TERRA-Online

Infoblatt Tuareg


Basisdaten, Lebensweise, Konflikte und Lösungsansätze



Tuareg (Six)


Basisdaten und traditionelle Lebensweise

Die Tuareg sind ein nomadisches Berbervolk. Selbst nennen sie sich Imuschag (die Freien) oder Kel Tagelmust (Schleiermänner). Sie sollen Nachkommen der Garamanten sein, die im 7. Jahrhundert von den Muslimen aus dem lybischen Gebiet Fessan vertrieben worden sind. Nach und nach breitete sich dieses indigene Volk in der Sahara aus. Nach dem Untergang des Songhaireiches siedelten sie auch in der Sahelzone und erlangten die Kontrolle über Timbuktu. Von den fast eine Million Tuareg leben über die Hälfte in der Republik Niger, zwischen den Städten Ghadames, Timbuktu und Zinder. Der Rest ist auf die Staaten Burkina Faso, Mauretanien, Lybien, Algerien, Nigeria und Mali verteilt. Heute verweilen die meisten Tuareg-Stämme nicht mehr in der Wüste, sondern im Sahel und anderen vegetationsreicheren Gebieten um die Sahara. Je nach Region unterteilt man die Tuareg in unterschiedliche Stammesgruppen (Kel) mit dem Amenokal als Oberhaupt. In der Sahara leben die Kel Adjer, Kel Ahaggar, Kel Adrar und Kel Air. Hier ist der Anteil echter Nomaden noch ziemlich hoch. Kulturell bilden die zahlreichen Stämme aber eine Einheit. Das drückt sich in der gemeinsamen Sprache, dem Tamaschek, aus, was in drei unterschiedlichen regionalen Varianten gesprochen wird.

Charakteristisch für die Tuareg ist ihre strenge hierarchische Sozialordnung. Die Stände bestimmen das Leben, so darf beispielsweise nicht außerhalb des eigenen Standes geheiratet werden. Den höchsten Rang besitzen die imascheren, was soviel heißt wie Menschen der herrschenden Rasse. Diese sind alle reinblütige Berber und daher hellhäutig. In der traditionellen Gesellschaft hatten sie als aristokratische Schicht die gesamte politische Macht inne und verfügten über die wirtschaftlichen Ressourcen und das Privileg der Kamelhaltung. Den nächstfolgenden Rang bilden die ineslemen (Schriftgelehrte – in Anlehnung an das Wort Islam). Diese Bildungsschicht ist frei, da sie keine Abgaben zu zahlen hat. Die dritte Schicht nehmen die imrad (Vasallen) ein, die an die oberste Schicht Abgaben leisten. Sie betreuen meist Ziegenherden und werden daher auch kel ulli (Ziegenleute) genannt. Auch alle nicht reinrassigen Tuareg zählen zu den Vasallen, also Mischehen aus Tuareg und Angehörigen anderer Völker. Die isseggaren (die Roten) sind die vierte Gruppe. Sie stellen Ackerbauern dar, die meist in den Oasen des Nordens leben. Sie sind relativ dunkelhäutig und von den oberen Schichten abhängig. Die unterste Stufe der Rangordnung bilden schließlich die iklan (Sklaven) – diese zählen allesamt zu den dunkelhäutigen Nachkommen von Schwarzafrikanern, die früher als Sklaven erbeutet worden sind. Außerhalb dieser Sozialordnung existiert noch die Gruppe der enaden, da diese alle dem Berufsstand der Schmiede angehören – ihr Ansehen hängt davon ab, für welche soziale Gruppe sie arbeiten.
Alle Tuareg sind Moslems, aber glauben auch noch traditionell an gute und böse Geister, haben Glücksamulette und Ziegenfüße. Ein wichtiges Symbol der Tuareg ist die versunkene Oase Gewas. Diese bildet einen Gegenentwurf zur kargen unbarmherzigen Wirklichkeit in der Wüste: Die Oase steht für die Sehnsucht nach einem Paradies voller Reichtümer und Überfluss. Finden kann man diesen Ort aber nur, wenn man nicht bewusst nach ihm sucht. Religiöse Bedeutung hat auch der Gesichtsschleier der Männer, wodurch sie sich von anderen Muslimen unterscheiden. Der Mund muss bedeckt sein, weil alle Körperöffnungen als unrein gelten. Außerdem wollen sie sich vor den Geistern der Toten schützen, die dem Glauben nach über den Mund vom Körper Besitz ergreifen. Der Gesichtsschleier hat darüber hinaus praktische Funktionen: Er schützt vor Sonne, Wind und Sand. Die Männer tragen an besonderen Festtagen auch eine hohe rote Filzmütze, die als Tukumbut bezeichnet wird. Männer und Frauen kleiden sich mit langen Gewändern aus indigoblauen Stofftüchern, daher nennt man die Tuareg das blaue Volk. Die Frauen haben wie alle Berber meist ein unbedecktes Gesicht. Sie haben eine starke gesellschaftliche Stellung inne, welcher durch reichen Silberschmuck und Achat, der seit Generationen vererbt wird, Ausdruck verliehen wird. Außerdem zählen sie als Trägerinnen der Kultur und überliefern die alte lybische Schrift. So haben die Tuareg bis heute ihre spezielle einheimische Schriftart, die tifinagh, bewahrt. Die Schrift wird nur zum Aufzeichnen von Liebesbriefen, für Graffiti auf Felswänden oder als Gravur auf Armreifen verwendet. In der normalen Schriftkultur und der Schulausbildung nutzt man die arabische Sprache.


