Infoblatt EU-Erweiterung


EU-Erweiterungen, Beitrittsverhandlungen, mögliche Folgen



Osterweiterung der Europäischen Union (Klett)

Seit Entstehung einer "Europäischen Föderation" im Jahr 1950 hat sich die Zahl der Mitgliedsstaaten immer weiter vergrößert. Bildeten 1957 nur Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Europäischen Gemeinschaften, so traten in der ersten Erweiterungsrunde im Jahr 1973 Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich bei. 1981 folgte Griechenland, 1986 Spanien und Portugal. Nach der vierten Beitrittswelle 1995 mit dem Anschluss von Österreich, Finnland und Schweden zählte die Europäische Union 15 Mitgliedstaaten.
Nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens und mit Beschluss des Europäischen Parlaments vom 9. April 2003 traten weitere zehn Länder (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowenien, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Ungarn, Zypern) zum 1. Mai 2004 der EU bei. Zuletzt fanden in Estland und Lettland im September 2003 Abstimmungen statt, und somit wurde der Beitritt in allen Kandidatenländern, in denen ein solches Verfahren vorgesehen ist, durch Volksabstimmungen ratifiziert.
Zum 01. Januar 2007 traten die beiden Länder Bulgarien und Rumänien der EU bei. Mit der Türkei, die bereits 1987 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hat, sowie mit Kroatien und Mazedonien werden derzeit Verhandlungen geführt. Darüber hinaus werden Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro sowie Serbien zusammen mit dem Kosovo auf der Liste der potenziellen Bewerberländer geführt.
Durch den Beitritt von 12 Staaten bis zum Jahr 2007 wächst die Fläche der EU von 3,191 auf 4,279 Mio. km² (+ 34 %) und die Bevölkerung von 378,5 auf gut 490 Mio. Menschen (+ 28 %) an.
Die Integration weiterer Länder soll zur Schaffung eines friedlichen und prosperierenden Gesamteuropas beitragen, indem Demokratie und Marktwirtschaft in den beitretenden Ländern stabilisiert und neue Wirtschaftsräume erschlossen werden. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die EU prinzipiell für jedes europäische Land offen stehe und kein Bewerber grundlos von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen werden dürfe.


Ablauf der Beitrittsverhandlungen

Um der Union beizutreten, müssen bestimmte wirtschaftliche und politische Bedingungen, die sog. "Kopenhagener Kriterien", erfüllt werden. Vorraussetzungen für die Mitgliedschaft in der EU sind demnach eine stabile Demokratie, in der die Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte und der Schutz der Minderheiten gewährleistet werden, eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie eine öffentliche Verwaltung, die in der Lage ist, die EU-Vorschriften anzuwenden und ihre Einhaltung sicherzustellen.
Die EU hilft Staaten bei der Übernahme des EU-Rechts und sie gewährt verschiedene finanzielle Unterstützungen, um die Infrastruktur und Wirtschaft zu verbessern sowie den Auf- und Ausbau von Institutionen zu fördern. Wichtigstes Instrument dabei ist das Programm "PHARE", welches ab 2000 jährlich 520 Mio. € zur Verbesserung von Verwaltung und Infrastruktur in den Beitrittsländern bereitstellt.
Mit "IPA" (Instrument for Pre accession Assistance) steht für den Zeitraum des Finanzierungsrahmens 2007 bis 2012 ein neues Heranführungsinstrument zur Verfügung. Dieses fasst "PHARE", "ISPA" (Förderung großer Umwelt- und Verkehrsinfrastrukturprojekte), "SAPARD" (Förderung der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklung), die Heranführungshilfe für die Türkei sowie das "CARDS"-Programm für den westlichen Balkan zusammen und löst diese ab.
Auf offiziellen Antrag eines Staates auf EU-Mitgliedschaft kann die Europäische Kommission eine Empfehlung zum Beginn von Beitrittsverhandlungen geben. Auf Seiten der EU präsentiert die Präsidentschaft des Ministerrates die vom Rat einstimmig vereinbarte Verhandlungsposition und sitzt den Verhandlungssitzungen auf der Ebene der Minister oder Ihrer Stellvertreter vor. Innerhalb der Europäischen Kommission, die in engem Kontakt zu den Bewerbern steht, wird die Arbeit von der Generaldirektion Erweiterung koordiniert. Das Europäische Parlament wird ständig über den Verlauf der Verhandlungen informiert und muss nach Abschluss sein Einverständnis zu den resultierenden Beitrittsverträgen geben.
Jedes Bewerberland ernennt einen Chefunterhändler, der über einen ihn unterstützenden Expertenstab verfügt und die Positionen zu den insgesamt 31 Kapiteln des "acquis", d. h. den detaillierten Gesetzen und Regeln, die auf Grundlage der EU-Gründungsverträge angenommen wurden, die im Wesentlichen die Verträge von Rom, Maastricht und Amsterdam sind, verfasst.
Die Verhandlungen konzentrieren sich auf die Bedingungen, unter denen die Bewerber den acquis übernehmen, umsetzen und durchsetzen; insbesondere auf das Einräumen von Übergangsregelungen, die in Ausmaß und Dauer jedoch beschränkt bleiben müssen und den Bewerbern erlauben, bestimmte Gesetze und Regeln stufenweise zu übernehmen.
Die Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten werden individuell geführt und jedes Bewerberland wird nach seinen eigenen Leistungen begutachtet; die Geschwindigkeit des Verhandlungsprozesses hängt von der Vorbereitung jedes einzelnen Bewerberlandes sowie der Komplexität einzelner Sachfragen ab.


