Infoblatt Entstehung der Ost- und Westfriesischen Inseln


Erläuterung der Entstehungsgeschichte der Ost- und Westfriesischen Inseln



Längsdrift an der ostfriesischen Küste (Strecker)

Die Ost- und Westfriesischen Inseln sind aus einem Strandwall vor einem Wattengürtel entstanden. Sie sind weder ehemalige Festlandsteile, die bei einer Sturmflut abgerissen worden sind noch Reste einer lang gespannten Nehrung, die vor der west- und ostfriesischen Küste gelegen hat.
Die typische "Düneninsel" besitzt in ihrem Inneren einen sturmflutsicheren Dünenkern. Die Inselbildung ist ein Zusammenspiel von erosiven und aufbauenden Kräften der Strömung, Seegang, Wind und Pflanzen.
Im Gegensatz dazu bestehen die Nordfriesischen Inseln im Kern aus ehemaligen Festlandsteilen, die nach mehreren großen Orkanfluten (z. B. große Mandränken) als Reste stehen geblieben sind. Der Sand wurde hier über diese Bereiche geweht oder angespült.


Das Sandriff und Riffbögen

Ein ausschlaggebender Faktor für die Entstehung der Inseln waren und sind immer noch die Gezeiten. So kommt alle 6 Stunden eine Flutwelle und bedeckt die freiliegenden Wattflächen.
Die Hauptstromrichtung des Wassers, geprägt durch die Gezeitenwelle, entlang der West- und Ostfriesischen Küste geht von West nach Ost. Der Hauptstrom verläuft entlang der mittleren Tideniedrigwasserlinie (Mtnw) parallel zur Küste. Durch die Seegats, die die oben genannten Strandwälle immer wieder unterbrechen, fließt das Wasser in die Watten hinein. Hierdurch entsteht ein Strom, der bei Flut in Richtung Süden, also ins Wattgebiet hinein läuft und bei Ebbe Richtung Norden, also aus dem Watt heraus.
Der Ebbstrom bewirkt, dass die vor den Inseln (Strandwällen) fließende West-Ost-Strömung Richtung Norden angelenkt wird und einen Bogen schlagen muss. Bei Flut ist dieser Effekt nicht vorhanden, da das Wasser in die Mündungsrinne hineindrückt und eher ein Bogen in Richtung Süden entsteht.


Was passiert mit dem Sand bei Ebbe?

Da die Geschwindigkeit der Hauptströmung bei Ebbe sehr gering ist, ist ihre Transportkraft ebenso gering.
Zur Erklärung des Sandtransportes: Je höher die Geschwindigkeit des Wassers über dem Grund, desto mehr Material, hier meistens Sand, kann mitgenommen und transportiert werden. Wird die Geschwindigkeit niedriger, kann weniger Material aufgenommen und transportiert werden. Wenn die Geschwindigkeit allerdings zu gering wird, lagert sich das mittransportierte Material ab. Als erstes sinken die schweren Sandteile zu Boden, dann die leichteren bis nur noch bei minimaler Geschwindigkeit feinste Sand- und Schlickteilchen abgelagert werden.
Die Folge ist, dass sich bei Ebbe Sand ablagert. Ohne die Ausbeulung der Hauptströmung würde es nun parallel zur Küste eine Reihe von Sandbänken geben, die je nach Witterung mal größer oder kleiner sind. Durch die Ausbeulung werden diese Sandbänke verschoben und die Transportkraft wird noch geringer. Es entwickeln sich Riffbögen, die sich in Richtung Osten ausdehnen. Diese verbinden die Ostspitzen der vorangegangenen Insel mit den Westköpfen der folgenden Insel.



Riffbogen der Harle zwischen Spiekeroog und Wangerooge (überarbeitet Achim Strecker)

Die entstehenden Sandriffe sind im natürlichen Verlauf der Inselentwicklung deren Sandversorgung.


Die Brandungssandbank

Die Brandung der offenen See greift an den Riffbögen und den folgenden Strandwällen an. An diesen Stellen ist der Kontakt der Wellen mit dem Untergrund gegeben. Dabei werden die tieferen Bereiche der Welle aufgrund der Reibung mit dem Grund abgebremst. Die oberen Bereiche der Wellen behalten aber ihre Geschwindigkeit bei. So überholt der obere Bereich der Welle den unteren Bereich der Welle, was zum Brechen führt. Bei diesem Vorgang verliert die Welle einen Großteil ihrer Energie; das sieht und hört man (weiße Wellenkämme und das typische Rauschen). Wird das ganze noch von Wind unterstützt und der obere Bereich der Welle noch zusätzlich beschleunigt, bedarf es nicht einmal des Kontaktes mit dem Boden.



