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Infoblatt Forschungsschiff Aurora Borealis


Das multinationale Forschungsschiff der Zukunft

Die wichtigsten Aufgaben der Polarforschung waren anfänglich die Entdeckung neuer Seewege und neuer Landgebiete. Die Suche nach einer schiffbaren und zumindest im Sommer eisfreien Passage durch das Nordpolarmeer gestaltete sich schwierig und so manche Expedition erlangte traurige Berühmtheit. Die schließlich entdeckten Seewege (Nordost- und Nordwestpassage) verkürzten die bestehenden Schifffahrtrouten zwischen Europa und Asien erheblich. Aufgrund der klimatischen Bedingungen war der Seeweg durch das Nordpolarmeer bislang wirtschaftlich kaum nutzbar. In den letzten Jahren wurde jedoch ein starker Rückgang der sommerlichen Eisausdehnung festgestellt. Dies erhöhte nicht nur die längere Nutzbarkeit des Seeweges über das Nordpolarmeer, sondern verstärkte auch das politische und wirtschaftliche Interesse der Anrainerstaaten an der Arktis. Nach wie vor gilt die arktische Region trotz zahlreicher Expeditionen aber als weitgehend unerforschtes Gebiet. Um die Veränderungen in der Arktis besser verstehen zu können, wurde ein europäisches Gemeinschaftsprojekt der Polarforschung ins Leben gerufen. Kernstück wird das geplante Forschungsschiff "Aurora Borealis" sein, was nach dem am Nordpol in Erscheinung tretenden Polarlicht benannt wurde. Im Jahr 2006 gab es grünes Licht für das weltweit einmalige Großforschungsprojekt. Mit dem Bau des anspruchsvollen Forschungsschiffs soll nach aktuellen Planung und Klärung der Finanzierung in 2012 begonnen werden. Der erste Einsatz könnte demnach im Jahr 2014 stattfinden.


Forschungsziel: Mehr Wissen über die Arktis

Die aktuelle Ausgangslage stellt sich so dar, dass die arktische Region als komplexes Ökosystem nur unzureichend erforscht ist. Für das arktische Ökosystem sind die Auswirkungen des Klimawandels vermutlich gravierender als für andere Regionen der Welt. Durch langjährige Messungen in der Arktis wurde festgestellt, dass die mittlere Jahrestemperatur sich doppelt so schnell erhöht wie im weltweiten Durchschnitt. Eine Folge ist die immer geringere Ausdehnung des Meereises in der Arktis. Es stellt sich aber auch die Frage, ob die Festlandgletscher schneller schrumpfen und welchen Einfluss der erhöhte Süßwasseranteil im Nordpolarmeer haben kann. Es gibt allerdings Vermutungen, dass die Gletscher durch höhere Niederschlagsmengen zunächst erst einmal wachsen können. Fest steht zumindest, dass die arktische Region eine Schlüsselrolle in der Frage des Klimawandels einnehmen wird. Da selbst moderne Forschungsschiffe bislang kaum in der Lage sind, in zentrale arktische Regionen vorzudringen, soll nun ein neuer bohrfähiger Forschungseisbrecher gebaut werden. Das geplante Einsatzgebiet ist die Arktis und die offene See. Folgende Themen sollen mit der "Aurora Borealis" schwerpunktmäßig erforscht werden:
  • der bislang nahezu unbekannte arktische Tiefseeboden,
  • Messungen der Meeresströmungen und
  • der arktische Artenreichtum der Pflanzen- und Tierwelt.



