Infoblatt Flusssysteme


Flusssysteme, die Wasserführung in Flüssen und die Eingriffe des Menschen in die Flusslandschaften



Einzugsgebiet des Rheins (Klett)


Flusssysteme

Flüsse zählen zu den wichtigsten landschaftsprägenden Elementen der Natur. Die durch sie geschaffenen Täler bilden die Textur des Reliefs, welche regional verschieden ausgeprägt sein kann. Bereits auf Landkarten zeigen sich bedeutende Unterschiede im Grundrissmuster der Talnetze. Die verschiedenen Typen der Fluss- bzw. Talsysteme lassen sich teilweise mit bestimmten Entstehungsursachen und geologischen Voraussetzungen in Verbindung bringen, strikte Kausalbeziehungen zwischen Entstehung und Geologie auf der einen und Flusssystem auf der anderen Seite gibt es jedoch nicht. Der einfachste Typ der Entwässerung sind parallele Flussnetze, die vorwiegend auf jungen Landoberflächen auftreten. Unter jungen Landoberflächen werden verlandete Meeresböden oder große, flächenhafte Ablagerungen wie eiszeitliche Gletscherablagerungen verstanden (z. B. Alpenvorland). Hierbei fließen mehrere Flüsse parallel, die untereinander nicht verbunden sind. Die Flüsse des nördlichen Alpenvorlandes, die relativ parallel zur Donau hin fließen, spiegeln den Charakter dieses Flusssystems wider. Voraussetzungen für das Vorhandensein nahezu paralleler Flüsse sind ein gleichsinniges Gefälle und fehlende Verzweigungen und Verbindungen untereinander, die aufgrund des jungen Alters noch nicht ausgeprägt sind.

Radiale Flussnetze entstehen von einem zentralen Gipfel aus, wie beispielsweise um einen großen Vulkanberg. Hier ordnen sich die entspringenden Flüsse um den Gipfel an und fließen in alle Richtungen ab. Auch dies ist ebenfalls wie das parallele Flusssystem ein einfaches Flussnetzmuster, welches sich später in ein komplexeres verwandeln kann.

Ein weiterentwickeltes und signifikant älteres Flussnetz ist das dendritische System, welches in seiner Ausprägung an die gleichmäßigen Verzweigungen eines Baumes erinnert. Die Entstehung und Entwicklung ist nicht ursächlich an geologische Voraussetzungen gebunden. Radiale und parallele Flussnetzsysteme können sich über längere Zeiträume weiter verzweigen, so dass sich eine baumartige Struktur entwickelt, die für dentritische Systeme typisch ist. Im Gegensatz dazu sind rechtwinklige Flussnetze im hohen Maße von den strukturellen und geologischen Bedingungen abhängig. Sie zeichnen sich durch lange gerade Flussläufe und nahezu rechtwinklige Biegungen aus. Ursache für dieses System ist das Vorhandensein eines deutlich entwickelten, meist rechtwinkligen Kluftsystems im Gestein, was den Flussverlauf kontrolliert. Für alle zuvor angesprochenen Flusssysteme liegt eine klare räumliche Organisation zugrunde, die bei chaotischen Flusssystemen völlig fehlt. Sie lassen sich im Moränengebiet der letzten Eiszeit von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern finden. Diese Gebiete sind durch Gletscherablagerungen entstanden und besitzen somit ein sehr unregelmäßiges Relief, weswegen man hier kein gleichsinniges Gefälle über die gesamte Fläche erkennen kann. Die Flüsse folgen dem lokalen Gefälle und formen großräumig betrachtet ein Flussnetz, welches keinen Regeln folgt.


