Infoblatt Waldsterben


Ursachen, Zusammenhänge, Auswirkungen



Toter Wald (Wilhelmi)

Stellen Sie sich eine Waldlandschaft irgendwo in Deutschland vor, vielleicht sogar in ihrer unmittelbaren Umgebung. Wir schreiben das Jahr 2020: „Es ist eine abenteuerliche Fahrt hier herauf nach Welzheim. Starke Erosionen und Grundwassersenkungen haben dem Keuperbergland (...) ein anderes Gesicht gegeben. Die Straße von Rudersberg herauf ist schon seit Jahren verschüttet. Als dort der Wald seine Schutzfunktion auf dem rutschigen Knollenmergeluntergrund eingebüßt hatte, sind – wie im Jahre 1911 beim Bau der Eisenbahn – ganze Hänge ins Tal gerauscht. Jetzt schon haben die Bäche mehr als ein Viertel der Humusschicht ins Tal gespült. (...) Monatelang ist der Boden hier knochentrocken, dann wieder reicht ein Regenguss, um im Tal Wieslauf und Rems über die Ufer treten zu lassen. Von Haubersbronn herauf ist der Weg noch befahrbar. Auf rund 10 Kilometer Länge wurde die Straße 50 Meter beidseitig mit stählernen Netzen gesichert – eine gewaltige Investition, die das Land rund 120 Millionen Mark gekostet hat. Auch hier wuchert Gestrüpp. Nur vereinzelt, in feuchten Senken, finden sich noch hochstämmige Bäume. (...)“ Aktion „Wälder warten nicht auf Wunder“. Zeitungsverlag Waiblingen 1985, S. 9

Ein übertriebenes Schreckensszenario?


