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Infoblatt Stadtökologie
Gegenstand und Aspekte der Stadtökologie
Fassadenbegrünung (Obermann)
Der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung nimmt im Allgemeinen weltweit seit geraumer Zeit stetig zu. Während nach Angaben der Vereinten Nationen im Jahr 1950 etwa 29 Prozent der Weltbevölkerung in Städten lebten, prognostizieren sie einen globalen Anstieg auf ca. 60 Prozent bis zum Jahr 2025. Für Deutschland ermittelte das Statistische Bundesamt einen Anteil städtischer bzw. halbstädtischer Bevölkerung von knapp 85 Prozent gegen Ende des Jahres 2003. Diese Zahlen lassen erkennen, dass der Stadt als Lebensraum und damit ihrer Ökologie eine nicht unerhebliche Bedeutung beigemessen werden muss.
Gegenstand der Stadtökologie
Je nach fachspezifischem Bezug wird der Begriff Ökologie im Detail häufig unterschiedlich aufgefasst. Im Kern wird darunter in der Regel jedoch gleichsam die Lehre von den Wechselwirkungen der Organismen untereinander und mit ihrer Umwelt verstanden. Dementsprechend ergeben sich im Wesentlichen Beschäftigungsfelder, die einerseits mit den Organismen selbst im Zusammenhang stehen, aber andererseits insbesondere auch die Erforschung der belebten (biotischen) und unbelebten (abiotischen) Umwelt dieser Organismen beinhalten.
Da die Stadt einen durch den Menschen überformten Naturraum darstellt und gleichzeitig als spezielle Form einer Kulturlandschaft gilt, reichen die naturwissenschaftlichen Disziplinen zu einer vollständigen Ansprache der Stadtökologie nicht aus. Zusätzliche Fachgebiete der Gesellschafts-, Geistes- und Kulturwissenschaften sowie die Architektur und der Städtebau müssen zur Klärung wichtiger stadtökologischer Belange ebenfalls Berücksichtigung finden. Auf diese Weise kommen Aspekten, wie z. B. wirtschaftliche Verhältnisse, Politik, Tradition und Modetrends, bei der anthropogen bedingten städtischen Gestaltung, die ihrerseits die Ökologie der Stadt beeinflusst, eine bedeutende Rolle zu.
Da im Rahmen wissenschaftlicher Forschung die fachlichen Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt werden können, sind der Literatur häufig zwei Definitionen des Begriffs Stadtökologie zu entnehmen. Die Variante mit einem naturwissenschaftlichen Schwerpunkt sieht die Stadtökologie als eine Teildisziplin der Ökologie, die sich mit den städtischen Biozönosen, Biotopen und Ökosystemen, ihren Organismen und Standortbedingungen sowie mit Struktur, Funktion und Geschichte urbaner Ökosysteme befasst. Die aus raumplanerischem Blickwinkel angelegte Auffassung bezeichnet die Stadtökologie als ein integriertes Arbeitsfeld mehrerer Wissenschaften aus unterschiedlichen Bereichen und von Planung mit dem Ziel einer Verbesserung der Lebensbedingungen sowie einer dauerhaft umweltverträglichen Stadtentwicklung.
Aus den Veränderungen einer Stadt gegenüber dem Umland oder der offenen Landschaft resultiert ein besonderer durch den Menschen geprägter urbaner Lebensraum bzw. Ökosystemkomplex, der durch spezifische abiotische und biotische Faktoren charakterisiert ist. Den abiotischen Bestandteilen der Umwelt sind in diesem Zusammenhang insbesondere das Klima, der Boden, der Wasserhaushalt und die Luft zuzuordnen. Biotische Umweltfaktoren hingegen bezeichnen allgemein Umweltbestandteile, an denen Lebewesen beteiligt sind.
Durch verschiedenartige Wirkungsgefüge aus Lebewesen, unbelebten natürlichen Bestandteilen und anthropogenen Elementen, die untereinander und mit ihrer Umwelt in energetischen, stofflichen sowie informatorischen Wechselwirkungen stehen, bilden sich somit stadtökologische Besonderheiten heraus.
Charakteristische stadtökologische Aspekte
Einzelne typische Erscheinungen in einem urbanen Ökosystemkomplex können in der Regel einem der Teilgebiete des Stadtklimas, der Böden, des Wasserhaushaltes, der Stadtflora und Vegetation sowie der Stadtfauna zugeordnet werden, wobei jeder Bereich aufgrund von interdisziplinären Wechselwirkungen nicht ausschließlich für sich betrachtet werden kann. Der urbane Siedlungsraum, der durch einen hohen Anteil bebauter Fläche bzw. versiegeltem Boden gekennzeichnet ist, führt gegenüber dem Umland besondere stadtklimatische Veränderungen herbei. Hierbei wirkt sich im Wesentlichen die künstliche Überbauung mit ihren Wechselwirkungen auf das urbane Klima aus. Zusätzlich tragen aber auch Abwärme und Luftschadstoffemissionen technischer Einrichtungen zu einem modifizierten Mikro- und Mesoklima gegenüber der offenen Landschaft bei. Besondere stadtklimatische Merkmale lassen sich innerhalb des Strahlungs- und Energiehaushaltes, der Überwärmung, der Luftfeuchte und des Niederschlages, des Luftmassenaustausches sowie der Luftzusammensetzung finden. Konkrete Effekte sind z. B. eine höhere mittlere Lufttemperatur und eine niedrigere relative Luftfeuchte gegenüber dem Umland, Flurwinde und Smogereignisse.
