Infoblatt Die Tigerstaaten


Entwicklung der Tigerstaaten von armen Agrarstaaten zu Industrieländern



1. - 3. Generation der Tigerstaaten (Klett)

Als Tigerstaaten (oder auch "kleine Tiger") werden jene Länder Ost- und Südostasiens bezeichnet, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch ein enormes Wirtschaftswachstum auszeichneten. Es handelt sich dabei um die Länder Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur. Vor wenigen Jahrzehnten gehörten diese Staaten noch zu den ärmsten Entwicklungsregionen der Welt, heute zählen sie zu den stärksten Konkurrenten der "alten Industrieländer" in Nordamerika und Europa und werden auch als Newly Industrialized Countries (NICs) bezeichnet.


Entwicklung

Die Entwicklung der vier Tigerstaaten von armen Agrarstaaten zu Industrieländern verlief zwar ähnlich, die Voraussetzungen waren aber doch recht unterschiedlich. So waren Singapur und Hongkong Handelsstützpunkte des Britischen Kolonialreichs. Sie waren somit schon lange Zeit in ein weltweites Netz von Waren- und Dienstleistungsströmen eingebunden. Insbesondere Hongkong wurde zum bedeutendsten Finanz- und Dienstleistungszentrum Ostasiens. In Taiwan und Südkorea dagegen bildete zunächst die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Gütern und Rohstoffen die Basis der Industrialisierung. Südkorea gehörte noch 1960, nach dem verheerenden Koreakrieg, zu den ärmsten Ländern der Erde.
Allen Staaten gleich ist die rasante Entwicklung der Wirtschaft seit den 1960ern bis in die 1990er Jahre. In Südkorea z. B. betrug das Wirtschaftswachstum zwischen 1965 und 1990 durchschnittlich 7,1 % jährlich. In Taiwan wuchs das Sozialprodukt pro Kopf zwischen 1952 und 1990 um durchschnittlich 8,7 % im Jahr. Die Wachstumsphase hielt auch in den 1990er Jahren weiter an, wenngleich bei geringeren Zuwachswerten und endete zunächst im Jahr 1997, als im Zuge der sog. "Asien-Krise" die Ökonomien einen Rückschlag erlitten. Nach drei Jahrzehnten des Wachstums verkehrten sich die Daten erstmals ins Negative, in Singapur um -10,9 %, in Hongkong um -5,2 % und in Südkorea um -6,6 %. Nur Taiwan konnte der Krise trotzen und behielt ein positives Wachstum. Haben sich die Ökonomien der Länder zwar inzwischen wieder erholt, so ist doch festzustellen, dass die enormen Zuwächse früherer Jahre nicht mehr quasi automatisch erreicht werden.


Erfolgsfaktoren

Für den wirtschaftlichen Aufstieg der Staaten werden verschiedene Faktoren angeführt. Einige Wissenschaftler behaupten, er sei darauf zurückzuführen, dass die Staaten weitgehend freie Märkte geschaffen hätten, ohne die Wirtschaft durch hohe Steuern oder Sozialabgaben zu belasten. So konnten die Unternehmen in den Tigerstaaten aufgrund der wesentlich geringeren Löhne und Lohnnebenkosten günstiger produzieren als in Europa oder Amerika und gewannen somit an Konkurrenzfähigkeit. Andere meinen, dass gerade diese Staaten rigoros in den Wirtschafsablauf eingegriffen haben, indem sie die Opposition und Interessensgruppen wie z. B. Gewerkschaften unterdrückten. Aufgrund des autoritären Vorgehens der Regierungen bei Ausschaltung gegenläufiger Interessen gelang es, die Löhne, aber auch Umwelt- und arbeitsrechtliche Standards niedrig zu halten und somit ausländisches Kapital anzuziehen. Als ein weiterer Erfolgsfaktor wird die Abkehr von der Strategie der Importsubventionierung hin zu einer exportorientierten Wirtschaftspolitik gewertet. Die Inlandsnachfrage allein reichte in den mehr oder weniger kleinen Staaten nicht aus, um ein langfristiges Wirtschaftswachstum zu erzielen, so dass ein starker Exportsektor aufgebaut werden musste.
Häufig wird auch auf den sog. "Konfuzianischen Kapitalismus" verwiesen. Dieser Meinung folgend bedeutet die konfuzianische Weltorientierung, welche die Gemeinschaft über das Individuum stellt, einen Vorteil gegenüber westlichen Weltanschauungen. Kennzeichen der konfuzianischen Arbeitsethik sind Fleiß, Disziplin und starke hierarchische Ordnungen. So werden von Arbeitnehmern erheblich längere Arbeitszeiten in Kauf genommen, als dies in den alten Industrieländern der Fall ist.


Die "neuen Tiger"

Seit den 1980er Jahren konnten weitere ostasiatische Staaten eine enorme wirtschaftliche Entwicklung, ähnlich den Tigerstaaten, durchlaufen. Daher werden Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Thailand und Vietnam als die "Neuen Tiger" der zweiten Generation bezeichnet. Doch auch ihre Boomphase wurde durch die Asien-Krise zunächst gestoppt. Die Rückschläge waren dort z. T. noch erheblicher als in den bereits länger etablierten Tigerstaaten, weil hier noch keine Sicherungssysteme gewachsen waren.
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die alten Tigerstaaten entsprechend den Industrieländern inzwischen einen Standard erreicht haben, der relativ hohe Lohnkosten etc. mit sich bringt. Sie haben sich im Laufe der letzten 30 bis 40 Jahre zu Industrieländern entwickelt und auch sie müssen inzwischen die Verlagerung von Produktion und damit von Arbeitsplätzen in die neuen Tigerstaaten hinnehmen. Der weitaus größte wirtschaftliche Konkurrent für die Tigerstaaten erwächst zurzeit aber mit China, dem "großen Drachen". Allerdings ist mit dem ökonomischen Aufstieg Chinas zum größten Markt der Welt in den nächsten Jahren auch die Hoffnung verbunden, dass der gesamte asiatische Wirtschaftsraum von seinem Boom profitieren kann.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Jutta Henke
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2005
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 22.12.2005