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Infoblatt Fußball WM 2006 - Sicherheit


Ausgangslage, Vorbeugung und Gefahrenabwehr, WM der Hooligans, Sicherheit in den Stadien



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Ausgangslage

Ein durch den Bund-Länder-Ausschuss erstelltes "Nationales Sicherheitskonzept Fifa WM 2006" gilt als Rahmenkonzeption und Grundlage für die Sicherheitsvorbereitungen auf das weltgrößte Sportereignis vom 9. Juni bis 9. Juli 2006 in Deutschland.
Das Konzept beschreibt, welche Gefahren in den Vorbereitungen zur WM berücksichtigt werden müssen: allgemeine und organisierte Kriminalität, politisch motivierte Kriminalität und möglicher Terrorismus sowie Hooliganismus bzw. andere Phänomene gruppendynamischer Gewalt.


Vorbeugung und Gefahrenabwehr

Die zentrale Rolle bei der Sicherung der Fußball-WM wird der Bundespolizei und den Polizeien der Länder zukommen. Während die Länder je nach Lage der Spielorte (hier wird besonders NRW mit gleich drei Spielstätten eine zentrale Stellung einnehmen) unterschiedlich starke Kontingente zur Verfügung stellen, wird die Polizei des Bundes sämtliche Einsatzkräfte (ca. 40.000 Polizisten) inklusive Einsatzmittel wie z. B. Hubschrauber für die Dauer der WM einsetzen; entweder im Rahmen eigener Aufgaben oder auch bei der Unterstützung der Länderpolizeien. Ein dem Bundesinnenministerium angegliedertes Sicherheitslagezentrum (NICC = Nationales Informations- und Kooperationszentrum) von Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst wird sämtliche sicherheitsrelevanten Informationen sammeln, bündeln und entsprechende Maßnahmen erlassen können. Diesem NICC werden weitere, auch internationale Organisationen wie z. B. Interpol und Europol zum Zwecke der länderübergreifenden Kooperation angeschlossen sein.
Des Weiteren wird nicht nur der Bundesgrenzschutz lageangepasst Aufklärungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen an Land- und Seegrenzen sowie an den deutschen Flughäfen durchführen, sondern auch die NATO, die mit Hilfe von Awacs-Aufklärungsflugzeugen für die Sicherung des Luftraums über der Bundesrepublik während der Fußball-WM sorgen wird.
Dagegen wird es den von vielen Politikern herbeigerufenen Bundeswehreinsatz bei der WM wohl nicht geben. Allenfalls wolle der Bund "eine Möglichkeit schaffen, auf das Potenzial der Bundeswehr vorübergehend zurückgreifen zu können", falls die Kräfte der Polizei unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr ausreichend sein sollten. Dies könnte z. B. den Objektschutz betreffen.
Sondereinsatzkommandos der Polizei trainieren bereits seit einiger Zeit für Szenarien wie Bombenanschläge, Giftgasangriffe oder Massenpaniken. Sämtliche internationalen Flughäfen der Bundesrepublik werden für die Dauer der WM zu Hochsicherheitsbereichen erklärt, da es hier neben der Gefahrenabwehr auch um die Gewährleistung der Sicherheit von an- und abreisenden Mannschaften, Funktionären und hohen Staatsgäste geht. Für den genanten Zeitraum werden trotz EU und Schengener Abkommen Grenz- und Personenkontrollen an den Flughäfen durchgeführt.
All diese Maßnahmen gelten vor allem der frühzeitigen Abwehr möglicher extremistischer oder terroristischer Gefahrenpotenziale.
Neben politisch motivierter Kriminalität und Terrorabwehr wird die anlassbezogene Kriminalität in Form von Diebstählen jeglicher Art eine nicht untergeordnete Rolle spielen.


WM der Hooligans?

Dem Hooliganismus kommt im eingangs beschriebenen Sicherheitskonzept besondere Bedeutung zu.
Von den größtenteils friedlichen Fußballinteressierten (sog. Kategorie A-Fan) sind die "bei Gelegenheit gewaltgeneigten Personen" (Kategorie B) und die "gewalttätigen Personen" (Kategorie C) zu unterscheiden. Letztgenannte Gruppierung bezeichnet die von den Veranstaltern gefürchteten typischen Störer, für die der Fußball nur eine untergeordnete Rolle spielt und die ihre Gewaltexzesse vor, während und nach den Spielen ausüben.
Da bekannt ist, dass die Weltmeisterschaft in der einschlägigen Szene als Spielwiese der Brutalität thematisiert wird, versucht die Polizei bereits im Vorfeld Möglichkeiten der Konfliktentschärfung zu nutzen. Spezielle Hooliganermittler des LKA halten Gefährdeansprachen bei einschlägig bekannten Hooligans, vergeben Meldeauflagen oder sprechen Verbote für Stadien und Fanmeilen aus. Auch genetische Fingerabdrücke einschlägig vorbestrafter Gewalttäter werden genommen.
Kommt es dennoch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen während der WM, so wird hart durchgegriffen: Bekannte Hooligans können in Gewahrsam genommen und für die Dauer der WM festgehalten werden; Schnellverfahren sollen Gewalttäter umgehend verurteilen.
Falls die Polizei nicht ohne Einsatz von Gewalt reagieren kann, sollen ihr neu eingeführte Mehrzweckeinsatzstöcke bei der Verteidigung helfen. Eine Hooligan-Datenbank zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit weist auch aktenkundige Hooligans aus anderen Nationen als sog. "Gewalttäter Sport" aus: Diese könnten dann bereits bei der Einreise erkannt und wieder zurückgeschickt werden.
Diese in westeuropäischen Ländern typischen Hooligan-Datenbanken existieren beispielsweise in einem Land wie Polen jedoch nicht. Da in Szene-Kreisen die Gewaltbereitschaft der polnischen Hooligans als besonders hoch eingestuft wird, ist man hier mangels zentraler Datenbank wesentlich auf die Zusammenarbeit mit den ausländischen Beamten angewiesen. Die Zentrale Informationsstelle für Sporteinsätze der Polizei (ZIS) wird eine solche Kooperation szenekundiger Beamter europaweit koordinieren und dafür Sorge tragen, dass auch z. B. italienische, englische oder schwedische Beamte ihre potenziellen Gewalttäter zur WM nach Deutschland begleiten. Der Erfolg der Hooligan-Bekämpfung wird wesentlich von einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen szenekundigen Beamten aus In- und Ausland und der Polizei vor Ort abhängen.