Neuartige Funktionsweise

Um die letzten Geheimnisse der Arktis zu ergründen, soll die "Aurora Borealis" multifunktional ausgestattet werden. Die "Aurora Borealis" wird daher als eine neuartige Kombination eines Eisbrechers, Bohrschiffes und Mehrzweck-Forschungsschiffes konstruiert werden. Das Kernstück wird ein Bohrturm sein, der Bohrungen bis in eine Wassertiefe von 5.000 m und eine Sedimenttiefe von 1.000 m ermöglichen soll. Die "Aurora Borealis" wird so ausgestattet, dass das Schiff auch bei driftendem Eis die exakte Position halten kann. Im treibenden Packeis werden damit exakte Messungen ganzjährig erstmals möglich. Die Bohrapparatur wird durch sog. Moonpools im Schiffsrumpf abgelassen. Die beiden sieben mal sieben Meter großen Moonpools sind Unterwasserschächte. Durch diese Schächte können das Bohrgestänge und andere Geräte (z. B. Tauchroboter) direkt ins Wasser abgesenkt werden. Dadurch sind Forschungsarbeiten auch bei starkem Wind und Wellengang möglich. Im Sommer sollen hauptsächlich die Bohrungen durchgeführt werden. Im Winter unterstützt die Eisbrecherfunktion die Arbeiten zur Erforschung der Atmosphäre und Meeresströmung.


Daten und Fakten

Die "Aurora Borealis" soll ein Forschungsschiff der Superlative werden. Die Länge ist laut Plan auf 199 m, die Breite auf 49 m festgesetzt. Zum Vergleich: Das Forschungs- und Versorgungsschiff "Polarstern" ist ca. 118 m lang. Die Einsatzgeschwindigkeit beträgt 12 Knoten. Das Schiff ist auf ca. 120 Personen begrenzt. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachbereiche sollen auf der "Aurora Borealis" einmal arbeiten. Die "Aurora Borealis" wird voraussichtlich 300 Tage im Jahr im Einsatz sein. Die geplanten Baukosten des Schiffs belaufen sich auf 650 - 850 Mio. Euro. Pro Jahr wird das Forschungsschiff ca. 36 Mio. Euro kosten. Ein Drittel dieser Kosten wird von Deutschland übernommen, was mit diesem Projekt seine mehr als 100jährige Polarforschungstradition fortsetzen wird. In Deutschland wird das Projekt vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven betreut. Die Anrainerstaaten der Arktis Russland, Kanada und USA werden sich ebenfalls an den Kosten beteiligen. Weiterhin wollen sich 15 Institutionen und Gesellschaften aus zehn europäischen Staaten beteiligen.

Aus der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit ergeben sich aber einige offene Fragen. So ist nicht geklärt, unter welcher Flagge das geplante Forschungsschiffe fahren und wo der künftige Heimathafen der "Aurora Borealis" liegen soll. Außerdem ist die Zuständigkeit bei etwaigen Unglücken noch nicht zugordnet.


Aktuelle Entwicklung

Im November 2010 bewertete der Wissenschaftsrats in Deutschland das Projekt mit Blick auf die Zukunft der deutschen Forschungsflotte als nicht ideal. Gründe liegen in den seit den 1990er Jahren, in denen der Einsatz der Aurora Borealis geplant wurde, veränderten Rahmenbedingungen und in der enormen Kostensteigerung von ursprünglich 355 Mio. Baukosten und Betriebskosten von 17,5 Mio. Euro jährlich auf die oben erwähnten 650 - 850 Mio. Euro Bau- und 36 Mio. Euro Betriebskosten/Jahr. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich die Suche nach Co-Finanzierern derart schwierig, dass der Wissenschaftsrat nun eine kleine und schnelle Lösung favorisiert. So soll zum einen ein kleinerer Neubau, bereits als 'Polarstern II' bezeichnet, für insgesamt 450 Mio. Euro bis zum Jahr 2016 in Dienst gestellt werden, zum anderen die Dienstzeit der 'Polarstern' um einige Jahre verlängert werden. So könnte über einen gewissen Zeitraum eine parallel laufende Erforschung der rapiden Veränderungen der Polarregionen durchgeführt werden.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich, Kristian Uhlenbrock
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2009/2011
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 06.01.2011