Infoblatt Chaebols


Südkoreas Aufstieg und die Macht der Chaebols

Als "Chaebols" (auch "Jaebeols") werden große Unternehmenskonglomerate südkoreanischer Prägung bezeichnet. Konglomerate sind große Mischkonzerne, die verschiedene Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftszweige, Produktions- und Handelsstufen zu einer Einheit zusammenfassen. Der Grad der Unabhängigkeit der einzelnen Unternehmen in einem solchen Konzern kann variieren. Auch die Vielfalt der Branchen ist nicht festgelegt. Es gibt Mischkonzerne, die von der Schwerindustrie und dem Maschinenbau über die Automobilproduktion bis zu Dienstleistungen wie Banken und Versicherungen die gesamte Bandbreite wirtschaftlicher Aktivitäten abdecken. Der Vorteil solcher Konstrukte liegt in der Streuung von Risiken und der geringeren Abhängigkeit von einzelnen Branchen. Mischkonzerne besitzen dabei vor allem im asiatischen Raum eine große Bedeutung. In der amerikanischen und europäischen Wirtschaftswelt findet dagegen seit den 1990er Jahren eine Entflechtung von Mischkonzernen nach der Devise "Konzentration auf Kernkompetenzen" statt. Internationale Beispiele für Mischkonzerne sind:
  • General Electric (USA; u. a. Energie, Medizin- und Flugzeugtechnik, Finanzen, TV)
  • Siemens (Deutschland; u. a. Kraftwerke, Medizintechnik, Beleuchtung, U-Bahnen)
  • Tata-Group (Indien; u. a. Autos, Stahl, Chemie, Hotels, Tee, Versicherungen)
  • Mitsubishi (Japan; u. a. Schwerindustrie, Autos, Bier, Bergbau, Banken)
Im Unterschied zu den Mischkonzernen in anderen Ländern dominieren die Chaebols die südkoreanische Volkswirtschaft. So gibt es in Südkorea kaum Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten. Dort wo es solche kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gibt, sind sie in der Regel in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Chaebol. Deutschland verfügt im Vergleich dazu über eine mittelständisch geprägte Wirtschaft, in der KMU (kleine und mittlere Unternehmen) die wichtigsten Arbeitgeber sind. Eine weitere Besonderheit der Chaebols ist deren interne Struktur. Sie sind hierarchisch organisiert und werden in der Praxis von einer Person bzw. einer Familie kontrolliert. Das heißt, dass die in einem Chaebol versammelten Einzelunternehmen nicht selbständig und unabhängig handeln können, sondern den Anweisungen von oben folgen müssen. Die Chaebols sind eng mit der Politik verwoben und wurden über Jahre durch sie unterstützt, was eine ungeheure Machtkonzentration zur Folge hatte.


