Infoblatt Alpentransitverkehr


Entwicklung, Ursachen, Belastung, Aussichten



Hauptverkehrswege durch die Alpen (Klett)


Entwicklung des Transitverkehrs über die Alpen

Für den Verkehr zwischen Mittel- und Südeuropa stellten die Alpen von jeher eine naturräumliche Barriere dar, die nur mühselig überwunden werden konnte. So wurden die historischen Alpenpässe erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgebaut und durch Pferdekutschen rege genutzt. Dieser Passverkehr wurde durch den Eisenbahnbau über die Alpen im ausgehenden 19. Jahrhundert weitgehend zum Erliegen gebracht. Das erste Mal überquerte ein Zug die Alpen im Jahr 1867. Ohne aufwendigen Tunnelbau konnte die Strecke über den Brenner zwischen Österreich und Italien realisiert werden. Wesentlich schwieriger gestaltete sich dagegen der Bau des schweizerischen Gotthard-Eisenbahntunnels. Verbunden mit zähester Handarbeit entstanden unzählige Brücken, Viadukte und Tunnels.
Mit dem Siegeszug des Automobils rückten die Alpenübergänge dann wieder in den Mittelpunkt des transalpinen Verkehrs. Aber erst der wirtschaftliche Aufschwung ab 1950 brachte eine deutliche Verstärkung des Transitverkehrs mit sich. Verantwortlich dafür war nicht nur die Zunahme des Güterverkehrs, sondern auch die massenhafte Individualisierung des Verkehrs durch Automobile. Auf diesen Zuwachs des Alpenverkehrs reagierten die Verantwortlichen mit Aus- und Neubau von überregionalen Verkehrstrassen. So wurden ab den 1960er Jahren neue Straßentunnel geschaffen, die wiederum durch den ansteigenden Verkehr weiter zu Autobahntunnels ausgebaut wurden. Im Jahr 1972 wurde die Brennerstraße als erste durchgehende alpenquerende Autobahn dem Verkehr übergeben. Acht Jahre später erfolgte die Inbetriebnahme des bedeutenden Gotthardtunnels in der Schweiz. Neben den Haupttrassen gibt es noch weitere transalpine Tunnels. Die Alpen haben sich so zum am besten erschlossenen Hochgebirge entwickelt.



Güterverkehrssysteme (Klett)


Hauptursachen des transalpinen Verkehrs

Das Verkehrsaufkommen in den Alpen setzt sich zusammen aus dem Eigenverkehr, dem touristischen Verkehr und dem eigentlichen Transitverkehr. Unter Eigenverkehr werden die Pkw-Fahrten verstanden, die in erster Linie dem täglichen Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort innerhalb des Alpenraumes dienen. Aber auch die Geschäftsfahrten zu zentralen Orten in inner- und außeralpinen Gebieten gehören zu dieser Kategorie. Ein erheblicher Anteil am Gesamtverkehr entsteht durch Touristen und Tagesausflüglern, die die Zufahrten und Pässe in den Alpen frequentieren. Der Transitverkehr entsteht letztlich dann, wenn die Alpenpässe für den Transport von Gütern und Personen via Straße oder Schiene überquert werden. Voraussetzung für die Überquerung sind die entsprechenden Transitwege, die von den betroffenen Ländern wie etwa der Schweiz und Österreich aufwendig und kostspielig errichtet wurden. Die verbesserte Infrastruktur, jedoch auch das wirtschaftliche Zusammenwachsen von Europa haben zu einem drastisch erhöhten Verkehrsaufkommen geführt. Allerdings beschränkt sich die Zunahme vornehmlich auf den Verkehrsträger Straße und dies führt so zu enormen Belastungen für Mensch und Umwelt.