In städtischen Räumen gehen die ursprünglichen Funktionen von Böden aufgrund anthropogener Veränderungen und Versiegelung weitgehend verloren. Demzufolge wird Organismen Lebensraum entzogen, die Versorgung von Pflanzen mit Wasser, Sauerstoff, Nährstoffen und Wärme unterbunden und filternde bzw. puffernde Funktionen des Bodens im Hinblick auf die Gewässergüte werden eingeschränkt. Des Weiteren tragen Kontaminationen des Bodens durch Deponierung und Entsorgung fester und flüssiger Abfälle sowie Abtragungen natürlicher Bodensubstanz mit anschließender Auffüllung technogener Materialien zur Beeinträchtigung der einstigen Bodenfunktion bei. Letztendlich gestalten sich die anthropogenen Eingriffe zumeist derart intensiv, dass selbst verbleibende begrünte Restflächen, wie z. B. Parkanlagen, Grünstreifen sowie Haus- und Kleingärten, nicht als natürlich, sondern allenfalls als naturnah bezeichnet werden können.
Insbesondere die verschiedenartigen Veränderungen der Bodenbeschaffenheit (z. B. Oberflächenversiegelung, Verdichtungen, erhöhte Steingehalte, Ablagerung technogener Substrate und erhöhte Humusgehalte) haben Einfluss auf Regelungsgrößen des Boden- und Grundwasserhaushaltes. Hinsichtlich deren fachlicher Ansprache finden u. a. die Evapotranspiration, die Wasserspeicherfähigkeit, die Grundwasserneubildung, der kapillare Aufstieg und der Oberflächenabfluss als maßgebliche Wasserhaushaltskomponenten Berücksichtigung. Ferner kommt bezüglich des Wasserhaushaltes auch der mit der Bodenversiegelung einhergehenden Kanalisation eine bedeutende Rolle zu, da sie den oberirdischen Abfluss erhöht, die Grundwasserneubildung und die Evapotranspiration vermindert, den Wärmehaushalt verändert und den Hochwasserabfluss in den natürlichen Gewässern verstärkt. Schließlich sind die Schadstoffbelastungen des Boden- und Grundwassers eng an den anthropogenen Eintrag, wie z. B. durch Schadensfälle, Deponierung von Siedlungsabfällen und Produktionsrückständen sowie Verrieseln und Versickern von Abwässern, gekoppelt.
Für die Flora bzw. die Vegetation hält der städtische Siedlungsraum gegenüber der offenen Landschaft in vielerlei Hinsicht ungünstigere Standortfaktoren vor. Diesbezüglich weist der städtische Boden häufig ein negativ abgewandeltes chemisches Milieu auf, während die Eigenschaften der städtischen Luft für Pflanzen gar stets als ungünstig gelten. Ebenso sind die meist trockeneren Stadtböden als nachteilig einzustufen. Außerdem führt die Bodenverdichtung und -versiegelung zu einer erschwerten pflanzlichen Besiedelung. Trotz der meist eher widrigen urbanen Bedingungen hängt eine erfolgreiche Behauptung letztendlich jedoch von der Konkurrenzkraft, die wiederum von der Erfüllung der individuellen Standortansprüche einer Art beeinflusst wird, ab.
Die urbane Fauna lässt sich häufig von den in der freien Landschaft lebenden Tieren abgrenzen, indem städtisch lebende Individuen einer Art spezielle Verhaltensweisen als Anpassung an die urbane Umwelt und den Menschen aufweisen. Dazu gehören u. a. Zahmheit, Umstellungen in der Nahrungsökologie, Umstellung in der Nistweise, höhere Populationsdichten, Verlängerung des tageszeitlichen Rhythmus und die Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer. Aufgrund einer Vielzahl unterschiedlicher Standortbedingungen zwischen der Stadt und dem offenen Umland (z. B. Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Nahrungsangebot, Störungen), aber auch durch anthropogene Handlungen (z. B. Haustiere) ergibt sich innerhalb der Stadtfauna eine zur Tierwelt des Umlandes variierende Artenzusammensetzung, die wiederum stadttypische Konkurrenzphänomene bzw. ökologische Wechselwirkungen hervorrufen kann.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Torsten Brockmann
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 02.05.2012
Autor: Torsten Brockmann
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 02.05.2012