Folgen der EU-Erweiterung

Auf beiden Seiten gibt es viele kritische Stimmen zur Erweiterung der EU. Skeptiker in den Beitrittsländern fürchten den Verlust nationaler Werte, Identitäten und Kompetenzen. In den ehemaligen Ostblockstaaten äußert sich dies als Angst vor einem neuen Abhängigkeitsverhältnis, diesmal zu den großen EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Zu Recht wird oft auf das sichtbare Demokratie- und Legitimationsdefizit der EU hingewiesen, die ohne Zweifel in vielen Bereichen reformbedürftig ist. Als deutliche Schwäche der EU wird auch die fehlende politische Öffentlichkeitswirkung angeführt.
Durch die Erweiterung wird es zu einer deutlichen Zunahme wirtschaftlicher, sozialer und räumlicher Ungleichgewichte innerhalb der EU kommen, die derzeitige Strukturpolitik wird dann nicht mehr finanzierbar sein, Reformen sind somit unausweichlich. So liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in zahlreichen der Beitrittsländer seit 2004 deutlich unter EU-15-Durchschnitt, ähnliche wirtschaftliche Schwächen mussten jedoch auch schon früher, etwa bei dem Beitritt Portugals, aufgefangen werden. Besonders stark ist die gemeinsame Agrarpolitik der EU betroffen, zumal deren Finanzierung sowieso den Großteil des EU-Gesamtbudgets erfordert.
In den EU-15-Staaten stieß der Wegfall von Förderungen in strukturschwachen Regionen auf Widerstand, da durch die Erweiterung das durchschnittliche BIP der EU gesunken ist und ehemalige Ziel-1-Förderregionen mit einem BIP von unter 75 % des EU-Durchschnitts nach den Beitritten über dieser Grenze lagen, wodurch der Zufluss von EU-Mitteln versiegt ist. Insgesamt werden die Prioritäten und Bedingungen bei der Fördermittelvergabe wohl verschärft werden müssen. Auch die schrittweise Öffnung der Arbeitsmärkte schürt die Angst vor einer Invasion billiger Arbeitskräfte, nach Meinung vieler Experten jedoch weitgehend unbegründet.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Sebastian Siebert, Kristian Uhlenbrock
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2003/2007
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 21.05.2007