Infoblatt Roald Amundsen (1876 - 1928)
Roald Amundsen - eine Kurzbiographie
Roald Amundsen wurde 1876 in eine Zeit hineingeboren, die dem Abenteuer kaum noch Raum ließ. Als "weiße Flecken" waren auf der Erde einzig die Eiswüsten der Polkappen übrig geblieben, die der Norweger schon mit 15 Jahren zu entdecken beschloss. Er war von den Reisebeschreibungen des englischen Polarforschers John Franklin fasziniert, der im frühen 19. Jahrhundert die kanadische Arktis erkundet hatte. Amundsens Entschluss wurde noch verstärkt, als er die triumphale Heimkehr seines Landsmannes Fridtjof Nansen miterlebte, seinem späteren Freund und Förderer.
Amundsen kam aus einem wohlhabenden Elternhaus. So standen ihm die notwendigen Mittel zur Verfügung, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Er wurde Seemann, heuerte auf Frachtern und Heringsfängern an und machte sein Steuermannspatent. 1897 ging er auf Empfehlung Nansens als Zweiter Offizier und Steuermann unter dem Kommando des belgischen Forschers Adrien de Gerlache auf seine erste Südpolar-Expedition. Das Unternehmen endete fast mit einer Katastrophe, denn das Forschungsschiff "Belgica" fror im Packeis fest und die Besatzung musste in der antarktischen Nacht überwintern. Während die anderen Expeditionsteilnehmer unter Skorbut, Polaranämie und Depressionen litten, bewies Amundsen körperlich und psychisch eine unerschütterliche Widerstandskraft.
Er hatte seine Feuertaufe bestanden und brachte die "Belgica" im Frühjahr 1888 mit unschätzbaren Erfahrungen sicher aus dem Eis und nach Oslo zurück. Mit 29 Jahren machte er sein Kapitänspatent und kaufte von seiner Erbschaft den leichten Heringsfänger "Gjöa". Amundsens Ziel war die sagenumwobene Nordwestpassage – die vermutete Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, die schon vielen, unter ihnen John Franklin und seinen 138 Männern, zum Verhängnis geworden war.
Mit größter Sorgfalt traf Amundsen die Vorbereitungen und wählte eine sehr kleine Mannschaft von sechs verlässlichen Leuten aus. Die "Gjöa" segelte ohne größere Zwischenfälle durch die arktische Inselwelt im Norden Kanadas. Dort wurde das erste Winterlager aufgeschlagen und die Norweger lernten es, in der arktischen Nacht zu überleben. Die Eskimos, mit denen Amundsen Freundschaft schloss, brachten den Weißen bei, Iglus zu bauen und Pemmikan zuzubereiten – eine in der arktischen Region unersetzliche Nahrung aus getrocknetem und gemahlenem Seehundfleisch. Der Norweger erlernte auch den Umgang mit den Huskies, den Schlittenhunden der Eskimos.
Im August 1905 brach die "Gjöa" in Richtung Westen auf. Sie durchfuhr Gewässer und Zonen, die bisher auf keiner Karte verzeichnet waren. Schließlich öffnete sich die bis dahin schmale Wasserstraße zu einem breiten Golf, auf dem der "Gjöa" am 26. August plötzlich ein Schiff aus Westen entgegenkam. Es war ein Schoner aus San Francisco. Mit diesem Zusammentreffen war klar, dass Amundsen als Erster die Nordwestpassage bezwungen hatte.
Noch einmal musste er überwintern, nutzte aber die Zeit und lief zusammen mit Walfängern und Eskimos auf Skiern und Schlitten 800 Kilometer weit bis Eagle City in Alaska. Von dort telegrafierte er nach Hause, dass die Nordwestpassage durchquert sei. Die Nachricht war eine Weltsensation, die aber zum Leidwesen von Amundsen von einem Telegrafisten an die amerikanische Presse weitergegeben wurde. Daraufhin weigerten sich seine Partner die ausgehandelten Exklusivverträge zu bezahlen. Nach unsäglichen Strapazen in der Eiswüste stand er finanziell vor dem Nichts. Schließlich kehrte er im November 1906, mehr als drei Jahre nach seiner Abreise, nach Oslo zurück. Er wurde gefeiert und geehrt wie einst Fridtjof Nansen. Die Regierung schenkte ihm 40.000 Kronen, so dass er wenigstens seine Schulden begleichen konnte.
Obwohl der Norweger jetzt der Held der Nordwestpassage und weltweit populär war, trieb es ihn weiter zu neuen Herausforderungen und Abenteuern. Sein nächstes Ziel war der Nordpol. Als jedoch die Nachricht eintraf, dass die Amerikaner Robert Peary und Frederick Cook den Nordpol erreicht hatten, gab Amundsen sofort alle Arktispläne auf. Er wollte nicht irgendwo Zweiter oder Dritter sein. Jetzt gab es nur noch ein lohnendes Ziel: die Eroberung des Südpols.
