Infoblatt Ötzi - der Mann aus dem Eis
Die Feuchtmumie und ihre Geschichte
Der Tod des Ötzi – Er starb vor 5400 Jahren und wurde am Rand eines Gletschers in den Ötztaler Alpen gefunden. Es gibt verschiedenste Theorien über den Steinzeitmann. Zwei davon sind hier dargestellt. (ALEXANDER-Atlas)
Man schrieb den 19. September 1991, als ein Ehepaar aus Nürnberg in den Ötztaler Alpen plötzlich vor einem grausigen Fund stand. Aus dem angetauten Gletschereis, über das die beiden Bergwanderer gerade stiegen, ragte plötzlich eine Leiche heraus. Sie lag in einer Felsmulde eines Gletschers.
Zunächst befürchtete man, es könne sich bei diesem Fund um das Opfer eines Bergunglücks aus dem 19. oder 20. Jh. handeln. Doch der Erhaltungszustand des Leichnams unterschied sich ganz beträchtlich von dem normaler Berg- oder Lawinenopfer, deren Körperzellen auch unter einer Eisschicht normalerweise verwesen. Der gefundene Körper war dagegen mumifiziert und alle Körperzellen erhalten. Bald stand fest: Der Fund war eine Sensation, denn der vom Eis freigegebene Körper gehörte zu den ältesten menschlichen Mumien überhaupt.
Nachdem ein erster Bergungsversuch missglückt war, konnte der Leichnam am 23. September 1991 erfolgreich freigelegt und in das gerichtsmedizinische Institut nach Innsbruck gebracht werden. Anhand der zwar nur noch mit einem Vergrößerungsglas zu erkennenden Genitalien stellte man dort fest, dass es sich um einen Mann handelte. "Ötzi" – wie der gefundene Männerkörper ab sofort genannt wurde – hatte in über 3.200 Metern Höhe in einer geschützten Talsenke am Tisenjoch auf der italienischen Seite der Ötztaler Alpen gelegen. Zum Zeitpunkt seines Todes war er etwa 45 Jahre alt, ca. 1,60 Meter groß und von kräftiger Statur. Er hatte dunkelbraune, wellige Haare und trug wahrscheinlich einen Bart. Da in seinen Haaren erhöhte Werte an Kupfer und Arsen festgestellt wurden, könnte der Ötztalmann bei der Herstellung von Kupferwerkzeugen öfter mit metallhaltigen Dämpfen in Kontakt gekommen sein.
Die Untersuchungen des Leichnams mit Hilfe der Radiokarbon-Methode und die Analyse der zahlreichen Ausrüstungsgegenstände förderten weitere erstaunliche Ergebnisse zu Tage: So ließ sich das Alter des Fundes genau bestimmen. Ötzi war ein Mensch aus der Jungsteinzeit und hatte mehr als 5.000 Jahre im Eis gelegen. Die Mumie entstand auf ganz natürliche Weise. Der Körper war im Freien einer sehr kalten und trockenen Luftströmung ausgesetzt, so dass er durch Luft und Kälte allmählich austrocknete und damit mumifiziert wurde. Hinzu kam die günstige Lage des Fundortes, denn der Leichnam war fast immer mit Schnee bedeckt und wurde auch nicht durch die ständigen Bewegungen des Gletschereises, in dem er eingeschlossen lag, zerrieben.
Der hervorragende Konservierungszustand der Mumie erlaubte auch noch nach über 5.000 Jahren ganz detaillierte Einblicke in die Lebensgewohnheiten von Menschen in der Jungsteinzeit. Aus der starken Abnutzung von "Ötzis" Zähnen ließ sich schlussfolgern, dass er und seine Zeitgenossen oftmals harte und faserige Nahrung zu sich genommen hatten. Obwohl der Magen der Mumie leer war, fand man im Darm winzige Reste von Getreide, von unbekannten Pflanzen und von Steinbockfleisch. Ötzi, der offensichtlich an Darmparasiten und Durchfall litt, hatte vor seinem Tod längere Zeit nichts gegessen. Knie und Lendenwirbelsäule waren stark angegriffen. Am Nasenbein und bei mehreren Rippen ließen sich verheilte Brüche erkennen. Nicht verheilt war eine Rippe, die sich der Mann etwa zwei Monate vor seinem Tod gebrochen haben musste.
