Die Jesuiten-Reduktionen in Südamerika


Hintergründe, Entstehen, interne Organisation und Ende der Jesuiten-Reduktionen in Südamerika

Als Jesuitenreduktionen werden die von den Jesuiten im 17. und 18. Jh. in Südamerika errichteten Siedlungen für indigene Bevölkerungsgruppen bezeichnet. Ziel der Siedlungstätigkeit der Jesuiten waren die christliche Missionierung, der Schutz der Indigenen vor Übergriffen von Sklavenjägern und vor der Ausbeutung durch die weiße Oberschicht sowie die Integration der "Wilden" in das spanische Kolonialreich. Die Reduktionen (span. reducir = zusammenführen) waren quasi die ersten "Indianer-Reservate" auf dem Kontinent.


Hintergründe

Im Jahre 1609 wurde der Jesuitenorden von der spanischen Krone zur Gründung von Siedlungen in Südamerika ermächtigt. Diese Genehmigung zum Siedlungsbau, vor allem im Gebiet des heutigen Paraguay, muss im Zusammenhang mit den politischen Interessen Spaniens gesehen werden. D.h. Spanien ging es darum, die Grenzgebiete gegen portugiesische Kolonisten, Händler und Sklavenjäger zu verteidigen, die sich nicht an die zwischen den beiden Staaten festgelegte Grenzziehung hielten und ihr Tätigkeitsfeld immer weiter in das spanische Interessensgebiet ausdehnten. Von Anfang an verbanden die Jesuiten mit ihrer Siedlungstätigkeit natürlich das Ziel der Missionierung der indigenen Bevölkerung. Missionierung war für sie aber nicht lediglich eine "Bekehrung der Heiden". Ihnen war vielmehr daran gelegen, die getauften Indigenen "zu einem menschenwürdigen Leben innerhalb gut organisierter sozio-politischer Strukturen zu verhelfen" (H.-J. Prien). Das bedeutete einen radikalen Bruch mit dem Encomienda-System, das es den Kolonisten ermöglicht hatte, die Ureinwohner zu unterwerfen und zu versklaven, um mit ihrer Arbeitskraft die immensen Bodenschätze der neuen Welt ausbeuten zu können. Auch später noch versuchten eingewanderte europäische Unternehmer indigene Arbeitskräfte gewaltsam zu rekrutieren. Zu deren Schutz zogen die Missionare die Indigenen, die vielfach noch als Jäger und Sammler lebten, bzw. Ackerbau zur Selbstversorgung betrieben, in Schutzsiedlungen zusammen, den Reduktionen.


Die Errichtung der Schutzsiedlungen

Die ersten Jesuiten-Reduktionen wurden bei den Guarani-Indigenen am Rio Paraguay angelegt. Ihnen folgten schnell weitere, im Guarani-Gebiet insgesamt 30 mit mehr als 140.000 Bewohnern. Da diese Siedlungen durch den Jesuitenorden in einem lockeren Verbund zusammengehalten wurden, sprach man vom "Jesuitenstaat". Er war dem Vizekönig Peru zugeordnet und unterstand damit wie alle Reduktionen unmittelbar der spanischen Krone. Die Reduktionen waren aber ansonsten autonome Gebiete. Vom La-Plata aus gründeten die Jesuiten in der Folgezeit weitere Reduktionen, sodass sich ihr Tätigkeitsfeld schließlich vom Orinoco im heutigen Venezuela bis südlich von Buenos Aires im heutigen Argentinien erstreckte. Bis zum Jahre 1732 waren es insgesamt 70 Schutzsiedlungen in insgesamt acht Reduktionsgebieten.


