“ Schloss, wo eine Hochzeit vorbereitet wird. Nun klärt sich alles auf: Leonhard ist ein junger Graf, der seine als Guido verkleidete Braut Flora entführt hat, um Zeit zu gewinnen, die Ehehindernisse aus dem Weg zu räumen; Die „schöne Fraue“ entpuppt sich als Nichte des Portiers, und somit war „alles, alles gut!“
Kritik an Spießbürgertum und Standesdünkel ergibt sich aus der Entschlüsselung dessen, was der „Taugenichts“ wahrnimmt. Ein Beispiel ist die Ankunft im Schloss. Es entwickelt sich das groteske Bild einer Hierarchie vom Portier, einem „großen Herrn in Staatskleidern“, bis hinab zum Gärtner, der sich seinerseits als erhaben über den „Bauernlümmel“ versteht. Diese Ordnung wird durch den Vergleich des auf und ab schreitenden Portiers mit dem „Perpendikel einer Turmuhr“ als leblose Mechanik charakterisiert. Lyrik. Eichendorffs Dichtungen besitzen zwei Ausgangspunkte, die beide in Heidelberg liegen. Hier lernte er 1807 die Slg. (bearbeiteter) Volkslieder Des Knaben Wunderhorn von A. v. Arnim und Brentano kennen. Zugleich gehörte er zum „Eleusischen Bund“ des Dichters Otto Heinrich Graf von Loeben (gen. „Isidorus Orientalis“), durch dessen Vermittlung Eichendorff 1808 unter dem Pseudonym „Florens“ erstmals Gedichte veröffentlichen konnte. Zwar wandte er sich bald vom Ästhetizismus Loebens ab und karikierte seinen Stil, indem er im 12. Kapitel des Romans Ahnung und Gegenwart einen „schmachtenden“ Dichter u. a. das Sonett „Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen“ und „noch einen Haufen Sonette mit einer Art von priesterlicher Feierlichkeit“ vortragen ließ. Dennoch nahm Eichendorff ausgerechnet dieses Gedicht 1841 in die Neuauflage seiner erstmals 1837 erschienenen Gesamtausgabe der Gedichte auf, allerdings mit einer kennzeichnenden Abwandlung: Aus dem Indikativ der Erstfassung („Wie bald liegt da tief unten alles Trübe! / Er kniet ewig betend einsam nieder“) wurde der Konjunktiv: „Wie bald läg unten alles Bange, Trübe, / Du strebtest lauschend, blicktest nicht mehr nieder.“
Die konjunktivische Umformung entspricht der „als ob“-Haltung vieler Gedichte Eichendorffs, die in Mondnacht unmittelbar ausgedrückt ist: „Es war, als hätt der Himmel / Die Erde still geküsst, / Dass sie im Blütenschimmer / Von ihm nur träumen müsst.“ Insofern ist Eichendorffs Lyrik nichts weniger als „naiv“ bzw. „ungebrochen“. Andererseits erlebte er, dass seine frühen Gedichte als reine Volkslieddichtung verstanden wurden. 1838 nannte er Das zerbrochene Ringlein („In einem kühlen Grunde“, E 1810/11, V 1813) „ein einfaches Liedchen, dem man vielfach die Ehre angetan, es für ein Volkslied zu halten, und das also wohl nicht das Schlechteste sein kann“.
Die 1837 erschienene Gesamtausgabe ist in sieben thematische Gruppen gegliedert: Zu den Wanderliedern gehören das bekenntnishafte Lied Frische Fahrt, das in die Verse mündet: „Fahre zu! Ich mag nicht fragen, / Wo die Fahrt zu Ende geht!“, und Sehnsucht („Es schienen so golden die Sterne“) mit den charakteristischen Versen: „Ach, wer da mitreisen könnte/In der prächtigen Sommernacht!“ Die umfangreiche Gruppe Sängerleben lotet das Verhältnis zwischen Kunst und Leben aus und mündet in Wünschelrute (E 1835): „Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.“ Den Humoristen Eichendorff lässt das Gelegenheitsgedicht Toast erkennen: „Auf das Wohlsein der Poeten, / Die nicht schillern und nicht göthen, / Durch die Welt in Lust und Nöten / Segeln frisch auf eignen Böten.“ Die Zeitlieder enthalten u. a. Gedichte aus der Zeit der Befreiungskriege. Frühling und Liebe umfasst auch Lieder der Klage und Einsamkeit. Im Mittelpunkt der Gruppe Totenopfer steht der Zyklus Auf meines Kindes Tod, entstanden 1832 nach dem Tod von Eichendorffs jüngstem Kind, Anna. Zu den Geistlichen Liedern gehören neben Marienliedern auch Gedichte, die den Jahres- und Tageszeiten gewidmet sind. Bei den Romanzen herrscht die volksliedhafte Verserzählung vor. Als achte Gruppe enthält die Neuauflage 1841 die Romanzen-Übersetzungen Aus dem Spanischen, denen u. a. die 1815 von J. Grimm herausgegebene Slg. Silva de romances viejos zugrunde liegt.
Ein charakteristisches Spätwerk ist Prinz Rokoko (V 1854, enthalten auch in dem Memoiren-Fragment Der Adel und die Revolution): „Prinz Rokoko, hast dir Gassen / Abgezirkelt fein von Bäumen, / Und die Bäume scheren lassen, / Dass sie nicht vom Wald mehr träumen.“ Die Titelgestalt versinnbildlicht in ästhetischer, aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht die Erstarrung alles Natürlichen unter dem Zwang künstlicher Regeln – eine Kritik, die Eichendorff ausdrücklich auf den „heutigen Aristokratismus“ bezog.



Sie finden hier online folgende Texte von Joseph von Eichendorff:



Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009