Exxon Valdez


Anatomie des Tankerunglücks, Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, Situation heute



Havarierte Exxon Valdez (NOAA)

Niemand ahnte etwas von der kommenden Katastrophe, als am Abend des 23. März 1989 der Supertanker „Exxon Valdez“ vom Ölterminal der Hafenstadt Valdez (Alaska) in Richtung Long Beach, Kalifornien ablegte. Die „Exxon Valdez“, einer der neusten Tanker der Exxon Shipping Company, 301 Meter lang und mit über 200 Mio. Litern Rohöl beladen, lief drei Stunden später am Bligh Riff auf Grund. Dabei wurden acht der elf Öltanks beschädigt, ca. 40 Mio. Liter Öl liefen aus und verseuchten das Wasser und die Küsten des Prince William Sound. Dieses Ereignis war das bis dahin größte Tankerunglück in der Geschichte der Vereinigten Staaten und hatte schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt am Prince William Sound.


Ablauf einer Katastrophe

1968 wurde mit dem Bau der 1.300 Kilometer langen Trans-Alaska-Pipeline von der Prudhoe Bay bis zum eisfreien Hafen von Valdez begonnen. Seit 1977 ist die Pipeline in Betrieb, täglich werden bis zu zwei Millionen Barrel Rohöl aus den Ölquellen Nordalaskas nach Valdez gepumpt. In Valdez, einem eisfreien Hafen, befindet sich der Endpunkt der Trans-Alaska-Pipeline. Hier wird das Rohöl zur weiteren Verarbeitung im Westen der USA auf Tanker verladen. Am 23. März um 21.21 Uhr hatte die „Exxon Valdez“ mit Hilfe zweier Schlepper vom Pier abgelegt und durchfuhr unter der Anleitung des Lotsen William Murphy die Meerenge Valdez Narrows. Der Lotse bestätigte später, dass der Kapitän nach Alkohol gerochen hat. Um 21.35 Uhr verließ der Kapitän die Brücke, entgegen der Vorschrift, dass immer zwei Offiziere anwesend sein müssen. Erst um 23.10 Uhr kam er zurück, um nach der Durchfahrt der Meerenge den Lotsen zu verabschieden. Ab diesem Zeitpunkt befand sich nur der Kapitän auf der Brücke. Vorgeschrieben wäre mindestens ein weiterer Ausguck gewesen. Um 23.30 Uhr informierte der Kapitän das Schiffsverkehrszentrum in Valdez über Funk, dass er wegen Treibeis die vorgeschriebene Fahrtlinie verlassen und auf die Route für den Gegenverkehr schwenken würde. Im Prince William Sound müssen sich die ein- und ausfahrenden Tanker aus Sicherheitsgründen auf eigenen, durch einen Sicherheitsstreifen getrennte Routen bewegen. Da kein Gegenverkehr vorhanden war, wurde die Kursänderung gestattet. Entgegen der Ankündigung des Kapitäns, die Geschwindigkeit wegen des Treibeises zu drosseln, pflügte die „Exxon Valdez“ um 23.47 Uhr mit 12 Knoten Geschwindigkeit über die südliche Außengrenze der Fahrrinne für den Gegenverkehr hinweg. Der Tanker befand sich nun außerhalb des offiziellen Fahrwassers auf einem Kurs von 180 Grad, gesteuert durch den Autopilot. Nachdem der Kapitän um 23.53 Uhr das Kommando zu einer weiteren Geschwindigkeitserhöhung gegeben hatte, verließ er die Brücke. Zurück blieb nur der dritte Maat Gregory Cousins. Zu diesem Zeitpunkt hatte Cousins bereits 18 Stunden Arbeit hinter sich. Als der Ausguck das Leuchtfeuer des Bligh Riffs an Steuerbord (rechts) voraus entdeckte, gab Cousins den Befehl das Ruder nach Steuerbord zu legen, um das Riff wie vorgeschrieben auf der Backbordseite (links) zu sehen. Als der Tanker nicht sofort ansprach, befahl der Maat "hart Steuerbord", was die maximale Auslenkung des Ruders bedeutet. Um 00.04 Uhr informierte er gerade den Kapitän telefonisch über den falschen Kurs, als die „Exxon Valdez“ mit einer Geschwindigkeit von über 12 Knoten auf das Riff auflief. Nach dem Auflaufen verlor die „Exxon Valdez“ sofort große Mengen Rohöl, während der inzwischen auf die Brücke geeilte Kapitän bei weiterhin voll laufender Maschine Ruderkommandos gab, um den Supertanker frei zu bekommen. Erst eine Viertelstunde später wurde die Maschine gedrosselt. Um 00.26 informierte der Kapitän das Schiffsverkehrszentrum in Valdez über die Havarie, forderte jedoch keine Hilfe an. Vielmehr ließ er erneut die Maschine voll voraus laufen, bis um 01.41 Uhr endgültig klar war, dass das Schiff festsaß.


