Infoblatt Elbehochwasser 2002


Chronologie der Naturkatastrophe, deren Ursache und Rückschlüsse



Satellitenbild von Dresden: Überlagerung zweier Landsat 7 ETM+ Szenen vom 14. August 2000 und 20. August 2002 mit 25 m Bodenauflösung. Die normale Ausdehnung der Elbe ist schwarz gefärbt, blau-lila Bereiche sind überschwemmt. (DLR )

Im Sommer 2002 fielen in Deutschland, Österreich, Tschechien, der Slowakei und in anderen Teilen Europas sintflutartige Regenfälle (bis zu 300 mm pro Tag). Die Folge waren historische Pegelhöchststände und Zerstörungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß an der Elbe, der Donau bei Passau und Regensburg und in Österreich. Zig-Tausende Menschen mussten evakuiert werden, zahlreiche Häuser, Betriebe, industrielle Anlagen und private wie öffentliche Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schienen) wurden stark beschädigt oder gänzlich zerstört. Im Erzgebirge konnten die Talsperren die Fluten nicht mehr halten. Die Flüsschen Weißeritz, Zwickauer und Freiberger Mulde, Flöha und Zschopau traten über die Ufer und überfluteten Städte und Dörfer. Zahlreiche Ortschaften im Erzgebirge wurden in weiten Teilen zerstört und von der Außenwelt abgeschnitten. In der Nacht vom 12. auf den 13. August 2002 überraschte die Elbflut auf deutscher Seite als erstes die Menschen im sächsischen Bad Schandau. Im Ort wurden viele Häuser und das nagelneue Schwimmbad zerstört. Es folgten Pirna und Dresden. In der sächsischen Landeshauptstadt stand der historische Zwinger tagelang unter Wasser, zahlreiche Kunstschätze wurden beschädigt. Elbe und Weißeritz machten die Stadt für mehrere Tage fast unerreichbar und überfluteten den Hauptbahnhof. Dresden verzeichnete insgesamt Schäden in einer Gesamthöhe von einer Milliarde Euro. Elbabwärts war die Lage auf der Höhe des Muldenzuflusses besonders prekär. Dort wurden viele neu errichtete Wohnhäuser überflutet und zerstört. Insgesamt verloren in Deutschland 21 Menschen ihr Leben in den Fluten, über 100 Personen wurden verletzt. Beim Ausräumen der Häuser, Evakuieren von Mensch und Vieh sowie dem Füllen der Sandsäcke engagierten sich Hunderttausende Freiwillige aus dem gesamten Bundesgebiet. Sämtliche Hilfsorganisationen und die Bundeswehr waren pausenlos im Einsatz.


Chronologie der Katastrophe

An nahezu allen Pegeln der Elbe wurden die bisher höchsten gemessenen Wasserstände deutlich überschritten. Ausgenommen davon war der Raum Magdeburg, wo sich die Öffnung des Pretziner Wehres und die anschließende Flutung großer Flächen entlastend auswirkte. Des Weiteren konnte unterhalb der Havelmündung durch Flutung der Havelniederung und -polder eine deutliche Kappung des Hochwasserscheitels erreicht werden.
  • Montag, 12. August: Im Erzgebirge und in Dresden wird Katastrophenalarm ausgelöst. Teile von Prag stehen bereits unter Wasser. Die Bundeswehr wird in die überfluteten Gebiete beordert. Passau an der Donau bereitet sich auf die Flutwelle vor.
  • 13.08.2002: In Sachsen sind mehrere Orte von der Außenwelt abgeschnitten. Passau erlebt den höchsten Pegelstand der Donau seit 40 Jahren. In Dessau und im Kreis Bitterfeld steigt der Pegel der Mulde weiter an. Teile Prags werden evakuiert.
  • 14.08.2002: In Dresden arbeiten Tausende Freiwillige an der Rettung der Kunstschätze aus der Semperoper und dem Zwinger. Mehrere Krankenhäuser werden evakuiert. Im Landkreis Bitterfeld überschwemmt die Mulde mehrere Ortschaften. In Prag werden weitere Stadtteile geräumt.
  • 15.08.2002: Dresden erlebt die zweite Hochwasserwelle, dort und in Pirna müssen weitere Wohnhäuser geräumt werden. In Tschechien stehen Teile des Chemiewerks Spolana unter Wasser, die Gefahr einer Verseuchung droht. In Regensburg und Passau entspannt sich die Lage
  • 16.08.2002: Am Morgen überschreitet die Elbe den historischen Höchststand von 1845: 8,77 Meter. Das Wasser steigt jedoch langsamer, ein Ende der Flut wird prognostiziert.
  • 17.08.2002: Ab einem Höchststand von 9,40 Meter beginnt die Elbe zu sinken. Bitterfeld wird in weiten Teilen überflutet. An der Donau wird der Katastrophenalarm aufgehoben.
  • 18.08.2002: Torgau wird nach einem Dammbruch überflutet, im Landkreis Wittenberg sind 40.000 Menschen vor einem Dammbruch evakuiert worden, auch Dessau wird nach einem Dammbruch von den Fluten bedroht.
  • 19.08.2002: Die Dammbrüche am Mittellauf der Elbe nehmen zu, die aufgeweichten Deiche können dem Druck nicht mehr standhalten. In Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden deshalb über 1 Mio. Sandsäcke auf die Deiche gebracht.
  • 20.08.2002: Die Flut richtet in den elbabwärts gelegenen Gebieten nicht die erwarteten Schäden an. Dammbrüche und -sprengungen haben der Hochwasserwelle den Scheitel genommen. Magdeburg und die Gebiete weiter elbabwärts kommen mit einem blauen Auge davon.




