Infoblatt Yanomami
Basisdaten, Lebensweise, Konflikte und Lösungsansätze
Yanoama – so bezeichnen sich die Ureinwohner selbst. Übersetzt bedeutet es einfach nur Mensch. Sie untergliedern sich in verschiedene Gruppen: Schamatari, Waiki, Sanema, Schirischana und Guajahbo. International bezeichnet man das Indianervolk im Grenzgebiet von Brasilien und Venezuela als Yanomami. Sie leben in einem Gebiet von der Größe der Schweiz in 1.000 m Höhe über NN: der Sierra Parima, welche die Wasserscheide zwischen Orinoko und Amazonas bildet. Die Zahl der Yanomami wird auf etwa 20.000 bis 27.000 geschätzt, womit sie zu den größeren der etwa 100 im Inneren Amazoniens beheimateten indianischen Stämme gehören. In diesem Gebiet, was der Größe von Europa entspricht, leben nur weniger als 100.000 Menschen. Andere größere hier ansässige Stämme sind die Shuar bzw. Jivaro-Indianer und die Ticuna.
Traditionelle Lebensweise
Die Yanomami tragen traditionell keinerlei Kleidung, sondern nur Schnüre, um die Geschlechtsorgane zu schützen oder Gegenstände zu tragen. Ihre Sprache ist einmalig, da sie – laut der führenden Meinung von Wissenschaftlern – mit keiner anderen Sprache verwandt ist. Ein Grund dafür ist möglicherweise ihre jahrhundertelange Isolierung, denn sie leben nicht wie viele Völker an den Flussufern, sondern mitten im schwer zugänglichen Regenwald. Dadurch konnten sie bis heute ihre ursprüngliche Lebensweise ohne äußere Einflüsse erhalten. Sie werden oft als direkte Nachkommen von Steinzeitmenschen betrachtet. Unter Brasilianern gelten sie als äußerst primitive Menschen, da sie nur einfachste Werkzeuge besitzen und sich ausschließlich vom Wald ernähren. Alle Rohstoffe, die sie für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen benötigen, sammeln sie ebenfalls. Weberei und Töpferei kennen sie kaum.
Die Ureinwohner leben weit verstreut in mehreren hundert Dörfern. In einem Runddorf (Maloca) wohnen bis zu 300 Yanomami – das entspricht bis zu sieben Großfamilien mit je 30 bis 100 Mitgliedern. Das Zentrum des Dorflebens bildet die runde Wohn- und Schlafhütte (Shabono), welche kreisförmig um den Dorfplatz errichtet wird. In dieser Pultdachkonstruktion leben alle Dorfmitglieder gemeinsam. Jedem Haushalt steht darin ein Sektor mit einer Feuerstelle zu. In der Mitte des Hauses brennt zusätzlich ein ständiges Feuer, über dem feuchtigkeitsempfindliche Gegenstände wie Waffen hängen und welches nachts Wärme bietet. Ihr soziales Verständnis und ihr Gemeinschaftssinn sind sehr stark ausgeprägt: Gleichheit und Gerechtigkeit bilden die wichtigsten Werte. So gibt es innerhalb des Stammes so gut wie keine materielle Ungleichheit. Machtstrukturen oder Führungspersonen existieren nicht. Jedes Mitglied hat stattdessen ein starkes Bewusstsein bezüglich seiner individuellen Rechte und Pflichten, aber auch seiner Unabhängigkeit. Das ist insbesondere deshalb wichtig, da ihr Leben ständige Wachsamkeit und große Ausdauer erfordert. Lediglich ein Sprecher pro Verwandtschaftsgruppe schlichtet als Führer auftretende Konflikte.
