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Unterwegs mit der Polarstern


27. Juni, Bremerhaven:
Reise ins Ungewisse

Endlich ist es soweit: Unsere Reise auf der Polarstern beginnt! Für die nächsten vier Monate wird das große Forschungsschiff unser zu Hause sein...

...Unser Ziel ist die große Eiswüste der Arktis. Es ist schon ein Abenteuer, denn trotz aller Planungen wissen wir nie genau, was uns erwartet. Als erstes Ziel haben wir den Alpharücken im zentralen Arktischen Ozean bestimmt. Diesen werden wir geowissenschaftlich untersuchen. Momentan haben wir aber ganz andere Probleme: Manche sind jetzt schon seekrank, andere verlaufen sich auf dem großen Schiff und wieder andere wissen nicht, wie sie auf diesem schwimmenden Hotel ihr ganzes Forschungsmaterial unterbringen sollen. Kaum zu glauben, dass wir aus dem europäischen Sommer bald im ewigen Eis sein werden!

4. Juli, 75°30` Nord und 35° Ost:
Zwei Giganten des Eises

Gestern haben wir unseren ersten Eisbären gesehen – direkt an der südlichen Eiskante. Als wir heute früh einen weiteren erblickten, treffen wir unseren gigantischen Helfer, den atomar angetriebenen russischen Eisbrecher Arktika. Er wird uns mit 75 000 PS den Weg bahnen. Wir folgen ihm in 500 Meter Abstand Richtung Norden. Unser Schiff ächzt unter den schweren Schollen, während die Arktika sich stetig ihren Weg bahnt. Jetzt gilt es die ersten Messungen durchzuführen und die Geräte zu erproben. Heute Abend wird in unserer Bordkneipe „Zillertal“ erst einmal auf die ersten massiven Schollen angestoßen.

9. Juli, 88°39,8` Nord und 42°59,0` West:
Zu früh gefreut?

Wir sind am nördlichsten Punkt unserer Reise! Nachdem wir gestern noch so erfreut über das „richtige“ Eis waren, riss uns heute Nacht ein Packeisfeld aus dem Schlaf! Wir liegen eingekeilt. Die Messgeräte, die wir mit uns zogen, haben etwas abbekommen. Dieses Geräusch werde ich nie vergessen! Es war, als wenn wir ringsherum mit Volldampf gegen eine Wand gefahren wären. Die Arktika hat bei Tagesanbruch gewendet und uns wieder frei gesetzt. Das Theater haben wir in den kommenden Wochen sicherlich noch häufiger und wir können froh sein, den Eisbrecher bei uns zu haben. Hoffentlich können wir unser seismisches Profil vom Meeresboden noch retten und unsere Fahrt fortsetzen!

10. Juli, Kurs auf 86° Nord, 140° West:
Stürme und Eisgebirge

Die wissenschaftlichen Aufnahmen am Alpharücken laufen endlich gut! Nachdem der starke Wind uns so lange festsetzte, stand die Stimmung an Bord nicht gerade zum Besten. Eine Videokamera mit einem Probengerät hat uns auch die ersten Bilder vom Meeresboden in 3 200 m Tiefe gesendet. Der unterseeische Gebirgszug ist sehr beeindruckend: mehr als 100 km breit und über 500 km lang. Das Gebiet, in dem er liegt, ist ganzjährig mit Eis bedeckt. Das Gebirge erhebt sich aus der umgebenden Tiefsee stellenweise um etwa 3 000 m. Die Satellitenbilder zeigen uns endlich auch bessere Eisverhältnisse an. Dann können wir vielleicht endlich die gewünschten Gesteinsproben nehmen.