Während der Jahrhundertflut 2002 überfluteter Hauptbahnhof in Dresden (Brodengeier)


Wetterlage

Die meteorologische Ursache für die Jahrhundertflut an der Elbe war die so genannte "5b-Wetterlage". Bei dieser schon vor über 100 Jahren vom holländischen Meteorologen W.J. van Bebber katalogisierten Wetterabfolge weichen die Luftmassen von ihrer üblichen West-Ost-Richtung nach Süden ab, erwärmen sich über dem Mittelmeer und laden sich stark mit Feuchtigkeit auf. Wenn sie dann beim Überqueren der Alpen von Süd nach Nord auf kältere Luftmassen stoßen und sich dadurch stark abkühlen, kommt es oft zu extremen Regenfällen in kurzer Zeit. In den ersten 13 Tagen des August 2002 kam es in Zentraleuropa zu drei aufeinander folgenden Starkniederschlagsereignissen und einem sich langsam nordostwärts verlagernden Adriatief. Fasst man die in den ersten 10 Tagen im August gefallenen Niederschläge zusammen, so kann man feststellen, dass in weiten Teilen des Elbegebietes die Niederschlagssummen bereits die für den August im vieljährigen Mittel gültigen Werte erreichten und stellenweise bereits das 1.5- bis 2-fache der mittleren Monatssumme betrugen. Insgesamt wurde damit eine Bodenwassersättigung und hohe Abflussbereitschaft in den betroffenen Gebieten erzeugt. Das heißt, dass der Boden am Oberlauf der Elbe keine weiteren Niederschläge mehr aufnehmen konnte - sämtlicher Regen lief oberflächlich ab und ließ die Gewässer anschwellen.


Ursache

Die Elbe ist mit einer Länge von 1.165 km nur wenig kürzer als der Rhein. Sie entspringt im Riesengebirge in 1.394 m Höhe über NN und mündet bei Cuxhaven in die Nordsee. Ihr Einzugsgebiet beträgt rund 150.000 km² und liegt zu 1/3 in Tschechien und zu 2/3 in Deutschland. Deiche sind für die Elbe auf deutschem Gebiet charakteristisch. Sie beginnen (abgesehen von einigen Teilstücken im Bereich Dresden) bei Strom-km 97,7 und reichen bis zur Nordsee. Durchstiche von Mäandern und das Abtrennen von Flussbögen führten über Jahrhunderte hinweg zu Verkürzungen der Wasserlauflängen (55 km in Tschechien, 60 km in Deutschland). Auch die Elbzuflüsse und einige Gewässer im Erzgebirge wurden begradigt und verbaut. In den so veränderten Flüssen erhöhte sich im Laufe der Zeit die Fließgeschwindigkeit. Mehr Wasser fließt immer schneller zu Tal und kann somit nicht mehr von den Uferbereichen aufgenommen werden. Diese sind zudem häufig auch noch mit Steinen und Beton "befestigt", also versiegelt. Die heutigen Deichtrassen der Elbe stammen zwar aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, doch wurden Schutzdeiche an der Elbe schon seit dem 12. Jahrhundert errichtet. Der Elbe wurden viele ehemals natürliche Überflutungsräume, sog. Retentionsflächen, genommen. Insgesamt sind im Laufe der Jahre von ehemals 6.172 km² Retentionsfläche nur 13,6 % oder 838 km² übrig geblieben. Die Retentionsflächen hätten die Höhe der Hochwasserwelle entscheidend mindern können. Deswegen entschied der Katastrophenstab sich auch für mehrere Deichsprengungen, um die elbabwärts gelegenen Städte (v. a. Magdeburg) vor einer Überflutung zu schützen.