Chaebols als Hauptakteure der aufholenden Industrialisierung

Südkorea gilt als einer der vier ostasiatischen Tigerstaaten. Die Entstehung des Chaebol-Systems ist dabei eng mit dem raschen wirtschaftlichen Aufstieg zur Industrienation verbunden. Nach der Befreiung von der japanischen Kolonialmacht 1945 begann für die südkoreanische Wirtschaft der Übergang vom kolonialen Wirtschaftssystem zur freien Marktwirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt war Südkorea ein isoliertes Agrarland auf dem Niveau von unterentwickelten Staaten in Afrika oder Asien. Zu den ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen kam 1950 der Koreakrieg. Nach dem Waffenstillstand von 1953 wurde Korea geteilt und Südkorea war als Land ohne größere Bodenschätze auf Importe angewiesen. Außerdem waren die wenigen vorhandenen Industrieanlagen und die gesamte Infrastruktur zerstört. Bis Ende der 1950er Jahre ging es aufgrund von Misswirtschaft und Korruption und trotz westlicher Entwicklungshilfe kaum aufwärts.
In den 1960er-Jahren vollzog sich dann jedoch wirtschaftlich und gesellschaftlich eine revolutionäre Wende. Der 1961 durch einen Militärputsch an die Macht gelangte Park Chung Hee und sein Regime veränderten den wirtschaftspolitischen Kurs grundlegend. Wirtschaftliches Wachstum hatte von nun an oberste Priorität und es wurde eine exportorientierte Entwicklungsstrategie eingeschlagen. Dabei kam es vor allem darauf an, die wirtschaftliche Entwicklungsplanung und -struktur so zu gestalten, dass diese innerhalb kürzester Zeit Erfolge brachten. Dieser Industriepolitik Parks sollten die Chaebols als das wirksamste Instrument dienen. Die Regierung war sich von Anfang an über die extrem ungünstigen Bedingungen einer nachzüglerischen Entwicklung im internationalen Wettbewerb bewusst. Darum wollte sie die Konkurrenzschwäche der jungen koreanischen Unternehmen ausgleichen, indem die knappen Ressourcen des Landes auf einige strategisch ausgewählte Unternehmen und Branchen konzentriert wurden. Diese Unternehmen sollten schnell wachsen, um höhere Skalenerträge (Größenvorteile) in der Produktion und bei der Generierung technologischen Wissens zu erreichen. So sollten konkurrenzfähige Produkte besonders günstig auf den Weltmarkt gebracht werden. Die Regierung griff also massiv in die Wirtschaft ein, machte konkrete Vorgaben, welche export- bzw. technologieorientierte Branchen entwickelt werden sollten und gab sogar Produktions- und Wachstumsziele vor. Das nötige Kapital zur Durchsetzung der Regierungsmaßnahmen stammte aus Auslandshilfen und der Verstaatlichung der Geschäftsbanken. Mit Hilfe dieser Gelder wurden selektiv nur die Großunternehmen gefördert, die sich nach den wirtschaftlichen Vorgaben des Fünf-Jahres-Wirtschaftsplans richteten. Je nachdem, wo die staatlichen Prioritäten lagen (in den 1960er Jahren auf arbeitsintensiven Produkten der Leichtindustrie, in den 1970er Jahren hingegen auf kapitalintensiven Erzeugnissen) mussten die Unternehmen alles daran setzen, die jeweils vom Staat vorgegebenen Produkte zu exportieren. Ein Unternehmen galt nicht als erfolgreich, wenn es einen hohen Gewinn erwirtschaftete, sondern nur wenn es sehr schnell immer größer wurde und nach staatlichen Vorgaben exportierte. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum die Chaebols in immer mehr Branchen aktiv wurden. Die bedeutsamsten Ziele der Politik konnten mit der eingeschlagenen Wachstumsstrategie erreicht werden: Der nachhaltige Aufbau einer industriellen Basis ist gelungen. Südkorea verzeichnete seit den 1980er Jahren ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von über 7 %. 1976 betrug das Bruttoinlandsprodukt Südkoreas noch 29,1 Mrd. US Dollar. Nach nur zwei Dekaden hatte es sich 1997 auf 442,5 Mrd. US Dollar verfünfzehnfacht.


Der Machtzuwachs der Chaebols

Diese Erfolgsstory hatte aber auch ihre Schattenseiten. Die kompromisslose Wachstumspolitik des Staates verlieh den Chaebols nicht nur absolute Priorität und Privilegien, sondern beinhaltete auch eine repressive Arbeitspolitik. Jegliche kollektive Handlung der Arbeiter war streng verboten. Nach der Zielsetzung „zuerst Entwicklung, dann erst Verteilung“ wurde der wirtschaftliche Aufstieg des Landes nur zu einem kleinen Teil an die Bevölkerung weitergegeben. Der Erfolg der staatlichen Wachstumspolitik hatte aber auch noch eine weitere Kehrseite. Denn je erfolgreicher diese Politik war, desto mächtiger wurden die Chaebols. Der Staat verlor gleichzeitig an Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten und konnte der konzentrierten ökonomischen Macht nicht viel entgegensetzen. Die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Chaebols, insbesondere der fünf Größten, nahm immer weiter zu. So erhielten Beschäftigte neben Lohnzahlungen häufig auch andere Leistungen (z. B. Zugang zu verbilligten Betriebswohnungen, Betriebskindergärten, Zuschüsse zu Studiengebühren). Die kompletten Lebensverhältnisse, die sozialen Bezüge und die Zukunftserwartungen der Arbeiter und ihrer Familien waren vollständig auf die jeweiligen Chaebols ausgerichtet. Versuche in der 1980er Jahren und Mitte der 1990er Jahre durch Liberalisierung und Deregulierung die negativen Auswirkungen des Chaebol-Systems zu begrenzen, blieben weitgehend erfolglos.


