Infoblatt Der Dritte Sektor - NGOs


Erläuterungen zu den Nichtregierungsorganisationen

Der US-Soziologe Amitai Etzioni formulierte Anfang der 1970er Jahre in seinem Buch "The Third Sector and Domestic Missions" seine Kritik an der Leistungsfähigkeit marktförmiger und staatlicher Lösungen. Er machte damit erstmals auf das vorhandene gesellschaftliche Reform- und Innovationspotenzial aufmerksam. Hierfür verwendete Etzioni den Begriff "Dritter Sektor". Im deutschsprachigen Raum setzte sich der Begriff Dritter Sektor ebenso durch, auch wenn mit dem dritten (tertiären) Sektor traditionell der Dienstleistungssektor einer Volkswirtschaft bezeichnet wird. Häufig werden anstelle von Dritter Sektor auch Begriffe wie non-profit, not-for-profit, voluntary, independent oder non-governmental und ihre entsprechenden deutschen Bezeichnungen verwendet.


Was ist der Dritte Sektor?

Mit der Bezeichnung Dritte-Sektor-Organisation und Synonymen wie z. B. Nicht-Regierungsorganisation (NGOs) werden alle Organisationen bezeichnet, die zivilgesellschaftlich angebunden sind und sich in Abgrenzung zu Markt und Staat verstehen. Ihr wesentliches Merkmal besteht darin, dass sie nicht regierungsabhängig sind, d. h. gegenüber dem Staat autonom sind. Sie arbeiten nicht profitorientiert und sind nicht von kommerziellen Interessen geleitet. NGOs verfolgen somit keine eigenwirtschaftlichen Ziele (wie Unternehmen) und nehmen keine hoheitlichen Aufgaben wahr (wie z. B. Polizei, Militär), verfügen aber über eine formale Organisationsstruktur. Demnach werden zum Dritten Sektor die Organisationen gerechnet, die formal organisiert sind (z. B. als Verein), die selbstverwaltet sind, nicht gewinnorientiert arbeiten, nicht formalrechtlich Teil der Hoheitsverwaltung oder einer staatlichen Anstalt sind und in deren organisatorischem Verhalten dem Prinzip der Freiwilligkeit eine entscheidende Rolle zugewiesen wird. Wesentlichstes Merkmal ist das Gewinnverwendungsverbot. Es besagt, dass NGOs zwar Gewinne machen, aber diese nicht an ihre Eigentümer ausschütten dürfen. Zum Dritten Sektor gehören verschiedene Organisationen wie z. B. Sportvereine, soziokulturelle Initiativen, Stiftungen, Wohlfahrtsverbände und viele andere mehr. Zusammenfassend lassen sich NGOs, unabhängig von unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen, durch ihre Struktur und Tätigkeiten in Erfüllung folgender Kriterien definieren:
  • allgemein-öffentliche Tätigkeit,
  • Selbstverwaltung,
  • Formaler, institutionalisierter Rahmen der Organisation,
  • Grundsätzliche Unabhängigkeit vom Staat sowie das
  • Element der Freiwilligkeit im Ansatz oder in der Durchführung.



Tätigkeitsschwerpunkte

Im Rahmen des internationalen Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Projektes wurde eine zwölf Bereiche umfassende Klassifikation (International Classification of Nonprofit Organizations - ICNPO) entwickelt, die den Dritten Sektor in Branchen einteilt: Kultur und Freizeit, Bildung und Forschung, Gesundheit, Soziale Dienste, Umwelt- und Naturschutz, Entwicklungsförderung, Rechts- und Interessenvertretung, Politik, Stiftungen und Förderung des Ehrenamts, Internationale Entwicklungshilfe, Religion, Berufs- und Wirtschaftsverbände sowie Gewerkschaften und Sonstiges. International arbeiten NGOs vorrangig in den sozialen, humanitären, ökologischen und entwicklungspolitischen Themenfeldern.


Bedeutung

In den letzten Jahrzehnten haben die NGOs an Zahl und Bedeutung enorm zugenommen. Die Zahl der international agierenden NGOs beläuft sich auf etwa 10.000. Im nationalen Kontext wird die Anzahl der Organisationen im Schnitt mit ebenso vielen angenommen. Auf Weltkonferenzen werden NGOs als neue Akteure der Weltpolitik besonders intensiv wahrgenommen, da die Zahl von NGO-Vertretern in Vor- oder Parallelkonferenzen von Weltkonferenzen häufig ein Mehrfaches an offiziellen Vertretern der Staaten ausmacht. In der Politikwissenschaft wurde den NGOs in den Prozessen des Systemwechsels in Osteuropa und in der Drittem Welt große Bedeutung beigemessen. Dies führte zu einem Verständnis der NGOs als neue gesellschaftliche Akteure. In der Entwicklungspolitik haben sich NGOs zu einem vom Staat gesuchten Partner entwickelt und dies in den Geber- wie auch in den Nehmerländern. NGOs sind zum einen wegen ihrer Basisnähe und zum anderen wegen der Chance, durch sie ineffiziente und korrupte Staatseliten in den Entwicklungsländern umgehen zu können, als Partner erwünscht. Auch verschließt sich heutzutage keine Internationale Organisation der Beratung durch internationale NGOs mehr. Diese werden sogar an der Umsetzung der Politik der UN-Organisationen im wachsenden Maße beteiligt. Der Entwicklungshilfeausschuss (DAC) der OECD hat folgende Kriterien für die Anerkennung von NGOs in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit aufgestellt:
  • Unabhängigkeit vom Staat,
  • Demokratische und transparente Organisationsstruktur,
  • breite Basis in der Bevölkerung,
  • verantwortliches und leistungsfähiges Management,
  • klare und konkrete Ziele sowie die
  • Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Mitwirkung an Reformen.
Die steigende Bedeutung von NGOs und ihrer Arbeit für die soziale Gesellschaft der Wohlfahrtsstaaten in den letzten Jahren lässt sich v. a. auf zwei Faktoren zurückführen. Dies ist zum einen der spürbare Rückgang sozialer Leistungen durch den Staat und zum anderen die gleichzeitig verstärkte Übernahme sozialer Verantwortung durch engagierte Bürger und deren Zusammenschluss in gemeinnützig orientierte Organisationen zur Abdeckung der entstehenden gesellschaftlichen Defizite.
Im Rahmen des internationalen Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Projektes wurde u. a. auch das quantitative Ausmaß des Dritten Sektors dokumentiert. So wurde festgehalten, dass die NGOs in den untersuchten Ländern für mehr als 4 % des Bruttoinlandprodukts verantwortlich und vornehmlich im Wohlfahrtssektor (Gesundheit, Bildung und übrige Sozialleistungen) tätig sind. Dabei gilt es, markante Unterschiede zwischen den Ländern zu beachten. Starke Dritte Sektoren sind vorab in Ländern erkennbar, die wirtschaftlich hoch entwickelt und von religiösen Organisationen und Konflikten geprägt sind (z. B. Niederlande, Irland, Belgien, Israel, USA). In den vom Projekt berücksichtigten lateinamerikanischen und osteuropäischen Ländern sind die Dritten Sektoren hingegen vergleichsweise schwach ausgebaut. Ferner ist erkennbar, dass in Irland, Belgien und Israel der Bildungsbereich, in den Niederlanden und in den USA hingegen der Gesundheitsbereich die wichtigsten Bereiche des Dritten Sektors sind.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Ria Baumann
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2011
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 22.12.2005