Wirtschaftsweise



Salzkarawane (Wilhelmi)

Die wirtschaftliche Grundlage des Nomadismus in der Sahara ist die Zucht und Haltung von Ziegen, Schafen und Eseln, die aber meist nur zur Selbstversorgung, weniger zum Verkauf dienen. Die Tuareg sind wohl die berühmtesten Kamelreiter. In erster Linie werden die Tiere aber als Lastenträger gezüchtet, nicht als schnelle elegante Reittiere. Um ihre Viehherden in der kargen Landschaft zu weiden, ziehen sie ständig umher – immer in einem eingeschränktem Territorium, da in der Sahara noch andere nomadische Völker leben. Aus diesem Grund hausen sie nur in Lederzelten, die schnell auf- und abgebaut werden können. Den Anbau von Feldfrüchten mit Hacke und Spaten empfinden die Tuareg als unwürdige Arbeit. Solche Nahrungsmittel erhalten sie von den Bauern der Oasen und der Wüstenrandzone. Die Tuareg sind auch Kaufleute. Mit ihren Kamelen transportieren sie in Karawanen schon seit Jahrhunderten verschiedene Waren, darunter Datteln und Salz, durch die Wüste. Es handelt sich dabei um eine wichtige Einnahmequelle, denn das Salz wird oft um das 10- bis 20fache seines Einkaufspreises wiederverkauft. Der jährliche Salztransport via Kamel spielt beispielsweise bei den Kel Air noch eine wichtige Rolle, da Lastwagen in diesem Teil der Sahara nur schwer vorankommen. Auch die Salzkarawane der Kel Ewey existiert schon seit dem 15. Jahrhundert. Außenstehenden erscheint sie als extrem anstrengende Expedition, denn sie laufen 30 Tage über 450 km durch die Wüste vom Air-Gebirge nach Bilma – das meiste zu Fuß, und ohne längere Pausen als vier Stunden. An den Karawanen nehmen daher nur die Männer teil, die Frauen bleiben dann mit Kindern und Vieh oft monatelang allein. Große Feste, wie Taufen, Hochzeiten und Feiertage, an denen sich die Familien treffen, bilden daher Höhepunkte im oft sehr einsamen Leben.


Probleme und Konflikte mit anderen Bevölkerungsgruppen in Vergangenheit und Gegenwart, Bedrohung der Lebensweise und Schritte zur Konfliktlösung

