Infoblatt Wettbewerbsstrategien des Einzelhandels


Instrumente des Wettbewerbs, Rationalisierung, Filialisierung und Internationalisierung



Hofladen (Hoch, Hamburg)

Im deutschen Einzelhandel vollzieht sich seit den 1960er Jahren ein massiver Strukturwandel. Die Ursachen dafür können gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Natur sein. Das Konsumverhalten hat sich beispielsweise durch die steigende Mobilität infolge der massenhaften Verbreitung des Automobils verändert. Die Menschen begannen nicht nur im suburbanen Raum zu wohnen, sondern dort auch zu arbeiten und einzukaufen. Außerdem haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Steigende Arbeitslosigkeit und Sättigung mit langlebigen Gebrauchsgütern führen zu einer Stagnation der Massenkaufkraft und der Nachfrage. Weiterhin trägt die Individualisierung des Konsumverhaltens zum strukturellen Wandel bei. Die stagnierende Nachfrage führt zu einer Wettbewerbsverengung zwischen den Einzelhandelsunternehmen. Diese exogenen Faktoren haben auch einen handelsendogenen Strukturwandel zur Folge. So verändern sich nicht nur die Betriebstypen und -größen der Einzelhändler, sondern auch die Wettbewerbsstrategien. Mit den Wettbewerbsstrategien soll die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen langfristig hergestellt bzw. erhalten werden.


Instrumente des Wettbewerbs

Das wichtigste Instrument im Kampf um den kaufwilligen Verbraucher ist der Preis. In den letzten Jahren haben sich verschiedene Wettbewerber (z. B. Aldi, Lidl, WalMart) regelrechte Preisschlachten geliefert. Die günstigen Angebote können nur durch Druck auf die Herstellerpreise und eine radikale Reduzierung der Personalkosten ermöglicht werden. Weitere Instrumente sind die Sortimentsgröße und die Verkaufsfläche, wobei in den letzten Jahren eine konsequente Ausdehnung der Verkaufsfläche beobachtet werden konnte. Als Folge der Flächenexpansion kommt es zu einer Gefährdung des mittelständischen und innerstädtischen Einzelhandels. Kleinere Unternehmen halten dem Konkurrenzdruck nicht stand und scheiden aus dem Wettbewerb aus. Somit kommt es zu einer räumlichen Ausdünnung der Versorgung für die Bevölkerung. Selbst die Ladenöffnungszeiten werden als Wettbewerbsinstrument genutzt. Große Konzerne sind hier klar im Vorteil, da diese ihren Personalbestand flexibler anpassen können. Kleine Einzelhändler sind kaum in der Lage, mit wenig Personal von lange Öffnungszeiten zu realisieren. Über Einnahmeverluste können die kleinen Wettbewerber systematisch verdrängt werden. Im Wettbewerbsprozess der Unternehmen lassen sich drei Hauptstrategien erkennen; dazu gehören Rationalisierung, Filialisierung und Internationalisierung.