Lebensraum der Yanomami (Klett)
Ursprünglich zieht die Dorfgemeinschaft alle zwei bis vier Jahre in ein neues Siedlungsgebiet, da der tropische Boden nur einen begrenzten Bewirtschaftungszeitraum zulässt. Ein neues Gebiet wird durch Brandrodung in der Trockenzeit urbar gemacht. Durch die Asche wird der Boden mit Nährstoffen angereichert und mit einsetzender Regenzeit beginnen die Yanomami mit Pflanzungen und der Saat. Die Felder sind jedoch relativ klein, so dass der Regenwald nicht nachhaltig geschädigt wird. Bereits nach 50 Jahren hat sich das entsprechende Gebiet wieder erholt. Insgesamt werden ca. 40 verschiedene Pflanzenarten angebaut, darunter Mais, Papaya, Mango und Zuckerrohr. Hauptnahrungsmittel sind Kochbananen und Maniok. Ergänzt wird ihre Nahrung durch den Fang von Flusskrebsen sowie das Sammeln von Früchten, Insektenlarven, wildem Honig und Gemüse. Mit Pfeil und Bogen jagen sie beispielsweise auch Wollaffen, Tapire, Hühnervögel und Gürteltiere, doch kommt dies eher selten vor.
Sie sind perfekt an das Leben im Regenwald angepasst und bilden eine Art Symbiose mit diesem. Sie leben nur nach Bedarf, von der Hand in den Mund, und streben keinen Fortschritt an, sondern Konstanz. Ihre starke Naturverbundenheit drückt sich auch in ihrem Denken aus: sie glauben an eine parallele Existenz in Form eines Tieres (Noreschi), die Frauen sehen sich als Fischotter und die Männer als Affen oder Raubvögel. Das Töten dieser Tiere wird daher nur sehr sorgsam betrieben, da der Tod eines Tieres immer auch den Tod des dazugehörigen Menschen bedeutet. Ihrer Mythologie zufolge stammen sie vom sog. Mondgeist ab. Aus dessen Blut entstanden die ersten männlichen Yanomami, welche auch Blutsmänner genannt werden. Die Frauen wiederum entwickelten sich aus dessen linkem Bein.
Die Yanomami pflegen sehr viele animalisch anmutende Riten, um bestimmte gesellschaftliche Positionen zu erreichen. Beispielsweise müssen Mädchen bei ihrer ersten Menstruation vier Wochen allein in einem abgeschlossenen Raum verbringen, davon die erste Woche ohne Nahrung. Danach werden sie dem Dorf feierlich als erwachsene Frauen präsentiert. Wenn ein Yanomami zum Schamanen aufsteigen will, dessen Aufgaben das Fernhalten von Krankheiten und bösen Geistern ist, muss er fasten und keusch sein. Hochzeiten werden im Gesellschaftsleben dieser Indianer nicht gefeiert. Der jährliche Höhepunkt im Dorfleben ist das Palmfruchtfest mit Besuchen befreundeter Dörfer, rituellen Tänzen und Kämpfen. Die darin integrierten Totenfeiern stellen einen bedeutenden Bestandteil ihrer Religion und Identität dar. Die Knochenreste der Toten werden verbrannt, die Asche wird zermahlen und bis zu jährlichen Festen aufbewahrt, bei denen diese dann zusammen mit Bananenbrei verspeist wird. Dem liegt der Glaube zugrunde, durch diese Art von Kannibalismus die Seelen der Toten zu befreien und Unheil von ihnen abzuwenden, damit sie ins Jenseits übertreten können. Dabei unterstützen sich die Dörfer und Verwandten gegenseitig und trauern zusammen.
Die Yanomami gelten allgemein als kriegerisch. Jene Männer, die Feinde getötet haben, genießen unter den Yanomami besonders hohes Ansehen. Ihnen werden die Attribute wild und aggressiv zugeschrieben, was von ihrer Jagdtätigkeit und den kriegerischen Konflikten herrührt. Die Männer besitzen einen höheren Stellenwert als Frauen. Daher werden weibliche Säuglinge auch gezielt getötet und es gibt erheblich mehr Männer als Frauen. Behinderte Kinder oder kleinere Zwillinge bringt man sofort nach der Geburt um, denn schwache Indianer kann ein Dorf nicht tragen. Die angesehensten und stärksten Männer haben daher auch mehrere Frauen. Durch den Frauenmangel konkurrieren die Männer sehr stark um sie. Eine gängige Praxis ist der Frauenraub in anderen Dörfern, was nicht nur vor Inzucht schützt, sondern auch zu vielen Konflikten unter den Dörfern führt. Aber auch innerhalb der Dorfgemeinschaft können Streitigkeiten um Frauen in blutige Schlägereien ausarten. Vergeltung und Blutrache kommen nicht selten vor. Oft geht es auch um Nahrungsmangel oder um persönliche Streitigkeiten, die eskalieren. Gegen fremde Stämme und Nicht-Ureinwohner des Amazonasgebietes kämpfen die Dörfer allerdings vereint. Trotz alledem ist die Kriegsbereitschaft der Yanomami nicht überproportional erhöht, sondern mit übrigen Amazonasstämmen vergleichbar.
