Infoblatt Naher Osten


Erdölreichtum und Krisenregion

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Historische Wirtschaftsformen

Landschaftlich ist der Nahe Osten den subtropischen Trockenräumen zuzuordnen. Die Arabische Halbinsel ist mit der Großen Nefud im Norden und der Rub al-Chali im Süden fast vollständig ein Wüstengebiet. Im Norden gehen die Wüsten der Arabischen Halbinsel in die Syrische Wüste über. Im östlichen Ägypten befindet sich die zur Sahara gehörende Arabische Wüste. Die traditionelle Wirtschaftsform in diesen Gebieten ist der Nomadismus, eine auf Wanderviehwirtschaft basierende Gesellschaft von Beduinenstämmen. Zusätzlich erlangte der Karawanenhandel z. B. mit Weihrauch einige Bedeutung. Neben den Wüstengebieten gehört aber auch eine Zone mit niederschlagsreichem Winterregen zum Nahen Osten. Die Winterregenzone erstreckt sich nördlich der Syrischen Wüste bzw. der Arabischen Halbinsel und entlang der östlichsten Küste des Mittelmeeres (einschließlich des Zweistromlandes zwischen Euphrat und Tigris sowie Syrien, Libanon, Israel, Jordanien und den palästinensischen Autonomiegebiete). Zusammen mit den fruchtbaren Gebieten am Nilufer Ägyptens werden die großen Wüstengebiete "sichelförmig" umschlossen, weshalb dafür auch der Name "Fruchtbarer Halbmond" Verwendung findet. In den Gebieten des Fruchtbaren Halbmondes war es durch Kanalbewässerung aus Flüssen möglich, höhere landwirtschaftliche Erträge zu erzielen. Daher kam es dort zum Übergang von der nomadischen Lebensweise zu Ackerbau und Viehzucht. Dieser Übergang war jedoch nur durch einen höheren Grad gesellschaftlicher Organisation möglich, ein einzelner Bauer wäre z. B. mit der Planung von komplexen Bewässerungssystemen überfordert gewesen. Auf dieser Basis entstanden in den Regionen des Fruchtbaren Halbmondes die ersten bekannten Hochkulturen: Sumer (ca. 4000 - 3000 v. Chr. bis 2004 v. Chr.) oder Ägypten (ca. ab 3150 v. Chr. bis 395 n. Chr.) sowie später Babylonien.


Gemeinsames Erbe

Die Basis für das gemeinsame kulturelle Erbe der Gesellschaften des Nahen Ostens bilden der Islam und die langjährige Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich. Der Islam ist heute eine dynamisch wachsende Weltreligion mit mehr als einer Milliarde Mitgliedern. Er ist jedoch nicht allein eine Religion, sondern zugleich ein in sich geschlossenes, rechtlich-politisches Wertesystem. Daher ist eine Trennung von Religion und Staat, wie sie zum Beispiel in Europa oder Nordamerika üblich ist, nach islamischem Verständnis nicht vorgesehen. Das Osmanische Reich ist das bisher letzte islamische Großreich und bestimmte von 1299 bis 1923 und somit kontinuierlich über 600 Jahre lang die Entwicklung des Nahen Ostens. Mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches ist die Region mehr und mehr Spielball der Interessen Europäischer Großmächte und Russlands geworden. Nach Ende des 2. Weltkriegs beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 181 vom 29. November 1947 die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat. Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen. In der Gründungsnacht erklärten die arabischen Nachbarn Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien dem jungen Staat den Krieg. Dieser Israelische Unabhängigkeitskrieg endete vorerst mit einem Waffenstillstand im Juli 1949. Ein Friedensabkommen konnte bisher nur mit Ägypten (1979) und mit Jordanien (1994) abgeschlossen werden.