Folgen der Verkehrsbelastung

Heute geht die Verkehrsbelastung soweit, dass die Alpenländer den weiter ansteigenden Verkehr kaum bewältigen können. Für die aufwendigen Infrastrukturprojekte (z. B. Brücken, Tunnels) werden nicht nur kostbare Flächen in den Alpen verbraucht, sondern die intensive Nutzung kann mitunter zu neuen Naturgefahren führen. Muren, Lawinen und Überschwemmungen sind teilweise durch die Verkehrserschließung und Versiegelung bedingt. Mit dem steigenden Verkehr erhöhen sich außerdem die Lärm- und Abgasemissionen um ein Vielfaches. Besonders stark ist dies bei Inversionswetterlagen der Fall, bei denen die Kraftfahrzeugabgase nicht aus den Talkesseln abziehen können. Die Stickoxide greifen den natürlichen Waldbestand entlang der großen Transitstrecken stark an. Dieser ist wiederum als natürlicher Muren- und Lawinenschutz von elementarer Bedeutung für die Regionen und Sicherheit der Verkehrswege. Die Verschlechterung der Lufteigenschaften schlägt sich zum Teil auch negativ auf die Fremdenverkehrsgebiete der Alpen nieder, da der Erholungseffekt geringer wahrgenommen wird. Zudem wird die Bevölkerung entlang der stark frequentierten Verkehrsachsen dauerhaft von den Emissionen belastet.
Besonders gravierend ist, dass sich der alpenquerende Güterverkehr zu 70 % auf nur drei Routen konzentriert: Brenner, Gotthard, Mont Blanc. Diese hohe Konzentration führt dazu, dass die Transittäler zu monofunktionalen Verkehrsgassen umfunktioniert werden. Der Verkehr hat hier derart zugenommen, dass durch Staubildung die Städte entlang der Trasse wirtschaftlich gar benachteiligt werden. Das Selbstbewusstsein und der Widerstand der durch Verkehrslärm und Kraftfahrzeugabgase geplagten Anwohner wachsen aber immer stärker. Vielerorts bildeten sich Bürgerinitiativen, die sich gegen einen weiteren Ausbau und die steigende Belastung durch den Transitverkehr wehren. Deswegen verfolgt die Verkehrspolitik in den betroffenen Alpenländern Ziele, den Verkehr durch unterschiedliche Maßnahmen zu reduzieren.


