Gating / Die duale Stadt


Stadtplanung, Gating, Privatisierung, Gated Communities, Suburb, duale Stadt, Segregation


Gating

Die Privatisierung des öffentlichen Raumes durch die Einfriedung und Ummauerung von Gemeinden, welche als gating bezeichnet wird, ist in den amerikanischen Metropolitan Areas ein junger Vorgang, der in den späten 1980er Jahren einsetzte und lawinenartig weiterwächst. Der Vorgang ist komplex. Mehrere Bedingungen, welche einander wechselweise verstärken, sind die Voraussetzungen. Es handelt sich um:

1. die juristischen Grundlagen für die Schaffung von privatwirtschaftlichen territorialen Organisationsformen,
2. die Effekte des Markts
3. die Fragmentierung der Lebensstile sowie
4. die individuellen Bedürfnisse, deren Spannweite sich zwischen Exklusivität und Sicherheit vor Kriminalität bewegt.
5. Nicht zu unterschätzen ist ferner, dass "Gated Communities" über die Kontrolle des sozialen Umfeldes gleichzeitig auch stabilere monetäre Ressourcen aufweisen als "normale" Suburbs.

Im Sozialraum hat sich der Vorgang des gating als Top-down-Bewegung von den Oberschichten über die Mittelschichten ausgebreitet und nunmehr bereits die Grundschichten erreicht. Räumlich ist die Bewegung zunächst bei der Errichtung von neuen Suburbs entstanden und greift analog zum malling in den 1990er Jahren auf bestehende Suburbs und die Kernstädte aus. Diese neue Enclosure-Bewegung in bestehenden Stadtteilen muss sich zum Unterschied vom gating in den Suburbs, welches kaum die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erweckt hat, mit der Genehmigung durch Bundesgesetze und durch die Lokalbehörden auseinandersetzen, wobei Konflikte unvermeidlich sind.
  • Die rechtliche Grundlage, der Common Interest Development (CID) war die Voraussetzung für die rasante Entwicklung des gating. Als CID wird eine Institution für eine territoriale Einheit definiert, in welcher die Bewohner gemeinsam Flächen und Einrichtungen besitzen. CIDs legen als eine Art Privatbehörde die Konventionen und Restriktionen fest, bevor noch ein einziges Stück Eigentum verkauft ist. Damit wird die Altersstruktur ebenso a priori festgelegt wie die Farbe des Anstrichs der Häuser, Stil und Farbe der Vorhänge, Größe der Haustiere und Zahl der Kinder (wenn beides überhaupt erlaubt ist) und die Regeln für die Patio- und Landschaftspflege bis zum Hissen der amerikanischen Flagge. CIDs haben eine Tendenz zur Autokratie, denn sie sind nicht dazu angehalten, die Rechte von "selfexpression", "free association" und "free speech" zu beachten. CIDs waren die Vorläufer der Gated Communities. Die Zahl der CIDs hat von 1000 in den frühen 1960er Jahren auf über 80 000 im Jahr 1984 zugenommen. In den späten 1980er Jahren lebte einer von 8 Amerikanern in einer Art von Common Interest Development. Bereits im ersten Viertel des 21. Jh.s werden CIDs die Hauptform von Hauseigentum darstellen. Damit wird die jahrzehntealte Politik der Segregation von Wohngebieten weitergeführt. Bauunternehmer, Hypothekenbanken und die Bundesregierung unterstützen CIDs als eine Form zur Stabilisierung von Landnutzung und Eigentumswerten.
  • Die Entwicklung der CIDs war mit einer Veränderung der Bauformen der Suburbs, von denen freistehende Einfamilienhäuser zu Reihenhausanlagen, zu Mehrfamilienhäusern und Apartmenthäusern, verbunden und brachte damit bei sinkenden Realeinkommen in den 1980er Jahren weitere Aufträge für die Bauindustrie. Ebenso wurden von den Aufschließungsgesellschaften blitzartig die Vermarktungschancen des gating erkannt. Die Nachfrage nach Objekten in Gated Communities erhöhte die Hauswerte und ließ gleichzeitig in den benachbarten, nichtbefestigten Siedlungen die Immobilienpreise fallen. Derzeit werden 8 von 10 Neubauten bereits in Gated Communities errichtet.
  • Die postindustrielle Gesellschaft hat eine Fragmentierung nach Lebensstilen mit sich gebracht. Die Reduzierung der Arbeitszeit und der traditionellen sozialen Bindungen im Verein mit hohem Wohlstand haben die zeitlichen und finanziellen Freiräume für individuelle Lebensgestaltungen geschaffen. Lebensstile sind als ein neues Amalgam aus Altersklassen, Haushaltstypen und sozialen Schichtkriterien, wie Bildung und disponibles Einkommen, unter den Effekten der Konsum- und Freizeitgesellschaft entstanden. Sie sind nicht städtische Lebensstille sensu stricto. Ihre räumliche Ausprägung haben sie über die Privatisierung des öffentlichen Raumes in den Gated Communities der USA gefunden, als sich unter bestimmten juristischen Voraussetzungen der Markt um ihre räumliche Kommerzialisierung angenommen hatte.
  • Pull-Effekte der Exklusivität spielen ebenso eine Rolle wie die exzessiv ansteigende Kriminalität, welche neue Fluchtbewegungen ausgelöst hat.
Statistische Daten über Gated Communities fehlen. Blakeley und Snyder schätzten 1997, dass 3 Mio. Haushalte in ca. 20 000 Gates Communities leben. Von anderen Autoren wurden bereits 1994 30 000 Einheiten angegeben. Rechtlich ist eine Abspaltung von den Lokalbehörden und die Gründung von "privaten Behörden" im Gange. Blakeley und Snyder haben 1997 eine Typisierung der Gated Communities vorgelegt und hierbei drei Haupttypen, und zwar nach dem Lebensstil, nach der Exklusivität und auf Basis der Sicherheit und des Schutzes vor Kriminalität, unterschieden:

