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Infoblatt Embeddedness


Beschreibung der sozialen Beziehungen der Unternehmer untereinander im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Austausch


Hintergrund

In der klassischen Wirtschaftstheorie dominierte lange Zeit die Sichtweise über den rational handelnden und vollständig informierten Unternehmer, der am Markt Güter und Produkte mit dem Ziel der Nutzenmaximierung bzw. Aufwandsminimierung tauscht. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten wird aber nicht ausschließlich über den Markt koordiniert, sondern auch intern oder durch Organisationsformen zwischen den Unternehmen. Diese Strukturen werden als Netzwerk bezeichnet. Damit ist der Verbund von Unternehmen gemeint, die zeitlich begrenzte Geschäftsbeziehungen miteinander unterhalten, denen aber keine oder nur begrenzte formale Regeln zugrunde liegen. Das können u. a. feste Zulieferbeziehungen, gemeinsame Forschungsaktivitäten oder Joint-Ventures (Partnerschaftsunternehmen in- und ausländischer Anteilseigner) sein.
In ökonomischen, geographischen und soziologischen Debatten erlangten Netzwerke verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber dem Markt, als alternativer Mechanismus für die Organisation des ökonomischen Austauschs. Regionale Erfolgsgeschichten wie das Dritte Italien, die metallverarbeitende Industrie Baden-Württembergs oder Silicon Valley haben in konzeptionellen Ansätzen des industriellen Distrikts, des kreativen Milieuansatzes oder regionaler Innovationssysteme spezifische Formen von netzwerkartigen Unternehmensorganisationen im lokalen und regionalen Umfeld hervorgehoben.
Durch die Beachtung von sozialen Beziehungen der Unternehmer im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Austausch rückte die soziale Komponente stärker in den Vordergrund und der Begriff Embeddedness (zu Deutsch: Einbettung) wurde hierfür geprägt. Es wurde ein entscheidender Beitrag geleistet, die Effizienz von Unternehmensnetzwerken durch ihre soziale Komponente und damit verbundene soziale Verhaltensweisen (z. B. Vertrauen der Unternehmer untereinander, gleiche Wertvorstellungen und Normen) herauszustellen. Seit Mitte der 1980er Jahre hat dieser Begriff in zahlreichen Disziplinen eine schnelle Verbreitung und Popularität erfahren.


Der Embeddedness-Ansatz in der Theorie

Klassische Wirtschaftstheorien werden häufig kritisiert, weil sie die soziale Einbettung der Handelnden kaum beachten. Die klassischen Wirtschaftstheorien betrachten das Handeln von Unternehmen ausschließlich unter rationalen und wirtschaftlichen Überlegungen. Hieraus hat sich der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Embeddedness-Ansatzes entwickelt. Granovetter nahm sich 1985 dieses Umstandes an. Grundlage seines Embeddedness-Ansatzes war der von dem französischen Wissenschaftler Karl Polanyi in seinem Werk "The Great Transformation" (1944) geprägte Begriff Embeddedness, der die Einbettung bzw. Eingeschlossenheit der Ökonomie in die Gesellschaft beschreibt. Granovetter kam zu dem Schluss, dass menschliches Handeln immer in sozialen und kulturellen Beziehungsnetzwerken eingebunden ist und diese die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns darstellen. Wirtschaftliches Handeln findet demnach nicht zwischen voneinander isolierten Unternehmen bzw. Unternehmern statt. Die Einbettung der Handelnden in die Gesellschaft kann vertrauensfördernde Effekte haben (z. B. steigendes Ansehen der Unternehmer und hierdurch einfacher Markteintritt). Der Erfolg des Handelns eines Unternehmers wird demnach nicht nur durch den Preis der Güter bestimmt, sondern auch durch das Ausmaß der sozialen Einbettung des Unternehmers bzw. durch seine Position im Netzwerk. Embeddedness beschreibt somit das Maß in den Beziehungen zwischen Unternehmern als Ausdruck sozialer Beziehungen (relationale Embeddedness) und die Form ihrer Einbettung in eine Struktur von Beziehungen (strukturelle Embeddedness).


Relationale Embeddedness

Die relationale Embeddedness kennzeichnet die Qualität der Beziehungen zwischen zwei Unternehmern. Die wirtschaftlichen Beziehungen der Unternehmer beruhen dabei nicht alleine auf dem rationalen Handeln (Handeln nach Zweckmäßigkeit, mit dem Ziel der Gewinnmaximierung bzw. Aufwandsminimierung). Die Beziehungen tendieren stattdessen dazu sich zu festigen und bilden damit die Grundlage für Vertrauen. Dieses basiert auf positiven Erfahrungen im Umgang miteinander. Gegenseitiges Vertrauen bewirkt somit einen Rückgang von Handlungsunsicherheiten und macht eigennütziges, den Geschäftspartner schädigendes Handeln unwahrscheinlicher. Somit ist Vertrauen Grundlage für ökonomisches Handeln zwischen Unternehmern. Durch die Entstehung dieser Vertrauensbasis können Unternehmer auch Zugang zu Ressourcen erhalten, die ihnen ohne das entgegengebrachte Vertrauen wahrscheinlich vorenthalten geblieben wären. Es können auch economies of time (Steigerung des Zeitvorteils) durch die Vertrauensbeziehung erzielt werden, z. B. durch schnellere kooperative Problemlösungen, gemeinsame Lernprozesse, Verzicht auf zeitraubende Verhandlungen über Regeln bei Vertragsabschlüssen. Dies kann Unternehmern einen schnelleren Marktzugang ermöglichen und raschere Reaktionen auf Veränderungen der Umwelt nach sich ziehen.


Strukturelle Embeddedness

Die strukturelle Embeddedness kennzeichnet die Qualität der Strukturen zwischen einer Anzahl am Markt handelnder Unternehmer. Dabei wird die strukturelle Perspektive des Handelns unter der Annahme betrachtet, dass das Handeln von zwei Unternehmern von ihren Beziehungen mit anderen dritten Unternehmern abhängig ist. Strukturelle Embeddedness ist also darauf bezogen, dass wirtschaftliches Handeln in die Strukturen sozialer und kultureller Beziehungen eingebettet ist. Wird das entgegengebrachte Vertrauen missbraucht, können die Konsequenzen aus struktureller Perspektive gravierender sein, als aus der relationalen Perspektive und damit der zweiseitigen Ebene. Kommt es zur betrügerischen Ausnutzung einer Vertrauensbeziehung zwischen zwei Unternehmern ohne Auswirkung auf andere umgebende Unternehmer, aber gemeinsam verbundene Dritte erfahren von dem betrügerischen Verhalten eines Unternehmers, verliert dieser sein Vertrauen gegenüber dem betrogenen Unternehmer aber auch gegenüber den Dritten die hiervon erfahren haben.


Literatur

BATHELT, H. & J. GLÜCKLER (2002): Wirtschaftsgeographie: ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive.- Stuttgart.
GLÜCKLER, J. (2001): Zur Bedeutung von Embeddedness in der Wirtschaftsgeographie.- In: Geographische Zeitschrift, 89. Jg., Heft 4, Stuttgart (Seite 211-226).


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 27.05.2012
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