Infoblatt Globalisierungskritik


Globalisierungskritik - eine exemplarische Zusammenfassung

Die Globalisierungskritik wird von einer internationalen Bewegung getragen, die sich spätestens seit Mitte der 1990er Jahre formiert hat. Diese Bewegung besteht aus einer großen Vielfalt gesellschaftlicher Gruppen, die sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Es ist zu unterscheiden zwischen Globalisierungsgegnern, die die Globalisierung grundsätzlich ablehnen und Globalisierungskritikern. Letztere, die die Mehrheit darstellen, fordern eine andere Form der Globalisierung, die nicht von den Ideen des Neoliberalismus bzw. des Kapitalismus geprägt ist.

Zu den wichtigsten Vertretern der globalisierungskritischen Bewegung zählen internationale Organisationen wie Attac, BUKO oder Peoples’ Global Action.

Ihre Kritik bezieht sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:
  1. Die Spielregeln der Globalisierung werden von den ‚Mächtigen’ zu deren Eigennutz aufgestellt. Zu ihnen werden die multinationalen Konzerne, die Industrieländer und internationale Institutionen (Weltbank, Welthandelsorganisation, Internationaler Währungsfond) gezählt. Die Globalisierungskritiker fordern daher mehr Demokratie und Mitsprache in der Gestaltung der Globalisierung.
  2. Die Globalisierung verstärkt die Ungleichheit zwischen arm und reich weltweit, wobei die Entwicklungsländer ebenso wie Kleinunternehmer als Verlierer ausgehen.
  3. Die Spekulation im Weltfinanzsystem nimmt immer weiter zu, was zur Instabilität führt. Der Begriff ‚Kasino-Kapitalismus’ wurde in diesem Zusammenhang geprägt.
  4. Der internationale Standortwettbewerb führt zu einer überaus starken Konkurrenz der Staaten untereinander und zwingt sie, soziale Leistungen und Umweltstandards zu senken.
  5. Die Idee vom stetigen Wachstum des Kapitals geht auf Kosten des Umweltschutzes, z. B. durch den wachsenden Energiebedarf.
  6. Die Globalisierung führt zu einem Verlust an kultureller Vielfalt. Lokale Traditionen und Kulturen werden unter dem Druck westlicher (amerikanischer und westeuropäischer) Standards verdrängt.
Zusammengefasst kann man sagen, dass nach Ansicht linker Globalisierungskritiker nicht ökonomische, neoliberale Ziele im Vordergrund stehen sollten, sondern Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Umweltschutzes, der Menschenrechte und der Demokratie.
Auch Gewerkschaften, kirchliche Verbände und Bauernverbände kritisieren bestimmte negative Auswirkungen der Globalisierung, beziehen sich aber meist nicht auf das Phänomen allgemein. Daher kann man sie nicht ausdrücklich zu den Globalisierungskritikern zählen.
Zur globalisierungskritischen Bewegung zählen auch viele einzelne Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie Schriftsteller, Journalisten, Politiker oder Wissenschaftler, die sich aber nicht unbedingt einer Organisation angeschlossen haben müssen. Sie äußern ihre Kritik an der aktuellen Entwicklung in Form von Literatur, Zeitungsartikeln, Interviews, Wirtschaftsmodellen oder in künstlerischer Gestalt. Mitunter haben Sie erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der globalisierungskritischen Diskussion. So zum Beispiel das im Jahr 2000 zunächst auf Englisch erschienene Buch "No Logo!"


Buchkritik "No Logo!"