Von den Waldschäden zum Waldsterben

Mitte der 1970er Jahre beobachtete man vor allem in den Kammlagen unserer Mittelgebirge an Einzelbäumen, vornehmlich an Tannen, Schädigungen an Nadeln und Wurzelwerk, die die pflanzenphysiologischen Prozesse beeinträchtigen und somit den Wuchs und den Holzzuwachs mindern. Zu Beginn der 1980erJahre häuften sich dann die alarmierenden Meldungen über eine flächenhafte Schädigung unserer Wälder; die krankhaften Erscheinungen beschränkten sich nicht mehr nur auf die Tanne, sondern auch Fichte und Kiefer sind davon betroffen, heute auch Buche und Eiche. Zudem findet dieser Prozess nicht mehr nur in den Kammlagen der Mittelgebirge und in den Waldgebieten der Hochgebirge statt, sondern er läuft auch in den niedriger gelegenen Teilen unserer Wälder ab, allerdings nicht mit dieser Intensität. Das in den 1980er Jahren befürchtete Schreckensszenario von großflächig absterbenden Wäldern blieb nach umfangreichen Waldsanierungsmaßnahmen aber aus. Der Zusammenbruch der mittel- und osteuropäischen Planwirtschaft und der damit einhergehenden massiven Deindustrialsierung haben erheblich zu einer Verminderung der Schadstoffeinträge und somit zur Gesundung der Wälder beigetragen. Der Waldbestand in der Bundesrepublik wuchs von 1987 bis 2002 um 17 %, wie eine bundesweit durchgeführte Waldinventur ergab. Im Jahr 2000 waren gemäß des offiziellen Waldschadensberichts (heutige Bezeichnung: Waldzustandsbericht) rund 35 % aller Waldbäume ohne erkennbare Schäden. Anfang der 2000er Jahre wurde das Waldsterben von der Bundesregierung und von europäischen Nachbarländern schließlich als beendet erklärt. Der Waldzustandsbericht 2003 bestätigte die Aussage, dass das Waldsterben nicht wie befürchtet stattfindet. Bei 23 % des Waldbestandes wurde aber nach wie vor eine deutliche Schädigung festgestellt. Die Daten wurden jedoch vor der langanhaltenden Dürreperiode im Rekordsommer 2003 (heißester Sommer seit 600 Jahren) erhoben. Ein Jahr später zeigten sich die ersten Auswirkungen des Hitzesommers. Laut Waldzustandbericht der Bundesregierung nahmen die Waldschäden deutlich zu: 31 % der Bäume wurden als deutlich geschädigt ausgewiesen. Seit Beginn der Datenerfassung wurde die stärkste Kronenverlichtung, ein wichtiger Gesundheitsindikator, gemessen. Im Jahr 2005 wurde mit einem Anteil von 29 % ein leichter Rückgang der Waldflächen mit deutlicher Kronenverlichtung registriert. Der Anteil der Waldflächen ohne erkennbare Verlichtung beträgt ebenfalls 29 %, was allerdings immer noch einer der tiefsten Stände seit Beginn der systematischen Messung bedeutet. Hinter diesen Zahlen stecken allerdings nur Mittelwerte über alle Baumarten, Alterstufen und Regionen hinweg. In der gesamten Bundesrepublik gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede. Für die häufigste Baumart in Deutschland, die Fichte, wurde in der langjährigen Beobachtung eine Zunahme der Kronenverlichtung festgestellt. Trotz der Verbesserung um 4 % gegenüber dem Jahr 2004, kann noch nicht von einer Trendumkehr gesprochen werden. Die vierthäufigste Baumgruppe in Deutschland ist die Eiche. Im Erhebungsjahr 2005 wurden 51 % des Baumbestandes als deutlich geschädigt erfasst (2004: 45 %). Lediglich 15 % der Eichen sind ohne erkennbare Verlichtung. Das ist der niedrigste Stand seit Beginn der Erhebungen. Damals war die Eiche die am wenigsten geschädigte Baumart; deutliche Verlichtungen wiesen nur 9 % des Bestandes auf. 2005 weist sie von allen Waldflächen den höchsten Schädigungsgrad auf. Der deutschen Eiche geht es so schlecht wie nie.
In 2006 nahmen die Waldbestände ohne erkennbare Verlichtungen auf 32 % zu, die Bestände mit deutlichen Schäden machten 28 % aus. Noch immer leidet der Wald unter den Folgen des Sommers 2003. Die Buche mit 48 % schwerer Schädigungen hat die Eiche mit 44 % überholt, darauf folgen die Fichte mit 27 % und letzlich die Kiefer mit 18 % Kronenverlichtung. Am schwersten sind die Bundesländer Saarland (48 %) und Baden-Württemberg (45 %) betroffen.
Drei Jahre später hat sich der Zustand des deutschen Waldes leicht gebessert. So stieg der Anteil der Bäume, die keine Verlichtungen aufweisen auf 36 % an, der von Bäumen mit deutlichen Kronenverlichtungen lag hingegen bei 27 %. Letzterer stieg besonders bei den Buchen binnen eines Jahres von 2008 auf 2009 um 20 % auf 50 %. Dieser Anstieg liegt in dem üppigen Fruchtbehang mit Bucheckern begründet. Es folgen Eichen mit 48 %, Fichten mit 26 % und Kiefern mit 13 %. Noch immer sind die anteilig größten Schäden in Baden-Württemberg (48 %) und im Saarland (35 %) zu finden.

