Tourismusparadies Südsee - Mythos und Wirklichkeit


"Weiße Sandstrände, kristallklares Wasser, blaue Lagunen, weite Buchten, Sonnenuntergänge hinter Kokospalmen über dem Meer, Korallenriffe mit einer vielfältigen farbenfrohen Unterwasserwelt, freundliche und hilfsbereite Menschen, die noch nicht von der westlichen Zivilisation verdorben sind, einsame Inseln ohne Hetze, exotisches Brauchtum." Glaubt man den Versprechungen der Reisebroschüren, so sind die Südseeinseln im pazifischen Ozean das Urlaubsparadies schlechthin. Im unermesslich großen Ozeanien finde - so die vollmundigen Versprechungen - jeder seine Insel oder sein Atoll für eine freiwillige Robinsonade auf Zeit. Ein Klischee? Ein Phantasiebild? Oder nur eine Erfindung der Tourismusindustrie?



Urlaubsparadies Südsee (Corel)


Mythos Südsee

Das Bild vom Zauber der Südseeinseln hat Geschichte. Schon 1773, als James Cook zum zweiten Mal die Insel Tahiti betrat, schrieb der Mitreisende Johann Reinhold Forster, ein angesehener deutscher Naturforscher und Hochschullehrer: "Ein Morgen war's, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem Ort wir die Insel O-Taheiti zwei Meilen vor uns sahen." In seinem 1777 erschienenen Reisebericht "A voyage Round The World" bezeichnet sein Sohn Georg Foster, der seinen Vater auf der Südseereise begleitet hatte, Tahiti als "Garten Eden", der seinen Bewohnern alles böte, was sie zum Leben bräuchten. Beide Schilderungen schienen das Bild von Jean-Jacques Rousseaus "edlem Wilden" zu bestätigen, der, unverdorben in einem naturhaften Zustand, unversehrt von den Krankheiten der Zivilisation, ein gutes, glückliches und paradiesisches Leben führt ("Discours sur lórigine et les fondements de linégalité parmi les hommes", erschienen 1775). Diesen "edlen Wilden" glaubten die Europäer auf Tahiti gefunden zu haben. Einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte das Bild vom "Zauber der Südsee" durch die belletristischen Werke von Robert Louis Stevenson, Somerset Maugham, James Michener und, besonders in Deutschland, durch das 1920 erschienene Buch des deutschen Schriftsteller und Malers Erich Scheuermann "Der Papalagi". In elf fiktiven Reden warnt darin der Südseehäuptling Tuiavii aus Tiavea in Samoa vor den in Europa herrschenden Wertvorstellungen und stellt ihnen indirekt die unverdorbene Lebensweise der Bewohner Samoas gegenüber. Große Popularität erlangte Scheuermanns Buch in der Zeit der Hippie-Bewegung; es wurde zum Kultbuch. Zum Mythos Südsee haben auch die Bilder des französischen Malers Paul Gauguin wesentlich beigetragen. Aber seine Bilder geben nicht die Wirklichkeit der Südseeinsel Tahitis wider, sondern zeichnen ein exotisches Paradies, das der Maler sich erträumte. 1890 – ein Jahr bevor er zum ersten Mal den Boden Tahitis betrat - schrieb er an den dänischen Maler Jens-Ferdinand Willumsen: "Die glücklichen Bewohner eines unbeachteten Paradieses in Ozeanien kennen vom Leben nichts anderes als seine Süße. Für sie heißt Leben Singen und Lieben."


Entwicklung des Südseetourismus

Der Zauber der Südseeinseln ist ungebrochen. Sie sind offensichtlich nach wie vor die Sehnsuchtsinseln schlechthin. Das belegen auch die von der World Tourism Organization und anderer Institutionen erhobenen Daten. Besonders seit dem Aufkommen des Fern- und Massentourismus haben die Südseeinseln eine beispiellose Entwicklung genommen.


Entwicklung der Besucherzahlen ausgewählter Destinationen in Ozeanien

Besucher 1990 (Tsd.) Besucher 2010/2011 (Tsd.) Einwohner meist 2011 (Tsd.) Besucher pro 1.000 Ew. 2010/2011

Cook-Inseln 33,9 112,6 19 5.928
Fidschi 279,0 430,8 849 507
Franz. Polynesien 132,4 212,8 269 791
Guam ca. 700,0 1.130,9 185 6.113
Hawai ca. 6.700,0 6.982,0 1.360 5.134
Kiribati 3,2 3,5 98 36
Papua Neuguinea 40,7 ca. 70,0 6.732 ca. 10
Salomonen 9,2 21,0 523 40
Vanuatu 35,0 ca. 60,0 240 ca. 250
Samoa 47,6 ca. 90,0 179 ca. 500

Quelle der Daten: CIA World Factbook, Der Fischer Weltalmanach 2012, UNWTO, nationale Statistiken

Durchschnittliche Wachstumsraten von 10 % jährlich sind keine Ausnahme. Die größten Steigerungsraten konnten seit Anfang der 1980er Jahre die US-amerikanischen Inseln Hawai und Guam verzeichnen, andere waren weniger erfolgreich, bedingt durch eine unzureichend ausgebaute Infrastruktur (Flughäfen) oder politische Unruhen.
Wie die obige Tabelle belegt, ist die Verteilung der Touristenströme sehr ungleichmäßig. Während einige Inseln praktisch vom Tourismus leben (Cook-Inseln, Guam, Hawai), spielt er auf anderen nur eine untergeordnete Rolle (Kiribati, Papua Neuguinea, Salomonen). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen Besucherzahl und Einwohnerzahl. Die Werte schwanken zwischen 10 (Papua Neuguinea) und ca. 6.100 (Guam). Trotzdem ist der Tourismus auch auf einigen der weniger stark besuchten Inseln eine wichtige Einnahmequelle. Vielfach übertreffen die aus dem Tourismus erzielten Devisen auch hier inzwischen die Erlöse aus den klassischen Exportgütern.


