Infoblatt Flüchtlinge


Arten von Flüchtlingen, Hilfsorganisationen und aktuelle Krisenherde



(Klett)


Einleitung

Nach dem internationalen Recht der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist ein Flüchtling eine Person, die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will".
Zu den häufigsten Ursachen erzwungener Migration zählen politische Konflikte, wobei in zunehmendem Maße die Vertreibung der Zivilbevölkerung nicht nur Begleiterscheinung des Krieges, sondern erklärtes Ziel ist (z. B. während der Balkankriege).
Es ist allerdings stark umstritten, ob Personen, die wegen eines Krieges oder innerstaatlichen Konflikts geflohen sind, als Flüchtlinge gelten und somit auch besonderen Schutz genießen. Vor allem Hilfsorganisationen verweisen darauf, dass lediglich die Tatsache ausschlaggebend sei, dass die geflohene Person Schutz benötigt, weil dieser im Herkunftsland nicht gewährleistet ist. Demgegenüber vertreten einige Staaten die Meinung, dass Personen, die vor Kriegsgeschehen fliehen oder die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wie Milizen oder Rebellen fürchten, keinen Flüchtlingsstatus erhalten sollten.
Eine genaue Quantifizierung von Flüchtlingsbewegungen ist sehr schwierig, die Statistiken des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees) weisen nur die von dieser Organisation erfassten Flüchtlinge aus und bieten so lediglich einen Wert für weitere Schätzungen. Die Zahl der Flüchtlinge wurde zum Dezember 2010 auf etwa 43,7 Mio. weltweit beziffert, das ist der höchste Wert seit 15 Jahren. Darunter zählen 15,4 Mio. Menschen als Flüchtlinge im engeren Sinne (d.h. gemäß der Genfer Konvention). Die UNCHR betreute 10,55 Mio. Flüchtlinge im Jahr 2010, davon 4,01 Mio. im asiatisch-pazifischen Raum, 2,18 Mio. in Afrika, 1,94 Mio. im Mittleren Osten und Nordafrika, 1,61 Mio. in Europa und 0,8 Mio. auf dem amerikanischen Kontinent. Hinzu kommen 4,82 Mio. Palästinensische Flüchtlinge in Jordanien Libanon, Syroen und Palästina, um deren Schutz sich die UNRWA (the United Nations Relief and Works Agency) einsetzt. Durchschnittlich 47 % der Flüchtlinge weltweit sind Frauen und Mädchen, 44 % sind Kinder.


Binnenvertriebene, Armuts- und Umweltflüchtlinge

Rechtlich gesehen nicht zur Gruppe der Flüchtlinge gehören die Binnenvertriebenen, die sich aber in ähnlich schwieriger Situation befinden. Nach Schätzungen des IDMC (Geneva-based Internal Displacement Monitoring Centre) gab es 2011 etwa 26,4 Mio. Binnenvertriebene weltweit, hauptsächlich in Kolumbien (5,3 Mio.), Irak, Sudan, DR Kongo, und Somalia.
Auch die sog. Armutsflüchtlinge fallen nicht unter den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Weltweit leben etwa 1,4 Milliarden Menschen in absoluter Armut. Aus materieller Not verlassen viele dieser Menschen ihre Heimat. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzte die Zahl der Wanderarbeiter für die 1990er Jahre auf 120 Millionen, ein Großteil davon hielt sich illegal in anderen Staaten auf. Heute geht die IOM (Internationale Organisation für Migration) von etwa 200 Mio. Wanderarbeitern weltweit aus, die meisten werden in China und Indien vermutet.
Umweltflüchtlinge sind nach der UN-Umweltbehörde (UNEP) jene Menschen, die sich veranlasst sehen, "ihre traditionelle Umgebung vorübergehend oder gar dauerhaft zu verlassen, da Umweltschäden ihre Existenz in Gefahr brachten und/oder ihre Lebensqualität schwerwiegend beeinträchtigten". Es gibt nur ungenaue Schätzungen über die Zahl dieser Menschen, die ihre Heimat z. B. aufgrund von Wassermangel, Bodendegradation oder allgemeiner Umweltgefahren verlassen haben. Auch Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche und Tsunamis lösen Flüchtlingsbewegungen aus. Nach UNDP-Angaben mussten über 50 Mio. Menschen ihre Heimat durch Überschwemmungen, Dürren, Erdbeben und andere Naturkatastrophen ihre Heimatregion verlassen. Jedoch liegen hier keine eindeutigen Zahlen vor.