Sicherheit in den Stadien

Eine Aufmerksamkeit erregende Studie der Stiftung Warentest zu Beginn des Jahres bescheinigte den deutschen WM-Stadien teilweise gravierende Mängel und deckte beträchtliche bauliche Defizite in den verschiedenen Arenen auf.
Sowohl die Fifa als Veranstalter als auch der DFB als Ausrichter des Turniers wiesen diese Vorwürfe jedoch zurück. Sämtliche Richtlinien und Anforderungen der Fifa für die Gewährleistung der Stadionsicherheit seien eingehalten; lediglich geringe Mängel werden bis zum Beginn der WM behoben sein.
Zu den Anforderungen der Fifa gehört u. a. ein äußerer und innerer Sicherheitsring um die Stadien, eine Sektorentrennung sowie die Sicherung des Spielfeldes. Die Personalisierung der WM-Tickets soll den Schwarzmarkthandel weitestgehend eindämmen, Kartenbetrug verhindern und Zugangskontrollen ermöglichen.
Die Kritik der Stiftung Warentest zielt dagegen eher auf die zu befürchtende mangelnde Sicherheit der Zuschauer in den Stadien. "Sicherheit" bedeutet schließlich auch Fluchtwege und Evakuierungsmöglichkeiten. Sog. Rettungstore, die bei Paniksituationen schlagartig geöffnet werden können um Staudruck zu vermeiden, existieren lediglich in einem Teil der Stadien. Darüber hinaus versperren in einigen Stadien zusätzlich Gräben oder Mauern zwischen Zuschauerrängen und Rasenfläche den potenziellen Fluchtweg.
Auch Brandschutzvorkehrungen und eine effektive Verkehrsführung Richtung Stadion gerade für Rettungsfahrzeuge gehören zu den erforderlichen Sicherheitsauflagen.
Ferner wurde getestet, wie gründlich das Mitführen von Waffen an den Stadieneingängen überprüft wird.
Acht von zwölf WM-Arenen wurden deutliche oder gar erhebliche Mängel attestiert. Die Stadionbetreiber haben aber signalisiert, das Gros der Beanstandungspunkte bis zum Juni zu beseitigen, um größtmögliche Sicherheit in den Stadien zu gewährleisten.


Nachbetrachtung

Gemessen an den im Vorfeld erprobten Bedrohungslagen, darunter Giftgasanschläge, schwerste Ausschreitungen etc., fällt die Bilanz für die Fußball-WM durchweg positiv aus. So machte sich die Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitskräften bezahlt, da zahlreiche gewaltbereite Fans an den Grenzen identifiziert und an der Einreise gehindert werden konnten. Ferner unterstützten etwa 500 Beamte aus den verschiedenen Teilnehmerländern die Polizeiarbeit vor Ort.
Im Ergebnis wurden während der WM etwa 7.000 Straftaten begangen (überwiegend Diebstähle und Körperverletzungen) und 9.000 Menschen festgenommen. Insgesamt gab es 875 verletzte Personen, davon 350 Randalierer und 200 Polizisten. An den Grenzen wurden 436.733 Menschen kontrolliert, von denen 370 die Einreise verweigert wurde. Weiter untersagte man 1.070 Gewalttätern den Aufenthalt bei WM-Veranstaltungen oder an den Spielorten.
Doch trotz aller Bemühungen schon vor und während der Veranstaltung kam es zu mehreren Vorfällen, meist zwischen Hooligans sowie Randalierern und den Einsatzkräften.
Ein erster schwerer Zwischenfall ereignete sich schon vor Anpfiff des Spiels Deutschland - Polen in Dortmund am 14. Juni. Die Polizei konnte allerdings ein Zusammentreffen der beiden Hooligangruppen verhindern und nahm 429 Personen fest.
Weitere Problemlagen entstanden in Verbindung mit dem Spiel England - Schweden am 20. Juni. In der Kölner Innenstadt versuchten deutsche Hooligans englische Fans anzugreifen. Die Polizei konnte dieses Vorhaben aber unterbinden. Sie führte 16 Festnahmen durch und nahm 121 Personen in Gewahrsam.
Am Rande eines weiteren Spiels der englischen Nationalmannschaft am 25. Juni gegen Ecuador in Stuttgart kam es ebenfalls zu Ausschreitungen, doch konnten diese schnell eingedämmt werden. Hier nahm die Polizei etwa 400 vorwiegend englische Randalierer in Gewahrsam.
Unabhängig von der Hooligan-Problematik fand einer der schwersten Zwischenfälle auf der Berliner Fanmeile statt, bei dem ein Mann Sicherheitsabsperrungen mit seinem Auto durchbrach und 21 Personen verletzte.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Nils Wiemann, Kristian Uhlenbrock
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2006/2011
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 11.09.2007