Infoblatt Aborigines
Basisdaten, Lebensweise, Konflikte und Lösungsansätze
Basisdaten und traditionelle Lebensweise
Das Wort Aborigines stammt aus dem Lateinischen "ab origine", was so viel heißt wie „von Beginn an“. Der Begriff wurde von den europäischen Siedlern, unter anderem James Cook, im 18. Jahrhundert eingeführt und bezeichnet zusammenfassend die Ureinwohner von Australien, Tasmanien und den benachbarten Inseln. Die Aborigines bilden eine sehr altertümliche Gruppe der Menschheit, die der australiden Rasse angehört. Ihre Vorfahren kamen wahrscheinlich vor rund 40.000 bis 60.000 Jahren in mehreren Schüben von Indonesien aus ins Land. Von den heute rund 300.000 australischen Ureinwohnern lebt ein großer Teil in Reservaten, Missionsstationen oder auf Viehfarmen. Zu unterscheiden sind die Aborigines von den "Torres-Strait-Islanders", die nicht mit ihnen verwandt sind. Letztere besiedelten die australischen Inseln von Papa-Neuguinea aus, leben sesshaft in kleinen Dörfern und betreiben Gartenbau. Vor der Ankunft der Engländer siedelten die Aborigines vor allem an der Ostküste, aber auch in den Wüsten des Outbacks. Selbst bezeichnen sie sich nicht als Aborigines, sondern je nach Gegend und Stamm unterschiedlich, zum Beispiel in Tasmanien Palawa, Nanga in Süd- und Wonghi in Westaustralien. Alle sprechen eigenständige Sprachen und streifen in Horden von 20 bis 50 Menschen als Wildbeuter umher. Mehrere Horden bilden eine Gruppe von 500 - 700 Personen.
Im Gegensatz zu den amerikanischen Ureinwohnern besitzen sie keine direkt erkennbaren politischen Strukturen, wie Häuptlinge und Ältestenrat. Anstatt dessen zeichnen sie sich durch ein komplexes System von Verwandtschaftsbeziehungen aus: Es gibt keine Kernfamilie, die aus Mutter-Vater-Kind besteht, sondern ausgeweitete große Familien oder Stämme, in denen – im Sinne der Aborigines – alle miteinander verwandt sind. Es existiert aber keine Blutsverwandtschaft. So werden beispielsweise alle Tanten auch als Mutter bezeichnet und deren Töchter nennen sich alle gegenseitig Schwestern. Die Heiratsordnungen sind demzufolge sehr kompliziert. Außerdem sind die einzelnen Stämme in verschiedene Gruppen untergliedert, die jeweils bestimmte Aufgaben für den gesamten Stamm übernehmen, wie die Jagd oder die Erziehung. Eine weitere soziale Gliederung erfolgt nach Alter und Wissen. Die Ältesten des Stammes besitzen den größten Einfluss. Die Aborigines sehen sich als integrierten Teil ihrer natürlichen Umgebung und haben daher strikte Verhaltensregeln im Umgang mit der Natur.
Sehr deutlich wird das durch den Totemismus, ein weltweites Phänomen, was aber unter den australischen Ureinwohnern am stärksten verbreitet ist. So bezeichnet man eine Geisteshaltung, bei der die Menschen ständige Beziehungen zu Tieren, Pflanzen, Gegenständen und Erscheinungen (Totems) pflegen, weil sie glauben, mit ihnen in einer emotionalen, mystischen oder verwandtschaftlichen Beziehung zu stehen. Sie sind davon überzeugt, dass die Totems ihren Urahn verkörpern, daher darf diesen kein Schaden zugefügt werden. Solche Vorstellungen sind vor allem in Jäger- und Sammlervölkern verbreitet und gelten als animalistische Weltanschauung. Die Totems haben eine Art Seele und besitzen die Macht, über das Schicksal der Menschen zu herrschen. Mit Opfergaben können diese gutmütig gestimmt werden. Totemismus wird oft als Ursprung von Religion angesehen.