Hilfsorganisationen

Viele Organisationen haben es sich zur Aufgabe gemacht, Flüchtlinge ungeachtet ihrer Beweggründe zu versorgen und unterzubringen, aber sie auch rechtlich zu schützen und beim Aufbau eines neuen Lebens zu unterstützen. Der Völkerbund ernannte 1921 den norwegischen Wissenschaftler und Entdecker Fridtjof Nansen zum ersten Hohen Flüchtlingskommissar. Das UNHCR, 1950 von der UN-Vollversammlung ins Leben gerufen, beschäftigt heute 7.735 Mitarbeiter in 126 Ländern. Seit seiner Gründung erhielten über 50 Mio. Menschen Hilfe von dieser Organisation, die dafür 1954 und 1981 den Friedensnobelpreis erhielt. Das Jahresbudget der Organisation beträgt 2012 3,59 Mrd. US-$; die Finanzierung erfolgt zum Großteil durch freiwillige Beiträge von Staaten (Regierungen stellen 2012 93 % des Gesamtbudgets) und Spenden von Privaten. 2008 war der Hauptgeber die USA mit 510,3 Mio. US-$ Beiträgen, die EU-Kommission folgte auf dem zweiten Platz mit 130,2 Mio. US-$, Deutschland lag auf dem neunten Platz mit 48,9 Mio. US-$.
Neben UNHCR gibt es auf Seiten der Vereinten Nationen beispielsweise noch das Welternährungsprogramm (WFP), das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), das Büro zur Koordinierung von humanitären Angelegenheiten (OCHA) und das Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR), die sich auch mit der Flüchtlingshilfe beschäftigen.
Weitere Organisationen sind das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die Internationale Vereinigung der Rotkreuz- und Rothalbmondverbände, die Internationale Organisation für Migration (IOM) und mehrere hundert Nichtregierungsorganisationen.


Nothilfe, Rechtsschutz, Soforthilfe, Reintegration und Prävention

Schutz der Flüchtlinge beinhaltet insbesondere sicherzustellen, dass die Menschenrechte der Flüchtlinge geachtet werden und niemand gegen seinen Willen in ein Land zurückgeschickt wird, wo Verfolgung zu befürchten ist.
Vor dem rechtlichen Schutz steht jedoch in der Regel die Nothilfe – Unterkunft, Wasser, Nahrungsmittel, Sanitäranlagen und medizinische Versorgung. Soforthilfe-Projekte schließen die Lücke zwischen der Soforthilfe für Flüchtlinge bzw. Rückkehrer und der langfristigeren Entwicklungshilfe anderer Organisationen. Sie dienen dem Wiederaufbau von Schulen und Krankenhäusern oder der Reparatur von Straßen, Brücken und Brunnen.
Stand früher die Ansiedlung von Flüchtlingen in anderen Staaten im Vordergrund, so gewinnt heute nach der Konfliktlösung die Reintegration von Flüchtlingen in ihre Heimat immer mehr an Bedeutung. Zum einen, da dies in der Regel von den Flüchtlingen selbst gewünscht wird, zum anderen, da Staaten aufgrund von Ressentiments der eigenen Bevölkerung immer weniger gewillt sind, Flüchtlinge auf Dauer aufzunehmen. Wichtig hierbei ist auch die Tatsache, dass die Hauptaufnahmeländer für Flüchtlinge selbst ein in der Regel niedriges Pro-Kopf-Einkommen haben. 2010 wurden vier Fünftel aller Flüchtlinge von Entwicklungsländern aufgenommen. Das Land mit der größten Flüchtlingsbevölkerung ist Pakistan mit knapp 2 Mio., gefolgt vom Iran (1,1 Mio.) und Syrien (1 Mio.) (nach IDMC). Eine Reintegration ist auch für die Heimatländer der Flüchtlinge selbst wichtig, da sie durch die Flucht oftmals eher die für den Aufbau des Landes dringend benötigten leistungsfähigen, relativ gut ausgebildeten, jüngeren und aktiven Menschen verloren haben.
Mehr Ressourcen sollen künftig auch auf die Prävention großer Flüchtlingsströme verwendet werden; internationale Beobachter sollen frühzeitig über Krisen informieren und damit politische Lösungen rechtzeitig ermöglichen. Auch sollen nach Möglichkeit frühzeitig Vorbereitungen getroffen werden, um sofort humanitäre Nothilfe leisten zu können. So konnten beispielsweise während der Golfkrise 2003 bereits sehr früh umfangreiche Maßnahmen zur Versorgung von Flüchtlingen getroffen werden.


Aktuelle Krisenherde

Balkan: Nach den Balkankriegen der 1990er Jahre konnten bis zum Herbst 2002 bereits 2,2 Mio. Menschen in ihre Heimatländer zurückkehren. Viele von ihnen leben nun als Minderheit unter ehemaligen Feinden. Mehr als eine Million Menschen jedoch waren zu diesem Zeitpunkt immer noch entwurzelt.
Naher Osten: Mehr als 4,82 Millionen Menschen (2010) sind beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) registriert, das in der Region für diese Flüchtlinge verantwortlich ist.
Afghanistan: Nach einem über zwei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg befinden sich Anfang Januar noch etwa drei Millionen Afghanen auf der Flucht, 351.900 Menschen gelten als Binnenvertriebene. Die Afghanen sind die größte Flüchtlingsbevölkerung der Welt.
Irak: Der Irak stellt nach Afghanistan die zweitgrößte Flüchtlingsbevölkerung. Hier sind es 1,7 Mio. Menschen (Stand 2010), die aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden.

Weitere Krisengebiete mit größeren Flüchtlingsbewegungen sind u. a. Sri Lanka, Somalia, Südsudan, DR Kongo, Jemen, Syrien und Kolumbien. Kriminelle Gewalt und militärische Angriffe im Subsahararaum, Drogenkartelle in Lateinamerika, Konflikte in der Elfenbeinküste und vor allem der sog. Arabische Frühling, aber auch Dürren, Hurrikans und Tsunamis sind die jüngsten Hauptauslöser von Flüchtlingsströmen.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Sebastian Siebert, Wiebke Hebold
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2003
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 23.07.2012