Probleme und Konflikte mit anderen Bevölkerungsgruppen in Vergangenheit und Gegenwart, Bedrohung der Lebensweise und Schritte zur Konfliktlösung
Aufgrund ihrer isolierten Lage sind die Yanomami möglicherweise das einzige große Naturvolk von Guayana und Amazonien, welches bis heute ihre traditionelle Kultur, Gesellschaft und Religion bewahren konnte. Bis in das 19. Jahrhundert hinein war das Gebiet Amazoniens, insbesondere die inneren Regenwaldgebiete abseits des Amazonas und Orinoko, nicht erforscht.
Bis in 1970er Jahre lebten die Yanomami ohne äußere Einflüsse, dann entdeckte man auf ihrem Stammesgebiet Gold, Zinnstein, Thorium, Uran und Diamanten. Zunächst drängten insgesamt 65.000 Goldsucher und Kleinbauern in die Region. Die meisten unter ihnen schürften illegal, da laut der brasilianischen Verfassung das Land aller Indianer zwar dem Staat gehört, aber nur von den Ureinwohnern genutzt werden darf. Die Goldsucher waren den Yanomami an Zahl und Stärke überlegen. Durch ihre Schlemmtechniken wühlten sie den Boden auf und verwüsteten ganze Landstriche, bauten insgesamt über 120 Landepisten für ihre Flugzeuge und zerstörten somit große Waldflächen. Viele Gegenden wurden mit Quecksilber verseucht, was zum Binden von Gold nötig ist. Die Goldsucher griffen massiv in das Leben der Yanomami ein und plünderten sogar ihre Gärten. Teilweise rotteten sie ganze Dörfer gezielt aus und töteten die Einwohner. 1993 kam es in einem Yanomami-Dorf zu regelrechten Massakern. Der Vorfall ging durch die Medien und so wurden die Yanomami zu den bekanntesten Indianern Südamerikas. Durch öffentlichen Druck, zahlreiche Proteste und mit Hilfe von internationalen Menschenrechtsorganisationen zwang man die brasilianische Regierung zum Handeln. Die Polizei wies die Goldsucher mit Gewalt aus den Gebieten und sprengte Landepisten. Trotzdem gibt es noch heute einige hundert Goldsucher. Außerdem wird die Lebensgrundlage des Volkes seit einigen Jahrzehnten durch verstärkte Waldrodungen für die Nutzholzgewinnung und größere Weideflächen für Tierzüchter bedroht. Auch der Klimawandel hat unmittelbare Folgen für ihre Kultur: Die Trockenzeiten werden immer länger und erschweren den Anbau von Feldfrüchten.
Das mit Abstand größte Problem für die Yanomami ist Malaria. Sie bildet die gefährlichste und häufigste Erkrankung – fast jedes Dorf ist heute davon betroffen. Rund 70 % der gesamten Yanomami leiden an Malaria. In den Sümpfen, welche die Goldsucher zurücklassen, bilden sich Brutstätten für die Malariamücke Anopheles. Außerdem bedrohen weitere Infektionskrankheiten, darunter vor allem Tuberkulose und Masern, das Indianervolk. Genau wie zahlreiche indigene Völker Brasiliens sind auch sie durch diese eingeschleppten Krankheiten vom Aussterben bedroht, an denen seit der Invasion der Goldsucher bereits etwa 2.000 Yanomami tödlich erkrankt sind. Bis heute kommt es regelmäßig zu Epidemien und Konflikten – besonders betroffen sind die Dörfer im schwer zugänglichen Inneren, die bis dato kaum Berührung mit Menschen aus anderen Gesellschaften hatten.