Wasserführung in Flüssen

Flusssysteme sind dynamisch und wandeln sich ständig. Über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet, können Flussnetze enorm variieren und sich entwickeln, ebenso wird die Form der Täler verändert. Antrieb dieser großräumigen Umgestaltungen der Flussnetze und Talformen über lange Zeiträume hinweg ist das Wasser. Die Wasserführung der Flussläufe variiert sowohl in großen als auch in kleineren zeitlichen Maßstäben erheblich und bewirkt enorme Veränderungen entlang der Flussläufe. Für langfristige Änderungen in der Wasserführung sind vorwiegend Klimaänderungen verantwortlich, die sich auf den Niederschlag im Einzugsgebiet auswirken. Im kleineren zeitlichen Maßstab können Flüsse innerhalb weniger Jahre von Niedrigwasser über Hochwasser bis hin zu Überschwemmungen alle Wasserstände aufweisen. Die Wasserführung an einer beliebigen Stelle des Flusses spiegelt die aktuelle hydrologische Situation des Einzugsgebietes wider. Dabei sind die Grundwasserführung, der Eintrag durch Niederschläge und die Zufuhr von Wasser aus anderen Flüssen gleichermaßen bedeutend. Für kurzfristige und jahreszeitliche Schwankungen in der Wasserführung der Flüsse sind jedoch der Niederschlag und die Schneeschmelze ausschlaggebend.

Regnet es im Einzugsgebiet des Flusses über längere Zeiträume hinweg mäßig stark, so kann der Boden anfänglich das Wasser noch aufnehmen. Hat der Boden seinen Sättigungsgrad erreicht, fließt das gesamte Wasser den Flüssen des Einzuggebiets oberirdisch zu. Folglich steigt die Wasserführung in den Flüssen stark an, da der Eintrag aus Grundwasser, Niederschlag und Zufluss aus anderen Flüssen abtransportiert werden muss. Dieses kurzzeitige Ungleichgewicht aus Zufluss und Abfluss hat einen erhöhten Pegelstand zur Folge und kann bei weiter anhaltenden Niederschlägen zu Hochwasser und Überschwemmungen führen. Kleinere Hochwasser sind häufige Begebenheiten und ereignen sich im Durchschnitt alle zwei bis drei Jahre. Große Hochwasser und Überflutungen geschehen gewöhnlich seltener und können nach deren Wiederkehrwahrscheinlichkeit in 20jähriges, 30jähriges, 40jähriges usw. Hochwasser gegliedert werden. Nach dieser Einteilung tritt ein Hochwasser einer bestimmten Stärke beispielsweise nur alle 100 Jahre auf. Das Hochwasser entlang der Elbe 2002 kann in die Kategorie 100jähriges Hochwasser eingeordnet werden.

Für das Auftreten von Überschwemmungen gibt es eine Reihe von Gründen. Zu ihnen zählen u. a.:
  • Extrem hohe Niederschläge in kurzer Zeit oder auch mäßig starker Regen über einen längeren Zeitraum
  • Schneeschmelze
  • Bruch künstlicher und natürlicher Dämme
  • Aufstauen von Flüssen aufgrund von Bergstürzen, die den Flusslauf versperren
Diese natürlichen Gegebenheiten erhalten durch die Anwesenheit und Tätigkeit des Menschen erst den Charakter von Katastrophen verschiedener Ausmaße. Das Bedrohungspotential erhöht sich durch:
  • Fortschreitende Abholzung von Hängen entlang des Flusses
  • Starke Siedlungstätigkeit in Talauen und Überschwemmungsgebieten, wodurch eine Überflutung erst zur Katastrophe avanciert
  • Ausbau von Flüssen (Flussverbauungen)
Gleichermaßen macht sich das Ausbleiben von Niederschlag über einen längeren Zeitraum ebenfalls in der Wasserführung der Flüsse bemerkbar. Anhaltende Trockenheit führt dazu, dass der Fluss keinen Eintrag aus den oberen Bodenschichten des Einzugsgebiets erhält, wodurch es zum Niedrigwasserabfluss kommt. Das Fließgewässer wird hierbei allein durch das zuströmende Grundwasser (Basisabfluss) gespeist. Die Folge sind niedrige Pegelstände, die die Schifffahrt teilweise zum Erliegen bringt, wie es im Sommer 2003 der Fall war.

Das Auftreten von Hochwasser und Überflutungen bestimmter Stärke auf der einen sowie Niedrigwasser auf der anderen Seite ist im starken Maße vom regionalen Klima, Breite der Talaue, Flussnetzsystem und der Einflussnahme des Menschen auf das Fließgewässer abhängig. Dabei reagiert das System Fluss in größeren Einzugsgebieten mit Zeitverzögerung auf die aktuellen klimatischen Bedingungen im Einzugsgebiet. Da Böden als Zwischenspeicher fungieren, geben sie während Trockenperioden weiterhin Wasser ab, bis der Speicher geleert ist. Setzt wieder Niederschlag ein, so macht sich dies nicht sofort in den Pegelständen bemerkbar, da der Zwischenspeicher Boden erst wieder gefüllt werden muss.


