Infoblatt Altindustrielle Gebiete


Merkmale und Ursachen altindustrieller Gebiete



Stahlwerk im Ruhrgebiet (Thyssen)

Eine einheitliche Definition für altindustrielle Gebiete gibt es nicht. Der Begriff "alt" ist jedoch nicht im Bezug auf die frühe Gründung und Entwicklung von Industriegebieten gemeint. Er betrifft Regionen, die vom Rückgang früher Wachstumsindustrien, sog. paläotechnischer Industriezweige, wie z. B. Kohlebergbau, Stahlindustrie, Schiffbau oder Textilindustrie stark betroffen sind. Der Begriff "alt" wird im Sinne von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit bzw. mangelnder struktureller Regenerationsfähigkeit verwendet. Das "Altern" der Regionen muss dabei nicht zwingend erfolgen. Einige altindustrielle Gebiete bleiben durch die Weiterentwicklung oder Veränderung der Industriestruktur erfolgreich und treten so wieder als industrielle Wachstumszentren hervor.


Merkmale altindustrieller Gebiete

Merkmale und Folgeerscheinungen altindustrieller Gebiete oder des Rückgangs früher Wachstumsindustrien (Deindustrialisierung) sind:
  • Früher Zeitpunkt der Industrialisierung (in Großbritannien ab Mitte des 18. Jahrhunderts, in Deutschland im 19. Jahrhundert);
  • Hohe Einwohner- und Industriedichte;
  • Hoher Industriebesatz, monostrukturiert, großbetriebliche Ausrichtung;
  • Tiefgreifende Umgestaltung und Zerstörung der natürlichen Umwelt, überdurchschnittliche Umweltbelastungen;
  • Branchen mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum bzw. Rückgang;
  • Wettbewerbsschwäche und mangelnde Regenerationsfähigkeit der Industrie;
  • Hohe Arbeitslosenquote;
  • Starke und andauernde Abwanderung der Bevölkerung;
  • Imageverlust der Region durch verstärktes Auftreten von Industriebrachen und Altlastenverdachtsflächen;
  • Überalterte und qualitativ unzureichende Siedlungssubstanz und Infrastruktur.



Ursachen

Die Ursachen der Deindustrialisierung sind sehr komplex und können je nach Branche unterschiedlich sein. Erklärungsansätze liefern die Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung wie beispielsweise die Theorie der langen Wellen. Die Hauptursachen des "Alterns" von Regionen liegen demnach im Ausbleiben von Produkt- und Prozessinnovationen, in der Marktsättigung und in Schwerpunktverlagerungen. Schwerpunktverlagerungen treten u. a. durch die zunehmende internationale Konkurrenz von Niedriglohnländern auf. Beispiele für altindustrielle Gebiete sind das Ruhrgebiet, das Saarland, Lothringen, die West Midlands in England, Regionen in den Neuen Bundesländern wie Halle-Leipzig, Hafen- und Werftstandorte (z. B. Bremerhaven, Rostock, Liverpool) sowie Standorte der Textilindustrie (z. B. Lancashire, Oberfranken, Lausitz). Im Ruhrgebiet setzte der Niedergang in den 1970er Jahren ein, an Standorten in England bereits in den 1940er Jahren.


Revitalisierungsmaßnahmen

Eine besondere Problematik altindustrieller Gebiete sind die Gewerbe- und Industriebrachen, die häufig zu einem negativen Image der Stadt bzw. Region beitragen. Brachflächen entstehen durch Betriebsaufgaben oder -verlagerungen. Infolge des anhaltenden Strukturwandels entwickelte sich in Deutschland und Großbritannien seit den 1960/70er Jahren das Brachflächenrecycling. Ziel ist die Revitalisierung der betroffenen Gebiete und die Reduzierung des Freiflächenverbrauchs. Die Revitalisierung umfasst dabei ein komplexes Aufgabenfeld des Nutzungswandels, der Wieder- und Neubelebung und der Um- und Neugestaltung. Altindustrielle Brachflächen werden zunehmend als letzte verfügbare innenstadtnahe Bereiche entdeckt und im Rahmen der Innenentwicklung für neue Bebauungen und Cityerweiterungen genutzt. So wurden ehemalige citynahe Industrieviertel, wie z. B. das "Northern Quarter" in Manchester, zu begehrten Standorten von Unternehmen "moderner" Branchen beispielsweise der Medien- und Kulturindustrie.
Auch in vielen deutschen Städten existieren Planungen zur Umnutzung von brachgefallenen Bergbauflächen oder auch von Hafen- und Uferzonen. So wurden z. B. in Hamburg erste Ideen zur Umgestaltung des nördlichen Elbufers schon Mitte der 1980er Jahre entwickelt. Als größtes europäisches Stadtentwicklungsprojekt wird in den letzten Jahren mit der HafenCity ein über 155 ha großes Areal aus dem Hafengebiet herausgeschnitten und als Standort für Büros, Gewerbe, Kultur, Läden und Wohnen entwickelt. Weitere Beispiele sind die West- und Osthafenbebauung in Frankfurt, der Zoll- und Binnenhafen in Mainz, die Untertunnelung der Rheinuferstraße und der Medienhafen in Düsseldorf, der Binnenhafen in Duisburg sowie der Rheinauenpark und das Regierungsviertel in Bonn.


Literatur

HEINEBERG, H. (1997): Großbritannien. Gotha.
HEINEBERG, H. (2000). Grundriß Allgemeine Geographie: Stadtgeographie. Paderborn. München.
KULKE, E. (1998): Wirtschaftsgeographie Deutschlands. Gotha.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Jutta Henke
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2004
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 20.05.2012