Doch immer wieder weisen Untersuchungen auch einen ganz anderen Trend aus und man stellt fest: der Zustand des Waldes verschlechtert sich nach und nach – wenn auch in unterschiedlichem Tempo. Ausgerechnet 2011, das von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Waldes auserkoren wurde, hat sich der Zustand des deutschen Waldes deutlich verschlechtert. Besonders betroffen sind Buchen. Deutliche Schäden an den Kronen hatten 2011 28 % aller Laub- und Nadelbäume. Der Anteil mit leichten Schäden ging von 39 auf 35 % zurück. Keine Schäden hatten 37 % der Bäume nach zuvor 38 %. Spürbar erholt haben sich die Eichen. Bei der häufigsten Laubbaumart, der Buche, hatte etwa jeder zweite Baum deutliche Schäden an der Krone – der Anteil erreichte mit 57 % Rekordniveau. Im Jahr zuvor waren es 33 %. Hauptgrund dafür ist die viel üppigere Bildung von Früchten, also Bucheckern, gegenüber Blättern.
Bei Eichen sank der Anteil stark beschädigter Baumkronen um zehn Prozentpunkte auf 41 %. Dies resultierte unter anderem daraus, dass es weniger Schäden durch Schmetterlingsraupen und kaum Mehltaubefall gegeben hat. Bei Fichten gab es eine leichte Steigerung auf 27 %. Der vielerorts verregnete Sommer hatte dafür gesorgt, dass eine drohende Massenvermehrung von Borkenkäfern aufgehalten wurde. Bei Kiefern war der Anteil mit deutlichen Kronenschäden mit 13 % konstant.
Doch der Zustand der Bäume in Deutschland fällt regional unterschiedlich aus. Die kränksten Bäume zum Beispiel wachsen in Thüringen und Hessen, während der Brandenburger Wald am gesündesten ist. Besonders wenig belastet ist dort die Kiefer – und am meisten, ganz gegen den Bundestrend, ist ausgerechnet die Eiche.



Geschädigter Nadelbaum (Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Braunschweig)


Symptome der Schädigung

Seit der flächenhaften Waldschädigung wird dieser Prozess als Waldsterben bezeichnet. Die dann rasch einsetzende intensive Forschung auf Bundes- und Landesebene, vor allem im Bereich der Forstwissenschaften, der Bodenkunde und der Chemie, ermöglichen heute eine ganze Reihe von Ursachen und Ursachenkomplexen zu nennen, die diese Schädigungen hervorrufen; eine eindeutige, alles umfassende Erklärung gibt es allerdings noch nicht. Bei den Nadelbäumen ist das Abfallen der Nadeln das auffälligste Symptom für die Schädigung des Waldes. Der Nadelverlust beginnt zumeist im unteren Bereich der Baumkrone, er setzt sich dann bis zur Spitze fort. Der Hochtrieb ist verkürzt, es bilden sich "Storchennester" aus. Dadurch verliert zum Beispiel die Tanne ihre typische spitzwinkelige Form. Bei den Fichten hängen die Zweige schlaff nach unten ("Lamettasyndrom"), wobei der Nadelverlust von innen nach außen eintritt. Erkrankte Laubbäume sind daran zu erkennen, dass die Blätter nur noch matte Farben aufweisen und vergilben. Die Blätter fallen schließlich ab.
Neben den oberirdisch sichtbaren Schäden sind auch an den Wurzeln Veränderungen erkennbar. Geschädigte Feinwurzeln sind verdickt bzw. krankhaft verformt. Ihre Funktionen sind gestört.