An der Bekleidung und Ausrüstung konnte man erkennen, dass der gefundene Ötztalmann sehr wahrscheinlich zu den Viehhirten gehörte, die im Sommer die Schafe und Ziegen auf die Hochgebirgswiesen der Ötztaler Alpen trieben. Die ganze Fellkleidung war aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt und sorgfältig mit regelmäßigen Stichen von innen her zusammengenäht. "Ötzi" hatte zwei Hosenbeine aus Ziegenfell getragen, die mit Riemen an einem Gürtel aus Kalbsleder befestigt waren. Außerdem trug er einen Lendenschurz aus Leder und ein Cape aus zusammengenähten Ziegenfellstreifen. Sein Mantel war aus Gräsern geflochten. Auf dem Kopf saß eine Wolfsfellmütze, während die Schuhe aus dem Fell von Bären und Hirschen gefertigt und zum Schutz gegen die Kälte mit Heu ausgestopft waren. Seine Schuhe – weltweit die ältesten erhalten gebliebene Exemplare überhaupt – waren mit einer Art Schnürsenkel, ähnlich unseren heutigen, zusammen gebunden.
Vielleicht erfanden die Jungsteinzeitmenschen auch die Kunst der Tätowierung. Bei "Ötzi" jedenfalls fand man auf Armen, Beinen und auf dem Rücken über 50 dieser Hautzeichnungen. Da aber die meisten davon im Bereich der Lendenwirbelsäule, der Knie und Sprunggelenke zu finden waren, nimmt man an, dass diese bisher ältesten, je an einem menschlichen Körper gefundenen Tätowierungen wahrscheinlich von Heilbehandlungen herrühren, die der heutigen Akupunktur ähnelten. Die Tätowierungsmuster bestanden aus parallel angeordneten Strichen und Kreuzen.
Auf seinem letzten Weg hatte der Ötztalmann sogar eine medizinische Ausrüstung dabei, denn in kleinen Kügelchen aus Fell wurden Spuren eines Pilzes – des Birkenporlings – festgestellt. Dieser Pilz wächst auf Birken und hat eine antibiotische und blutstillende Wirkung.
Spannende Ergebnisse lieferte auch die waffentechnische Ausrüstung von "Ötzi". Seine wichtigste Waffe war ein Holzbeil mit Kupferklinge, das bis heute älteste und vollständig erhaltene vorgeschichtliche Beil. Dieses Beil aus Kupfer, damals ein sehr kostbares und begehrtes Metall, legt die Vermutung nahe, dass Ötzi eine hohe gesellschaftliche Stellung einnahm. Er besaß außerdem einen Dolch aus Feuerstein, hatte einen Köcher mit Pfeilen und einen noch nicht fertig gestellten Bogen bei sich. Die Waffen und die ganze Ausrüstung ermöglichten dem Jungsteinzeitmenschen das Überleben in den Bergen, selbst über einen längeren Zeitraum. Er konnte jederzeit Wild jagen, seine Ausrüstung selbst reparieren bzw. verschlissene Teile erneuern.
Auch an das in den kalten Bergen überlebenswichtige Feuer war gedacht. In einer Rückentrage aus Holz und Fell fand man in zwei Gefäßen aus Birkenrinde Blätter des Spitzahorns und verkohlte Reste aus Fichten- und Wacholdernadeln. Offenbar trug der Ötztalmann auf seinem Weg durch das Hochgebirge immer die Glut des letzten Lagerfeuers bei sich. Dafür spricht auch der Zunderschwamm zum Entfachen eines Feuers, der in einem Beutel gefunden wurde. In diesem Beutel aus Kalbsleder waren außerdem ein Dorn aus Hirschgeweih zum Abhäuten von Tierfellen, ein Bohrer und eine Knochenahle. Neben der Eismumie lag ein grobmaschig geknüpftes Netz aus Grasschnüren, mit dem wahrscheinlich Vögel und Hasen gefangen wurden.