In der Religion der Aborigines dreht sich alles um die sog. Traumzeit – die Zeit der Schöpfung. Als die Aborigines Australien besiedelten, erzählten sie sich in mündlich überlieferten Legenden die Erschaffung des Landes. Eine Schöpfungsmacht erschuf demnach zuerst die Landschaft, dann Tiere und Pflanzen und zum Schluss den Mensch. Durch Meditation können sie in diese Traumzeit gelangen, in denen ihre alten Vorfahren und andere mystische Kreaturen der Vorzeit existieren – ein Totenreich sozusagen. So ist die Traumzeit mit dem Jetzt verbunden. Ahnengeister wie der Känguruhmann und die Laubvogelfrau lehrten die Menschen damals in der Welt zu leben. Die Regenbogenschlange zählt zu den wichtigsten Figuren ihrer Mythologie – sie symbolisiert Fruchtbarkeit und ist gleichzeitig Schöpfer und Zerstörer.
Die Aborigines bewirtschaften das Land nicht, sondern leben vom kontrollierten Verbrennen des Landes, dem fire-stick-farming, eine Urform der Landwirtschaft. Sie bilden eine klassische Jagd- und Sammlergesellschaft. Die Männer jagen Wild und die Frauen sammeln Wurzeln, Beeren und Insekten. Jede Sippe oder Horde hat dabei ein Anrecht auf eine bestimmte Landfläche. Ihre Waffen sind Bumerang, Speer, Keule, Schild und Gleitschleudern. Oft tragen sie keinerlei Kleidung. Als Nomadenvolk haben sie auch keinen festen Wohnsitz innerhalb ihres Gebiets, sondern wohnen in Höhlen oder Windschirmen aus Gras, Baumrinden und -zweigen sowie Schilf, die sie nur errichten, wenn sie länger an einem Ort bleiben.
Die Ureinwohner besitzen einen sehr reichen Mythenschatz. Da sie keine Schrift kennen, drücken sie sich durch Höhlenmalereien und Musik aus. Letztere nimmt eine zentrale Rolle im Leben der Aborigines ein, denn sie dient nicht nur der Unterhaltung, sondern auch für diverse Rituale und zur Kommunikation unter den Stämmen bzw. Gruppen. Die zahlreichen Lieder und Tänze handeln von Mythen, Geschichten und ihren Gesetzen. Oft dienen Gesänge auch der Heilung, der Orientierung und der Totenidentität. Das wohl bekannteste Instrument ist das aus Eukalyptusholz und Bambus hergestellte Blasinstrument Didgeridoo.
Probleme und Konflikte mit anderen Bevölkerungsgruppen in Vergangenheit und Gegenwart, Bedrohung der Lebensweise und Schritte zur Konfliktlösung
Die kulturelle Entwicklung verlief jahrzehntelang unabhängig vom asiatischen Festland. Erst seit ungefähr 1000 n. Chr. trieben die nördlichen Australier Handel mit der indonesischen Insel Sulawesi. Unklar ist, ob auch chinesische Kaufleute im Mittelalter nach Australien gelangt sind. Die Niederländer erkundeten im 17. Jahrhundert die Westküste Australiens. Doch die entscheidende Begegnung zwischen Aborigines und Europäern fand 1788 statt, als sich die ersten Engländer hier ansiedelten und die Insel in Besitz nahmen. Zu dieser Zeit wurden vor allem Sträflinge nach Australien deportiert. 1829 war die Errichtung des Territoriums Western Australia abgeschlossen. Die Briten betrachteten das Land als unbesiedelt, da die Aborigines es nicht in der Weise nutzten, wie es ihnen bekannt war. Die Ureinwohner wurden als minderwertige Rasse angesehen und von ihrem Land vertrieben, gejagt und gezielt getötet oder es wurde versucht, ihnen die westliche Lebensweise aufzudrängen. So wurden sie beispielsweise zur Sesshaftigkeit gezwungen. Die Ureinwohner waren technologisch und organisatorisch zu unterlegen, als dass sie sich erfolgreich dagegen wehren konnten. Seit dieser Zeit ist die Geschichte der Aborigines geprägt von Kultur- und Sprachverlust. Es wird geschätzt, dass früher rund 250 unterschiedliche Aborigines-Sprachen existierten, wovon die meisten heute ausgestorben sind oder nur noch von