1. Die Lebensstil-Communities waren die ersten einer Massenmarktentwicklung. Es handelt sich um Siedlungen für spezifische Lebensstile, wie diejenigen von Senioren von Ehepaaren nach dem Auszug der Kinder ("empty nesters"), für spezifische Freizeitaktivitäten, wie Golf- bzw. Country-Stil, sowie um neu angelegte Städte.
  • Zu ihnen gehören im Sunbelt die Seniorensiedlungen in Florida, Südkalifornien und Arizona. Sie weisen einerseits dort, wo sie Produkte der nationalen Kette von "Leisure Worlds" darstellen, ein standardisiertes Design auf, reichen jedoch bis zu sehr individuellen Ausführungen mit exklusiver Vielfalt der Landschafts- und Wohnraumgestaltung. In allen sind untere Altersgrenzen festgelegt. Durchgehend handelt es sich um autarke Enklaven mit eigenem Bussystem und privaten Sicherheitsbeamten. Ein ausgefeiltes Monitoringsystem garantiert, dass unerwünschte Personen nicht einmal die Busse betreten können. Die Grenzen werden durch Wälle, Zäune, Gräben und Barrikaden geschützt. Dem Einkommen, der Bildung und den Lebensstilen entsprechend werden gesellschaftliche Klubs angeboten und Freizeitaktivitäten organisiert, die als Pakete offeriert werden. Von den Organisatoren wird einerseits ein ebenso sorgloses Leben garantiert, wie andererseits auch ein aktiver Lebensstil angeboten wird.
  • In den 1980er Jahren ist eine große Zahl von Golfklub-Subdivisions im Nordosten, rings um Chicago, in Iowa und Minnesota, entstanden. Sie entsprechen dem Lebensstil von Country Clubs, die auf "members only" ausgerichtet sind und bei denen das gesamte Klubareal einschließlich der Straßen kontrolliert wird. Viele Gemeinden weisen auch Tennisklubs, Schwimmareale, Pologründe usw. auf.
  • Neu angelegte Städte umfassen eine Vielzahl von Haustypen, welche nach Größe, Stil und Preis differenziert sind. Sie weisen zunehmend "gated subdivisions" auf, und zwar zumeist bei den teuren Wohneinheiten. Es besteht eine Übereinstimmung mit den verwendeten Wohnbauformen insofern, als Siedlungen mit Reihenhäusern und hoher Dichte nur gelegentlich eingefriedet sind, während luxuriöse Villages, rings um Seen und mit Golfplätzen ausgestattet, immer eingefriedet sind, ebenso wie die Resort Villages als Zweitwohnungsanlagen.
  • In Staaten mit einem hohen Anteil von Gated Communities, wie Kalifornien und Arizona, werden auch Siedlungen in mittlerer Preislage eingefriedet.
Nur am Rande sei vermerkt, dass die generell steigende Kriminalität in den USA auch vor den Einfriedungen nicht Halt macht. Von Green Valley, einer Gated Community außerhalb von Las Vegas, in Nevada, werden auch innerhalb der Community selbst Serienvergewaltigungen, Raub und Drogenmissbrauch gemeldet (Blakeley/Snyder 1997).