Das Volk der Tuareg war schon immer stark von der jeweils herrschenden politischen Lage der nordafrikanischen Länder abhängig. Ihr Karawanenhandel wurde auch schon früher von anderen Völkern durch Überfälle bedroht. Sehr stark wurden sie durch die europäischen Kolonialmächte beeinflusst. Die Besatzer führten Krieg mit den Nomadenstämmen, um deren Macht in der Sahara einzudämmen. Der französischen Kolonialmacht leisteten sie im 19. Jahrhundert besonders lange Widerstand, so dass erst 1917 ein Friedensvertrag mit Frankreich unterzeichnet wurde. Auch heute kommt es oft zu Streit zwischen ihnen und den Regierungen, welche die Tuareg diskriminieren und in ihrer Politik nicht berücksichtigen. Von den Sesshaften werden die Nomaden heute als ungebildet, gewaltbereit und rückständig bezeichnet, was unter anderem daran liegt, dass sie körperliche Arbeit, besonders im Agrarsektor, bis heute verachten. Das verhindert eine Integration in die einzelnen Staaten. Außerdem entziehen sie sich jeder Erfassung oder Registrierung bei Volkszählungen – aus Misstrauen gegenüber der Bürokratie. Die Tuareg stellen in den Augen der Regierung ein administratives Problem dar. Daher versuchen sie, diese sesshaft zu machen – in Algerien versucht man das sogar mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Ihre Mobilität und ihr Nomadismus werden zum Beispiel durch vermehrte Grenzkontrollen mit Zollabgaben, Ein- bzw. Ausfuhrbeschränkungen und der Erfordernis von Pässen erschwert. Da viele Tuareg im Grenzgebiet zwischen Mali, Niger, Lybien und Algerien leben und umherstreifen, stehen sie vor der Wahl, entweder ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren oder die Gesetze zu missachten. So kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Unruhen unter den Tuareg. Sie fühlen sich bedroht aufgrund der Unterdrückung und Ausgrenzung durch die jeweiligen Landesregierungen in ihrer Lebensweise. In der Zeit von 1990 bis 1995 führte das in Mali und Niger zu vielen Aufständen der Tuareg. Einer ihrer Führer war Mano Dayak. Er gilt als Vorkämpfer für den 1995 ausgehandelten Friedensvertrag zwischen der Niger-Regierung und den Tuareg-Rebellen. Seine Autobiographie "Geboren mit Sand in den Augen" ist sehr bekannt.
Die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Tuareg gestaltet sich mittlerweile immer schwieriger. Die Dürrekatastrophe von 1968 bis 1973 hinterließ nachhaltige Folgen, viele Kamele starben wegen Futtermangels. Außerdem werden weniger Kamele für die Karawanen benötigt, da der Handel stark zurückgegangen ist. Nur noch vereinzelt werden heute Datteln und Salz von ihnen transportiert. Die Tauschbedingungen sind immer schlechter geworden und die modernen Verkehrsmittel, insbesondere Lastwagen, verdrängen den Karawanenhandel. Viele neue Produkte lassen sich zudem mit Kamelen nicht befördern. Die Wirtschaft der Tuareg wird auch zunehmend durch Wassermangel eingeschränkt: Desertifikation zerstört immer größere Weidegebiete und der Grundwasserspiegel sinkt durch den zunehmenden Wasserverbrauch der Ölförderung. Jahrhundertealte sichere Wasserstellen sind ausgetrocknet. Mit den traditionellen Brunnenbaumethoden ist die grundwasserführende Bodenschicht nicht mehr zu erreichen.
Diese komplexen Strukturveränderungen bedrohen die Lebensweise der Tuareg und damit ihre Kultur an sich. Die Anzahl der Nomaden geht seit Jahren zurück, viele Tuareg sind in Agadez, eine Stadt am Niger, sesshaft geworden. Die alte Sozialordnung löst sich heute immer mehr auf und die Stämme leiden unter Identitätskrisen. Trotzdem versuchen die Tuareg sich anzupassen, indem sie zeitweise für Lohn arbeiten – beispielsweise im Uranbergbau oder in ausländischen Projekten. Dadurch sind sie nicht allein auf Viehzucht und Karawanenhandel angewiesen. Aus Angst vor Dürren züchten sie weniger Tiere und verstärken den Gartenbau. Trotzdem sind Hilfsmaßnahmen von außen unerlässlich, um die Nomaden zu erhalten. Viele Entwicklungshilfeprojekte versuchen die Lebensbedingungen zu verbessern und gemeinsam mit den Tuareg die Desertifkation zu bekämpfen. Um ihr Nomadentum zu erhalten, wurden auch spezielle über 100 m reichende Tiefbrunnen errichtet, damit sie ihre Herden tränken können. So bleiben die Nomaden immer in Reichweite dieser Brunnen, sind aber andererseits auch von diesen abhängig und verlieren somit weiter an Autarkie.
Die Tuareg müssen heute verstärkt um ihr Recht, traditionell weiter zu leben, kämpfen. Sie haben eine sehr enge Bindung an ihre Heimat und die damit verbundenen Traditionen. Das ist ein Grund, warum ihre Kultur trotz aller Einflüsse bis heute besteht. Durch ihre Mobilität sind sie in der Lage, politische Krisen und Dürren gut zu überstehen. Sie haben gelernt sich neuen Situationen anzupassen. Eine Chance für die Tuareg liegt im Tourismus. Immer mehr Menschen wollen die Nomaden bei ihrer täglichen Arbeit sehen und Karawanen erleben.


Literatur

Haarmann, Harald (2004): Kleines Lexikon der Völkerkunde von Aborigines bis Zapoteken, Beck´sche Reihe, München.
Herzog, Rolf (1982): Der Nomadismus in der Sahara, In: Geographische Rundschau, Band 34, Heft 6.
Fuchs, Peter (1982): Fallstudie: Die Tuareg Kel Air, In: Geographische Rundschau, Band 34, Heft 6.
Taubert, Karl (1984): Behalten die Tuareg ihre Heimat? Die Situation einer Nomadengruppe in der Republik Niger, In: Praxis Geographie, Band 5, Heft 21.
Spittler, Gerd (2002): Die Salzkarawane der Kel Ewey Tuareg, In: Geographische Rundschau, Band 54, Heft 3.
Spittler, Gerd (2002): Der Weg des Achats zu den Tuareg - eine Reise um die halbe Welt, In: Geographische Rundschau, Band 54, Heft 10.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Nancy Allmrodt
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2007
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 30.05.2007