Das Leben der Yanomami hat sich verändert: viele tragen heute Kleidung und ihre Hütten sind nicht mehr aus traditionellen natürlichen Materialien, sondern aus Wellblech und Plastikfolie. Inzwischen bauen viele in Plantagen Maniok für den regionalen Markt an und produzieren Kleinkunst und Souvenirs für Touristen. Vor allem diejenigen Yanomami, die an den errichteten Straßen der Goldsucher leben, sind inzwischen wirtschaftlich abhängig, verarmt und haben sich von ihrer eigenen Kultur entfremdet.
Auch ein Gesetzentwurf im brasilianischen Kongress, der Bergbau im großen Stil in indigenen Gebieten erlaubt, könnte bei Bewilligung zur Gefährdung der Yanomami und anderer indigener Völker in Brasilien führen.
Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer. So existieren Organisationen, die für die Menschenrechte der Yanomami eintreten und versuchen, diese politisch zu vertreten und darüber hinaus medizinische Projekte durchzuführen. Als Beispiel kann die Pro-Yanomami-Kommission CCPY angeführt werden, eine brasilianische Nichtregierungsorganisation, die sich dafür einsetzte, eine Schutzzone für die Yanomami zu errichten. Nach einer internationalen Kampagne, die gemeinsam von CCPY, Survival International und Davi Kopanawa initiiert wurde, konnte 1992 die Eingrenzung des Yanomamigebiets unter der Bezeichnung "Yanomami-Park" erreicht werden.
Auch die Yanomami selbst haben sich, aus elf Regionen kommend, 2004 zu der eigenen Organisation "Hutukara" zusammengeschlossen, um ihre Rechte zu verteidigen. Gemeinsam mit der CCPY starteten sie ein Ausbildungsprogramm für die Yanomami, um ein Bewusstsein für ihre Rechte zu schaffen.
Doch wie sich das Volk zukünftig entwickeln wird, hängt sicher auch vom Engagement einzelner Personen ab. Rüdiger Nehberg dient als bestes Beispiel. Mehrere Male reiste er zu den Yanomami und lebte mit ihnen zusammen im Regenwald. Aus seiner Faszination für diese einzigartigen Ureinwohner startete er 1980 eine spektakuläre Medienkampagne, um die Öffentlichkeit auf die Yanomami und den schleichenden Völkermord an ihnen aufmerksam zu machen. Durch zahlreiche Buchveröffentlichungen, Vorträge und vor allem durch seine Aufsehen erregenden Aktionen hat er vieles in Bewegung gesetzt und unter anderem an UNO, Weltbank und den Papst appelliert. So segelte er auf einem Bambusfloß von Senegal nach Washington vor das Weiße Haus – zusammen mit Christina Haverkamp, die den Verein Yanomami-Hilfe e.V. gründete.
Literatur
Haarmann, Harald (2004): Kleines Lexikon der Völkerkunde von Aborigines bis Zapoteken, Beck´sche Reihe, München.
Enzyklopädische Bibliothek (1997): Lexikon von A bis Z, Gütersloh.
Hirschberg, Walter (1999;2005): Wörterbuch der Völkerkunde, 2. Auflage, Dietrich-Reimer-Verlag.
Stegner, Willi [Hrsg.] (2006): Taschen Atlas Völker und Sprachen, Gotha, Stuttgart, Klett-Perthes-Verlag.
Nehberg, Rüdiger (1987): Haben die Yanomami noch eine Überlebenschance? In: Praxis Geographie, Band 17, Heft 9, S. 18-20.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Nancy Allmrodt, Wiebke Hebold
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2007
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 31.05.2012
Autor: Nancy Allmrodt, Wiebke Hebold
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2007
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 31.05.2012