einzelnen Einwohnern gesprochen werden. Nur sechs Aborigines-Sprachen haben größere Sprachgemeinschaften und nur 20 werden heute überhaupt noch an Kinder weitergegeben. Nicht zuletzt durch den Bevölkerungsschwund wird sich diese Entwicklung fortsetzen: Die Aborigines sind eine Minderheit in Australien, sie bilden nur 1,5 % der Gesamtbevölkerung. Bevor die Weißen den Kontinent besiedelten, lag die Zahl der Aborigines bei schätzungsweise 1 Million. Seit der Einwanderung der Briten gibt es Assimilations- und Identitätskonflikte, denn ähnlich wie die Indianer in Nordamerika wurden die australischen Ureinwohner in der Vergangenheit gesellschaftlich nicht integriert.
Ab 1850 wurde versucht, die Ureinwohner in Reservaten zu schützen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts folgten rassentrennende Gesetze. Ab 1965 wollte man die Aborigines der weißen Gesellschaft angleichen und begann mit Integrationspolitik. Erst im Jahr 1961 erhielten die australischen Ureinwohner das Wahlrecht, sechs Jahre später besaßen sie Bürgerrechte. Zu dieser Zeit entwickelte sich auch die Landrechtsbewegung der Ureinwohner. Erst seit den 1970er Jahren fördert die Regierung Programme für die Aborigines-Sprachen und die Regionalkulturen. So wurde beispielsweise muttersprachlicher Schulunterricht eingeführt. In den 1980ern wurde die Rassentrennung in der Schule aufgehoben. Durch das Aboriginal Land Rights (Northern Territorial) Act im Jahre 1976 wurden ihnen erstmals größere Landgebiete zurückgegeben. Eine wichtige Errungenschaft auf diesem Gebiet war auch das Mabo-Gesetz (Native Title Act) von 1993: Es beinhaltet ein historisches Recht der Ureinwohner auf Landbesitz, auf dem ihr eigenes Rechtssystem mit den entsprechenden Sitten und Gebräuchen gilt. Damit erkennen die Briten außerdem an, dass der Kontinent schon vor ihrer Kolonisation besiedelt war. Ihr Land können die Aborigines aber nur unter sehr strengen Bedingungen zurückfordern. Es gibt immer wieder Hindernisse und Einschränkungen bei der Umsetzung des Gesetzes in die Praxis. Seit Januar 2007 haben die Aborigines nach einem zehnjährigen Rechtsstreit ihre Rechte in den Regenwäldern der Ostküste zurück und dürfen hier Fischfang und Jagd ausüben.
Siedlungsgebiete der Aborigines (Klett)
Trotz jüngster Erfolge sind viele Stämme heute ausgestorben oder führen nicht mehr ihr typisches Stammesleben. Die meisten Aborigines leben einen Kompromiss zwischen traditionellem und westlichem Lebensstil. Da die Hälfte in der Nähe von Städten lebt, mussten sie sich anpassen – die traditionelle Lebensweise ist nur noch in wenigen Gebieten überhaupt möglich. Die größte Ureinwohnersiedlung Australiens befindet sich in Sydney im Stadtteil Redfern, nur wenige Kilometer von der berühmten Oper entfernt. Die Ureinwohner gehören heute zum ärmsten Teil der australischen Gesellschaft mit einer schlechten medizinischen Versorgung, einem geringeren Bildungsniveau, einer höheren Arbeitslosigkeit, höheren Kindersterblichkeit und einer geringeren Lebenserwartung als die weiße Bevölkerung. Dieses Armutsproblem versucht die Regierung aber schon seit längerem zu lösen. Alkohol- und Drogenmissbrauch sind dabei besonders gravierend – zahlreiche Aborigines fühlen sich physisch und geistig entwurzelt und sehen keine Perspektive in ihrem Leben. In der Folge machen sie ein Drittel der australischen Gefängnisinsassen aus, denn die Ureinwohner sind bis heute im Strafrecht benachteiligt und leben in einem äußerst schwierigen Milieu. Viele internationale Organisationen, darunter amnesty international, weisen immer wieder auf die Verletzung der Menschenrechte bezüglich der Haftbedingungen der Ureinwohner hin.