14. Juli, 86° Nord und 148° West:
Tiefer Druck und Stimmungstief

Man könnte fast sagen, unsere Stimmung schwankt mit der Eisdicke. Nun liegen wir auch noch mitten in einem meteorologischen Tiefdruckgebiet und selbst unser Helfer muss passen. Die Rinne, die er hinterließ, hat sich sofort wieder zugeschoben. Also haben wir hier Proben genommen und von dem Moment an fühlten wir uns wie in einem normalen Forschungszentrum an Land. Die Labore liefen heiß und in den Büros war kein Arbeitsplatz mehr frei. Die Sensation war eine Probe aus 1 000 m Tiefe: Flusskrebse und eine Qualle im Miniformat. Das entschädigt natürlich dafür, dass wir eigentlich an eine andere Stelle wollten.

30. Juli, nördlich von Tixi:
Fliegender Wechsel

Wir hatten die ganze Zeit fast konstantes Wetter: kaum Sonne, viel Nebel und mit 0 °C sehr mild, Sommer eben! Heute ist es ungewöhnlich klar und das Eis sieht noch faszinierender aus als sonst. Dennoch ist das für manche von uns ein schwacher Trost, denn sie gehen heute von Bord. Ihr Forschungsaufenthalt ist zu Ende. Obwohl sie viele Ergebnisse sammeln konnten, bleibt Wehmut. Heute sind auch neue Forscher zu uns gestoßen. Abschied und Begrüßung feierten wir natürlich wieder im „Zillertal“. Die Kollegen waren durchgefroren, denn nach einem Hubschrauberflug mussten sie fünf Stunden in einer Barkasse zurücklegen. Sie berichteten von einer Begegnung mit Robben und einem Walross.

10. August, 77° Nord, 139° Ost:
Funklöcher und Zeugen der Vergangenheit

Wir befinden uns inmitten der Laptev-See. Uns umgeben riesige Packeisfelder mit Eisschollen von bis zu 2 m Dicke. Der kalte Wind, Schneeschauer und die wechselnde Bewölkung erschweren die Arbeiten. Wir konnten einige lange Bohrkerne entnehmen, die uns einen Einblick in die Vergangenheit, vor allem die des Klimas, geben können. Dieser Erfolg lässt kurzfristig unsere Strapazen vergessen. Doch trotz modernster Technik wie Internet und Nachrichtensatelliten treten immer wieder Kommunikationsprobleme auf. Das Netz der Satelliten ist hier einfach zu weitmaschig. Spätestens nun wissen wir die gute Ausstattung unseres Schiffes zu schätzen!

31. August, Südspitze Spitzbergens:
Fjorde und tiefe Wasser

In den letzten Wochen gab es viel zu tun und wieder hat ein Teil der Besatzung gewechselt. Wir haben Langzeitmessgeräte ausgebracht und verankert, Proben genommen, ausgewertet, vermessen, Sedimente beschriftet und verstaut usw. Vor Spitzbergen interessieren uns überwiegend die Meeresströmungen, doch ist auch hier die Messung keine leichte Sache. Wir wollen die im letzten Jahr ausgebrachten Sonden einholen. Mensch und Gerät werden an die Grenze gebracht, aber noch hat unser Bordarzt nur kleinere Blessuren zu verarzten gehabt. Die Sonden konnten wir bergen; wir sind gespannt, was sie aufgezeichnet haben!

4. Oktober, Küste vor Ostgrönland:
Land aus Feuer und Eis

Gestern Abend beendeten wir die Arbeiten bei 71 Grad Nord, etwa 3 Seemeilen vor der Küste. Wir untersuchten die Wassermassen der Norwegischen See, die den Fluss in das Nordpolarmeer und den Austausch zwischen Island und England in den Nordatlantik speisen. Allerdings freute uns etwas anderes heute mehr: ein Spaziergang an Land, bei dem wir die grönländische Siedlung Ittoqqoortoormiit besuchten. Eine Vorfreude darauf gab uns schon der Anblick von der Polarstern: wir sahen den Beerenberg, einen schneebedeckten Vulkankegel mit seinen bis ins Meer reichenden Gletscherströmen. Ein Land aus Feuer und Eis. Die Polarstern hat nun ein neues Ziel: "Mit Volldampf Richtung Heimat Bremerhaven!"


Quelle: Klett
Quellendatum: 2009