Infoblatt Leif Erikson


Der Entdecker vor der Entdeckung Amerikas



Denkmal Leif Eriksons in Reykjavik (Tille)

Heute wissen wir, Christoph Kolumbus war nicht der erste Europäer, der amerikanischen Boden betrat. Bereits um das Jahr 1000 landeten die Wikinger unter Leif Erikson in Amerika. Sein Vater war Erik der Rote, der Entdecker der "grünen" Insel – Grönland. Aber es gab keine Wälder in Grönland. Das notwendige Holz musste man sich im Tauschhandel aus Norwegen beschaffen. Die Reise dorthin war gefährlich und strapazenreich, so dass die Wikinger, die in großer Zahl nach Grönland gekommen waren, sofort reagierten, als sie durch norwegische Händler von einem Land im Westen mit vielen Bäumen hörten.

Doch Erik der Rote war für eine Entdeckungsfahrt in das unbekannte Land zu alt. Deshalb bestimmte er seinen Sohn Leif Erikson zum Anführer für das gewagte Abenteuer. Begleitet von zwanzig mutigen Männern brach Leif auf in die unbekannte Ferne. Die Wikinger ließen sich auch nicht davon stören, dass sie die Richtung, in der das Waldland zu finden sein sollte, nur ganz vage mit westwärts angeben konnten.

Wann die kühne Reise begann, lässt sich nicht mehr feststellen. Wir wissen heute nur, es muss um das Jahr 1000 gewesen sein. Die Wikinger segelten mit Drachenschiffen, die keine Kajüte besaßen. Vor starken Stürmen und peitschendem Regen schützte Fracht und Menschen bloß eine Plane. Doch die Drachenschiffe waren stark gebaut und widerstanden schweren Stürmen. Zudem brauchten sie keinen sicheren Hafen, denn man konnte die Schiffe an der Küste auf den Strand ziehen.

Unter gewölbtem Segel ging es von Grönland aus westwärts, vorbei an riesigen, glitzernden Eisbergen und felsigen Inseln mit oftmals schneebedeckten Gipfeln. Die Männer hatten kaum einen Blick dafür, denn sie ruderten mit schmerzenden Muskeln gegen zum Teil haushohe Wellen an. Nach Wochen entdeckten sie endlich eine Küste – flach, felsig, ohne einen Baum weit und breit.

Doch Leif Erikson ließ seinen enttäuschten Männern keine lange Atempause. Die Wikinger segelten weiter und sahen Tage später plötzlich bewaldetes Land. In einer Bucht, wo es neben Wald auch grüne Wiesen gab, zogen sie ihr Drachenschiff an Land. Er trieb die Männer in langen Tagesmärschen in das Landesinnere. Da lag er plötzlich vor den Wikingern – der ersehnte Wald. Sie nannten das Land "Vinland", und "Vin" heißt in der altnorwegischen Sprache Wiese. In Wirklichkeit aber hatten Leif Erikson und seine Männer das heutige Neufundland und damit Amerika entdeckt.

Mit seiner Entdeckung hätte Leif Weltgeschichte machen können, aber er sah Amerika nie wieder. Stattdessen bekehrte er die Wikinger in Grönland zum Christentum. Damit begann der Niedergang der Wikinger, die nicht nur alle Bindungen und Erinnerungen an ihre kühnen Vorfahren, sondern bald auch ihre materielle Freiheit verloren. Denn die Kirche führte Steuern und Abgaben ein und begann mit dem Bau von Gotteshäusern. Das auf Einfuhren angewiesene Grönland musste nun Walrosselfenbein, Häute und Felle als Abgaben nach Norwegen liefern. 200 Jahre später gab es in Grönland keine echten Wikinger mehr. Sie hatten sich mit den vordringenden Eskimos vermischt und waren untergegangen.

Nach Leif Erikson fuhren noch andere Drachenschiffe in das neu entdeckte Land. Aber die Wikinger konnten sich nicht mit den Einheimischen verständigen. Daran soll nach der Überlieferung ein Stier Schuld gewesen sein, der ausgerechnet an dem Tag "Rot" sah, als die Grönland-Wikinger von den Eingeborenen besucht wurden. Der Stier stürzte sich auf die Gäste, die in panischer Angst vor dem unbekannten Fabelwesen flohen. Eine Dauerfehde zwischen den Wikingern und den Eingeborenen begann, in der die Nordmänner schließlich unterlagen.

In den folgenden 400 Jahren wurden noch viele Fahrten von Grönland nach "Vinland" unternommen, um Holz zu holen. Aber es blieben immer nur kurze Besuche. Mit Sicherheit weiß man erst seit 1963, dass schon vor Kolumbus europäische Seefahrer in Amerika gewesen sein müssen. Damals nämlich entdeckte der norwegische Forscher Helge Ingstadt die Reste einer alten Siedlung ("Bucht der Wiesen") bei Anseaux Meadows an der Nordspitze von Neufundland.

Die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger blieb in der "alten Welt" – außer in Skandinavien – praktisch unbekannt. Vor allem blieb sie für Europa ohne Folgen und Einfluss auf Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion. Die wirkliche europäische Expansion mit der Unterwerfung fremder Völker und dem Aufbau riesiger Kolonialreiche begann erst Mitte des 15. Jh. Aus der Sicht Europas und seiner weiteren Entwicklung betrachtet, bleibt Christoph Kolumbus deshalb auch der eigentliche Entdecker der Neuen Welt.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Dr. Klaus-Uwe Koch
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 04.06.2012