Anlage und interne Organisation der Reduktionen

Die Reduktionen wurden aus strategischen Gründen vornehmlich an Flüssen oder auf einer Anhöhe angelegt. Eine Befestigungsmauer besaßen sie nicht, obwohl sie immer wieder feindlichen Angriffen von portugiesischen Sklavenjägern und räuberischen Banden ausgeliefert waren.
Die Siedlungen waren nach einem einheitlichen Muster aufgebaut, in dem sich ihre religiöse und soziale Struktur widerspiegelte. Im Mittelpunkt jeder Reduktion befand sich, wie in fast allen spanischen Kolonialstädten, ein etwa 100 m2 großer Platz. Eine Seite des Platzes wurde von den kirchlichen und gemeinschaftlichen Gebäuden eingenommen: einer prachtvollen dreischiffigen Kirche, dem Wohnhaus der Patres, Schule, Krankenhaus, einem Haus für die Witwen und Waisen sowie einem Vorratsspeicher. An den drei übrigen Seiten schlossen sich die Häuser der Indigenen an, solide aus Lehnziegeln oder Steinen erbaut, jeweils mit vier bis sechs Wohnräumen für Familien mit vier bis sechs Personen. Außerhalb der Siedlungen bzw. an deren Rand lagen Werkstätten (Ziegeleien, Webereien, Gerbereien u.a.m.), die Felder für den Anbau von Getreide, Zuckerrohr und Baumwolle sowie Weiden für Schafe und Rinder.
Geleitet wurden die Reduktionen in einem streng patriarchalischen System von jeweils zwei Jesuiten, die praktisch alle wichtigen Ämter innehatten, z.B. Richter, Seelsorger, Arzt. Darunter stand der Gemeinderat mit einem Bürgermeister und weiteren Amtsträgern. Weiße Siedler und Mestizen, auch Vertreter der Regierung hatten offiziell keinen Zugang zu den Reduktionen. Innerhalb der Reduktionen gab es kein Geld und auch kein privates Eigentum an Produktionsmitteln. Der Tagesablauf war streng geregelt: Die Arbeit auf den Feldern und in den Werkstätten wechselten mit Gebet und Gottesdiensten ab.
Die Indigenen erhielten ein Stück Land zur Bewirtschaftung zugeteilt. Die Erträge waren deren uneingeschränktes Eigentum und konnten im internen Tauschhandel veräußert werden. Die landwirtschaftlichen Geräte wurden ausgeliehen. Darüber hinaus war ein jeder zur Arbeit auf den Gemeinschaftsfeldern verpflichtet. Außer der Landwirtschaft und der Verarbeitung ihrer Produkte hatte das Gewerbe eine große Bedeutung. Die Vielfalt der Handwerke und Künste war beachtlich: Glockenguss, Silberverarbeitung, Glasfabrikation u.a.m. Trotz der Arbeitsteilung bildete sich unter den Indigenen keine soziale Hierarchie aus, d.h. es entstanden keine Gruppen, die ihre Macht über andere ausüben konnten. Aus wirtschaftlicher Sicht stellten die Reduktionen zweifelsohne ein gelungenes Vorhaben dar. Mit ihnen wurde ein Weg für eine erfolgreiche humane "Missionierung" aufgezeigt, d.h. der Schutz und die Ausbildung von verstreut lebenden und sich selbst versorgenden Indigenen.


Musterplan der Reduktion Concepción de Moxos in Bolivien



(Alcide d'Orbigny)


Das Ende der Reduktionen

Naturgemäß hatte das Siedlungswerk der Jesuiten viele Feinde. Verärgert waren die europäischen Sklavenhändler und Grundbesitzer über die Abschottung der Indigenen, die nun nicht mehr als frei verfügbare Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Aber auch die örtlichen Kolonialbehörden waren verärgert über diesen "Staat im Staat", da so weite Gebiete mit ihren Einwohnern ihrem direkten Einfluss entzogen wurden. Vor allem war es aber der Neid der europäischen Händler und Kaufleute, der Kolonisten und Unternehmer, der den Reduktionen den Todesstoß gab. Wilde Gerüchte und Verleumdungen wurden in Umlauf gebracht: vom sagenhaften Reichtum der Jesuiten, ihren großen Rinderherden in den Reduktionen oder Rebellionsabsichten mit Hilfe von "Indioarmeen". Dies und andere Gründe führten dazu, dass 1767 die Jesuiten verhaftet und ausgewiesen wurden. Dies beutete gleichzeitig das Ende der Reduktionen. Sie wurden teilweise ausgeraubt und zerstört und die Bewohner in die Sklaverei geführt. Sicherlich liegt ein Grund für das "Scheitern des heiligen Experiments der Jesuiten" in der Organisationsstruktur der Reduktionen selbst. Das strenge patriarchalische System hatte die Indigenen in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht, sie nicht mündig werden lassen, sodass sie letztlich nicht in der Lage waren, das Überleben der Reduktionen aus eigener Kraft zu gewährleisten.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Norbert von der Ruhren
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 16.02.2012