vereinfachtes Schema zu den Ursachen des Waldsterbens


Ursachen der Walderkrankung: Schadstoffe und deren Wirkungen

Erkrankungen von Bäumen hat es in unseren Wäldern schon immer gegeben. Verantwortlich dafür waren extreme Frost- und Trockenperioden oder auch Schädlingsbefall. Solche natürlichen Ursachen konnte ein intaktes Waldökosystem jedoch früher schnell ausgleichen. Beim gegenwärtigen Waldsterben spielen andere Faktoren eine wesentliche Rolle. Die Forstwirtschaft hat in das komplexe natürliche Waldökosystem extrem eingegriffen. Die natürliche Waldgesellschaft ist durch eine Artenvielfalt und vor allem auch durch eine Mischung von Bäumen unterschiedlichen Alters gekennzeichnet. Heute hingegen prägt häufig der sogenannte entmischte Altersklassenwald das Bild unserer Wälder. Die Nadelbäume, vor allem Fichte und Douglasie, weisen alle das gleiche Alter auf, können somit auch auf einen Schlag mit schweren Maschinen "geerntet" werden. Außerdem wurde vielfach nicht auf eine standortgerechte Bewirtschaftung geachtet. So stehen z. B. Fichte und Douglasie auf stark lehmigen, Wasser stauenden Böden, die nicht den natürlichen Standortbedingungen entsprechen.
Durch diese und andere Veränderungen wurde das durch den Menschen geschaffene Waldökosystem anfälliger für die Schadstoffe, die durch die Emissionen einer hochindustrialisierten Wirtschaftsweise entstehen. Als Hauptverursacher des Waldsterbens wird heute die Schadstoffbelastung der Luft angesehen. Zu den hauptsächlichen Luftverunreinigern zählen Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle und Staub. Diese primären Luftverunreinigungen werden von Industrie, Haushalten und Kraftfahrzeugen freigesetzt. Aus ihnen entstehen durch chemische Reaktionen sekundäre Verunreinigungen wie der saure Regen oder Fotooxidantien. Schwefeldioxid- und Stickoxidemissionen oxidieren in der Luft teilweise zu Schwefel- und Salpetersäure, was in Verbindung mit Niederschlägen den sauren Regen zur Folge hat. Fotooxidantien sind eine Reaktionsgruppe, die aus Stickoxiden und reaktiven Kohlenwasserstoffen unter Einwirkung von UV-Strahlen entstehen. Zu diesen Reaktionsprodukten zählen Ozon, Peroxiacetylnitrat (PAN) sowie Peroxide, Aldehyde und organische Säuren. Ozon ist die Leitsubstanz der Fotooxidantien, die in ihrer Gesamtheit auch "fotochemischer Smog" genannt werden.
Ozon greift in den Stoffwechsel der Nadeln und Blätter ein und zerstört deren Wachsschicht. Die Einwirkungen der Schadstoffe schädigen auch die Zellmembranen der Nadeln, wodurch die Nährstoffe Magnesium, Kalium und Kalzium ausgewaschen werden. Diese Wirkung wird durch den sauren Regen noch verstärkt. Aber auch der Boden wird durch die Anreicherung von Schadstoffen verändert. Die Bodenversauerung bewirkt eine Freisetzung von Metallionen, die dann ausgewaschen werden. Dadurch wird es für den Baum immer schwieriger, den Mangelzustand an Magnesium, Kalium und Kalzium auszugleichen. Ein sichtbares Symptom für den Magnesiummangel sind die vergilbten Nadeln und Blätter. Bei fortschreitender Bodenversauerung werden auch Schwermetalle freigesetzt und die Haarwurzeln der Pflanzen geschädigt. Weitere Vergiftungen sowie Störungen in der Nährstoff- und Wasseraufnahme sind die Folge. Neuerdings werden diese Vorgänge durch einen weiteren Schadstoff verstärkt: den Stickstoff. Vor allem trägt die Landwirtschaft – was lange Zeit unbeachtet blieb – insbesondere durch die Massentierhaltung, aber auch durch den starken Stickstoffdüngerverbrauch zum Waldsterben bei. Die Stickstoffeinträge aus Landwirtschaft und Verkehr führen gemeinsam zur Überdüngung und damit zu weiteren Schäden im Ökosystem Wald. Je mehr die Widerstandskraft der Bäume durch die Schadstoffe geschwächt ist, umso anfälliger werden sie für Einwirkungen aus der Natur selbst. DDas gilt vor allem für Klimaextreme wie lang anhaltende Trockenheit (wie im Sommer 2003 oder manchen Monaten von 2009 und 2011), strengen Frost oder zu starke Nässe und eine daraus resultierende Sauerstoffarmut im Wurzelbereich. Aber auch Schädlinge wie der Borkenkäfer und der Schwammspinner oder Pilzbefall führen zu einem Beschleunigungseffekt in der Kausalkette.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich, Kristian Uhlenbrock
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2006
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 24.05.2012