Infoblatt Industrielandschaften
Entwicklungsgründe und Merkmale von Industrielandschaften
Industriegebiet - Opelwerk Eisenach (Opel)
Industrie dominiert die Landschaft
Von Industrielandschaft wird gesprochen, wenn eine wirtschaftsräumliche Einheit von einer Industrie geprägt wird und in dieser Industrie auch eindeutig dominierend ist. Die dominierende Industrie hat den jeweiligen Raum formal und funktional umgestaltet. Ähnliche Begriffe für Industrielandschaften sind Industrieregion, Industriegebiet oder Industrierevier. Ordnet sich ein Industriegebiet in einem Flusstal bandartig an, so spricht man von einer Industriegasse. Der Begriff Industrielandschaft setzt sich aus zwei Hauptbestandteilen "Industrie" und "Landschaft" zusammen. Während "Industrie" als Produzierendes Gewerbe noch relativ einfach abgrenzbar ist, gestaltet sich die Bestimmung des Begriffs "Landschaft" schon wesentlich schwieriger. So wird Landschaft als Teil der Erdoberfläche betrachtet, der inhaltlich und räumlich (oft schwer) abgrenzbar ist und durch das Zusammenwirken von Naturfaktoren und menschlichem Einfluss ein bestimmtes Aussehen erhält und damit von anderen Teilen der Erdoberfläche unterscheidbar ist. Deshalb gestaltet sich die genaue Abgrenzung der Industrielandschaften als räumliche Einheit oft schwierig. So gehören zu einem Industriegebiet nicht nur die Betriebe und Industrieanlagen mit ihren Begleiterscheinungen wie beispielsweise Wasser- und Luftverschmutzungen, sondern es herrscht ein besonderes Milieu aus Verkehrsanlagen, Arbeiterwohnquartiere und ein charakteristisches Geschäftsleben. Da Industriebetriebe (anders als etwa die Agrarwirtschaft) eine nur vergleichsweise geringe Fläche beanspruchen und zudem Deindustrialisierungsprozesse bei altindustriellen Regionen bestehende Industriereviere auflösen, werden echte Industrielandschaften immer seltener. Bekannte Beispiele für traditionelle Industrielandschaften sind das Ruhrgebiet und der Raum Pittsburgh in den USA, als neue Industrielandschaft wird das Silicon Valley aufgefasst.
Entwicklungsgründe von Industrielandschaften
Wer sich für traditionelle und auch neue Industrielandschaften interessiert, fragt nach den Gründen für die Ansiedlung von Industrien und nach den Ballungsprozessen, die den einfachen Industriestandort in eine komplexe Industrielandschaft verwandeln. Für die Entfaltungsursachen von Industrien zu Industrielandschaften gibt es zahlreiche Untersuchungen und Theorien. Traditionelle Standortlehren beschäftigen sich beispielsweise mit den Gesetzmäßigkeiten der Standortwahl. Das bedeutet, dass ein Standort von einem Unternehmen bevorzugt wird, wenn es z. B. die notwendigen Rohstoffe bzw. Bodenschätze am Standort gibt oder die Verkehrslage günstig ist. Die spezifischen Standorteigenschaften beeinflussen die Standortwahl eines Industrieunternehmens. Eine bekannte Theorie ist die kostenminimale Standortwahl nach Weber, bei der die Transportkosten, Arbeitskosten und Agglomerationswirkungen für die Standortwahl ausschlaggebend sind. Neuere Ansätze interessieren sich weniger dafür, wie Standortentscheidungen von Unternehmen durch räumliche Eigenschaften geprägt werden. Es wird vielmehr betrachtet, wie Unternehmen ihr lokales und regionales Umfeld durch ihre Tätigkeiten aktiv verändern. Diese Sichtweise ist zur traditionellen Standortlehre genau umgekehrt. Viele Ökonomen und Wissenschaftler in den angrenzenden Fächern haben sich über die Theorien und Ansätze der erfolgreichen Entwicklung von Industriestandorten jahrzehntelang den Kopf zerbrochen. Fest steht, dass bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sein müssen und auch gewisse Zufälle eine Rolle spielen. Die Frage, warum sich wo neue und innovative Industrien niederlassen und einen Ballungsprozess zu einer Industrielandschaft einleiten, kann aber nicht allgemeingültig beantwortet werden.
Merkmale von Industrielandschaften
Industrielandschaften werden oft mit altindustriellen Räumen gleichgesetzt, wobei aber auch gegenwärtig vitale Industriereviere (z. B. Silicon Valley) damit gemeint werden. Was sind nun die Merkmale der traditionellen Industriegebiete, die häufig vom deutlichen Rückgang der ehemaligen Wachstumsindustrien gekennzeichnet sind? Die Charakteristika sind oft eine hohe Bevölkerungsdichte und eine einseitig ausgerichtete Struktur der Industrie mit hohem Besatz an großbetrieblichen Anlagen. Aber auch überdurchschnittliche Umweltbelastungen sowie tiefgreifende Umgestaltung der Umwelt gehören dazu. Außerdem ist mit dem Strukturwandel und der Entwertung des Industriekapitals häufig auch eine hohe Arbeitslosigkeit, starke Abwanderungen, eine Überalterung der Siedlungssubstanz und Infrastruktur sowie ein Imageverlust der Region durch verstärktes Auftreten von Industriebrachen und Altlastenverdachtsflächen verbunden.