Schäden

Die Schäden an Infrastruktur, Wohngebäuden und Firmen im Freistaat Sachsen beliefen sich auf 6,5 Mrd. Euro, wobei allein die Schadenssumme an Wohngebäuden bei über 1,7 Mrd. Euro lag. Tausende Menschen in Tschechien und Deutschland wurden obdachlos, da ihre Wohnhäuser zerstört oder beschädigt wurden. Durch das extreme Hochwasser wurden in Tschechien und Deutschland diverse mit Altlasten kontaminierte altindustrielle Flächen überflutet. Im tschechischen Spolana wurden dabei große Mengen von Schwermetallen mobilisiert und auch im deutschen Bitterfeld altindustrielle Flächen überflutet. Durch das Öffnen von Retentionsflächen und das Überfluten anderer tief gelegener Gebiete, konnten sich die Schadstoffe zusammen mit dem Elbschlamm auf Wiesen und Feldern absetzen. Über das angebaute Getreide oder weidende Rinder gelangten sie so in die Nahrungskette. In den Au-Wiesen der Elbe wurde durch das Umweltforschungszentrum Halle-Leipzig Quecksilber in einer Größenordnung gefunden, die um das 60-fache über dem Grenzwert der Bundesbodenschutzverordnung lag.



(Brodengeier)


Rückschlüsse

Vor allem die Gefahr von Hochwasser mit plötzlichem Auftreten an mittleren und kleinen Gewässern ist bisher für Mittelgebirge in Deutschland dramatisch unterschätzt worden. Die Bedeutung der 5b-Wetterlage für die Unterläufe der großen und kleinen Flüsse in den Mittelgebirgen wurde nicht erkannt.
Die Wassermassen aus dem Erzgebirge und anderen Mittelgebirgen haben die Flut unmittelbar verstärkt, da der Boden des kranken Schutzwaldes sie nicht mehr halten konnte. Bergwälder können die Gefahr von Hochwasser nur verringern, wenn sie ökologisch intakt sind. Sie schützen nicht nur vor Lawinen und Erdrutschen, sie halten den Boden und das Wasser fest - intakter Waldboden fasst pro Kubikmeter bis zu 250 Liter. Das Wasser schießt dann nicht als Sturzbach in die vollen Flüsse, sondern wird langsam abgegeben. Durch den gleichmäßigen Wasserabfluss verringert der Bergwald nicht nur die Hochwassergefahr, sondern sorgt ebenso dafür, dass auch im Sommer noch Wasser zu Verfügung steht. Der Bergwald leidet allerdings unter rationalisierter Bewirtschaftung und Monokultur. Notwendig sind Mischwälder, die ökologisch bewirtschaftet werden und sich selbst regenerieren können.
Die Verbauung der Bachtäler, Begradigung der Flüsse und Trockenlegung von natürlichen Überschwemmungsgebieten sind massive Fehler in der Landnutzung. Gerade die Wohnbebauung in Überschwemmungsgebieten, wie sie an der Elbe seit 1990 entstanden ist, verhindert ein Öffnen der Deiche im Notfall oder macht ein Hochwasser zu einer kostspieligen Katastrophe. In Gößnitz beispielsweise lag der Pegel der Pleiße drei Meter über seinem normalen Stand. Letztmals in den 60er Jahren erlebte die Stadt vergleichbare Überschwemmungen. Damals wurden zum Schutz weite Wiesen angelegt, die jedoch nach der Wende allesamt bebaut wurden. Für den Hochwasserschutz und die Auen-Renaturierung müssen große unbebaute Flächen bereitgestellt werden, sollen vergleichbare Hochwasserereignisse in der Zukunft nicht wieder solch katastrophale Folgen haben.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Lars Pennig
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 27.05.2012