Eingriffe des Menschen in die Flusslandschaft und deren Auswirkungen

Die natürlichen Eigenschaften der Flüsse wurden im Laufe der letzten Jahrtausende, verstärkt in den letzten Jahrzehnten, enorm verändert. Erste Eingriffe in die natürlichen Flusslandschaften sind bereits aus den frühen Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien bekannt, wo Wasser gezielt für den Ackerbau reguliert wurde. Gründe für die Eingriffe in das System Fluss sind in heutiger Zeit u. a. der verstärkte Wasserbedarf, die Besiedlung entlang der Flüsse, die Energiegewinnung und die Schifffahrt. Dabei lassen sich im Wasserbau zwei Gruppen von aktiven Eingriffen unterscheiden. Zum einem Bauten, durch die sich der Mensch vor dem Wasser schützt, wie beispielsweise Dämme. Zum anderem erfolgen Eingriffe, durch die das Wasser bewirtschaftet werden kann, wie zum Beispiel künstliche Wasserstraßen. In der Summe ergeben sich einschneidende Veränderungen am Flussbett und in der Talaue.

Zu den größten und in der Landschaft am deutlichsten wahrnehmbaren Wasserbauten zählen Staudämme. Mit Hilfe großer Staumauern lassen sich Flüsse zu Seen aufstauen und damit fast vollständig regulieren. Wichtiges Ziel dieser Aufstauungen ist die Hochwasserbekämpfung, da somit die Wasserführung des Flusses kontrolliert werden kann. Weiterhin dienen Talsperren der Speicherung von Trink- und Industriewasser, der Energiegewinnung und der Naherholung. Die primäre Funktion von Talsperren ist sehr unterschiedlich. So dienen Bleiloch- und Hohenwartetalsperre an der Saale zur Regulierung der Wasserführung der Elbe, in die die Saale mündet. Als sekundäre Funktion steht die Energiegewinnung. Im Gegensatz dazu dient der Sylvensteinspeicher an der oberen Isar in erster Linie dem Hochwasserschutz. Weitere gigantische Staudämme zur Wasserregulierung befinden sich am Nil (Assuan-Staudamm) und der größte seiner Art in China zur Regulierung des Jangtse-Flusses. Neben dem Nutzen für den Menschen sind natürlich auch negative Folgen mit Staudämmen verbunden. So wird beispielsweise Sediment im Staubecken zurückgehalten, was regelmäßig ausgebaggert werden muss. Der Nil überschwemmte vor dem Bau des Assuan-Staudamms regelmäßig seine weiten Flussauen und lagerte das für den Ackerbau wichtige Sediment ab. Nach dem Bau des Staudamms bleiben Überflutungen und Sediment aus, so dass sich die Fruchtbarkeit entlang des Nils verschlechtert hat. Weitere negative Auswirkungen ergeben sich für Organismen, die den Lebensraum Wasser nutzen. So ist die Wanderung der Fische enorm eingeschränkt, da die gewaltigen Staustufen nicht überwunden werden können. Im Falle des Drei-Schluchten-Staudamms am Jangtse-Fluss wurde eine riesige, jahrtausende alte Kulturlandschaft durch den Aufstau unter Wasser gesetzt. Millionen von Menschen mussten aus ihren angestammten Dörfern umgesiedelt werden.

Kleinere Staustufen werden entlang der Mittelläufe der Flüsse errichtet, um die Strömungsgeschwindigkeit zu verringern und größere Tiefen zu erreichen. Dadurch ergibt sich ein doppelter Effekt. Zum einem wird der Fluss schiffbar gemacht und zum anderen kann die Aufstauung in Laufkraftwerken in Energie umgesetzt werden. Der Rhein besitzt in Mittel- und Unterlauf eine Vielzahl an Staustufen, die jedoch auch negative Auswirkungen haben. Bis vor ca. 100 Jahren konnten im Rhein noch Lachse gefischt werden, die flussaufwärts zu ihren Laichplätzen schwammen. Durch die intensive Bewirtschaftung und die Vielzahl an Aufstauungen ist es Fischen nun nicht mehr möglich, den Oberlauf zu erreichen.