"No Logo" ist eines der einflussreichsten Sachbücher der letzten Jahre und gilt als "Bibel der Globalisierungskritiker“. Mit "No Logo!" verlieh Naomi Klein im Jahr 2000 der Bewegung Gesicht und Stimme. In ihrem Buch nimmt sie den Kampf der Global Players um Marktmacht ins Visier. Klein analysiert die Globalisierung von Marken und die Weiterentwicklung von Firmen zu Lifestyle-Vermarktungskonzernen (siehe Infoblatt ‚Globalisierungsprozesse’ unter ‚Globalisierung von Lebensformen’). Die Autorin greift die euphorische Marketingsprache des "Global Village" auf, in der "Global Teens" einen "weltweiten Kulturstil" gemeinsam haben. Sie beobachtet, dass in diesem globalen Dorf einige Multis nicht etwa damit beschäftigt sind, Ungleichheiten zu beseitigen, indem sie Arbeit und Technik für alle anbieten. Vielmehr beuten sie die ärmsten und rückständigsten Regionen des Planeten schamlos aus und machen unvorstellbare Gewinne dabei. Klein sucht Produktionsstätten in Asien auf, in Jakarta trifft sie Arbeitskräfte an, alle jung, manche gerade erst fünfzehn und kaum jemand älter als dreiundzwanzig, die für umgerechnet zwei Dollar am Tag arbeiten und bei Bedarf unbezahlte Überstunden leisten. Den Titel ihres Buches "No Logo" versteht sie nicht im Sinne von "Keine Logos mehr". Vielmehr basiert ihr Buch auf der einfachen Erwartung: Wenn immer mehr Leute die dunklen Geheimnisse des globalen Markennetzes entdecken, wird ihre Empörung der Antrieb für die nächste große politische Bewegung, eine gewaltige Welle des Widerstands, die sich frontal gegen die multinationalen Konzerne richtet. Und zwar besonders gegen solche, die stark mit einer Marke identifiziert werden.
Eine Grundannahme in Naomi Kleins Buch ist, dass ein in einer Billiglohnregion kostengünstig hergestelltes Produkt durch das Markenzeichen "veredelt" und in Hochpreisländern teuer verkauft wird. Den größten Gewinn erzielt die Firma, die das Marketing für das Produkt betreibt.

Globalisierungskritiker, seien sie in Netzwerken organisiert oder ‚Einzelkämpfer’, tragen durch die öffentliche Äußerung ihrer Meinung, etwa in Zeitungsinterviews, zur Meinungsbildung bei und regen die Diskussion an. Anhand von Interviews kann man sich relativ schnell einen Überblick sowohl über die jeweiligen persönlichen Positionen als auch über die allgemeine Argumentation verschaffen.


Interview mit dem Globalisierungskritiker Jean Ziegler

Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler ist Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung. In seinem 2003 erschienenen Buch ''Die neuen Herrscher der Welt'' geißelt er die Auswüchse der Globalisierung und den zunehmenden Hunger in der Welt.


Herr Ziegler, in Ihrem neuen Buch geht es hauptsächlich um Kritik an der Globalisierung. Sehen Sie denn gar nichts Positives?

Die Globalisierung an sich ist ein neutraler Begriff. Positiv ist sicher die Globalisierung der Kommunikation. Ein einheitlicher Cyberspace ist entstanden, der nicht nur die neue Herrschaftsstruktur, sondern auch die planetarische Zivilgesellschaft erst ermöglicht hat.


Für und Wider der Globalisierung sind bekannt. Warum also ein neues Buch?

Ich habe als UN-Sonderberichterstatter so viel gesehen und auch die Apparate der internationalen Organisationen von innen kennen gelernt. Da schien es mir wichtig, mein Wissen über die neuen Herrschaftsstrukturen und darüber, wie die Oligarchien des Finanzkapitals funktionieren, aufzuschreiben. Der Kampf um Transparenz ist entscheidend: Wer sind die Herrscher, wer die Opfer der neuen Weltwirtschaftsordnung?


Sie reden von der Macht der Multis, die die Armut in der Welt noch verstärken: Aber fehlt es nicht auch an ''good governance'', am vernünftigen Regierungshandeln in den Entwicklungsländern selbst?

Die Globalisierung funktioniert ja. Seit 1991 hat sich das Weltbruttosozialprodukt mehr als verdoppelt. Im selben Zeitraum hat sich der Welthandel verdreifacht – unglaublicher Reichtum in den Händen ganz weniger ist entstanden. Die 225 größten Privatvermögen sind höher als das Jahreseinkommen von 2,7 Milliarden Menschen – eine nie da gewesene Monopolisierung des Reichtums.


Aber was davon ist hausgemacht?

Ich habe in dem Buch ein ganzes Kapital der Korruption gewidmet. Ich ignoriere das nicht, weil es unentschuldbar ist. Es ist aber ein Sekundärphänomen. Die Weltordnung ist ja nicht nur mörderisch, sondern auch absurd, weil die Weltagrarproduktion ohne Probleme zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte. Es gibt keine nicht menschengemachten Gründe für das furchtbare Massenelend: Täglich sterben 100.000 Menschen an Hunger, alle sieben Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 826 Millionen Menschen sind schwerstens unterernährt.


Das Wirtschaftswunder in Asien hat doch gezeigt, dass sich Staaten durch gute Politik aus der Armutsfalle befreien können.