Konflikte im Nahen Osten

Warum der Nahe Osten seither wie keine andere Region immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit einer besorgten Weltöffentlichkeit steht, hat vor allem zwei Gründe: Die Konflikte in der Region spitzen sich immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu und insbesondere der Israelisch-Arabische Konflikt konnte bis heute nicht gelöst werden. Hinzu kommt die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Erdöl. Die Bedeutung des Nahen Ostens für den globalen Energiemarkt ist enorm. Die Konfliktsituation im Nahen Osten ist sehr unübersichtlich und lässt sich der Einfachheit halber auf drei Konfliktarten reduzieren:
  • der Nahost-Konflikt,
  • der Hegemonial-Konflikt und
  • soziale Konflikte innerhalb der Staaten.
Diese drei Konfliktarten überlagern und verstärken sich gegenseitig. Daher ist die Region sehr instabil.
Kern des Nahost-Konflikts ist die Konkurrenz zwischen Israelis und Palästinensern um das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer. Israels Souveränität erstreckt sich auf 78 Prozent dieses Gebietes; über 22 Prozent herrscht Israel seit 1967 als Besatzungsmacht. Die Palästinenser ihrerseits streben einen eigenen Staat an. Dem stimmt die israelische Regierung im Grundsatz zu. Umstritten bleibt allerdings der Grenzverlauf. Weitere Streitfragen betreffen die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, den Status Jerusalems und das von den Palästinensern beanspruchte Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge. Die arabischen Nachbarländer wirken auf diesen Konflikt ein und nutzen ihn für ihre Zwecke.
Beim Hegemonial-Konflikt geht es um die Vormachstellung im Nahen Osten. Sowohl der Iran als auch der Irak haben versucht, zum mächtigsten Staat der Region zu werden. Dabei trafen sie aber auf den Widerstand Saudi-Arabiens und der USA, dessen wichtigster Verbündeter. Folgende Kriege sind dem Hegemonial-Konflikt zuzuordnen: der iranisch-irakische Krieg (1980 - 1988), der 2. Golfkrieg (1990/91) und der Irak-Krieg (2003).
Nicht zu unterschätzen für die Stabilität der Region sind die sozialen Konflikte innerhalb der Staaten. Diktaturen und konservative Monarchien bestimmen das Bild im Nahen Osten, von Israel abgesehen. Sie stützen sich auf eine umfangreiche Staatsbürokratie, die auch die Wirtschaft lenkt und einen gewaltigen Sicherheitsapparat unterhält. Die Staaten sind aber nicht von weltweiten Wandlungsprozessen abgekoppelt und so kommt es zu kulturellen Identitätsproblemen, wachsenden Klassengegensätzen und fundamentalistischen Oppositionsbewegungen. Machthaber im Nahen Osten sind daher gezwungen, Wege zum Machterhalt zu finden. Dies kann durch Umverteilung der Erdöleinahmen geschehen, aber auch indem ein gemeinsames Feindbild wie Israel oder die USA wieder stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht wird.


Arabischer Frühling

Der Arabische Frühling, auch Arabellion genannt, begann im Dezember 2010 in Tunesien. Er breitete sich über viele Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens aus. Proteste, Aufstände und Rebellionen erschütterten die autokratischen Systeme der Region. In Ägypten und Tunesien jagten die Aufständischen die Herrscher aus dem Amt. Libyen verfiel in einen Bürgerkrieg, dessen Verlauf das Eingreifen der NATO entscheidend beeinflusste. In Syrien herrscht 2012 noch eine Patt-Situation, die verlustreichen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition halten an. In anderen Ländern wie Marokko und Jordanien haben die Regime auf die sozialen Proteste reagiert und so ihren status quo zumindest kurzfristig stabilisiert. In einigen Ländern führen Wahlen zu mehr oder weniger verbesserter Situation. Der Arabische Frühling gilt als historische Zäsur in der Region – mit weitreichenden Folgen in politischer, wirtschaftlicher und geostrategischer Hinsicht.