Auch in der Antarktis war der Wettlauf um den Pol bereits in vollem Gange. Am weitesten waren die Engländer Robert Falcon Scott und Ernest Shackleton vorgestoßen. Shackleton war im Januar 1909 bis auf 155 Kilometer an den südlichsten Punkt der Erde herangekommen, und Scott hatte für 1910 eine neue Expedition angekündigt. Amundsen durfte keinen Tag länger warten. Die norwegische Öffentlichkeit ließ er in dem Glauben, er bereite eine Arktisexpedition vor, denn er wollte kein Veto seines Freundes Nansen und der norwegischen Regierung gegen eine überstürzte Südpol-Expedition riskieren.
Am 9. August 1910 stach die "Fram" mit 18 Mann Besatzung, 100 Huskies, einem Kanarienvogel, 3.000 Büchern, einem zerlegbaren Fertighaus und einem Grammofon an Bord in See. Das offizielle Ziel hieß Arktis, aber in Madeira teilte Amundsen der Besatzung mit, dass die Expedition zum Südpol ging. Dem bereits in Australien ankernden Rivalen Scott kabelte er lakonisch: "Fram auf Weg zur Antarktis." Damit hatte der dramatischste Wettlauf der Entdeckungsgeschichte begonnen.
Die "Fram" ging am 13. Januar 1911 im antarktischen Hochsommer in der Walfischbucht am Ross-Schelfeis vor Anker. Zur gleichen Zeit erreichte auch Scott die Antarktis und schlug sein Lager im McMurdo-Sund auf. Amundsens Ausgangsbasis befand sich jedoch um 150 Kilometer näher am Pol. Beide Expeditionen richteten sich auf eine Überwinterung ein. Amundsen ließ unterirdische Werkstätten im Eis bauen und legte auf der Route zum Pol in regelmäßigen Abständen Vorratslager mit Lebensmitteln an. Seine Leute, aber auch die Hunde trainierte er erbarmungslos. Scott dagegen setzte auf mandschurische Ponys und modernste Technik wie drei Motorschlitten, von denen der erste bereits beim Ausladen im Meer versank.
Am 19. Oktober 1911 – der arktische Sommer war angebrochen – startete Amundsen zum Angriff auf den Pol. Mit fünf Männern, 54 Hunden und vier Schlitten legte er ein mörderisches Tempo vor, überwand in vier Tagen die Gletscher des Küstengürtels und erreichte das zentrale Hochplateau der Antarktis. Hier ließ Amundsen 24 Hunde erschießen, weil sie nicht mehr gebraucht wurden. Auf Skiern jagten die fünf Männer unter der nicht mehr untergehenden Sonne zum Südpol. Am 14. Dezember war das große Ziel erreicht. Am Abend wurde der Sieg mit Seehundfleisch und Zigarren gefeiert. Nach vier Tagen begann der Rückmarsch, aber die Norweger hinterließen zwei Briefe: einen an König Haakon und einen an Kapitän Scott.
Für den Engländer lagen außerdem ein Sextant, drei Fußsäcke aus Rentierfell und Fausthandschuhe bereit. Doch sie nützten Scott nichts mehr, der einen Monat nach Amundsen aufgebrochen war. Er erreichte zwar den Pol, aber der Engländer und seine Männer kehrten nicht mehr zurück.
Amundsen hatte den Rückmarsch in der Rekordzeit von 99 Tagen bewältigt. Der Ruhm des Südpol-Bezwingers ging um die Welt. Doch der Norweger war erst 40 Jahre alt und suchte neue Ziele. Er war der Polarwelt verfallen. Noch während des ersten Weltkrieges startete er zu einer Expedition ins nördliche Eismeer, um die sibirische Küste bis zur Beringstraße zu erkunden. Das Unternehmen dauerte drei Jahre, blieb aber bedeutungslos und machte kaum Schlagzeilen.
Die neue Sensation nach dem ersten Weltkrieg war das Fliegen. Und Amundsen wechselte vom Hundeschlitten zum Flugzeug. Er wollte als erster zum Nordpol fliegen und kaufte mit Unterstützung des amerikanischen Millionärs Lincoln Ellsworth zwei Großflugboote. Doch das Unternehmen endete 1925 mit einem Fiasko.
Vom Flugzeug stieg Amundsen auf das Luftschiff um. Er ließ sich von seinem Gönner Ellsworth nicht nur ein Luftschiff des italienischen Aeronautikers Umberto Nobile, sondern den Konstrukteur und Kapitän selbst gleich noch mit kaufen. Doch dieses Mal blieb Amundsen nur zweiter Sieger, denn vor ihm hatte der Amerikaner Richard Byrd mit einer zweimotorigen Fokker-Maschine von Spitzbergen aus den Nordpol überflogen und dort ein Sternenbanner abgeworfen. Trotzdem startete das Luftschiff "Norge" am 11. Mai 1926 in Spitzbergen. Ganz Norwegen nahm Anteil an dem grandiosen Flug quer durch die Arktis bis nach Alaska. Beim Überfliegen des Nordpols wurde mit Eierlikör angestoßen.