Das Hauptproblem der Aborigines ist nach wie vor das Aufrechthalten ihrer eigenen Kultur und die fehlende wirtschaftliche und soziale Gleichberechtigung innerhalb der australischen Gesellschaft. Doch es gibt auch einige Lichtblicke für positive Entwicklungen in den letzten Jahren. Ein Beispiel ist der Tourismus im Outback – das am wenigsten besiedelte Gebiet Australiens. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hier der Abenteuertourismus sehr rasant entwickelt, vor allem im Uluru-Kata Tjuta Nationalpark um den Ayers Rock (Uluru) und Mount Olga (Kata Tjuta). Lange Zeit spitzte sich der Konflikt zwischen den dort lebenden Aborigines, die den Ayers Rock als Heiligtum verehren, und der zunehmenden touristischen Erschließung zu. Die zahlreichen Touristen entweihten die heiligen Stätten der Ureinwohner und zerstörten durch das Klettern auf dem Ayers Rock deren Malereien. In jüngster Zeit ging der Nationalpark wieder in den Besitz der Ureinwohner über und man setzte durch, dass einige Teile des Ayers Rock für Besucher gänzlich gesperrt werden. In einem weiteren Schritt wurde für geraume Zeit der gesamte Uluru für Kletterer gesperrt. Dieser Plan wird derzeit jedoch noch hitzig diskutiert.
Heute werden die Aborigines nicht mehr als Anschauungsobjekte gesehen, sondern zunehmend von den Touristen respektiert. Sie wollen ihre Kultur kennenlernen und zusammen mit ihnen das Outback erleben.
Literatur
Haarmann, Harald (2004): Kleines Lexikon der Völkerkunde von Aborigines bis Zapoteken, Beck´sche Reihe, München.
Hain, Birgit (2005): Tourismus im australischen Outback – das Beispiel Uluru-Kata Tjuta National Perk, In: Geographische Rundschau, Band 57, Heft 5.
Carstens, Margret (2005): Kampf australischer Aborigines um Landrechte, In: Geographische Rundschau, Band 57, Heft 5.
Löffler, Ernst (1993): Aborigines zwischen Tradition und Moderne, In: Praxis Geographie, Band 23, Heft 11.
Ergenzinger, Barbara (1993): Die Schulbildung der Aborigines – es gibt noch viel zu tun, In: Praxis Geographie, Band 23, Heft 11.
Epple, Alois (1993): Einwanderung nach Australien, In: Praxis Geographie, Band 23, Heft 11. Schöpke, Henning (1993): Touristen im Outback – Chancen und Gefahren für den Lebensraum, In: Praxis Geographie, Band 23, Heft 11.
Strohscheidt-Funken, Elisabeth (1995): Aborigines und Torres Strait Islanders in Australien – Diskriminierung per Gesetz, In: „First Peoples, first Voices“ – Indigene Völker zwischen Fremdbestimmung und Selbstbehauptung, Band 5 des Pazifik-Forums der Arbeitsgemeinschaft für Pazifische Studien Aachen.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Nancy Allmrodt
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 04.06.2012
Autor: Nancy Allmrodt
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 04.06.2012