Entwicklung einer Brandungssandbank (überarbeitet Achim Strecker)

Beim Brechen der Welle wird der Boden aufgeschürft und erneut Material vom Wasser aufgenommen. Es ensteht ein sog. Brandungspriel. Beim Auslaufen der Welle und Ablaufen des Wassers wird der Sand höher aufgetürmt. Es entsteht eine Brandungssandbank. Durch unterschiedlich hohe Fluten werden andernorts auf dem Riff und dem Strandwall weitere Brandungssandbänke aufgeworfen.



Brandungssandbank (Achim Strecker)

Das Riff bzw. der Strandwall wächst aus dem Meer heraus in die Höhe.
Dieses Wechselspiel ist sehr empfindlich und kann durch eine oder mehrere Sturmfluten zerstört werden. Auch im weiteren Prozess der Inselentstehung kann diese Zerstörung eintreten.
Die Brandungssandbänke wiederum wirken als Bremsen und verursachen eine Sandakkumulation.


Schwemmsandplate

Der weitere Verlauf sieht folgendermaßen aus:
Da der Hauptwind aus Richtung Westen kommt, wird bei Niedrigwasser von anderen, weiter westlich liegenden Bänken Sand auf die Fläche geblasen. Zusätzlich bricht der an den Ostspitzen der vorangegangenen Brandungssandbank akkumulierte Sand ab und wandert über den Riffbogen auf die östlich folgende Brandungssandbank. Sturmfluten schwemmen weiteres Material auf die Sandplate. Erhöht sich der Bereich soweit, dass nur noch Sturmfluten ihn überfluten, spricht man von einer Schwemmsandplate.
Auf der Rückseite können durch den Schutz der Plate Schlickteile sedimentieren. Das schlickreiche Inselschutzwatt entsteht, welches sich heutzutage auf der Südseite der Inseln erstreckt.



Schwemmsandplate im Querschnitt (überarbeitet Achim Strecker)


Dünenbildung

Alle oben genannten Faktoren wirken weiter auf die Plate ein. Durch Sandflug entwickeln sich kleine Embryonaldünen. Sie nehmen eine hakenförmige Barchanenform an, die als vergängliche physikalische Dünen bezeichnet werden.
Hat sich die Plate nun dauerhaft über die MThw (Mittlere Tidehochwasserlinie) erhoben, können sich erste Pflanzen ansiedeln.

Erklärung: Die Lebensbedingungen für Pflanzen sind noch sehr extrem.
  • Bis zum jetzigen Zeitpunkt befindet sich kein Süßwasser auf der Plate (Süßwasser ist für die Pflanze lebenswichtig, denn es gibt "eigentlich" keine Pflanzen, die ausschließlich mit Salzwasser leben). Das Grundwasser wird durch das Nordseewasser bestimmt.
  • Starke Winde bringen viel neuen Sand mit und behindern damit den Aufwuchs.
  • Die direkte Sonneneinstrahlung lässt Temperaturen von über 50 °C auf dem Sand entstehen.
  • Größere Springtiden und Sturmfluten reißen Sand und Samen hinweg. Aber diese Fluten bringen auch immer wieder neue Samen und Pflanzen auf die Sandbank.
Sie können mit den hier herrschenden Bedingungen umgehen. Das größte Problem ist der Süßwassermangel. Nur durch den Regen kommt Süßwasser auf die Sandplate, wobei dieser gleich im sandigen Boden versickert. Eine physikalische Begebenheit kommt den Pflanzen nun zugute: das leichte Süßwasser schwimmt auf dem schwereren Salzwasser. Im Anfangsstadium ist dies eine Art Brackwasser, ein Gemisch aus Süß- und Salzwasser. Zwei sehr typische Pflanzen, die mit dem Gemisch zurechtkommen, sind die Strandquecke (Agropyron junceum) und der Meersenf (Cakile maitima). Diese setzen sich auf der Schwemmsandplate an kleine Anhöhen fest. Die Sandakkumulation findet sowohl in der Pflanze (Auffangen von Flugsand mit den Blättern) wie auch hinter der Pflanze statt, da dort ähnlich wie beim Wellenbruch die Luft gebremst und zum Verwirbeln gebracht wird. Sie verliert in diesem Windschatten ihre Transportkraft und der Sand fällt hinter der Pflanze aus.