Folgen für die Umwelt

Die Wetterbedingungen in der Nacht des 24. März waren relativ gut, jedoch wurden zunächst keine Maßnahmen zur Ölbekämpfung unternommen. Ein zur Ölbekämpfung geeignetes Schiff war nicht einsatzbereit, Ausrüstung zur Ölbekämpfung war nicht oder in nicht ausreichendem Maße vorhanden. Drei Tage später, am 27. März, kam ein Sturm auf und verteilte den vormals 7 Kilometer langen Ölteppich auf eine Länge von 70 Kilometer. In der Folge wurden insgesamt 2.000 Kilometer Küste im Prince William Sound verschmutzt. Die Folgen der Ölkatastrophe für die Tierwelt waren und sind verheerend. Schätzungen belaufen sich auf 250.000 getötete Seevögel (andere Quellen sprechen von bis zu 675.000), 3.500 verendete Seeotter (etwa 10 Prozent des Gesamtbestanden), 300 tote Robben sowie 22 getötete Schwertwale. Darüber hinaus wurden Milliarden von Fischeiern vernichtet. Die Reinigungsarbeiten mit Hochdruckstrahlern blieben überwiegend ergebnislos. Der natürliche Abbau der Ölrückstände wird nach Meinung von Experten noch mehrere Jahrzehnte dauern. Auch der Meeresboden wurde stark geschädigt. Die Bestände vieler Bodentiere nahmen rapide ab, was sich direkt auf die Nahrungskette auswirkte, da diese Bodentiere die Nahrung anderer Meerestiere sind. Auch die für einige Fischsorten sehr bedeutsamen Laichgründe im Prinz William Sound wurden schwer mit Öl verschmutzt. Sehr wahrscheinlich schädigte das Öl das Erbgut von Heringen und Lachsen. Die Folge: missgebildete Eier und Larven. Die Heringsbestände haben sich bis heute nicht erholt. Obwohl das Unglück der „Exxon Valdez“ als eines der "kleineren" Tankerunglücke gilt, hatte es doch schwerwiegende Folgen, weil ein besonders empfindliches Ökosystem betroffen wurde. In arktischen Gebieten wirken sich Ölverschmutzungen, bedingt durch die niedrigen Temperaturen, viel gravierender aus. Das Erdöl wird bei tiefen Temperaturen viel langsamer abgebaut. Arktische Ökosysteme reagieren zudem empfindlicher als Ökosysteme in anderen Regionen. Ein Grund dafür ist die kürzere Nahrungskette. Wenn nur ein Glied dieser Kette ausfällt, kann das für das gesamte Ökosystem fatale Folgen haben.