Das war zu Zeiten, als es keine Welthandelsorganisation gab. Thailand etwa hatte einst Schutzzölle erhoben und dahinter eine nationale Industrie aufgebaut. Das ist seit 1995 nicht mehr möglich. Weil die WTO die totale Liberalisierung anstrebt, können Entwicklungsländer kaum noch selbstständig agieren. Nehmen wir den Niger. Das Viehzüchterland ist zusammengebrochen, weil bei der Privatisierung des Veterinäramtes weltmarktgerechte Preise für Impfstoffe oder Vitaminpräparate verordnet wurden. Südkorea gäbe es heute nicht in dieser beeindruckenden Form, wäre die WTO eher gegründet worden.


Wie müsste man die WTO umgestalten?

Die müsste man auflösen. Dort herrscht die Tyrannei der multinationalen Konzerne, die in Brüssel mit am Tisch sitzen und die Verhandlungsposition der Europäischen Union diktieren. Das heißt aber nicht, dass die Globalisierungskritiker alle Protektionisten sind. Es muss Welthandel geben, aber wir brauchen fairen Handel.


Den könnte die WTO doch überwachen.

Das kann sie nicht. Eine Handelsorganisation der Vereinten Nationen müsste es geben.


Sie glauben also nicht daran, dass auch Entwicklungsländer einmal vom wachsenden Wohlstand profitieren - an den so genannten ''Trickle-down''-Effekt?

Die These stammt ja von Adam Smith: Er glaubte an den Moment, in dem selbst der reichste Mensch an eine Grenze stoße, in dem er nicht mehr als 50 Kilo Kaviar am Tag essen kann. Dann profitiere auch das Umfeld. Rein empirisch ist aber das Gegenteil der Fall. Die Zahl der extrem Armen, die von weniger als einem Dollar am Tag leben müssen, ist in den vergangenen sechs Jahren von 2,7 Milliarden auf 2,81 Milliarden gestiegen. Das Elend nimmt rasant zu. Der ''Trickle-down''-Effekt findet nicht statt.


Warum nicht?

Der Denkfehler bei Smith liegt darin, dass der Dschungelkapitalismus nichts mehr mit einem Gebrauchswert zu tun hat, weil Gier und Macht keine objektive Grenze kennen.


Wie sieht dann Ihre Alternative zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung aus?

Ob es nun Hoffnung auf ein neues System gibt oder nicht: Die jetzige Weltordnung ist unannehmbar.


Aber die Antiglobalisierungsbewegung ist doch eine völlig heterogene Gruppe ohne gemeinsame Ziele.

Es ist ein Aufstand des Gewissens. Die neue Zivilgesellschaft hat vergangenes Jahr bereits den Metallarbeiter Lula, der ja aus ärmsten Verhältnissen stammt, in der zehntgrößten Wirtschaftsnation der Welt an die Macht gebracht - in Brasilien. Der Widerstand ist groß. Noch vor ein paar Jahren galten doch alle als Spinner, die den Neoliberalismus mit seinen behaupteten wirtschaftlichen Naturgesetzen hinterfragten. Das Dogma der Herrschenden ist heute in Frage gestellt.


Sind Sie ein Revolutionär?

Wir brauchen eine 180-Grad-Kehrtwende, weil wir - wie Kant gesagt hat - an der Abbruchkante der Zeit stehen. Die Diffamierung des Gesetzes, die Agonie des Nationalstaates, der Dschungelkapitalismus allgemein bricht mit den Werten der Aufklärung.


Sie sprechen von der Agonie des Nationalstaates. Aber hat nicht der 11. September zu dessen Renaissance geführt? Die Regierungen sind doch mächtiger als gedacht?

Das Vokabular ist staatlich. Im Hintergrund stehen aber die Interessen der Konzerne. Beim morgendlichen Blick auf die Börsenkurse sehen die Staatschefs, wie groß ihr politischer Spielraum ist. Das Finanzkapital hat den Nationalstaat völlig instrumentalisiert. Das gilt meiner Meinung nach auch für den bevorstehenden Irak-Krieg. Die Logik hinter diesem drohenden Massenmord sind die 280 Milliarden Barrel Erdölreserven, auf denen Saddam Hussein sitzt. Das wird dann von Seiten der Junta in Washington in staatskonformes Vokabular verpackt


Literatur

Jean Ziegler, Stuttgarter Zeitung, Stuttgart, 28.02.2003.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Wera Wojtkiewicz
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 27.05.2012