Tankstelle der Welt

Im Nahen Osten wurden die ersten Erdölvorkommen schon Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt. Aber erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs bekam das Erdöl seine Bedeutung als wichtigster internationaler Einzelrohstoff. Zunächst sank der Ölpreis während der 1950er Jahre wegen der Erschließung immer neuer Quellen und des damit verbundenen Überangebots auf dem Weltmarkt kontinuierlich ab. Um höhere Gewinne aus dem Erdölhandel zu erzielen, gründeten die Erdöl exportierenden Länder 1960 die OPEC. Die ursprünglichen Mitglieder waren Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela. Später kamen weitere sieben Staaten hinzu: Katar (1961), Indonesien (1962), Libyen (1962), die Vereinigten Arabischen Emirate (1967), Algerien (1969), Nigeria (1971) und Angola (2007). Durch Absprachen über die Fördermenge sollte der Ölpreis erhöht und stabilisiert werden. In den OPEC Ländern kam es in den Folgejahren zu einer weitgehenden Verstaatlichung der Ölquellen und einer erhöhten Besteuerung der Ölfirmen. Aktuell befinden sich 61 % der Erdölreserven weltweit in der Region. Der Ölreichtum ist aber sehr unterschiedlich verteilt. So entfallen rund 58 % der weltweiten Reserven auf nur fünf Staaten: Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Diese fünf bilden heute den Kern der OPEC und beeinflussen maßgeblich die Preisbildung an den internationalen Öl-Börsen. Saudi-Arabien allein besitzt 21 % der Ölreserven weltweit. In dem Königreich befindet sich das größte konventionelle Ölfeld der Welt: Aus dem Ghawar-Feld, im Osten des Landes, werden täglich rund 5 Millionen Barrel Öl gepumpt, das sind fast 6 % der Förderleistung weltweit.


Ölreichtum und seine Folgen

Der Erdölreichtum in der Region hat in den betroffenen Ländern zu einem extremen und sehr raschen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandel geführt. Innerhalb von einer Generation mussten sich ganze Gesellschaftsschichten von vormodernen Lebensweisen (z. B. Nomadismus) auf das westlich geprägte Industrie- und Konsumzeitalter umstellen. Viele der schon erwähnten Identifikationsprobleme lassen sich darauf zurückführen. Die politischen Systeme der Erdölexportländer haben ihre finanzielle Grundlage nicht in Steuereinahmen, sondern in Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl, Kanal- und Pipelinegebühren oder Dividenden aus Kapitalanlagen im Ausland. Dies ist ein großer Unterschied zu westlichen Staaten, denn diesen Einnahmen stehen keine entsprechenden Aufwendungen gegenüber, sie fließen von selbst. Da die jeweiligen Machthaber nicht auf Steuern ihrer Untertanen angewiesen sind, müssen sie sich auch nicht für die Verwendung der Gelder verantworten. Es ist im Gegenteil möglich, Wohlstand zu verteilen und damit Machtstrukturen zu stabilisieren. Diese Stabilität funktioniert jedoch nur, solange die Einnahmen vorhanden sind. Der Erdölexport bestimmt aber auch die Wirtschaftsstruktur der gesamten Region. Nichterdölstaaten sind durch Umverteilung an den Erdöleinahmen beteiligt und der gesamte Nahe Osten damit auf komplexe Weise in das Weltwirtschaftssystem integriert. So ist der Arbeitskräftebedarf in den Ölförderländern viel höher als das Angebot. Einnahmen von Gastarbeitern und Migranten machen zum Beispiel in Jordanien fast 20 % der Wirtschaftsleistung aus. Hinzu kommen großzügige Spenden für religiöse und kulturelle Einrichtungen aus den Erdölförderländern. Für den Nahen Osten lässt sich daher eine besondere Abhängigkeit von der weltweiten Ölnachfrage und Konjunktur feststellen. Diese Erkenntnis gekoppelt mit dem Wissen um die Endlichkeit der Erdölressourcen hat in den Erdölförderländern zu einem Umdenken geführt. Gewinne aus Erdöleinnahmen werden zunehmend in Infrastrukturprojekte und die Verbreiterung der wirtschaftlichen Basis gesteckt. Es kommt sogar zunehmend zu einer Städterivalität: Das inzwischen engmaschige Netz an leistungsfähiger technischer und sozialer Infrastruktur bewirkt ein hohes Konkurrenzpotenzial innerhalb der Region. Die Städte übertreffen sich regelmäßig mit der Erweiterung ihrer Kapazitäten und der Umsetzung symbolträchtiger infrastruktureller Großprojekte. Es herrscht ein regionaler zwischenstaatlicher Kampf um potenzielle Investoren. Dubai hat hohe städtebauliche Standards vorgegeben, die zunehmend aufgegriffen und in unterschiedlichen Abwandlungen in anderen Staaten verwirklicht werden. Ziel ist die Entwicklung wirtschaftlich erfolgreicher Städte, die langfristig weltweit mithalten können und so den Staaten eine Perspektive für die Zeit nach dem Erdöl eröffnen.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 15.06.2012