Die Kehrseite der Medaille: negative Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Natur

Schon kurz nach seiner Landung in Tahiti im Jahre 1891 hatte Gauguin feststellen müssen, dass Tahiti keineswegs ein Paradies war, in dem er, ohne arbeiten zu müssen, ein ursprüngliches, glückliches und fast kostenfreies leben führen könne. Die europäische Kolonialherrschaft (Tahiti war seit 1880 französische Kolonie), die Christianisierung der Bevölkerung und der aufkommende internationale Handel hatten das Paradies, wenn es überhaupt jemals existiert hatte, zerstört. Westliche, vom Kapitalismus geprägte Werte, Verhaltensnormen und Lebensgewohnheiten hatten die Lebensart der einheimischen Bevölkerung weitgehend zerstört. Besonders in der Hauptstadt Papeete lebten die einheimische Bewohner in bitterer Armut. Dieser Wandel ist natürlich nicht dem Tourismus geschuldet; dennoch gibt es viele Parallelen.
So beeindruckend die Wachstumszahlen im Tourismussektor auch sind, sowohl was die Zahl der Besucher als auch die Deviseneinnahmen anbetrifft, so können sie doch nicht die vielen negativen Folgen verdecken.
  • In vielen Fällen werden die aus den Deviseneinnahmen resultierenden finanziellen Einkünfte überschätzt. Zwischen Brutto und Netto liegen oft Differenzen von bis zu 80 %. Ein Großteil der erzielten Devisen fließt sofort wieder ins Ausland zurück, z.B. für Rückzahlungen von Krediten, für den Import von Nahrungs- und Genussmitteln, die die Touristen nachfragen oder für im Ausland geschaltete Werbekampagnen.
  • Viele Länder sind mittlerweile vom Tourismus abhängig. Anstatt eine diversifizierte Wirtschaft aufzubauen, ist eine nur vom Tourismussektor geprägte Wirtschaftsstruktur entstanden, die dem Weltmarkt ausgeliefert ist. Bleiben die Touristen aus, aus welchen Gründen auch immer, bricht u.U. die gesamte Volkswirtschaft zusammen.
  • Die für den Tourismus angelegte Infrastruktur kommt vielfach nicht der einheimischen Bevölkerung zugute und wird nur selten aus den späteren Einnahmen der Branche bezahlt. Die staatlicherseits getätigten Investitionen gehen vielfach zu Lasten anderer wichtiger Aufgaben, wie z.B. für den Ausbau der ländlichen Infrastruktur, für Bildung und das Gesundheitswesen.
  • Es entstehen zwar viele Arbeitsplätze, doch meist nur in niedrigen und schlecht bezahlten Positionen. Es gibt saisonal und krisenbedingte Überkapazitäten, die phasenweise für Arbeitslosigkeit sorgen.
  • Durch den mit dem Tourismus einhergehenden Bauboom und durch die Finanzkraft der reichen Touristen kommt es zu inflationären Erscheinungen: Verteuerung der Grundstücke, der Wohnungen oder der Lebensmittel – in der Regel zu Lasten der einheimischen Bevölkerung.
  • In vielen Fällen vergrößern sich die räumlichen Disparitäten. Zwar mindert die Förderung des Tourismus, der zu entlegenen, weniger stark besiedelten und naturbelassenen Regionen tendiert, die Migration vom Land in die Städte, aber er erzeugt eine andere Form von Landflucht: Die Menschen ziehen vom Land in die Tourismushochburgen, um dort Arbeit zu finden. Zurück bleiben die älteren Menschen, Frauen und Kinder. Die Dörfer verkümmern, familiäre Bindungen werden aufgelöst und traditionelle Lebensstile aufgegeben. Tourismuszentren erscheinen hingegen als Ghettos des Wohlstands inmitten ländlich geprägter Räume.
  • Der Tourismus kann ferner die sozialen Disparitäten vergrößern. Höher qualifizierte Positionen werden oft von Ausländern besetzt, während für die lokale Bevölkerung die gering bezahlten und subalternen Tätigkeiten übrigbleiben.
  • Der Tourismus zwingt in vielen Fällen die gastgebende Gesellschaft ihre Kulturgüter zu kommerzialisieren, womit ein Verlust der kulturellen Identität einhergehen kann.
  • Vielfältig und oft beschrieben sind schließlich die ökologischen Konsequenzen des Massentourismus; z.B.: Rodung von Wäldern für den Bau von Hotels und anderen touristischen Infrastruktureinrichtungen, Beeinträchtigung bzw. Zerstörung der sich über Jahrhunderte hinweg entwickelten endemischen Flora und Fauna (besonders auf kleinen und isolierten Inseln), Zerstörung von Korallenriffen durch Schiffe, Taucher und "Trophäensammler" und damit Beeinträchtigung der einzigartigen Ökosysteme, Übernutzung der Süßwasserreserven, Müll- und Abwasserprobleme etc.



Quelle: Geographie Infothek
Autor: Norbert von der Ruhren
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 23.04.2012