Infoblatt Nomadismus
Definition, Formen, Verbreitung und aktuelle Probleme
Definition
Beim Nomadismus handelt es sich um eine der weltweit ältesten Wirtschaftsformen, die durch eine regelmäßige Wanderbewegung ganzer sozialer Gruppen geprägt ist.
Er bezeichnet eine Wanderwirtschaft, die durch ständiges, meist saisonal zyklisches Wandern von Stämmen – überwiegend im geschlossenen Familienverband – samt Viehbestand und Hab und Gut zum Zwecke der Weidenutzung gekennzeichnet ist.
Jegliche Niederlassung ist beim voll ausgeprägten Nomadismus temporär mit einer Verweilzeit von wenigen Tagen bis hin zu 20 Jahren; feste und dauerhafte Siedlungen sind eher selten.
Ausgeprägte Wirtschaftsform des Nomadismus ist die Viehzucht (z. B. Kameltiere, Rentiere Reiternomaden, Schafe oder Ziegen). Die Tiere dienen dabei allerdings fast ausschließlich als Nahrungs- und Kleidungslieferanten (Milch, Felle) und fast nie als direkte Fleischlieferanten. Nomaden leben also primär von den Erzeugnissen ihres Viehbestands und nicht vom Vieh selbst, da der Viehbestand einer Familie oder Sippschaft nicht zuletzt auch als sozialer Gradmesser innerhalb der Gemeinschaft gesehen werden kann.
Der Nomadismus gilt als optimale Anpassung des Menschen an ökologisch nutzbare Grenzräume.
Formen des Nomadismus
Vollnomadismus
Der Vollnomadismus bezeichnet die ausgeprägteste Form des Nomadismus, die durch eine Wanderbewegung der kompletten Familie mit ihrer Herde gekennzeichnet ist.
Sommer- und Winterbehausungen sind nur übergangsweise (z. B. Zelte), Ackerbau wird i. d. R. nicht betrieben.
Der Vollnomadismus kann mit periodisch saisonalen, horizontalen oder mit episodisch ungerichteten Wanderungen einhergehen. Allen Bewegungen gemein ist die dauerhafte Mobilität der gesamten sozialen Gruppe.
Halbnomadismus (Seminomadismus)
Bei dieser Wirtschaftsform wandert nur ein Teil der Sippe mit den Herden mit, während oftmals Frauen, Kinder und ältere Stammes- oder Familienmitglieder in Dauersiedlungen wohnhaft bleiben und dort zumeist Ackerbau betreiben oder anderweitige Nebeneinkünfte unterhalten.
Der Halbnomadismus ist die weltweit am häufigsten anzutreffende Form der Wanderwirtschaft.
Flachlandnomadismus (Horizontalnomadismus)
Der Flachlandnomadismus ist durch rein horizontale Wanderungsbewegungen über z. T. beträchtliche Distanzen geprägt. Weidegebiete werden zumeist in episodischem Rhythmus gewechselt; Brunnen haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Wanderungsbewegung.
Charakteristisch sind Nutztiere wie die perfekt an trockenheiße Konditionen angepassten Dromedare und Kamele, die zum Teil auch zum Transport von Handelsgütern eingesetzt werden, sowie Schafe und Ziegen.
Bergnomadismus (Vertikalnomadismus)
Der Bergnomadismus wird durch vertikale Wanderbewegungen von Winterweidegebieten in den Tälern zu Sommerhochweiden im Gebirge charakterisiert.
Diese Form ist vorzugsweise in Steppengebieten verbreitet, da so den sommerlichen Dürreperioden im Tiefland entgangen werden kann.
Die zurückgelegten Wanderbewegungen sind im Regelfall deutlich geringer als beim Flachlandnomadismus; als Nutztiere fungieren fast ausschließlich Ziegen und Schafe.
Weitere Formen sind der Wüstennomadismus, bei dem oft besonders lange Distanzen zurückgelegt werden müssen und der Steppennomadismus, bei dem u. a. auch Pferde- und (seltener) Rinderzucht betrieben wird.
Als weitere Unterscheidungskriterien gelten darüber hinaus die Distanz der Wanderung (fern- und nahwandernder Nomadismus) sowie die Art der Behausung (z. B. Zelte, Jurten, feste Bebauung etc.).
Abgrenzung Transhumanz – Nomadismus
Zwar ist die Transhumanz ebenfalls durch Wanderbewegungen gekennzeichnet, unterscheidet sich vom Nomadismus aber im Wesentlichen dadurch, dass die Eigentümer der Herden nicht selbst mitwandern, sondern Fremdhirten mit dieser Aufgabe bekleiden (z. B. klassisches Hirtentum im Mittelmeerraum).
Verbreitung
Hauptverbreitungsgebiet der Nomaden sind die Steppengebiete, Halbwüsten und Savannen Nordafrikas sowie Vorder- und Zentralasiens.
Jedoch finden sich nomadisch geprägte Völker und Volksgruppen rund um den gesamten Globus, wie die folgende Auflistung von Nomadenvölkern nach Regionen veranschaulicht:
- Afrika
Beduinen (Wüstengebiete der Sahara und Arabiens bis zum Sinai), Herero (größtenteils Namibia), Hema (Kongo), Himba (größtenteils Namibia), Massai (südliches Kenia, nördliches Tansania), Pygmäen (Zentralafrikanische Republik, Ruanda, Gabun, Kongo), Samburu (Kenia), San (gesamtes südliches Afrika), Tuareg (Sahara, Sahelzone) - Amerika
Innu (Quebec und Labrador), Kawesqar (Patagonien), Yamana (Feuerland, quasi ausgerottet) - Asien
Alanen (Osseten als Nachfolgevolk, nördlicher Kaukasus), Burjaten (Sibirien), Changpa (Nordindien), Gashghai (Iran), Lulen, Mlabri (Thailand), Mongolen (Mongolei, China, Russland), Nenzen (Russland, Sibirien), Reiternomaden (z. B. die Dschandschawid im Sudan), Seenomaden (südostasiatische Inselwelt), Tibeter, Turkvölker (Eurasien) - Europa
Samen (Skandinavien), Sinti, Roma, Pavee (Irland, Großbritannien), Quinqui (Spanien) - Sonstige
Aborigines (Australien), Inuit (Grönland, Kanada)
Aktuelle Situation, Probleme
Der Nomadismus unterliegt vielerorts einem umfangreichen Wandel: Seßhaftmachung, Verlust von Weideflächen durch extensivere Bewirtschaftung und sozio-ökonomische Veränderungen prägen die nomadische Lebensweise nachhaltig.
Die einst klassischen Wanderbewegungen werden heutzutage durch politische Grenzen nicht selten erschwert.
Nicht zuletzt das Problem der Desertifikation in den besonders stark von Nomadismus geprägten Arealen begünstigte einen Trend hin zu ausgeprägteren Nebeneinkünften: Viehwirtschaft und traditioneller Handel werden zunehmend marginalisiert; Ackerbau, Handwerk oder Lohnarbeit spielen eine größere Rolle als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Großteil der weltweiten Nomadenvölker lebt heute in eher ärmlichen Verhältnissen.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Nils Wiemann
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 28.05.2012