Wert der Industrielandschaften
Zum traditionellen Inventar einer altindustriellen Landschaft gehören meist alte Fabrikanlagen, Apparaturen sowie Infrastruktur für land- und wassergebundene Schwertransporte wie Gleisanlagen und Kanäle. So banal diese Dinge einst waren, umso seltener werden sie durch die Deindustrialisierung heute. Und je knapper etwas ist, umso höher liegt dann oft der Wert. Damit unterliegt das historische Erbe von Altindustrieräumen den gleichen Umwertungsprozessen wie andere knapper werdende Güter. Aber oft unterscheidet sich die Wahrnehmung des kulturellen Erbes einer Landschaft. Viele betrachten den Schutz und die Pflege von Denkmälern wie Burgen, Schlössern, Kirchen und Bürgerhäusern als kulturelle Aufgabe eines Landes. Dagegen wird ein Hochofen, eine Zeche oder ein Walzwerk kaum als "Kultur" wahrgenommen, auch wenn diese durchaus als zivilisatorische Errungenschaften begriffen werden. Die Wahrnehmung wandelt sich jedoch in Richtung Anerkennung von Objekten der "Alltagskultur" als wertvolle Zeugen der kulturellen Entwicklung einer Region. Landschaften, in denen einst Kultur abwesend zu sein schien, weisen durch diese Neubewertung nun geschätzte Objekte der Industriekultur auf und damit herausragende Elemente einer speziellen "materiellen Kultur". Die altindustriellen Räume entfalten ein Gesicht, welches in anderen Regionen so nicht vorhanden ist. Da die Städte und Regionen zunehmend unter Wettbewerbsdruck stehen, können diese Räume sich als unverwechselbar profilieren. Mit anderen Worten: Die Industrielandschaften können als Zeugen ihrer Zeit als wertvolle historische Monumente gepflegt und bewahrt werden. Mit diesen Pfründen können diese Regionen beim Tourismus wuchern und sich gleichzeitig ein neues Image durch gezieltes Marketing verschaffen, so die Hoffnung. Damit könnten zugleich auch neue Investoren angelockt werden, um neue Arbeitsplätze in den von der Deindustrialisierung arg gebeutelten Regionen zu schaffen.
Raumbeispiele für Industrielandschaften
In der saarländischen Stadt Völklingen ist beispielsweise die Eisenhütte von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Die Hochofenanlagen, in denen Eisen gewonnen und weiterverarbeitet wurde, sind 1986 stillgelegt worden. Nun sollen sie als Kathedrale des Industriezeitalters und Symbol der ersten und zweiten industriellen Revolution bewahrt werden. Dabei werden nicht nur die umfangreichen technischen Anlagen den interessierten Besuchern vorgeführt, sondern auch ein Bild des sozialen Lebens der Arbeiter und deren Familien im harten Arbeitsalltag mit allen Extremsituationen vermittelt. Die Strategie der Revitalisierung (Wiederbelebung) scheint aufzugehen. Die Völklinger Hütte füllt sich mit neuem Leben. So arbeiten nun Studenten der Hochschule der Bildenden Künste Saar dort. In drei neugenutzten Gebäuden ist ein Gewerbe- und Technologiezentrum (GTZ) eingerichtet worden.
Nirgendwo geschieht der Umgang mit dem altindustriellen Erbe aber eindrucksvoller als im von Kohle und Stahl geprägten Ruhrgebiet. Ein umfassendes Projekt zum Umbau der alten Industrieregion war die auf zehn Jahre von 1989 bis 1999 angelegte Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA). Nie zuvor wurde gewagt, eine gesamte Region zu reparieren. Die IBA wurde als Instrument zur ökologischen, ökonomischen und sozialen Erneuerung des von der Deindustrialisierung besonders stark betroffenen nördlichen Ruhrgebietes installiert. An rund 120 Standorten in 17 Städten wurde in Einzelprojekten der Wandel nachhaltig vorangetrieben und "Industriekultur" neu bewertet. Damit soll sich aus den Einzelstandorten ein großes Ganzes ergeben, dass für zukunftsfähige Strukturen im Ruhrgebiet stehen soll. Die IBA Fürst-Pückler-Land, die von 2000 bis 2010 in der Lausitz stattfand, setzte diesen Weg fort. Dort war die Industriekultur in einen Prozess der Landschaftsneugestaltung eingebunden: Aus Tagebaurestlöchern entstand eine neue Seenlandschaft. Diese Seenlandschaft bekam aber ihr ganz eigenes Gesicht, da bewusst Elemente aus ihrer Vergangenheit und Gegenwart einbezogen wurden. So konnten Förderanlagen oder Kraftwerke besichtigt und erlebt werden. Internationale Beispiele für eine Neubewertung von Industriekultur sind u. a. die britischen Städte Liverpool und Manchester.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 22.05.2012
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 22.05.2012