Im Juli 2001 machte "Ötzi" wieder spektakuläre Schlagzeilen. Obwohl ihn bereits Hunderte von Wissenschaftlern untersucht hatten, entdeckte man erst jetzt auf Röntgenbildern eine Pfeilspitze unter der linken Schulter des Leichnams. Das konnte nur eines bedeuten: "Ötzi" war keines natürlichen Todes gestorben, sondern ermordet worden. Höchstwahrscheinlich wurde er bei gewalttätigen Auseinandersetzungen von hinten angegriffen und durch den auf ihn abgeschossenen Pfeil getötet. Untersuchungen eines interdisziplinären Forscherteams im August 2007 kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass der Pfeil nicht zum Tod "Ötzis" geführt habe. Vielmehr sei er durch diesen lediglich wehrlos gemacht worden und im Anschluss an den Folgen eines Schlags auf den Kopf gestorben.
"Ötzi" war ein Angehöriger der jungsteinzeitlichen Bevölkerung des Vintschgaus in Südtirol. Diese bäuerliche Gesellschaft betrieb Ackerbau und Viehzucht. In den Alpenraum waren die Menschen zuerst wegen des Wildreichtums vorgestoßen, später lockte sie das wertvolle Kupfer. Zu "Ötzis" Zeiten entstanden innerhalb der Stämme neue hierarchische Sozialstrukturen und die ersten Berufe. Der südliche Alpenraum, aus dem "Ötzi" stammt, stand unter dem Einfluss sog. Remedello-Kultur. Das spricht für einen regen Handel und Kulturaustausch, denn das eigentliche Zentrum dieser Kultur lag in der italienischen Poebene.
Seit März 1998 kann man die Gletschermumie im Landesmuseum für Archäologie in Bozen besuchen, wo "Ötzi" in einer Kältekammer seine vorläufig letzte Ruhestätte fand. Sonden sorgen für eine stets konstante Temperatur (-60 °C) und für eine ebenso gleich bleibende Luftfeuchtigkeit von 98 Prozent. Diese Werte garantieren das "Überleben" der Feuchtmumie, die eines der wichtigsten und am besten erhaltenen Zeugnisse aus der Frühgeschichte der Menschen des Alpenraumes ist.
2010 gelang einem internationalen Forscherteam die Entschlüsselung des Erbguts der Eismumie, das aus 0,1 Gramm Knochen der linken Hüfte gewonnen wurde. Mittels der DNA-Analyse konnten nicht nicht nur die Augenfarbe (braun) und Blutgruppe, sondern jüngst (2012) auch zahlreiche Erkrankungen ermittelt werden. So war "Ötzi" aufgrund seiner genetischen Veranlagung von Arterienverkalkung und einem erhöhtem Herzinfarktrisiko betroffen, hatte hohe Cholesterinwerte und war laktoseintolerant. Er vertrug also keine Milchprodukte, was damals durchaus die Mehrheit der Bevölkerung betraf. Außerdem litt er unter der durch Zeckenbiss ausgelösten Krankheit Borreliose, die noch heute vor allem in Süddeutschland durch Zecken übertragen wird.
Die Forscher können aus dem Erbgut auch Informationen zu den Vor- und Nachfahren des Ötzmannes herauslesen. Tatsächlich wurden genetische Übereinstimmungen mit Bewohnern Korsikas und Sardiniens gefunden, doch die Forschungen sind bislang noch nicht abgeschlossen.
Quelle: Geographie Infothek
Autor: Dr. Klaus-Uwe Koch, Wiebke Hebold
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2004
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 13.03.2012
Autor: Dr. Klaus-Uwe Koch, Wiebke Hebold
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2004
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 13.03.2012