Maßnahmen der Verkehrspolitik

Zunächst wurde seitens der Verkehrspolitik auf die Zunahme des Verkehrs mit einem weiteren Aus- und Neubau von Transitstrecken reagiert. Schon bald reifte jedoch die Erkenntnis, dass alternative Konzepte zur Lösung der Verkehrsprobleme erforderlich sind. Um dem wachsenden Verkehr zunächst etwas entgegenzuwirken, wurden in der Schweiz und Österreich ein Mautsystem und Autobahnvignetten eingeführt. Die Verkehrsproblematik kann aber nicht von diesen beiden Ländern allein bewältigt werden, denn Sanktionsmaßnahmen in einem Land würden zu einer Verlagerung des Verkehrs ins Nachbarland führen. Zu diesem Zwecke wurde 1995 ein europäisches Übereinkommen, die Alpenkonvention, zum Schutz der Alpen zwischen den Anrainerstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Lichtenstein, Monaco, Österreich, Schweiz und Slowenien) vereinbart. Ein Schwerpunkt der Alpenkonvention ist die Verkehrspolitik, die besonders den umweltfreundlicheren Verkehrsträger Schiene fördern will. Zur Umsetzung der Ziele soll mit einem ganzen Maßnahmenbündel besonders der alpenquerenden Güterverkehr neugeordnet bzw. begrenzt werden. Einerseits soll mit höheren Abgaben ein Anreiz geschaffen werden, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Andererseits werden Neubauprojekte veranlasst, die die Verkehrsströme neu bündeln und lenken sollen.
Die Reduzierung des Transitverkehrs auf der Straße ist allerdings nur möglich, wenn entsprechende Alternativen geboten werden. Deshalb wurde bereits 1992 die Neue Eisenbahnalpentransversale (NEAT) vom schweizerischen Volk beschlossen. Die NEAT besteht aus einem Basistunnel am Gotthard (57 km, Fertigstellung voraussichtlich 2016), am Lötschberg (34 km, Fertigstellung 2007), dem Ceneri-Basistunnel (Fertigstellung voraussichtlich 2019) und dem Zimmerbergtunnel. Dieses Mammutprojekt soll für den Personenverkehr einen Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz ermöglichen. Durch die NEAT erhofft man sich zudem eine Rationalisierung und damit Attraktivitätserhöhung des Güterbahnverkehrs (Verkürzung der Strecken, weniger Steigungen und damit keine Lokwechsel unterwegs). Ein ganzes Maßnahmenbündel der schweizerischen Verkehrspolitik soll zudem die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene fördern.
Der bereits jetzt schon praktizierte Huckepack-Verkehr, bei dem die Lastkraftfahrzeuge auf Eisenbahnwagen transportiert werden, soll durch Standardisierung der verschiedenen technischen Systeme in den Alpenländern effizienter gestaltet werden. Das System wird auch als "Rollende Landstraße" (RoLa) bezeichnet. Durch die Einführung des genormten Containerverkehrs sollen die Güter logistisch effizienter transportiert werden, da hier beispielsweise die LKW-Fahrer nicht auf dem Zug mitreisen müssen. Die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) wird für den Straßengüterverkehr auf allen (schweizerischen) Straßen nach erlaubten Gesamtgewicht und Abgaskategorie kilometerabhängig erhoben. Damit sollen die ungedeckten Wegekosten und die externen Kosten (Lärm, Gesundheit, Unfälle, Gebäudeschäden) abgegolten werden. Das Verkehrsverlagerungsgesetz von 1999 legt erstmals das Verlagerungsziel zahlenmäßig fest. Es wurde 2008 revidiert und ist 2010 als "Güterverkehrsverlagerungsgesetz" in Kraft getreten. Demnach soll bis zwei Jahre nach Inbetriebnahme des Gotthard-Basis-Tunnels der Verkehr von nur noch 650.000 LKW pro Jahr durch die Schweizer Alpen zulässig sein. Als Zwischenziel wurde für 2011 eine Verkehrsbegrenzung auf 1 Mio. Fahrten pro Jahr festgesetzt. Als zusätzliches Verlagerungsinstrument soll eine Verschärfung der Schwerverkehrskontrollen (nach Masse und Gewicht, Lenk- und Ruhezeiten, Fahrzeugzustand etc.) dienen. Das Nachtfahrverbot wird von der Verordnungs- auf die Gesetzesstufe gehoben. Ein Zahlungsrahmen für die Förderung des gesamten Bahngüterverkehrs wurde ratifiziert. Mit diesem Instrument sollen der Bau von Eisenbahntrassen verbilligt und die nichtselbsttragenden Kombiverkehrsangebote subventioniert werden. Weiterhin soll mit der 1999 gestarteten Bahnreform der Betrieb der Eisenbahnen nach EU-Richtlinien reformiert werden.
Nach der Brandkatastrophe im Gotthardtunnel von 2001 wird seit der Wiedereröffnung der Schwerverkehr dosiert. Das bedeutet, dass nur eine beschränkte Zahl von Lastwagen den Tunnel gleichzeitig und pro Tag befahren darf. Beispielsweise dürfen pro Stunde maximal 1.000 PW-Einheiten in einer Richtung den Tunnel passieren; ein LKW entspricht drei PWEinheiten. Die Dosierung führt allerdings zu Rückstaus von Lastwagen, die dann irgendwo abgestellt werden müssen. Abhilfe soll hier ein als grundsätzlich machbar eingestuftes Reservationssystem schaffen, dass als Vorstufe zur Alpentransitbörse gilt. Mit diesem Instrument soll der Straßengüterverkehr auf ein von der Politik definiertes, für Mensch und Umwelt erträgliches Maß reduziert werden. Die erlaubten Fahrten über die Pässe sind auf einer internetgestützten Börse tageweise zu ersteigern. Nur wer eine Transitbewilligung vorweisen kann, darf seinen LKW über den entsprechenden Alpenübergang steuern. Der Preis für die Bewilligung wird nicht ins unermessliche wachsen, sondern sich auf einem Niveau ansiedeln, das nahe demjenigen des Schienentransportes liegt. Sobald der Preis höher wird, ist es günstiger, die Bahn zu benutzen. Die Alpentransitbörse kann als Feinsteuerungsinstrument zusätzlich zur leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, einer Maut oder einer Tunnelgebühr verwendet werden und ist so in allen betroffenen Ländern realisierbar. Im Rahmen einer von den Schweizer Bundesämtern für Raumentwicklung (ARE), für Straßen (ASTRA) und für Verkehr (BAV) in Auftrag gegebenen Studie konnte aufgezeigt werden, dass eine solche Börse betrieblich, technisch und rechtlich machbar ist. Weitere Ausarbeitungen der Alpentransitbörse sollen erfolgen.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich, Sebastian Bork, Wiebke Hebold
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2003
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 15.04.2012