Rationalisierung

Um im Wettbewerb zwischen den verschiedenen Einzelhandelsunternehmen bestehen zu können, wird von den großen Konzernen eine konsequente Rationalisierungspolitik verfolgt. Rationalisierungen können einerseits auf der organisatorischen und andererseits auf der technologischen Ebene vorgenommen werden. Die organisatorische Ebene betrifft vor allem die Beschäftigung, die infolge der Strukturveränderungen massiv abgebaut wird. Mittels Teilzeitbeschäftigung, befristeter Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, Arbeitsverträgen mit wenigen Mindeststundenzeiten und Niedriglöhnen können die Personalkosten gesenkt werden. Außerdem ist dadurch eine flexible Anpassung an den Arbeitsaufwand und eine verbesserte Produktivität möglich. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies aber eine Verringerung des Einkommens und der Planbarkeit der Arbeitszeiten sowie eine erhöhte Instabilität der Beschäftigungsverhältnisse. Bei geringen Löhnen sind die betroffenen Arbeitnehmer immer öfters darauf angewiesen, mehrere Stellen anzunehmen.
Auf der technologischen Ebene gibt es auch zahlreiche Möglichkeiten für Rationalisierungen. Bereits heute werden Self-Scanning-Kassen eingesetzt, an denen der Kunde seine Einkäufe selber einliest und bargeldlos per Kreditkarte oder möglicherweise bald per Fingerscan bezahlt. Die gesamte Wertschöpfungskette der Einzelhändler kann mit EDV-Warenwirtschaftssystemen rationalisiert werden. Als technisch rückständig gilt mittlerweile der Barcode, stattdessen steht der massenhafte Einsatz der RFID-Chips (Funketiketten) unmittelbar bevor. An jedem Produkt angebracht können mit dem Chip berührungslos die Wareninformationen ermittelt und gespeichert werden. Der Kunde braucht nur das Lesegerät zu passieren und der zu zahlende Endpreis wird ermittelt. Gleichzeitig kann die verkaufte Ware automatisch neu bestellt werden. Problematisch sind noch die gegenwärtig hohen Stückkosten der Funkchips. Datenschützer befürchten jedoch einen Missbrauch der Daten.


Filialisierung

Besitzt ein Unternehmen mehr als fünf Ableger der gleichen Art, so wird von einem Filialunternehmen gesprochen. Der Filialisierungsgrad im Einzelhandel gibt den Anteil der Unternehmen an, die von sog. Mehrbetriebsunternehmen betrieben werden. Ein zunehmender Filialisierungsgrad ist ein typisches Kennzeichen für den strukturellen Wandel in Europa und Nordamerika. In vielen Shopping-Centern beträgt der Filialisierungsgrad zwischen 70 und 80 %. Aber auch viele Innenstädte in der Bundesrepublik Deutschland sind mittlerweile von Läden gekennzeichnet, die fast überall anzutreffen sind. In der Lebensmittelbranche dominieren einige wenige große Ketten mit über 90 Prozent. Durch die zunehmende Ausbreitung von Filialen in immer mehr Einzelhandelsbranchen (z. B. Bäcker) auf nationaler oder gar internationaler Ebene werden örtliche Einzelhändler verstärkt vom Markt gedrängt. Für den lokalen Einzelhandel ergeben sich sowohl positive als auch negative Effekte. Es kommt zu einer starken Vereinheitlichung des Angebots. In jeder Stadt sind die gleichen Geschäfte mit nahezu identischen Waren zu finden. Stadtbilder werden dadurch austauschbar. Anderseits können bestimmte Filialen auch zu einem Imagegewinn für den Einzelhandelsstandort beitragen und sich positiv auf die gesamte Geschäftsentwicklung einer Stadt auswirken. Teilweise wird das Vorhandensein von Filialen auch als Grad der Zentralität, also der funktionalen Bedeutung einer Stadt gewertet. Bestimmte Unternehmen siedeln ihre Zweigbetriebe erst ab einer gewissen Einwohnerzahl und/oder Kaufkraft an.


Internationalisierung

Der Konzentrationsprozess im Einzelhandel findet nicht mehr nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene statt. Es kommt zu Aufkäufen, Übernahmen, Fusionen und zur Errichtung eigener Filialnetze. Große Einzelhandelskonzerne mit nahezu weltweitem Bekanntheitsgrad sind z. B. IKEA (Schweden), GAP und WalMart (USA). Diese Unternehmen dringen in jüngster Zeit verstärkt in neue Märkte in Osteuropa, Russland, Indien und China vor. Dort verändern sie die traditionellen Einzelhandelsstrukturen. Die Internationalisierung führt durch die Installation neuer Betriebsformen zu Veränderungen im Warenangebot, der Versorgungsdichte sowie den Unternehmens- und Beschäftigtenzahlen in den neu erschlossenen Ländern. Das im Zuge des Wandels vereinheitlichte Warenangebot und die Übernahme der Betriebsformen führen zu einem Verlust an kulturellen Besonderheiten der betroffenen Region.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 02.03.2012