Beginn der Dünenbildung auf der Schwemmsandplate (überarbeitet Achim Strecker)

Die Pflanzen wachsen durch die Übersandung durch und bewirken mit ihren Ausläufer, dass die sog. Vordüne oder Primärdüne immer mehr befestigt wird.
Auf der Rückseite hat sich auf dem Inselschutzwatt eine Vegetationsschicht ausgebildet. Bestimmend ist der Queller, eine Pflanze, die zwar sehr gut mit Salzwasser umgehen kann, sich aber nur in geschützten Strömungsbereichen ansiedelt.
Diese Quellerflur leistet einen weiteren Beitrag zur Befestigung der entstehenden Insel. Der Queller wird jedes Mal bei Flut überströmt und der mittransportierte Schlick sinkt aufgrund der geringen Fließgeschwindigkeit des Wassers zu Boden. Eine Aufschlickung ist die Folge.


Die junge Düneninsel

Haben die Vordünen, wenn es die Sturmfluten erlaubt haben, eine Höhe von ca. 50 cm über der MThw erreicht, ist der durch Regen angereicherte Brackwasserbereich so mächtig und ausgesüßt (eine Süßwasserlinse entwickelt sich), dass sich die nächsten Pflanzenarten ansiedeln können.
Der Strandhafer (Ammophila arenaria) besiedelt die höheren Vordünenbereiche. Er zapft die noch kleine Linse an und wächst in die Höhe. Durch seine Wuchshöhe von über 1 m wirkt er wie eine Bremse für den Wind, der jetzt den größten Anteil am Sandtransport übernimmt. Der Wind verliert seine Transportkraft und der Sand lagert sich um die Strandhaferpflanzen ab. Der Strandhafer würde mit der Zeit vollkommen unter dem angewehten Sand verschwinden, doch wächst er durch diese Anwehung hindurch. Dies gelingt durch neue Austriebe in den Blattachseln. Unterstützt wird dieser Vorgang durch die im angewehten Material enthaltene hohe Menge an Nährstoffen. Halme und Triebe, die sich nun unter dem Sand befinden, werden durch Wurzeln ersetzt, die eine enorme Reichweite ausbilden. Die positive Folge ist, dass der Sand festgehalten und stabilisiert wird. Dieses Wachstum geht sehr schnell voran. So können unter bestimmten Bedingungen innerhalb von 100 Jahren bis zu 20 m hohe Dünen entstehen. Aufgrund des noch sehr weißen Sandes werden sie als Weißdüne (Sekundärdüne) bezeichnet.
Auf der Rückseite hat sich aus dem Quellerrasen eine Salzwiese entwickelt. Diese rückt unter bestimmten und natürlichen Bedingungen bis zu einem gewissen Punkt weiter ins Watt vor.



Eine junge Düneninsel im Anfangsstadium (überarbeitet Achim Strecker)

Die Betrachtung der jungen Düneninsel im Querschnitt zeigt, dass sie nicht mehr vollständig bei Sturmfluten überspült wird und sich ein sturmflutsicherer Inselkern gebildet hat. Von nun an spricht man von einer Düneninsel.


Abschluss

Im Laufe der Zeit wird sich die Insel weiter entwickeln und verbreitern. Die Weißdünen werden von jüngeren, nördlich gelagerten Weißdünen abgelöst. Die Sandzufuhr fehlt und sie wandeln sich in Graudünen und noch viel später in Braundünen (= Tertiärdünen) um.
Folgende Frage muss man sich dennoch stellen. Wie konnten sich wohl so große Inseln ausbilden, obwohl doch die Inseln so stark wandern? Ein Beispiel dafür ist die Insel Wangerooge, die in den letzten 400 Jahren um insgesamt 2,5 km nach Osten wanderte. Es muss davon ausgegangen werden, dass in der Zeit der Entstehung und in den folgenden Jahrhunderten die Inseln lagestabil waren. Erst in der letzten Zeit sind sie zu dieser Bewegung gezwungen worden.


Literatur

Herbert Liedtke und Joachim Marcinek: Physische Geographie Deutschlands, Klett-Perthes Verlag, Kapitel 7.1.5
Pott, Richard: Farbatlas Nordseeküste und Nordseeinseln; Ulmer Verlag


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Achim Strecker
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2005
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 19.05.2012