2. Die "Elite Communities" sind die traditionellen Gated Communities. Sie setzen eine Tradition fort, die in dieser Form in Europa nicht vorhanden ist: Von der Ostküstenaristokratie in Florida reicht der Bogen bis zu den Hollywoodstars um Los Angeles; Bel Air in Kalifornien, Newport, Rhode Island, und Forest Hills sowie Larchmont, New York, sind als Beispiele zu nennen. In diesen elitären Gates Communities geht es um die Exklusivität, dementsprechend repräsentativ werden die Eingänge gestaltet. Die Einkommensskala reicht von den Enklaven der Reichen und Berühmten mit demonstrativem Reichtum, über das Topmanagement bis zum mittleren, professionellen Management, dessen Vertreter den Rahmen für exklusives Wohnen anstreben, ohne über exklusives Einkommen zu verfügen. Allgemeine Videoüberwachung und individuelle Hauswarnsysteme zählen zu den gebräuchlichen Sicherheitsvorkehrungen.

3. Die aus Angst vor Kriminalität entstehende dritte Hauptgruppe der Gated Communities umfasst bereits bestehende Wohngebiete der Mittel- und Grundschichten und seit wenigen Jahren auch Anlagen des Public Housing.
  • Aus Angst vor Kriminalität sehen es selbst die Grundschichten, welche ältere Wohnsiedlungen bewohnen, als eine Notwendigkeit an, sich innerhalb einer kriminellen Umgebung abzusichern. Hierzu seien zwei Beispiele genannt: Athena Heights im Süden von Central Los Angeles ist nur einige Blöcke von Normandie und Florence, dem Epizentrum der Krawalle in Los Angeles, entfernt und weist einige großartige alte Häuser, aber ebenso bescheidenere Bungalows der 1950er Jahre auf. Ein anderes Beispiel bietet die Five-Oaks-Nachbarschaft in der Nähe von Downtown Dayton, Ohio, welche durch Durchfahrtsverkehr von Prostitution und Drogenhandel betroffen ist. 1992 wurde ein neuer Flächenwidmungsplan mit einem "gate off" der Straßen verabschiedet und zugleich acht Mini-Nachbarschaften mit jeweils eigenem Eingang geschaffen.
  • Während in den Arbeitersiedlungen das gating erst begonnen hat, sind die Wohnsiedlungen von Mittelschichten und Apartment- und Reihenhäusern in den Suburbs von Los Angeles, Chicago, Atlanta und Miami nunmehr bereits generell von Wällen umgeben. Da die Kosten des gating bei höherer Wohndichte auch für untere Mittelschichten erschwinglich geworden sind, ist im inneren Ring der Suburbs insofern ein dramatischer Wandel im Gang, als sich eine Bewegung der Mittelschichten von ihren freistehenden Einfamilienhäusern zu Apartmenthäusern und Reihenhausanlagen hin vollzieht.
  • Besonderes Interesse verdient das gating von Objekten des Public Housing, des öffentlichen sozialen Wohnungsbaus, der aufgrund seines Bedienungsrahmens dem Prinzip huldigt, dass aufstiegswillige Bewohner, welche eine gewisse Einkommensgrenze überschreiten, ausziehen müssen (Lichtenberger 1989). Diese Objekte werden daher als Horte der Kriminalität in den Kernstädten angesehen. In einigen Fällen sind nunmehr Munizipal- und Lokalbehörden darangegangen, Wächterhäuser und Zäune zur Überwachung dieser Komplexe einzurichten. Eine Maßnahme, welche mit der zynischen Frage kommentiert werden kann, ob diese neue Form des gating von Public Housing zum Schutz der in Sozialbauten lebenden Bevölkerung vor der Umgebung oder umgekehrt zum Schutz der Umgebung vor den Sozialbaubewohnern eingerichtet worden ist. Als Beispiel sei Potomax Gardens, Washington D.C., angeführt, ein großer sozialer Wohnbaukomplex, der 1992 von der Behörde gegen den Willen der Bewohner eingezäunt wurde. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Sicherheitsmaßnahmen mit Identifizierungskarten, Sicherheitskameras und 24stündigem Wachdienst Drogenhandel und Vandalismus innerhalb der Anlage drastisch reduzierten. Über die durch diese Maßnahme bedingte Stigmatisierung ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen.
  • Eindrucksvoll ist das Gating von den verhältnismäßig kleinen Kirchen christlicher Sekten von Geschäften und von einzelnen Häusern.