Weitere bedeutende Eingriffe, die dem Hochwasserschutz und der Bewirtschaftung dienen, sind der Bau von Uferbefestigungen (Dämme) sowie die künstliche Verlagerung und Begradigung der Flussläufe. Als Beispiel hierfür dient die Isar, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ein natürlicher Fluss mit verzweigten Flussläufen und einer breiten, regelmäßig überschwemmten Aue war. Als großflächige Rodungen in den Alpen vorgenommen wurden, nahm die Zahl der katastrophalen Überschwemmungen entlang der Isar zu, die zunehmend auch München bedrohten. So begann man Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Ausbau und der Kanalisierung. Dabei drängte man den Fluss in ein enges, geradliniges Flussbett, welches durch seitliche Dämme gesichert wurde. Der erwünschte Zweck war der schnellere Abfluss der Wassermassen, so dass die Augebiete überschwemmungsfrei blieben. Zusätzlich erwartete man durch die höhere Fließgeschwindigkeit ein Einschneiden des Flussbettes, so dass sich der Grundwasserspiegel absenkte und die Augebiete entwässerte. Die ökologischen Folgen sind unermesslich, da durch solche Baumaßnahmen die feuchten Augebiete trockengelegt und somit die Flora zerstört wird. Im Fluss selber verändern sich die Lebensraumbedingungen derart, dass verschiedene Organismen nicht mehr überleben können.

Diverse kleinere Maßnahmen regulieren den Sedimenttransport innerhalb der Flüsse. Je nach natürlichen Voraussetzungen müssen Maßnahmen ergriffen werden, die entweder die Tiefenerosion oder eine zu starke Sedimentation verhindern. Um dem Einschneiden des Flusses entgegenzuwirken, werden die Sohlen der Flüsse befestigt, indem Betonplatten oder größere Steine ausgelegt werden. Der Sedimentation kann durch Buhnen entgegengewirkt werden, die im Uferbereich der Flüsse errichtet werden. Dadurch entstehen beruhigte Stillwasserzonen, in denen das Material des Flusses abgelagert wird. Somit bleibt die Fahrrinne für den Schiffsverkehr frei von Ablagerungen. Sedimentation und Erosion innerhalb des Flusses beeinträchtigen die Schifffahrt und müssen deshalb kontrolliert werden.

Seit vielen Jahren wird ein völliger Stopp weiterer Ausbaumaßnahmen an Flüssen gefordert. Durch die Überschwemmungen an Elbe und anderen Flüssen im Jahr 2002 erhielt diese Forderung weiteren Aufwind. Durch fortschreitende Kanalisierung und Verbauung der Flüsse werden ihnen ihre natürlichen Ausgleichsflächen (Retentionsflächen) genommen. Auch gibt es Bestrebungen, Flüsse gänzlich oder in Teilabschnitten zu renaturieren. Das Bedeutet, dass der Zustand vor den menschlichen Eingriffen wiederhergestellt werden soll. Dazu zählen die Schaffung von Ausgleichsflächen, die bei Hochwasser überflutet werden können sowie der Rückbau von Begradigungen und Wehren. Diese Maßnahmen sind nur bei kleineren Flüssen möglich, deren Auen nicht zu dicht besiedelt sind. So wurde in Kooperation zwischen Bayern und Baden-Württemberg der Grenzfluss Iller teilweise renaturiert.


Literatur

Ahnert, F. (1999): Einführung in die Geomorphologie. Ulmer Verlag. Stuttgart.
Goudie, A. (2002): Physische Geographie: eine Einführung. Spektrum Verlag. Heidelberg.
Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. Dresden (2002): 7-Punkte Programm. Zum Hochwasserschutz im Einzugsgebiet der Elbe.
Leser, H., Haas, H.-D., Mosimann, T & R. Paesler (1993): Wörterbuch der Allgemeinen Geographie. Band 1 und 2. Westermann. Braunschweig.
Press, F. & R. Siever (1995): Allgemeine Geologie: eine Einführung. Spektrum Verlag. Heidelberg.
Rathjens, C. (1979): Die Formung der Erdoberfläche unter dem Einfluss des Menschen. Grundzüge der Anthropogenetischen Geomorphologie. Teubner Verlag. Stuttgart.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Wolfgang Koppe
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 21.05.2012