Die Asienkrise und ihre Folgen

Die asiatische Finanzkrise von 1997 markierte einen Wendepunkt. Das Zeitalter der Massenproduktion war weltweit vorbei. Die Chaebols konnten nur viel und billig produzieren. Das konnten aber die Chinesen zum Teil noch besser, was für Südkoreanische Produkte einen rapiden Preisverfall bedeutete. Die Chaebols litten unter Überkapazitäten und waren zu unflexibel, um sich auf die neue Situation einzustellen. Das zweite Problem war jedoch sehr viel schwerwiegender, die Chaebols waren vollkommen überschuldet. Der rasante Aufstieg wurde über Kredite finanziert und gleichzeitig waren Gewinne nur zweitrangig. Dramatisch wirkte sich aus, dass die Unternehmen durch Quersubventionen und -bürgschaften mit Tochterunternehmen den finanziellen Status geheim halten konnten. Erst die Asienkrise brachte die tatsächliche finanzielle Situation der Chaebols zu Tage. Bei dem zerschlagenen Konglomerat Daewoo wurde die Verschuldung auf 50 Mrd. US-Dollar geschätzt. Die Wucht der Finanzkrise und der Druck von außen durch den IWF (Internationaler Währungsfonds) haben jedoch einen Prozess zur teilweisen Entflechtung und Modernisierung der Chaebols eingeleitet. Tochterfirmen werden im großen Stil verkauft und es findet bis heute so etwas wie eine "Konzentration auf Kernkompetenzen" statt.


Die wichtigsten Chaebols Südkoreas

Die "Samsung Gruppe" ist heute der größte Südkoreanische Mischkonzern. Nach dem Rückzug aus zahlreichen Geschäftsfeldern im Zuge der Asienkrise ist heute Samsung Electronics der wichtigste Zweig des Konglomerats. Die weltweit 206.000 Mitarbeiter von Samsung Electronics erwirtschafteten 2011 einen Konzernumsatz von 143 Mrd. US-Dollar. Die "Hyundai-Gruppe" war lange das größte Chaebol Südkoreas und besteht heute aus drei relativ eigenständigen Hauptgesellschaften: Hyundai Motor Company, Hyundai Heavy Industries und die Hyundai Corporation. Die "LG Gruppe" hat sich auch auf den Bereich Elektronik spezialisiert.


Die zehn größten Chaebols Südkoreas nach Einnahmen

Name Kernaktivitäten Einnahmen 2007
(Mrd. US-$)

1. Samsung Elektronik, Maschinenbau, Chemische Ind. 174,2
2. Hyundai Kia Automotive Group Fahrzeugbau 109,8
3. LG Elektronik, Chemische Ind., Telekommunikation, sonstige Dienstleistungen 94,8
4. SK Energie 88,0
5. Posco Eisen, Stahl 34,0
6. Korea Electric Power Elektrizität 31,4
7. GS Group Energie, Bau, Einzelhandel 29,5
8. Shinhan Financial Group Finanzen, Bankgewerbe 28,7
9. Woori Financial Group Finanzdienstleistungen 28,6
10. STX Corporation Schiffbau, Bau, Energie, Handel, Bankgewerbe 24,5




Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 04.10.2012