Die duale Stadt

Gated Communities sind ein Mikrokosmos des umfassenden räumlichen Musters der Fragmentierung der Metropolen, bei welchem einerseits dem Verfall der Kernstädte das Wachstum von Suburbia gegenübersteht und andererseits eine Unterteilung in reiche und arme Bevölkerungsgruppen erfolgt. Das Verlassen der Idee des öffentlichen Raums ist nicht nur in den "self-contained" Städten der Peripherie des metropolitanen Raumes zu sehen, sondern auch darin zu erkennen, dass Städte um den exklusiven Zugang zu Ressourcen, wie z.B. um die Privatisierung der Küste, kämpfen.
Die Marktfolge der Entwicklungsgesellschaften haben den unglaublich raschen Aufschwung der Gated City im abgelaufenen Jahrzehnt weiter begünstigt. Im selben Zeitraum hat die ethnische Segregation ebenfalls zugenommen. Bereits 1980 lag der Segregationsindex der Afroamerikaner bei 79 %, derjenige der Hispanier bei 49 % und jener der Asiaten bei 43 %. Der Zensus des Jahres 1990 belegt bereits eine weitere Segregation der einzelnen "races", um den Begriff der US-Statistik zu verwenden, nach den Einkommensverhältnissen. Das bedeutet, dass sich die Position der armen Minoritäten, insbesondere der Afroamerikaner weiter verschlechtert hat.
Die duale Stadt, charakterisiert durch segmentierte Wohnungs- und Arbeitsmärkte, wird zu einer immer härteren Realität. Wenn die weiße Mittelklasse nicht nur aus der Kernstadt, sondern auch aus den inneren Suburbs und schließlich aus ganzen Staaten (wie Kalifornien) flüchtet und wenn Mauern errichtet werden, um diejenigen zu schützen, die bleiben, werden die armen Nachbarschaften zunehmend vom munizipalen Arbeits- und Sozialmarkt ausgeschlossen. Die armen Nachbarschaften in den Kernstädten formen ein neues, residuales Landnutzungs- und Sozialmuster. Sie reagieren nicht mehr auf den normalen Immobilienmarkt. Selbst die Annullierung der Bodenpreise zieht keine Käufer und Financiers an. Das Schicksal dieser Nachbarschaften beruht daher nicht, wie in vorangegangenen Jahrzehnten, auf dem Funktionieren des Marktmechanismus. Damit ist das privatkapitalistische System am Ende. Auf der anderen Seite führt der Trend in Richtung auf Abkopplung und Privatisierung zu einer Reduktion der Sozialkontakte und der Sozialkontrakte. Das Ergebnis ist eine in bezug auf den Raum und den Lebensstil atomisierte "civil society".
Die Entwicklung privatisierter Lokalbehörden und Gemeinden ist ein Teil des allgemeinen Trends der Fragmentierung. Der daraus resultierende Verlust des sozialen Kontaktes schwächt die gegenseitige Verantwortung und den sozialen Kontrakt. Wir sprechen nicht mehr vom Staatsbürger, sondern vom Steuerzahler. Nordamerika ist in der Nachkriegszeit der Trendsetter in vielen Bereichen der Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung gewesen. Mit Aufmerksamkeit muss daher die europäische Stadt- und Regionalplanung alle neuen Phänomene verfolgen, welche sich jenseits des Atlantiks abspielen.


Quelle: Die Stadt. Von der Polis zur Metropolis.
Autor: Elisabeth Lichtenberger
Verlag: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Ort: Darmstadt
Quellendatum: 2002
Seite: 123-128
Bearbeitungsdatum: 28.11.2005