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Können aus Steppen Wälder werden?


Die postglaziale Vegetationsgeschichte verdeutlicht, dass einzelne Baumarten die eiszeitlich waldfreien Nemoralgebiete in Schüben rückerobern. So breitet sich in Mitteleuropa nach der Birke schon vor rund 12.000 Jahren im Alleröd von Südosten die Waldkiefer rasch aus, während Eichen im Boreal von Westen aus und Buchen erst im Atlantikum vor rund 4.000 Jahren von Südwesten aus eindringen. Walter & Straka (1970) heben hervor, dass diese Abfolge einer Sukzession Licht liebender Vorhölzer zu Schatten duldenden Arten entspricht. Vor allem sind bei der Remigration die anemochoren Birken und Kiefern gegenüber den zoochoren Eichen und Buchen begünstigt. Pollenanalysen weisen darauf hin, dass die jeweiligen Einwanderungen verhältnismäßig rasch erfolgen, jedoch anstelle der flächenhaften Etablierung zunächst nur Gunststandorte in Frage kommen. Erst bei relativer Konsolidierung eines für die beteiligten Arten vorteilhaften Klimas erfolgt Massenausbreitung. Diese Wanderungsprozesse sind keineswegs abgeschlossen, jedoch hat der Mensch in den letzten zwei Jahrtausenden die Spuren solcher Vorgänge durch restlose Umgestaltung der mitteleuropäischen Landschaft verwischt.

Die Betrachtungen zur Ausbreitung von Baumarten sind zur Klärung der Dynamik von Waldgrenzprozessen im Steppenbereich wichtig. Denn gerade im Grenzbereich der Vorkommen relativ trockenresistenter Phanerophtyen erfolgt deren Expansion nur zögernd und schubweise. Deren Überlebensfähigkeit bezeugt die Überdauerung von Pflanzungen, die z. B. in Mischbeständen bei Dschambul am Rande der regenarmen Sandwüste Mujunkum im Süden Kasachstans als Wind- bzw. Erosionsschutz in langen Reihen vorkommen. Fraglich ist aber, ob der Aufwuchs von Jungbäumen auch ohne Unterstützung gewährleistet bleibt. Hierzu zählen eine Bodenauflockerung sowie in den ersten Jahren nach dem Setzen ein- bis zweimalige Sommerbewässerung. Solch kritischer Hinterfragung stellt Henning (1994) die Überlegung entgegen, dass beide Vorgänge auch in natürlichen Steppen auftreten: Die Öffnung der Grasnarbe als potentielles Keimbett für Holzarten erfolgt durch Bodenwühler; die schwierige Anwuchsphase überleben entsprechende Pioniere nur in mehreren aufeinander folgenden niederschlagsreichen Jahren. Bei ausbleibenden Verbissschäden und Bränden können sich hieraus vor allem bei Beteiligung von Kolonienbildnern der stark vertretenen Rosaceen Strauchinseln entwickeln. In den Gebüschen kommen nach dem Prinzip der Polykormon-Sukzession einzelne Bäume auf. Da derartige Prozesse vom Zusammentreffen von Zufällen abhängen und Rückschläge erleiden, dringen Trockenwälder naturgemäß langsam und diskontinuierlich vor.

Während für ein Vorrücken von Bäumen in Steppen florenhistorische Gründe, Klimaanalysen und Beobachtungen sprechen, bleiben zwei aktuelle Hindernisse für die Fortsetzung einer Bauminvasion erwähnenswert. Zur Blockade durch die sehr intensive Landnutzung in den ehemaligen Wald- und Langgrassteppen treten nun Aspekte des rezenten Klimawandels. Im Fall eines anthropogenen Treibhauseffektes erwarten somit die meisten prognostischen Modelle ein nordwärtiges Vorrücken der Steppen gegen die boreale Zone.


Quelle: Vegetationszonen der Erde
Autor: Michael Richter
Verlag: Klett-Perthes
Ort: Gotha
Quellendatum: 2001
Seite: 137-139
Bearbeitungsdatum: 17.05.2006
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