Folgen für die Wirtschaft

Die Küstengemeinden wurden durch die Ölkatastrophe schwer getroffen. Die Wirtschaft einer ganzen Region, die auf das Meer angewiesen ist, brach zusammen. Direkt nach dem Unfall war die Fischerei unmöglich, weil die Netze mit Öl verschmutzt wurden. Vier Jahre nach dem Unfall hatten sich die Bestände von einigen Garnelen- und Fischarten immer noch nicht erholt, obwohl seit dem Unfall die Fischerei auf diese Arten fast komplett eingestellt worden war. Zwar fanden viele Anwohner eine gut bezahlte Arbeit bei den von Exxon finanzierten Reinigungsarbeiten, aber aus den ehemals unabhängigen Fischern wurden nun Exxon-Abhängige. Der Ölkonzern hat entgegen einem Urteil von 1994 bis zum heutigen Tage keine Entschädigungszahlungen an die Küstengemeinden geleistet.


Maßnahmen

Nachdem bei der Havarie der „Exxon Valdez“ die Katastrophenbekämpfung anfangs nur zögerlich anlief, versuchten schließlich etwa 11.000 Arbeiter mit Hochdruckreinigern, die verseuchten Küstengebiete zu reinigen. Mehr als zwei Milliarden Dollar kostete Exxon dieser Versuch, die Folgen der Katastrophe zu mindern. Kosten, die der Konzern jedoch durch geschickte steuerliche Regelungen stark reduzieren konnte. Als Folge der Katastrophe erließen die USA 1990 den Oil Pollution Act (OPA). Demnach müssen alle Tanker, die nach dem 1. Juli 1990 gebaut werden und einen US-Hafen anlaufen wollen, eine Doppelhülle haben. Diese doppelte Abschottung der Öltanks hätte einen Großteil der Ölverseuchung von 1989 verhindert. Die International Maritime Organisation (IMO), eine Organisation der UNO, beschloss im Frühjahr 2001, dass in Zukunft nur noch Tanker mit Doppelhülle gebaut werden dürfen. Ab 2015 sollen Einhüllentanker von den Meeren verschwunden sein. Doch es gibt großzügige Ausnahmeregelungen für bereits gebaute Tanker, die noch bis zu 30 Jahre im Dienst bleiben dürfen.


Die Situation heute

Eine Untersuchung im Sommer 2001 belegte, dass die Küste am Prince William Sound auf rund sieben Kilometer Länge noch immer mit bis zu 38.000 Litern Öl verschmutzt ist. Das ist zwar vergleichsweise wenig, belastet aber ein ökologisch sehr sensibles Gebiet. Vor allem Seeotter und Kragenenten leiden unter dem Öl. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2001 vom US Fish and Wildlife Service zeigt, dass sich von den 17 untersuchten Vogelarten, die von dem Ölunfall betroffen sind, nur vier Arten schwach erholt haben. Neun Arten zeigten keinerlei Erholung, während für vier Arten die Belastung zugenommen hat. Die Gezeitenzone ist immer noch verölt, d. h. Muscheln und Heringe sind belastet, somit Nahrung für Otter und Seevögel verseucht. Diese giftigen Ölrückstände sind die Ursache für die mangelhafte Erholung vieler Tierarten. Die Fischereiwirtschaft und auch der Tourismus haben bis heute nicht zu ihrer ursprünglichen Größe zurückgefunden, viele Fischer mussten ihren Beruf aufgeben. Die „Exxon Valdez“ galt als Flaggschiff der Exxon-Flotte, war aber in Wirklichkeit eine Sparversion ohne Doppelhülle. Nach der Havarie wurde das Schiff 1990 für rund 30 Millionen US-Dollar überholt, erneut wurde jedoch auf eine Doppelhülle verzichtet. Im August 1993 erhielt der Supertanker den Namen „S/R Mediterranean“ (S/R steht für den Besitzer Sea River Maritime, eine ExxonMobil Tochter). Unter diesem Namen fuhr sie überwiegend auf der Route Mittlerer und Ferner Osten sowie Australien. Inzwischen wurde das Schiff zu einem Erzfrachter umgebaut. Auf der Route nach Alaska durfte sie nicht mehr fahren, diese Route wurde jedoch von dem baugleichen Schwesterschiff der „Exxon Valdez“, der „S/R Long Beach“ bedient.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Lars Pennig, Jürgen Bünstorf
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2003/2010
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 24.10.2010