Die eigentliche Leistung hatte aber Umberto Nobile vollbracht, der das 100 Meter lange Ungetüm mit einer phantastischen fliegerischen Leistung in 72 Stunden ohne Schlaf durch schlechtes Wetter und Nebel sicher wieder herunter brachte. Amundsen, der Organisator und Chef, war lediglich als Passagier mitgeflogen. Die Norweger feierten ihren Landsmann zwar enthusiastisch, aber der Stern Amundsen begann zu sinken. Er zog sich als mürrischer Einsiedler in sein Haus am Bunnefjord zurück, wurde sonderbar und stritt sich mit seinen alten Gefährten wie Nobile, dem er den Ruhm neidete.
Mit Umberto Nobile verband sich schließlich das letzte, tragische Kapitel im Leben des Roald Amundsen. Der Italiener war im Mai 1928 nach einem Flug über den Nordpol mit seinem Flugschiff auf dem Rückweg in der weißen Wüste zerschellt. Sofort beteiligte sich Amundsen an der internationalen Suchaktion. Er charterte ein zweimotoriges Flugboot und stieg im Hafen von Bergen am Morgen des 18. Juni auf. Die Maschine erreichte Tromsø, von wo aus sie am Nachmittag in Richtung Spitzbergen startete. Danach wurde sie nie wieder gesehen. Erst Wochen später bargen Fischer wenige Wrackteile von Amundsens Maschine, darunter einen Benzintank.
Das Leben des großen Abenteurers Roald Amundsen hatte sein Ende dort gefunden, wo er selbst am liebsten begraben sein wollte. Denn schon lange vor seinem Tod hatte er gegenüber einem italienischen Journalisten gesagt: "Ach, wenn Sie je gesehen hätten, wie herrlich es da oben ist – dort möchte ich einmal sterben." Nur fünf Tage nach Amundsens Tod wurde Umberto Nobile mit sieben anderen Überlebenden geborgen. Elf Menschen fanden den Tod. Ganz Norwegen stand grimmig schweigend Spalier, als der Italiener mit den Überlebenden seiner Mannschaft den Zug in das heimatliche Italien bestieg.
Sein Leben in Zahlen und Fakten
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geb. 1872
Roald Engelbert Amundsen wurde am 16. Juli 1872 in Borge (Östfold, Norwegen) geboren. Er begann ein Medizinstudium, brach es aber nach dem Tod des Vaters ab. Fortan wandte er sich der Seefahrt zu, die ihn seit frühester Jugend faszinierte.
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1897 - 1899
Als Steuermann nahm Amundsen an der Südpolarexpedition des Belgiers Adrien de Gerlache teil. Er entdeckte sein Interesse an der Polarforschung.
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1903 - 1906
Mit dem Schiff "Gjöa" fand und durchquerte Amundsen auf einer Erkundungsfahrt zum nördlichen Magnetpol als erster die Nordwestpassage zwischen Atlantik und Pazifik. Die Durchfahrt durch die Bering-Straße gelang ihm erst nach mehreren Überwinterungen.
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1911
Im Oktober landete Amundsen in der Antarktis an der Ross-Barriere und brach mit seinen Männern zum Südpol auf. Nach einer zweimonatigen Schlittenfahrt setzte er am 14. Dezember als erster Mensch seinen Fuß auf den südlichsten Punkt der Erde. Auf seiner Rückreise aus der Antarktis entdeckte er außerdem die Königin-Maud-Kette.
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1926
Gemeinsam mit dem italienischen Luftschiffkonstrukteur Umberto Nobile und dem Amerikaner Lincoln Ellsworth überflog Amundsen nach mehreren vergeblichen Anläufen am 12. Mai 1926 erstmals den Nordpol.
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1928
Als im Juni 1928 Umberto Nobile mit seinem Flugschiff "Italia" auf der Fahrt zum Nordpol verunglückte, beteiligte sich Amundsen ohne Zögern an der sofort einsetzenden internationalen Rettungsaktion. Von einem Suchflug nach Spitzbergen kehrte der Entdecker und Abenteurer nicht mehr zurück. Der genaue Ort und der genaue Todestag von Amundsen blieben bis heute unbekannt. Vermutlich stürzte er am 18. Juni 1928 bei den Bäreninseln ab. Umberto Nobile wurde fünf Tage nach Amundsens Tod mit sieben anderen Überlebenden geborgen.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Dr. Klaus-Uwe Koch
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 03.06.2012
Autor: Dr. Klaus-Uwe Koch
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2012
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 03.06.2012