Das "Dust-Bowl-Syndrom"


Dust-Bowl-Syndrom, Ökosystem, ökologisches Wirkungsgefüge

In einem Ökosystem wirken abiotische und biotische Faktoren in einem offenen, von Stoff- und Energieflüssen geprägten System zusammen. Dabei bildet sich ein dynamisches Wirkungsgefüge, das trotz Schwankungen in den Gliedern des Systems zum Gleichgewicht tendiert, also im Prinzip stabil ist. Diese Stabilität hängt wesentlich von den Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Komponenten ab, die in recht unterschiedlicher Weise auf Einwirkungen von außen reagieren, unabhängig davon, ob es sich um natürliche oder anthropogen ausgelöste Ursachen handelt. Wird z. B. mit dem Eintritt des Menschen in das Ökosystem auch nur eine der Komponenten zerstört, gerät das Ökosystem aus dem Gleichgewicht.

Für die Analyse von Störungen in Ökosystemen bedeutet dies, dass Untersuchungen sich nicht auf nur einzelne Faktoren beschränken dürfen, sondern dass möglichst alle Parameter einbezogen werden müssen. Dabei ist ferner zu beachten, dass einfache lineare Ursache-Kausal-Ketten der Komplexität der in den Ökosystem vernetzt ablaufenden Vorgänge in aller Regel nicht gerecht werden.

So müssen auch zur Erklärung der Bodenerosion viele Faktoren in Betracht gezogen werden, natürliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle und politische. Mit anderen Worten: Gefordert ist eine ökosystemare Betrachtungsweise. Ökosystemare Betrachtungsweise heißt im Falle der Bodenerosion in den Great Plains, dass nicht nur der Verlust der Vegetationsdecke, die Abtragungs- und Ablagerungsprozesse und die abnehmende Bodenfruchtbarkeit gesehen werden müssen, sondern auch die damit verbundenen klimatischen, hydrologischen und pedologischen Prozesse. Zur Erklärung der Ursachen und Auslösungskomplexe sind ferner weitere endogene und exogene Faktoren hinzuzuziehen, z. B. das Relief, die Variabilität der Niederschläge, die Gefährdung durch Starkwinde (z. B. Tornados) und Gewitterregen, die schüttere Vegetationsdecke, die Art der Landerschließung und die Größe der Landflächen (homestead act, quarter sections), die Landspekulation in der Gründungsphase der Farmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Art der Bodennutzung (extensive Viehzucht, Getreidemonokulturen), die Mechanisierung der Farmarbeit, Getreidepreise auf dem Weltmarkt, Agrarpolitik der Regierungen u. a. m.

In diesem Gewirr von Ursachen und Wirkungen finden sich typische Muster, die – in Analogie zur Medizin – Krankheitsbilder darstellen: Symptome der Nichtnachhaltigkeit. Diese sind wiederum zu umfassenderen Syndromen zusammenzuführen. Der Begriff "Syndrom" wurde in diesem Zusammenhang vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen in seinem Jahresgutachten 1994 geprägt. In diesem Gutachten stellt der Beirat ein "bodenzentriertes globales Beziehungsgeflecht" als Ergebnis einer vertieften Analyse der die Böden betreffenden weltweiten Entwicklungen vor. Als eine Haupttriebkraft globaler Umweltveränderungen wird dabei die Landnutzung herausgestellt. Im Gutachten heißt es dazu u. a.:

"Der Verlust an und die Beeinträchtigung von Bodenfunktionen äußert sich in bestimmten "Krankheitsbildern", welche sich aus Symptomen wie Winderosion, Wassererosion, physikalischer oder chemischer Degradation zusammensetzen. Fasst man die Böden als "Haut" des Planeten Erde auf, dann handelt es sich bei der Syndromanalyse gewissermaßen um eine "geodermatologische Diagnose"."

Im Rahmen dieser Diagnose wird unter "Syndrom" das Krankheitsbild mitsamt seinen Ursachen und Wirkungen verstanden. In dem Gutachten stellt der Beirat die nach seiner Einschätzung zwölf wichtigsten anthropogenen "Bodenkrankheiten" zusammen, wobei die Benennungen, wie z. B. "Sahel-Syndrom", "Aral-See-Syndrom" oder "Dust-Bowl-Syndrom" für ein Krankheitsbild stehen, das in verschiedenen Regionen der Erde auftritt oder auftreten kann.

Für die Bekämpfung von Bodendegradationserscheinungen bedeutet dies: Es reicht nicht aus, deren Ursachen allein naturwissenschaftlich aufzuklären und die Symptome zu beseitigen. Es müssen vielmehr im gleichen Zug die wirtschaftlichen Triebkräfte und deren gesellschaftspolitischen Hintergründe in lokale, regionale und globale Strategien einbezogen werden. Mit anderen Worten: Umweltschäden wie die Bodenerosion in den Great Plains und die Grundwasserabsenkung im Bereich des Ogallala Aquifers sind zwar zunächst nur lokale Phänomene mit einem – auf den ersten Blick – leicht zu durchschauenden Beziehungsgeflecht. In Hinblick auf Ursachen, Charakter und Auswirkungen sind sie jedoch überregional und stark differenziert zu betrachten.


Quelle: Internetbegleitung zu: Fundamente Kursthemen USA/Kanada, Russland/Nachfolgestaaten der Sowjetunion
Autor: Norbert von der Ruhren
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2003
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 15.05.2006